Popcornkino/Buchabfilmung/Ärgernis

DAS PARFUM

„Hunderttausend Düfte schienen nichts mehr wert vor diesem einen Duft. Dieser eine war das höhere Prinzip, nach dessen Vorbild sich die anderen ordnen mußten. Er war die reine Schönheit.“, so schreibt es Patrick Süskind in seinem Roman "Das Parfum". Süskind hat sich lange geweigert, die Filmrechte für sein Buch zu verkaufen. Fast 20 Jahre blieb er seinem Standpunkt treu, dass das Buch nicht verfilmbar sei. Doch schließlich zahlte sich die Beharrlichkeit des Filmproduzenten Bernd Eichinger aus: Er warb lange um Süskind, bis dieser ihm die Rechte verkaufte. Süskind verbat sich allerdings ausdrücklich jegliche Mitarbeit an dem Film. Wenn man jetzt das fertige Ergebnis in den Kinos sieht, kann man ihn verstehen. 

Bernd Eichinger hat es wieder einmal geschafft, einen Außnahmeregisseur veritabel scheitern zu lassen: Wie schon Oliver Hirschbiegel mit dem "UNTERGANG" unterging, so verflüchtigt sich auch die Qualität eines Tom Tykwer unter Eichinger wie ein Billig-Duftwässerchen. Aber zurück zum Anfang. 

Jean-Baptiste Grenouilles Geburt ist schmutzig. Seine Mutter entbindet ihn kurzerhand im Dreck des Pariser Fischmarkts, dem "dreckigsten Ort im Königreich". Im Gegensatz zu den anderen Geburten seiner Mutter, stirbt der kleine Haufen Elend aber nicht. Die erste von ermüdend vielen Nahaufnahmen erklärt auch, warum: Er riecht die Welt. Seine Mutter wird gehenkt, weil sie ihr Kind verstoßen hat, er kommt ins Waisenhaus. Dort wollen ihn die Kinder sofort umbringen, doch die geldversessene Heimleiterin kommt dem zuvor. Jean-Baptiste istfünf Jahre alt, auf dem Hof des Waisenhauses wird ihm erstmals klar, was mit ihm anders ist: Er erschnüffelt sich die Welt. Bald hat er alle Düfte der Welt eingeatmet, doch sprechen kann er immer noch nicht wirklich. 
Mit dem Erwachsenwerden des jungen Grenouille beschäftigt sich der Film über eine halbe Stunde. Unzählige Nahaufnahmen hat man bis dahin gesehen: Sind "Close Ups" sonst ein Mittel um Dichte und Beziehung zwischen Zuschauer und Figur aufzubauen, werden sie hier sehr bald zur überstrapaziertesten Kameraeinstellung des Kinojahres 2006. Wozu? Ist es der Versuch, mittels Close Up so etwas wie eine Erfühlbarkeit der Düfte vorzutäuschen? Wenn ja, so ist dieses Unterfangen grandios gescheitert. 

Jean-Baptiste trifft schließlich auf den Parfumeur Baldini, gespielt von Dustin Hoffman. Und endlich kommt Leben auf die Leinwand. Hoffman besitzt einfach eine beinahe körperlich spürbare Leinwandpräsenz. Etwas, das Ben Whyshaw den gesamten Film über nicht entwickeln kann; wie auch, wenn man ständig nur seine Nase sieht. Leider ist Hoffmans Auftritt kurz. Baldini nimmt Grenouille bei sich auf und lehrt ihn die Grundlagen der Parfumherstellung. Doch schon am Abend ihres Kennenlernens zeigt sich die Überlegenheit Grenouilles, als er im Handumdrehen ein Parfum nachmischt und es kurz darauf zu einem "guten Parfum" verarbeitet. Schließlich bringt Grenouille die erste Frau um, "aus Versehen". 
Seine beinahe orgiastische Art, den Duft dieses Mädchens aufzunehmen, ist der erste Moment, in dem sich die schauspielerischen Qualitäten von Ben Whyshaw zeigen. Der Wahnsinn dieser Figur schimmert durch, die Obsession wird spürbar. Leider sind solche Momente sehr selten in den 147 Minuten Spiellänge. Jean-Baptiste stellt die Frage nach der Konservierbarkeit von Düften. Doch die Methode seines Lehrmeisters bringt nicht die gewünschten Ergebnisse: 
Grenouille bricht nach Grasse auf, dem „Rom der Düfte", wie es Baldini beschreibt. Dort soll es eine andere Konservierungsmethode geben. Jean-Baptiste geht nicht ohne seinem Meister noch die Rezepturen einiger Düfte zu überlassen. Baldini stirbt kurz darauf beim Einsturz seines maroden Hauses. 
Nach einigen Wirren kommt der Parfumeurslehrling schließlich in Grasse an. Auf seinem Weg begegnet er der wunderschönen Laura, einer Kaufmannstochter. Sie wird die besondere, die 12. Note in Grenouilles ultimativem Duft werden, sein 13. Opfer. Doch vorher hat ihr Vater, der Kaufmann Richis, versucht, alles zu tun, um seine Tochter vor diesem "Dämon" zu schützen: Der zweite bemerkenswerte Schauspieler dieses Films, Alan Rickman. Wie auch schon Hoffmann, zeichnet ihn eine besondere Leinwandpräsenz aus. Besonders als verletzter Vater, dem alles genommen wurde, entfaltet Rickman seine Qualitäten für unterkühlte, versteinerte, hassende Charaktere: Er ist der pure Hass. Als Richis ankündigt, Grenouille im Angesicht des Todes noch zu quälen, bereitet Rickman dem Publikum einen der schaurigsten Momente in diesem Film. Herausragend! 

Was das Buch nicht unbedingt hergibt, aber im Film nicht untersagt ist: Das Ausmalen und Ausformen der Charaktere! Allein schon Jean-Baptiste Grenouille böte Stoff, um einen der ungeheuerlichsten Filmcharaktere des Kinos der letzten Jahre zu formen. Er mordet manisch und ohne Schuldbewusstsein für seinen Traum, für seine Besessenheit. Gleichzeitig ist er eine der armseligsten Kreaturen, die die Literatur wohl jemals hervorgebracht hat. Der Teufel in Menschengestalt. Die Szene der Exkommunikation, der Verteufelung durch die Kirche: Eine kleine Erinnerung an die Abgründe dieses Menschen. Doch eine Vertiefung dieser Abgründe scheint dem Drehbuch vollkommen egal zu sein. Im Gegenteil, wenn man diese elendige, tölpelhafte Gestalt durchs Bild humpeln sieht, möchte man fast Mitleid haben: Mitleid mit einem psychopatischen Mörder! 
Der deutsche Film zeigt mit DER FREIE WILLE eindrucksvoll, wie tief das Kino in die dunklen Tiefen der menschlichen Natur vordringen kann. Es sage also niemand, das wäre unmöglich gewesen. 
Genau das hätte den Film retten können, hätte diese Buchverfilmung zum (cineastischen) Paukenschlag gemacht. Denn Süskind hat Recht, das Buch ist eigentlich nicht verfilmbar. Zumindest, wenn man versucht, den Duft, das Riechen und den Geruch irgendwie plakativ auf die Leinwand zu bringen, wie Tykwer und Eichinger hier. Sie scheitern kläglich, da Tykwers ewige Nahaufnahmen von Geruchsträgern schon nach kurzer Zeit zu einem unschönen Assoziations-Brei verkommen! Unverständlich bei einem Regisseur wie Tom Tykwer. 

So bleibt unterm Strich zwar eine perfekt ausstaffierte, aber grundsätzlich fade und langweilige Buchabfilmung. Das ist ärgerlich für manchen Fan des Romans, dessen Kopfkino bereits viel weiter ist als Eichingers plattes Popcornkino