Gedenkendlosmontage

WE WERE HERE
Berlinale 2011 - Panorama

Auf den Beginn der AIDS-Krise schauen wir heute mit einem Abstand von 30 Jahren und mit zunehmend erfolgreichen Therapie-Modellen im Rücken, die den Todbringer HIV und AIDS allmählich in eine chronische Krankheit unter Vielen transformieren. Das plötzliche Sterben scheint nur noch ein weit entferntes Echo einer dunklen Zeit zu sein. Die Medizin hat inzwischen eine Entwicklung genommen, die Menschen mit HIV/AIDS eine Lebenserwartung bietet, die mit der Nicht-Infizierter vergleichbar ist.


WE WERE HERE heißt die Dokumentation von David Weissman. Er geht zurück in die Anfangszeit von HIV/AIDS wie sie fünf Protagonisten in San Francisco erlebt haben. Seine Zeitzeugen, unter ihnen eine lesbische Krankenschwester auf der ersten AIDS-Schwerpunktstation in den USA, berichte ihre persönlichen Geschichten. Dieses Modell kennt man aus vielen anderen Dokumentationen, die sich an dieser Epoche abarbeiten. Auch wenn der narrative Überbau stets ein anderer sein mag, sind die Erlebnisse und Protagonisten oft vergleichbar. Menschen, die vom persönlichen Paradies der freien Entfaltung sinnbildlich in die Hölle kamen. Und dann beinahe wöchentlich Freunde und Geliebte zu Grabe tragen mussten. Heute sitze sie als Menschen um die 50 vor der Kamera und erzählen allein schon durch ihre Gesichter viel über den erlebten Schmerz. WE WERE HERE kann zum kollektiven Gedächtnis der Schwulenbewegung daher kaum Neues beitragen.

Der Film ist ein weiteres Mosaik und im Grunde ein Ehrenporträt für Veteranen. Ihre Erlebnisse zurück in die Erinnerung zu rufen ist selbstverständlich ein ehrenwertes, richtiges und auch interessantes Anliegen. Aber 30 Jahre und unzählige ähnlich gelagerte Dokumentationen später stellt sich allmählich eine enervierende Redundanz ein. David Weissman bemüht sich zwar, seinen Film im Kontext der Geschehnisse in San Francisco anzusiedeln. Dem Ort, an dem die Protestbewegung gegen die Untätigkeit der damaligen US-Regierung unter Ronald Reagan ihren Anfang nahm. Letztendlich scheitern seine Bemühungen aber an der mangelnden Fokussierung.

WE WERE HERE mutiert zum allgemeingültigen AIDS-Gedenkfilm. In diesem Zusammenhang haben bereits 21 Jahre zuvor schon Robert Epstein und Jeffrey Friedman mit ihrer Dokumentation eigentlich COMMON THREADS alles gesagt. Auf der Leinwand manifestiert sich dieser Film als Endlosmontage sprechender Köpfe und mittels Zoom reanimierter Archivfotos. Unterlegt mit einem wabernden emotionalisierenden Score, entwickelt WE WERE HERE eine reichlich dröge und abgekaute Form. Der größte Beitrag, den diese Dokumentation noch leisten kann, ist ihr Beispiel dafür, wie renovierungsbedürftig das filmische Erinnern und Fortschreiben der Geschichte von HIV/AIDS inzwischen geworden ist.

WE WERE HERE
USA 2010
90 Minuten
HDCAM, Farbe
Regie, Buch, Produktion: David Weissman
Kamera: Marsha Kahm
Co-Regie, Schnitt: Bill Weber
Ton: Lauretta Molitor
Musik: Holcombe Waller, Doug HIlsinger

(c) Bild: David Weissman, Sundance/Image.net 2011


Siehe auch den Text: "Geschichte kontra Kino" - UNITED IN ANGER: A HISTORY OF ACT-UP (USA 2012)