Weiterleben, weitermachen

PARANOID PARK

„In einer beklemmenden Bredouille stecken.“, das tut die Hauptfigur in Gus van Sants Film PARANOID PARK. Darum drehen sich die meisten Stories in Filmen; missliche Lagen, Zwickmühlen, scheinbare Sackgassen. Wer häufig ins Kino geht, kennt das Gefühl der narrativen Ermüdung: Langeweile, so kann man es auch nennen. Immer steckt der Held im Schlamassel, aus dem es für den Normalsterblichen kein Entrinnen geben würde. Quer durch sämtliche Genre, Motive, Länder und Sprachen zieht sich diese Ur-Suppe des Erzählens. Die große Bild-Erzählmaschine Kino hat sich nur selten davon emanzipieren können. Schon gar nicht in den großen Filmfabriken.

Alex: ein junger Kerl, um die sechzehn, mittellanges, dunkles Haar, schlaksiger Körper. Der Junge, der er vor kurzem noch gewesen ist, steht ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. High-Shool-Schüler, Skater, großer Bruder, angehendes Scheidungskind; ein Mörder? „War es ein schrecklicher Unfall, oder war es Mord?“, fragt der Nachrichtenmann in die Kamera und annonciert routiniert den Tod. Ein Wachmann kam ums Leben, die Polizei tappt im Dunkeln. Alex schreckt vor dem Fernseher auf.

Paranoid Park, schreiben junge Hände mit Bleistift in ein Schreibheft. Eine wiederkehrende Szene, hier markiert sie die erste Einstellung des Films - nach dem Vorspann. Schnitt. Alex sitzt im Sessel und schreibt, sein Onkel räumt hinter ihm auf. Schnitt. Alex geht durch die Dünen. Schnitt. Eine längere Skate-Szene, auf 8mm gedreht. Schnitt. Alex geht durch die Dünen, einen Weg entlang, ein Hund an seiner Seite, er setzt sich auf eine Bank, nimmt das Heft und schreibt: „Es war im letzten Sommer, Jared fragte, ob wir nicht mal zum Paranoid Park gehen sollten. Ich bin nicht bereit für Paranoid Park, sagte ich. Niemand ist je für Paranoid Park bereit.“ Schnitt.

Schuld am Tod eines Menschen oder auch nicht? Ein Unfall, fahrlässige Tötung; Sühne? Darum geht es in PARANOID PARK nicht - nicht vordergründig jedenfalls. Im Mittelpunkt stehen vielmehr Jugendliche, die längst lernen mussten, alleine klar zu kommen. Eltern bzw. Erwachsene sind Beiwerk oder gleich vollkommen abwesend. Trennungen und Scheidungen, Arbeit; die Kids dieses Films sind gleichsam zu den eigentlichen Bewohnern der Einfamilienhaussiedlungen geworden. Allein in riesigen Häusern, haben sie gelernt mit sich selbst klar zu kommen. Alex‘ Trauma, dieser Zwischenfall, ist für den Jungen nur im ersten Schreckensmoment noch etwas, das er seinem Vater erzählen muss. Doch mehr als einmal  wird er das Telefon nicht klingeln lassen. Vielmehr sucht er selbst nach einem Ausweg, verdrängt erst einmal, bis ein Polizist das Geschehene wieder wachruft. Doch erneut fängt sich Alex und beginnt zu schreiben: Paranoid Park.

Die Suche nach einem Ausweg aus der Beklemmung ist das zentrale Motiv der Geschichte. Nicht im Sinne der Aufklärung des Unfalls, sondern in der persönlichen Bewältigung desselben durch einen 16-Jährigen. Momentaufnahmen eines geschlossenen Mikrokosmos, keine Abhandlungen. Alex ist genervt von seiner Freundin, traut sich nicht vor Anderen zu skaten. Manchmal scheint es, als ob ihm dieses Brett mit Rollen und das Label, das daran (und somit auch an ihm) haftet, geradezu lästig sind. Doch dann ist er wieder fasziniert, ein Bewunderer und Fan. Seine Eltern haben soeben verkündet, sich scheiden zu lassen, bezeichnenderweise ignoriert sie die Kamera größtenteils. Obwohl der Film ansonsten voll von Nahaufnahmen ist.

Nahaufnahmen und Slow-Motions: Van Sant, dieser Bilderzauberer, der es drauf hat, Ein und dasselbe aus drei verschiedenen Blickwinkeln zu erzählen („Elephant“), der Virtuose des elliptischen Erzählens - erneut legt er ein visuell beeindruckendes Werk vor. Diese perfektionierte Andersartigkeit, diese scheinbar spielerisch-mühelose Inszenierung, sie könnte einem gehörig auf den Wecker gehen, würde sie zur bloßen Oberfläche verkommen (was aber unwahrscheinlich ist, wo doch schöne, echte Kinobilder mittlerweile rar geworden sind). Doch van Sant scheint um diese Gefahr zu wissen und grundiert seine Bilder mit einer eindringlichen Beschreibung und glaubwürdigen Charakterstudie junger Menschen bzw. Männer: Visuelle und narrative Ebene im Einklang.

Schlussendlich findet Alex‘ Suche einen Ausweg: die Selbsttherapie mittels Niederschrift. Eine Freundin gibt ihm den Tipp: „Schreib einen Brief an irgendjemanden (…), nicht an deine Eltern oder Lehrer, schreib an mich.“ Eine Randnotiz gegen Ende des Films, mit herbstlichen Farben auf die Leinwand getupft. Das große Ganze des Unfalls, der Schlamassel ist nicht gelöst. Wird es auch nicht werden, jedenfalls nicht vom„Held“ der Geschichte. Der ist damit beschäftigt, sich seine Zweifel, seine Schuldgefühle, die zermürbende Selbstbefragung, die zur Last wurde, von der Seele zu schreiben. Selbsttherapie statt Heldentaten. Eben vollkommen menschlich und verständlich, um halbwegs weiterleben zu können. Weiterleben, weitermachen: Das ist nach der Trilogie des Todes („Gerry“, „Elephant“, „Last Days“) neu im Kino des Gus van Sant. Das macht neugierig und Hunger auf mehr; Langeweile, sowas kennen die Bilderwelten van Sants einfach nicht.


PARANOID PARK
Regie: Gus van Sant
Frankreich, USA 2007
85 Min.
35mm, Farbe