Polaroid-Liebe

SUBMARINE
Berlinale 2011 - Forum


„Ich heiße Oliver Tate. Dieser Film soll von all meinen Besonderheiten und Erlebnissen berichten, zum Beispiel darüber, wie es mir gelang, meine Schulfreundin Jordana Bevan zu verführen – wobei ich ausschließlich meine intellektuellen Fähigkeiten einsetzte. Da die Ehe meiner Eltern von einem mystischen Ninja gefährdet ist, der Seminare zum Thema körperliches und seelisches Wohlbefinden gibt, wäre es außerdem passend, wenn der Film – in möglichst aufwendigen Aufnahmen – zeigen würde, wie ich über diesen Mann triumphiere. Aufnahmen aus dem Hubschrauber und in Zeitlupe sollte es ebenfalls geben, aber auch besinnliche Momente, zum Beispiel wenn ich meinen Vater von seiner Depression befreie. Da ich mich selbst sehr gut kenne, würde ich sagen, dass die Laufzeit des Films kaum unter drei Stunden liegen wird.“

Dieses sehr selbstbewusste und irgendwie altkluge Statement gibt die Hauptfigur in Richard Ayoades Kino-Debüt SUBMARINE ab. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass diese Figur, Oliver, nur zu sich selbst spricht; das tut er häufig. Nach außen ist er aber ein geradezu prototypischer Vertreter eines 15-jährigen Jungen: Etwas verwachsen, durchschnittlich aussehend, zu schräg, um beliebt zu sein. Aber auch nicht absonderlich genug, um als Klassenopfer durchzugehen. Ein pubertierender Junge halt - verträumt, ungeschickt, eigenbrötlerisch, innerlich hysterisch und leicht suizidal. Alles andere als ein sympathischer Kerl jedenfalls. Unangenehm wiederum auch nicht.


Olivers Leben besteht aus drei zentralen Problemen: Seine Avancen gegenüber der eher burschikosen Klassenkameradin Jordana sind, so sie nicht nur in Olivers Kopf stattfinden, erbärmlich erfolglos. Die Ehe seiner Eltern steckt in einer Krise. Und seine Mutter ist dabei, sich einem Ninja-Esoterik-Guru mit Vokuhila-Frisur an den Hals zu werfen. Olivers Vorliebe dafür Gott zu Spielen (er tippt gerne im Namen anderer Leute Briefe) verschafft ihm jedoch einen unverhofften Vorteil im Werben um Jordana: Sie will ihn für ihre Zwecke benutzen und er macht es gerne mit. Plötzlich existieren Polaroid-Bilder leidenschaftlicher Küsse der beiden - die nur gestellt sind. Olivers Belohnung besteht darin, vielleicht wirklich mit Jordana gehen zu können. Seine Probleme werden dadurch nicht weniger.

Die Ehe seiner Eltern einem depressiven Meeresbiologen und einer neurotischen Sekretärin ist in ernsthafter Gefahr. Das weiß Oliver deshalb so genau, weil er deren Schlafzimmer routinemäßig durchsucht und zuverlässige Wege gefunden hat, um die Häufigkeit ihres Geschlechtsverkehrs festzustellen. Und zuletzt hatten sie gar keinen Sex mehr; selten vorher war eine dimmbare Deckenleuchte in einem Kinofilm auskunftsfreudiger. Der neue Nachbar, ein Ninja-Meister und bekannter Esoterik-Fuzzi avanciert in Olivers Augen zum größten Risiko für den Fortbestand seiner kleinen Familie. Die Indizien sind für ihn auch hier eindeutig, er muss handeln. Doch nebenbei gilt es auch noch eine wunderbar verliebte Zeit mit Jordana zu erleben.


Basierend auf dem gleichnamigen Roman von Joe Dunthorne, inszeniert Richard Ayoade mit SUBMARINE ein geradezu furioses Stück Film. Er betreibt eine hemmungslose Idealisierung der ersten großen Gefühlswallungen eines Jugendlichen und bricht sie im gleichen Moment wieder. Denn seine Hauptfigur, Oliver, ist alles andere als ein zuverlässiger Typ. Was tatsächlich in der Filmwirklichkeit stattfindet und was sich Oliver nur ausdenkt, ist nicht immer auf den ersten Blick erkennbar. Der fulminante Hauptdarsteller Craig Roberts verleiht ihm eine bestechende wie auch mitleiderregende Attitüde aus Panikschieber und smartem Leisetreter. Craig Roberts Oliver Tate ist der wohl grandioseste Aufbruchgrübler, den das Kino seit langer Zeit gesehen hat. Veränderung beginnt zuerst im Kopf, das weiß auch Oliver. Nur das, was folgt, ist eher Unfall denn Absicht.

Wales im Irgendwann, irgendwie 80er, aber dann auch wieder nicht. Zeit ist bemerkenswert unerheblich in diesem Film. Olivers Welt existiert in einer eigenen, allenfalls noch als analog zu bezeichnenden, Zeitrechnung. Die Settings und vor allem das Licht spiegeln das auf ihre Weise wieder. Alles wirkt leicht angegilbt und etwas diffus. Doch auch gleichzeitig jederzeit klar. SUBMARINE ist ein Film, der erfolgreich zur Stilisierung neigt. Richard Ayoade und sein Kameramann Erik Wilson finden regelrecht fotografische Tableaus, variieren auf famose Weise Farben, Einstellungen und Licht. Der ganze Film scheint so seltsam durchzogen von der Farbwärme und dem idealisierenden Charme eines alten Polaroidfotos.


Olivers ständiger Begleiter ist, kein Wunder, eine Polaroid-Kamera. Damit hält er sein Leben fest und tapeziert anschließend sein Kinderzimmer mit den fotografischen Erinnerungen. So, als ob er sich selbst und seiner Wahrnehmung misstrauen würde. Oliver scheint sichergehen zu wollen, dass seine erste große Liebe nicht nur in seinem Kopf stattfindet. Wenn ihm im, als „Showdown“ titulierten, dritten Akt schließlich alles um die Ohren fliegt und er nicht mehr Herr der Soap-Opera ist, als die er sein Leben bezeichnet, bleiben immerhin noch diese Polaroids. Für jemanden, der sowieso schon nur und zuerst in seinem Kopf lebt, ist das eigentlich pervers. Aber dies wäre kein Coming-of-Age Film, wenn die Hauptfigur sich am Ende nicht doch auch ein wenig entwickeln würde. Mit den Fotos im Kopf testet er aus, ob das Drehbuch seines Lebens nicht vielleicht doch noch ein Happy End vorgesehen hat. Polaroid-Liebe kann so unverschämt wundervoll sein. SUBMARINE ist kein Film, sondern ein Ereignis!

SUBMARINE
Großbritannien 2010
94 Minuten
35mm, Farbe
Englisch
Regie & Drehbuch: Richard Ayoade
Romanvorlage: "Submarine" von Joe Dunthorne
Kamera: Erik Wilson
Musik: Andrew Hewitt (Score), Alex Turner (Songs)
Darsteller: Craig Roberts, Yasmin Paige, Noah Taylor, Paddy Considine, Sally Hawkins
Produktion: Warp Films, Film4, UK Film Council
Festivals: TIFF - Toronto 2010 (Weltpremiere), BFI - London 2010, SUNDANCE - Utah 2011, BERLINALE - Int. Filmfestspiele Berlin 2011



(c) Bilder: Warp Films (Bild 1: via Berlinale 2011; Bild 2 - 5: via Sundance 2011/Image.net)
(c) Plakat: Warp Films (via joedunthorne.com)