Sicherheit

JERICHOW
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I
m Morgengrauen. Es herrscht Stille. Ein Mann liegt im Graß, im Garten eines heruntergekommenen Hauses. Ein Reh beschnüffelt ihn. Es wendet sich ab. Eine kleine, eine betörenden Szene von denen es viele gibt - in JERICHOW. Thomas heißt der, der dort im Dreck liegt - bewusstlos.

"Nen Profil für nen Gurkenflieger?!", Thomas schaut die Frau vom Arbeitsamt irritiert an. Einen Job als Erntehelfer kann sie ihm anbieten. Ihm, dem Soldaten. Seine unehrenhafte Entlassung, wird natürlich auch eingetragen. Wenige Schnitte später findet man Thomas bei der Gurkenernte wieder. Es muss Juni sein, immer um den Juni herum werden die Gurken geerntet. Doch vom Sommer merkt man in Christian Petzolds neuem Film nicht viel. Zwar scheint die Sonne fast unentwegt und stehen die Wälder des Jerichower Lands in vollem Grün. Aber das Licht wirkt unnatürlich: Kalt. Farblos. Ausgelaugt. Fahl scheint die Sonne, selbst am Strand. Unwirtliche Schönheit. Vor der Ernte begegnet ihm Ali, im Strassengraben. Ein Unfall führt die beiden zusammen. Eine wichtige, kleine Wegmarke für den weiteren Verlauf der Geschichte.

Der Strand. Ein Haus im Wald. Ein Haus am Acker. Dazwischen Strassen, Dörfer, Imbissbuden vor Billig-Supermärkten. Und die Steilküste. Jerichow, im platten Jerichower Land Sachsen-Anhalts, an der Grenze zu Brandenburg, liegt gleich am Flughafen Rostock-Laage und die Steilküste samt Strand, ist auch nur einen Schnitt weit entfernt. Petzold hat seine Figuren umfassend entwurzelt: Der große Raum zwischen Ostseeküste und Berlin ist scheinbar verschmolzen. Wo kaum mehr Menschen leben, heben sich territoriale Ordnungen einfach auf. Für Thomas, Laura und Ali gibt es nur noch die aufgezählten Orte. Einzig eine Stadt wird genannt: Leipzig. Doch das ist viel weiter südlich, in Sachsen, da gibts noch Leben. Aber für eine der drei Hauptfiguren trotzdem keine Hoffnung mehr.

45 Imbissbuden gehören Ali, dem Deutschtürken, der sich aus dem nichts eine Existenz aufgebaut hat, hier im Nirgendwo. Sein Geld verdienen andere. Aber er sitzt ihnen täglich im Nacken, macht den Einkauf, kontrolliert die Bücher, was auch nötig ist, wie sich schnell zeigt: "Die bescheissen mich doch alle hier!" Der Beschiss, den er hier gegenüber Thomas, seinem neuen Angestellten und Fahrer, äussert, wird sich bald in ungeahnter Weise entwickeln.

Avantgarde

Laura, die schlanke, streng und abweisend wirkende Ehefrau Ali's, macht die Buchhaltung. Sie nimmt den neuen Angestellten kaum zur Kenntnis, er sie dafür umso mehr: Thomas kann die Augen nicht von ihr lassen! Doch Thomas ist unattraktiv für sie. Er hat nichts, ausser dem baufälligen Haus seiner toten Mutter. Ali hat eine florierende Firma und ein wesentlich schöneres Haus, idyllisch gelegen, mitten im Wald. Geld, auch in diesem Film von Christian Petzold scheint es die allgegenwärtige Religion der Protagonisten zu sein. Vor allem Petzolds Frauenfiguren können ohne Mammon scheinbar nicht existieren. Yella, aus Petzolds vorherigem Werk mit gleichem Namen, und Laura - beide ähneln sich in ihren Charakteren auffallend. Beide vertehen sie das Handwerk des Geldes, als Buchhalterinnen. Und beide kann nur das Geld an einen Mann binden. Wer nichts hat, ist nichts. Dafür verlies Yella ihre Heimat und ihren Ehemann. Dafür lebt Laura mitten im Wald, schleppt Getränkekisten durch die Gegend und erduldet die rasende Eifersucht Alis. Doch der Drang zum Geld hat bei Laura wie bei Yella kein konkretes Ziel. Träume haben sie nicht, höchstens die ihrer Männer. Zukunft findet nicht statt. Das einzige was zählt, ist Geld im hier und jetzt. Es ist der Antrieb ihrer Existenzen.

Überstrapazierten Super-Mütter. Pseudo-emanzipierte und fashionorientierte Chicks aus Manhattan. Heimchen am Herd. Sinnsuchender Gutmensch. Mitzwanzigerin in der Lebenskrise. Petzolds Frauen haben mit all diesen verkommenen, wie auch gänzlich überstrapazierten Rollenbildern nicht das Geringste zu tun. Sie sind, ja man muss es vielleicht wirklich so sehen, Avantgarde! Und sie sind Arschlöcher! Geld - thats it! Liebe ist nett und wichtig. Aber ohne Geld keine Liebe. Das spricht Laura offen aus. Nach dieser Premisse handelt Yella. Geld ist gleichbedeutend mit Sicherheit. Und in seiner Flüchtigkeit ist es doch das einzig Verlässliche. Ist es weg, kann man es wiederbeschaffen. Die dazu notwendigen Mittel finden sich. Männer sind hingegen unberechenbar, können tödlich sein oder zum Ballast werden. Aber sie sind gern genommen, man bringt ihnen sogar Liebe entgegen. Solange sie Sicherheit versprechen und dieses Versprechen auch täglich einlösen.

Gespenster

Sicherheit: Ein zentrales Thema aller Petzoldschen Charaktere. Der ständige Blick über die Schulter, Gefahrenabschätzung und Absicherung. Und Selbstvergewisserung. Existensversicherung und Existenzsischerung durchdringen sich in JERICHOW fortlaufend. Und hier kommen die Gespenster dann doch wieder zum Zuge. Schonwieder. Aber doch genau passend und richtig. Der Beginn des Films, mit dem Tod, ist hier nur der offensichtlichste Anhaltspunkt. Thomas und Laura, und Orte die schon immer geisterhaft besetzt waren - vom Film: Scheinbar verlassene Häuser, dunkle Wälder und natürlich Klippen. Hier treffen sich beide heimlich, hier lieben sie - Schlüsselszene: Ali und Laura suchen des Nachts Waschbären im Wald vor dem Haus. Thomas hatte die Geräusche verursacht, die Ali als Waschbär deutet. Laura entfernt sich von Alis Taschenlampe, geht ein paar Schritte rückwärts. Ein Baum wirft vom Licht des Hauses Schatten. Aus dem Dunkel des Schattens umschließen Hände die von Laura. Thomas liebkost sie kurz. Ali dreht sich um. Doch bevor seine Taschenlampe die Szenerie entlarven kann ist Thomas bereits ins Dunkel der Schatten zurückgewichen. "...dachte da war was."

Aber Ali bildet hier keineswegs den lebendigen Gegenpol zum geisterhaften Duo. Unsichtbar. Unsichtbar in einem Land - das ist Ali. "Ein Land das mich nicht will!", sagt er zu Thomas, verbittert und wütend. Alle Arbeit, alles Geld scheint wertlos zu sein, er kann hier nicht ankommen, er soll hier nicht ankommen. Er ist von woanders her, das ist hier allenfalls gedultet. Aber er hat keinen Anspruch auf Heimat. Er fährt nur tagtäglich seine 45 Imbissbuden ab, mit seinem weißen Lieferwagen. Anonym. Und ähnlich unwillkommen wie die Familie in Petzolds DIE INNERE SICHERHEIT. Politik und Gesellschaftskritik, unmißverständlich in den Kopf des Zuschauers gepflanzt. Großartig!


JERICHOW
Deutschland 2008
92 Minuten
Regie: Christian Petzold