Spuren auf der Haut

TAN LINES

Surfer, Kerle die auf flachen Brettern über tosende Wellenkämme reiten und nicht selten den Tod durch Ertrinken riskieren. Mit ihnen verbinden die Menschen gemeinhin ein beinahe körperlich spürbares Freiheitsgefühl, zweifelsohne nicht ohne Neid auf soviel Unabhängigkeit. Sie sehen gut aus, sie leben an den schönsten Stränden der Welt, sie bekommen immer die hübschesten Frauen, sie sind die einsamen Bezwinger der Meere, ganz allein mit sich und einem Brett unter den Füßen. Diesen Sermon könnte man noch ein Weilchen so fortführen und allerlei Schmeichelhaftes über den Surfsport und vor allem jene, die ihn ausüben, schreiben. "Schuld" an dieser totalen Verklärung ist ein Dokumentarfilm aus dem Jahr 1966, gedreht von dem amerikanischen Regisseur Bruce Brown: "The Endless Summer" verfolgte das schräge Treiben zweier junger Männer an den Stränden der Welt. Robert August und Mike Hynson waren mit ihren 18 bzw. 21 Jahren verdammt junge, unverschämt gutaussehende Männer. Und nach diesem Film Ikonen von etwas, das schnell weltweit zum Massenphänomen werden sollte. Heute haben sich die ehemaligen Freunde nicht mehr viel zu sagen und sind längst in den Analen der Surfwelt begraben; Großväter. Damals aber waren sie Männer, die wohl jede schöne Bikiniträgerin haben konnten, attraktiv, durchaus heroisch und verwegen wie sie waren. Und sie waren definitiv nicht schwul, zumindest gibt es dafür keine gegenteiligen Beweise. Das hätte auch nicht zum Image der Wellenreiter gepasst.

Bei Midget sieht die Sache auch nicht anders aus. Midget Hollows ist ein 16-jähriger Surfer aus einem kleinen, idyllischen Küstenort bei Sidney; Hauptfigur des Films TAN LINES. Seine Kumpels sind ebenso keine Schwuchteln: Surfer sind nicht schwul - Punkt! Dieser Coming-of-Age-Streifen sieht das etwas anders.
Midget, der Junge, der sich das Bett mit seiner Mutter teilt und sein Taschengeld mit ungewöhnlichen Dienstleistungen verdient. Ein schöner, smarter Typ und ein guter Surfer. Den homophoben Bemerkungen seines Kumpels Dan begegnet er eher zurückhaltend und wird dafür umso hellhöriger, als dieser verkündet, dass sein schwuler Bruder wieder nach Hause zurück kommt. Vier Jahre blieb Cass verschwunden. Überall auf der Welt war er unterwegs, nur um dem kleinen Nest nach seinem Coming-Out zu entkommen. Jetzt wird er kühl von seinem Bruder am Hafen empfangen, Midget in dessen Schlepptau. Und Midget macht aus seinem Interesse an Cass kein Geheimnis, zumindest keines, das dem Zuschauer verborgen bleibt. Seinen Kumpels hingegen fällt erstmal gar nichts auf: Authentizität ist für die meisten queeren Coming-of-Age-Filme ein Fremdwort, so auch bei TAN LINES. 

In den ersten zehn Minuten baggert die (noch im Wandel begriffene) Hauptfigur so sehr ihr Objekt der Begierde an, dass man meint, der Junge hat in seinen 16 Jahren nie etwas anderes getan. Regisseur Ed Aldridge kümmert sich auch weiterhin nicht sonderlich um derlei Feinheiten und schöpft aus dem Vollen: Midget und Cass landen noch vor dem ersten Blick des Zuschauers auf die Uhr im Bett. Nicht, ohne sich vorher in der Stranddusche über den Weg gelaufen zu sein - leicht bekleidet, mit Shorts weit unter dem Bauchnabel. Eins muss man Aldridge schon zu Beginn zugestehen: Er sättigt seinen Film mit Schauwerten, die das Kopfkino des geneigten Kinogängers noch Wochen später beschäftigen werden. Aber TAN LINES ist kein Soft Porno, sondern irgendwo zwischen Drama, Love Story und Komödie angesiedelt. Und im weiteren Verlauf fängt sich der Streifen dann auch, um sich dann (allen wiederkehrenden Untiefen zum Trotz) doch noch zu einem achtbaren Genrefilm zu wandeln.

Cass‘ Vorgeschichte und seine zunehmende Aggressivität, sowie ein Mädchen, das Midget eindeutige Avancen macht, lassen die Romanze der beiden Jungs mehrfach straucheln. Und Midgets Nebenverdienst stellt sich als eine ungewöhnliche Art der Prostitution heraus. Im Nebenschauplatz werden hier kurzerhand knallharte Themen abgehandelt: Eine Lehrer-Schüler-Affäre und familiärer Missbrauch. Der Dämon, so zeigt es uns Aldridge, lauert auch in den beschaulichsten Küstenstädtchen. Und wenn Cass und Midget ohne Gummi ficken, laufen die Ikonenfotografien an Cass‘ Schlafzimmerwand Amok. So baut Ed Aldridge auch noch das Thema Safer Sex mit in die Geschichte ein. Als schließlich die Eltern von Cass und Dan aus dem Urlaub zurückkommen und wenig begeistert ihren verschollen geglaubten Sohn vorfinden, ist es um die Liebe der beiden Jungs geschehen. Um Midgets Hetero-Dasein allerdings auch. Der Film steuert hier seinem unausweichlichen Höhepunkt entgegen, und alle wollen einfach nur weg aus dem Paradies. Ein Sommer hat eben doch ein Ende.

Die Tan Lines, das sind jene Partien der Haut, die durch Bikinis, Badeshorts oder andere Kleidungsstücke vor dem direkten Sonnenlicht geschützt sind und daher zwischen den braungebrannten Hautpartien weiß hervorschimmern. TAN LINES, das ist ein bemerkenswerter Coming-Out-Streifen. Streckenweise zwar haarsträubend oberflächlich und plattitüd, stimmt dieser Film schlussendlich doch einen eher nachdenklichen Ton an, der ihn vom üblichen Genreniveau abhebt.