Psychedelischer Budenzauber

LES CONTES DE LA NUIT –
TALES OF THE NIGHT
Berlinale 2011 - Wettbewerb 

Ein Abenteurer klettert eine Höhle auf einer Südseeinsel hinab und findet sich plötzlich in der Welt der Toten wieder. Dort verspricht ihm ein alter weiser Mann, der einzige Lebende unter Toten, dass der König der Unterwelt eine wunderschöne Tochter hat. Um sie zu bekommen, muss er drei Ungeheuer besiegen. Dafür braucht er drei besondere Gegenstände. Natürlich sind die Gegenstände schnell parat und auch die Monster sind problemlos beseitigt. Als der junge Abenteurer jedoch beim König vorspricht, nimmt dieser ihn gefangen und stellt ihm drei eigentlich unlösbare Aufgaben. Scheitert er, dann wird er von zwei großen Hackbeilen zerkleinert – zum Amüsement der Königstöchter, denn es gibt drei Königstöchter, die allesamt identisch aussehen.


Das ist der Plot einer Geschichte, die sich ein junger Mann, eine junge Frau und ein alter Techniker in einem geschlossenen Kino in einer französischen Stadt ausdenken. Diese Geschichte, dieses kleine Märchen setzen sie mithilfe ihrer Fantasie und einer rätselhaften Maschine sofort in eine Form von Realität um.

LES CONTES DE LA NUIT – TALES OF THE NIGHT heißt der französische Märchen-Episodenfilm des Regisseurs Michel Ocelot. Das bestechende dieses Werks liegt in seiner Form. Der Film ist in 3D realisiert. Und er benutzt ausschließlich die Silhouettentechnik, also den Scherenschnitt. Scherenschnitt trifft auf 3D.

Auf der Leinwand entfaltet der 3D-Effekt eine optische Raumgebung der eigentlich eher raumlosen Scherenschnitte. Das sieht einigermaßen verwunderlich und auch wunderschön aus. Kombiniert und ausstaffiert werden die Silhouetten, also die Kulissen mit höchst knalligen, bunten Farben, womit TALES OF THE NIGHT zu einem psychedelischen Streifen mutiert. Das funktioniert als Schauwert und optisches Event für eine gewisse Zeit. Allerdings erschöpfen sich die formalen Konzepte recht schnell. Was über 80 Minuten läuft, ist tatsächlich schon nach einer dreiviertel Stunde völlig abgehackt.

Geschichten von Königen, Helden, Prinzen, Prinzessinnen, von Trommlern und Bergen, von Fabelwesen und dem Totenreich. LES CONTES DE LA NUIT reizt die Klaviatur der Märchen gänzlich aus, was zwei weitere Probleme aufwirft: Die uninspirierte Abfolge der Episoden ermüdet erheblich. Und die Inhalte der Episoden wirken reichlich angegilbt und verstaubt. Die anachronistische Geschlechter- und Heteronormativität alter Märchen wird größtenteils völlig ungebrochen übernommen. Diese Ballung inhaltlicher und dramaturgischer Unzulänglichkeiten lässt dieses Werk zu einem enervierenden Stück Film gerinnen. Viel zu spät und viel zu selten bricht Regisseur Michel Ocelot diesen ärgerlichen Reigen durch einen Hauch von Ironie auf. Der Bilderzauber ist da schon längst verpufft.

LES CONTES DE LA NUIT – TALES OF THE NIGHT
Frankreich, 2011
84 Minuten
3D, Französisch
Regie: Michel Ocelot

© 2011, Nord-ouest Films - Studio O - StudioCanal