Berlinale 2014 - Bulletin (3) - LOVE IS STRANGE - YA GAN BI HAENG - TEST

TEST, Chris Mason Johnson; (c) Serious Productions Inc./Berlinale 2014
TEST | (c) Serious Productions Inc./Berlinale 2014
New York, Manhattan, Sommer: Es ist der große Tag für George & Benjamin. Seit 39 Jahren sind sie ein Paar, nun endlich heiraten sie. Als Georges Arbeitgeber von dessen spezieller Ehe erfährt, feuert er ihn fristlos. Die plötzliche Arbeitslosigkeit zwingt das bisher wohlsituierte Paar, ihr geliebtes Appartment in Chelsea zu verkaufen und sich auf getrennte Wohnungen von Familie und Freunden  zu verteilen. Obdachlos, frisch verheiratet und doch getrennt. Ira Sachs gelingt mit LOVE IS STRANGE eine große Tat. Selten, vielleicht noch nie, wurde eine langanhaltende, treue schwule Partnerschaft so sprichwörtlich liebevoll und emotional klug im Kino erzählt. Man könnte an dieser Stelle den ewigen Streit zwischen Queerness und Heteronormativität aufmachen, oder es einfach lassen. George & Benjamin sind ein fantastisches Paar. Ihre Darsteller Alfred Molina & John Lithgow erfüllen ihre fabelhaft augearbeiteten Charaktere mit Würde, Charme und einem sympathischen Tick. Eine zärtliche Kamera fängt atmosphärisch dichte, sonnendurchflutete Bilder ein. Ein geerdeter, warmherziger, auch rührender Film zieht letztendlich über die Leinwand und wirkt lange nach.Möglicherweise das Beste, was Ira Sachs bisher in seinem Oevre zustande gebracht hat. [LOVE IS STRANGE | Panorama]

Unstrukturierte Stadtlandschaft mit Gerümpel, Eisenbahnbrücken, Bauzäunen. Ein Zug fährt vorüber, sein Lärm verdeckt nur spärlich die Geräusche einer Schlägerei. Die Kamera folgt dem Oberschüler Hun Gi-woong unter eine Brücke, seine Gang traktiert bereits einen Mitschüler. Gi-woong steckt einen Apfel in eine Skimaske und versetzt dem Opfer den finalen Schlag. Schnitt. Gewalt ist in diesem Film omnipräsent. Ständig wird in YA GAN BI HAENG (Night Flight) jemand geschlagen, getreten, misshandelt, erniedrigt. Ein Regime des Terros, welches seinen Opfern nichts schenkt und den Suizid billigend in Kauf nimmt. Oberschüler in einer koreanischen Großstadt: Der Druck ist unerbittlich, nur die besten Noten bringen einen weiter. Es geht um die Frage, wer einmal Hühnchen bestellen und wer es verkaufen wird - breitet sich ein strenger Lehrer vor seinen Schülern aus. Die kanalisieren den Druck auf ihre Weise und lassen die mutmaßlich Schwächsten der Klasse leiden. Yong-ju ist gut in der Schule, ein Opfer ist er auch nicht, aber trotzdem verbindet ihn mit dem Anführer der Schlägertruppe etwas: Er kennt ihn seit der Grundschule und er ist in ihn verliebt. Regisseur LeeSong Hee-il zeichnet in seinem Film ein beunruhigendes Portrait einer koreanischen Jugend im Heute und verschränkt darin eine Coming-Out-Story. Diese gewagte Mischung funktioniert zwar halbwegs, jedoch dehnt ein kaum nachvollziehbar elegisches Erzähltempo den Plot auf satte 144 Minuten Lauflänge. Was ob des fehlenden Fleischs der Charaktere Längen provoziert. Die Figuren sind schablonenhaft entworfen und ihren Darstellern fehlt das Vermögen, um zu einer glaubwürdigen Tiefe durchzudringen. YA GAN BI HAENG schleppt sich mühsam seinem Finale entgegen, welches absehbar nur in einem noch härteren Gewaltexzess enden kann. Gleichwohl vermeidet der Streifen ein letztes Klischee, in dem er die schwulen Hauptfiguren nicht umbringt. Immerhin. [YA GAN BI HAENG | Panorama]

Vielleicht liegt es an der Geschichte der Sektion Panorama, dass Filme wie TEST in Berlin immer wieder aufs Neue ein Publikum finden dürfen: Der Gründer der Sektion, Manfred Salzgeber starb 1994 aufgrund von AIDS. Seither führt Wieland Speck das Panorama und es scheint, als ob sich damit auch das Trauma der AIDS-Krise der 80er Jahre bis heute fortschreibt, 18 Jahre nach Einführung der HIV-Therapie und dem Anfang vom Ende des Sterbens aufgrund von AIDS. TEST spielt im Jahr 1985 in San Francisco. 1985 war eines der Schlüsseljahre der AIDS-Krise. Zwar wusste man, knapp vier Jahre nach Diagnostizierung der ersten Erkrankungen, immer noch nicht genau wie die Transmission von, wie HIV überhaupt funktioniert, doch erstmals konnte ein HIV-Bluttest veröffentlich werden. Etwas Licht kam ins bedrohliche Dunkel, dessen vier Buchstaben damals zu einer Chiffre für den sicheren Tod binnen kurzer Zeit wurden und die schwule Community in Angst versetzten. Mit dem Tod des Hollywood-Stars Rock Hudson kam die Erkrankung auch im weiten Kosmos der damaligen Massenkultur an. Diese Gemengelage würdigt Regisseur Chris Mason Johnson in seinem Film ausführlich. Seine Hauptfigur, Frankie ist Teil einer Tanzkompanie für Ausdruckstanz. Er ist noch neu, eine Rolle als erster Tänzer in einem Stück fehlt ihm bisher. Wie seine Tanzpartner, ist auch er ziemlich offen schwul. Immer wieder rasselt er mit Todd zusammen, einem der älteren Tänzer der Kompanie. Wie Magneten mit ihren divergierenden Polen, ziehen sie sich ständig an und stoßen sich wieder ab. Frankie, der junge freche Sunnyboy. Und Todd, ein gereifter hedonistischer Kerl um die 30. Chris Mason Johnson entwickelt eine atmosphärisch sehr dicht gewebte, vom Zeitkolorit getränkte Geschichte, die sich zunehmend auf Franki & Todd verengt. Dabei zieht der Regisseur geschickt das angsterfüllte Hintergrundrauschen von AIDS immer stärker in den Vordergrund und konfrontiert seine Charaktere damit. Die Rollenverteilung ist klar: Der Sunnyboy bereut zunehmend seine Eskapaden, untersucht vor dem Spiegel penibel jeden braunen Fleck seines Körpers auf Ähnlichkeiten zum Kaposi-Sarkom und kämpft schließlich mit seinen Ängsten darum, den Test vorzunehmen. Die Angst ist ein Leitmotiv in TEST und es jagt die Sunnyboys bis sie sich der Bedrohung endlich stellen. Derweil verschwinden die düsteren Charaktere von jetzt auf gleich aus der Geschichte, ihr Schicksal ist schließlich klar. Der Regisseur zieht diese Haltung bis zum Ende durch und lässt sein Finale in einem Plädoyer für den Kondomgebrauch enden. An dem, nach allem was man in den 85 Minuten zuvor durchfühlt hat, keine Zweifel bestehen soll. Doch Zweifel ist sehrwohl angebracht an diesem zutiefst regressiven Film. Warum wir, 30 Jahre nach dem Ausbruch und 18 Jahre nach der Rückgewinnung der Kontrolle über die HIV-Epedemie, immer noch blonden Tanzboys beim Durchleiden der AIDS-Angst zuschauen sollen, bleibt das Geheimnis des Regisseurs. Eine Vermutung liegt nahe: Da hat oder will jemand nicht registrieren, dass sich die Zeiten ändern. Diesbezüglich sitzt er mit der Leitung des Berlinale-Panoramas offenkundig im selben Boot.[TEST | Panorama]