Gender vs. Knete

TOMBOY
Berlinale 2011 - Panorama


"Tomboys"– so werden mitunter jungenhaft wirkende Mädchen genannt. Mädchen also, deren Geschlecht nicht ohne Weiteres äußerlich erkennbar ist oder die sich absichtlich als Junge ausgeben. Der Junge, den wir in den ersten Minuten von Celine Sciammas Film TOMBOY erleben, ist so ein Typ. Zehn Jahre alt, soeben umgezogen und noch neu in der Nachbarschaft. Er, der sich selbst MIKAEL nennt, heißt eigentlich LAURE. Dies verschweigen zunächst beide, der Film und die Hauptfigur. Auf der Leinwand agiert ein Junge, so scheint es jedenfalls. Erst ein gemeinsames Bad mit MIKAELs kleiner Schwester Jeanne, macht auch für den Zuschauer klar, dass MIKAEL eigentlich das jungenhafte Mädchen LAURE ist.

TOMBOY besticht schon in diesen ersten Sequenzen durch eine emotionale Intelligenz und begeistert mit seiner psychologischen Glaubwürdigkeit. Wir schauen LAURE bzw. MIKAEL dabei zu, wie sie/er sich immer mehr in seine selbst gewählte Rolle als Junge vertieft. Er studiert geradezu die anderen Jungs der Nachbarschaft und interpretiert ihre zunehmend männlicher werdenden Verhaltensweisen. Auch wenn ihn das vor einige kleine, aber entscheidende Probleme stellt.

Der Film kartografiert im Grunde die Rollenmuster und Codes der Geschlechter. So wie sie von den - heraussagend gecasteten und geführten jungen Darstellern - bereits klar und zunehmend selbstverständlich ausgelebt werden; die Pubertät steht vor der Tür. MIKAEL, dessen Körper bis auf ein Detail (noch) keine weibliche Prägung hat, kann diese Rolle bestens ausfüllen. Mit Lisa, einer ersten Freundin, wachsen aber seine Herausforderungen: Die beiden kommen sich näher. Und MIKAEL verheimlicht die LAURE in sich immer weiter.


Auf diesem Level des Selbstentdeckens, Experimentieren und Neufinden belässt  Celine Sciamma ihren Film bis zum letzten Drittel. Man ist versucht, auf die Möglichkeit einer Utopie zu hoffen. Doch in diesem wunderschön leichten, warmen und atmosphärisch dicht inszenierten Film hat am Ende der geschlechternormative Alltag scheinbar das letzte Wort. Den Mut seiner Hauptfigur - sich selbstbewusst zwischen Gender und Geschlecht zu behaupten, ohne das man selber weiß, dass es die beiden Begriffe überhaupt gibt - diesen Mut mag das Drehbuch von TOMBOY in letzter Konsequenz doch nicht aufbringen. MIKAEL bleibt offenbar doch nur ein weiterer Neuanfang – als das Mädchen "Laure".


TOMBOY
Frankreich 2011
84 Minuten
35mm Farbe
Französisch
Regie, Buch: Céline Sciamma
Kamera: Crystel Fournier
Schnitt: Julien Lacheray
Musik: Para One
Darsteller: Zoé Héran, Malonn Lévana, Jeanne Disson, Sophie Cattani, Mathieu Demy
Produktion: Hold Up Films & Productions

Screenings im Festival:
Fr 11.02. 20:15 CineStar 3 (E)
Sa 12.02. 22:30 Cubix 7 & 8 Interlock (E)
Do 17.02. 16:30 Haus der Kulturen der Welt Kino 2 (E)
Do 17.02. 17:00 Cubix 9 (E)
Sa 19.02. 20:15 CineStar 3 (E)

(c) Bild: (Berlinale 2011) Hold Up Films & Productions