Fast Food-Literaturkino

KRABAT

Literaturverfilmungen, in deren Zentrum ein Zaubererlehrling steht, kennt das Kino seit einigen Jahren: Großformatig bringt ein US-Majorfilmstudio die Kinoversion von J.K. Rowlings Harry Potter auf die Leinwand und das mit, für Hollywood un-typischer, Disziplin und Durchhaltevermögen. Wozu die milliardenschweren Ein-nahmen aus diesen Filmen vor allem beigetragen haben dürften.
Die deutschsprachige Literatur kennt im Jugendbuchbereich ebenfalls einen Jungzauberer: Krabat ist sein Name und auch er muss sich, seit den 70ern schon und mit jedem Aufklappen des Buchdeckels aufs Neue, gegen einen dunklen Meister, gegen seinen Lehrmeister zur Wehr setzen. Krabat hat den Vorteil, dass ihm ein Mädchen zu Hilfe kommen darf. Und aus Liebe zu ihm setzt sie die eigene Existenz aufs Spiel. Bei Harry Potter liegt der Fall etwas komplizierter.

Wie Harry, so wird auch Krabat von einem US-Majorfilmverleih ins Kino gebracht, freilich durch dessen deutsche Sektion: „20th Century Fox of Germany". Weiterhin teilen HARRY und KRABAT die Vorliebe für spezielle und unerwartete Regisseure: Alfonso Cuarón bspw. verfilmte Hogwarts, während der deutsche Regie-Jungstar Marco Kreuzpaintner in den Koselbruch und zur Schwarzen Mühle ging. Die vorgelegten Ergebnisse der beiden könnten unterschiedlicher nicht sein! Wo Cuarón seiner gigantischen Filmmaschine einen Arthouse-Anstrich verpasste und kurzerhand einen der besten Filme der Potter-Reihe vorlegte, da reiht sich Kreuzpaintner lediglich in eine zahl- und namenlose Reihe von Regisseuren ein, deren Werke nicht mehr als Abendfüllende, vernachlässigbare Unterhaltungsware sind. Was ist hier passiert?

BEGINN EINER KARRIERE

Mit SOMMERSTURM schaffte derselbe Regisseur den Durchbruch im Kino und gleichzeitig die Wiederbelebung eines tot geglaubten Genres, dem deutschsprachigen Coming-of-Age-Film: Getragen von einem jungen Cast, zauberte er eine beschwingte, aber gleichzeitig ernsthafte und glaubwürdige Geschichte auf die Leinwand. Marco Kreuzpaintners SOMMERSTURM bestach durch seine starke Sympathie für die Figuren. Ihre Probleme, ihre Zwickmühlen überträgt er liebevoll und mit einem Schmunzeln aufs Filmmaterial.
Die Geschichte des Jungen, der sich in seinen besten Freund verliebt und im Zeltlager Bekanntschaft mit „der anderen Seite" macht, die bald seine werden sollte, sie bot dem Zuschauer genügend Raum, um sich mit den Protagonisten zu identifizieren oder sich mit ihnen solidarisch zu erklären. Vielleicht machte das den Erfolg von SOMMERSTURM aus, der ihm schließlich den Status eines Klassikers bescherte.

Sein zweites Werk

Bei TRADE, Kreuzpaintners Ausflug nach Hollywood und zu seinem “Ziehvater” Roland Emmerich, dreht es sich sprichwörtlich um den Handel mit Ware - freilich in seiner perfidesten Form: Der Handel mit Menschen. Regisseur Kreuzpaintner erzählt die Geschichte zweier entführter Mädchen, die zusammen von Mexiko in die USA verschleppt werden. Ihnen auf den Fersen ist der ältere Bruder eines der Mädchen. Zufällig trifft er auf einen amerikanischen Ex-Polizisten, der ebenfalls sucht - nach seiner Tochter, die wiederum vor Jahren entführt wurde. Gemeinsam machen sie sich auf die Spur der Entführer und geraten dabei tief in den Sumpf des Menschenhandels und zwischen die Interessen weltweit agierender Polizeibehörden.

Drama oder Thriller? Kreuzpaintner scheint bei TRADE zu keiner klaren Entscheidung zu finden. Er bedient hollywoodsche Erzählkonventionen, macht sich Elemente verschiedenster Genre zu eigen, schafft es aber nicht, einen formalen roten Faden durch den Film zu ziehen. Schlimmer noch: Man könnte den Eindruck gewinnen, dass sich der junge Filmemacher lieber auf wenige oder einen Charakter und sein Schicksal konzentriert hätte, aber “von oben” dazu angehalten wurde, das “ganz große Drama” zu erzählen. Im Ergebnis steht ein zweifelsohne eindringlicher, wie auch misslungener Film. Man wird das Gefühl nicht los, sich schmutzig zu fühlen. Schmutzig, weil man soeben einen Film sah, der aus dem Elend tausender Menschen pathetische und Aufsehen erregen wollende Unterhaltung gemacht hat.

Im Koselbruch

Die Geschichte des jungen Krabat und dem Kampf gegen seinen schwarzen Hexenmeister, geschrieben von Otfried Preußler, gehört zu den Klassikern der Jugend- und der Schulliteratur. Der Bekanntheitsgrad von Preußlers Hauptwerk ist, auch weltweit, immens. Umso vielversprechender muss den Produzenten die Verfilmung dieses Stoffs erschienen sein. Insbesondere in Potter-Zeiten. Als prädestiniert für die Verfilmung des Buchs, in dessen Zentrum ein Figurenensemble von Jugendlichen und jungen Erwachsenen steht, kann Kreuzpaintner durchaus gelten. Mit SOMMERSTURM hat er sein Talent für junge Helden schließlich zweifelsfrei bewiesen. Und er kann sich glücklich schätzen, dass der deutsche Film derzeit mit einer ganzen Reihe hervorragender, junger Darsteller aufwartet: Hanno Koffler als Juro, Robert Stadlober als Lyschko, Daniel Brühl als Tonda und David Kross als Krabat, um nur einige Namen aus KRABAT zu nennen. Sie, die Darsteller, sind es dann auch, die den Film tragen. Sei es Kofflers Juro, der mehr als überzeugend die Doppelbödigkeit seiner Figur zum Ausdruck bringt, oder Daniel Brühl, der in seiner zurückgenommenen, bedächtigen, aber ausdrücklich selbstbewussten Spielweise Tonda zu Krabats Mentor macht. Und schließlich David Kross, der Krabat zuerst mit unbedarfter Jugendlichkeit auf die schwarze Mühle treffen lässt, um ihn im Laufe des Films zum umfassenden Helden zu wandeln.

HOLLYWOOD IN DER LAUSITZ

Die Faszination Krabats für die magischen Künste lässt ihn quasi einen Pakt mit dem Tod eingehen. Sich diesem wieder zu entreißen, schafft er nur noch mit Hilfe seiner Geliebten. Die Faszination für die großformatige Kinounterhaltung scheint wiederum Marco Kreuzpaintner ergriffen zu haben. Jedenfalls erscheint KRABAT mit einer derartigen Großspurigkeit auf der Leinwand - ohne ihr wirklich gerecht zu werden. Einerseits atmosphärisch durchaus reizvoll, erschöpft sich der Film andererseits schon nach kurzer Zeit in einem clipartigen Abhaken der wichtigsten Stationen des Buches. Was die Drehbuchautoren Michael Gutmann und Marco Kreuzpaintner an Handlung präsentieren, mutet wie ein Best-of des Buches an: Fast-Food-Literaturkino. Freilich sind auch Potter-Filme keine vorlagengetreue Angelegenheit. Aber ein Potter-Band kommt im Schnitt auch auf 400 Seiten, Preußlers Roman wird, je nach Druck, mit 250 bis 300 Seiten angegeben; woraus 120 Minuten Film destilliert wurden. Man könnte jetzt von Erbsenzählerei sprechen, wäre da nicht die unglückliche Dramaturgie, die sogar Schlüsselszenen des Buchs zu plötzlichen Randnotizen degradiert, dem Höhepunkt des Films immer näher kommend. Und bei diesem angekommen, bleibt der Film dann konsequent und fackelt auch den Sieg der Liebe über das Böse in atemberaubender Geschwindigkeit, mit einem – freundlich formuliert – netten, rechnergenerierten Feuerwerk ab. Happy End – Licht an!

Man verlässt, einigermaßen zerknirscht und betäubt von diesem harten Galopp durch einen Klassiker der Jugendliteratur, den Kinosaal. Bereichert um die Erkenntnis, dass ein Debüt nichts mehr Wert ist, wenn die große Bildererzählmaschine aus Übersee Besitz ergriffen hat von einem ausdrücklichen Regietalent. In unserer auf Kurzweiligkeit getrimmten Unterhaltungswelt mag dieser Film hervorragend funktionieren, auch und gerade weil er Literatur einem jungen Publikum nahe bringt, dass von der Bombast- und Blockbuster-Sehkultur geradezu bombardiert wird. Allerdings kann das nicht mehr als ein Erfolg des Pragmatismus sein. Im Oeuvre des Marco Kreuzpaintner stellt KRABAT den bisherigen Tiefpunkt seines künstlerischen Schaffens dar. Kreuzpaintner, ein Regisseur des Zwecks?

Als sein nächstes Projekt, hat Kreuzpaintner einen Film über Rainer Werner Fassbinder angekündigt: „Ich will diesen wahnsinnig getriebenen Mann zeigen, der talentierter war als alle anderen zu seiner Zeit - einen Mann, der in so einem spießigen Land wie der Bundesrepublik der 70er und 80er Jahren dafür gesorgt hat, dass der deutsche Film zum ersten Mal wieder international beachtet wurde.“ (FR-online vom 05.09.2008) Freilich erreichte Fassbinder dies durch die Exaltiertheit seiner Geschichten, in Verbindung mit formaler Finesse und Perfektion. Nimmt man KRABAT als Maßstab seines Könnens, so hat sich Kreuzpaintner mit dem Fassbinder-Projekt eine schier unlösbare Aufgabe gestellt.


KRABAT
Deutschland 2008
120 Minuten, Farbe
Regie: Marco Kreuzpaintner