Berlinale 2014 - Bulletin (7) - PRAIA DO FUTURO

PRAIA DO FUTURO
Wettbewerb

PRAIA DO FUTURO | Karim Aïnouz | (c) Alexandre Ermel | Berlinale 2014
PRAIA DO FUTURO | Karim Aïnouz | (c) Alexandre Ermel/Berlinale 2014

Motorräder brausen eine Düne hinab. Am Strand angekommen, rennen die beiden Fahrer ins Wasser. Die Kamera beobachtet das Treiben aus der Distanz, gibt dem Auge Raum, um über die Leinwand zu schweifen. Wenige Sekunden später gleitet einer der Männer tot in die Tiefe, während der Andere von einem Rettungsschwimmer aus dem Wasser gezerrt wird. Die erste Begegnung zwischen Donato und Konrad in PRAIA DO FUTURO könnte tragischer nicht sein und sie steht emblematisch für das Verhältnis der Männer in diesem Film. Regisseur Karim Aïnouz, in Brasilien geboren, in Berlin Zuhause, installiert ohne viel Federlesen eine schwule Beziehung zwischen Donato und Konrad. Die setzt sich, kaum das Donato dem geretteten Opfer die Todesnachricht des Freundes überbracht hat, mit hartem Sex im Auto fort. Der Sex ist ein wiederkehrendes Motiv von PRAIA DO FUTURO, dessen Ruppigkeit ebenfalls. Schwuler Sex findet im Kino selten jene Sinnlichkeit, die ihm zu eigen sein kann. Filmemacher, ob selber schwul oder nicht, inszenieren fickende Männer stets als getriebene Kerle. Man kann inzwischen von einem Film-Klischee ausgehen, ähnlich der Sissy im alten Hollywood-Kino. Als Zuschauer darf man Donato als Rettungsschwimmer der Militärfeuerwehr kennenlernen, der sich liebevoll um seinen jüngeren Bruder kümmert. Von Konrad erfährt man, dass er in Afghanistan gedient hat und ansonsten dem Motocross-Sport nachgeht. Schwule (ex-)Soldaten am brasilianischen Strand, Yossi & Jagger lassen grüßen?

Donato folgt Konrad nach Berlin, verlässt wortlos und mutmaßlich der Liebe wegen, den brasilianischen Strand und seine Familie. Ich frage mich, irgendwann im Film, ob es eigentlich auch ansatzweise nicht-heterosexuelle "Berlin-Filme" geben kann, denen zu dieser Stadt andere Motive als das Stroboskop-Licht eines Clubs oder ein Hausdach mit Fernsehturm-Hintergrund einfallen? Wieso käuen Regisseure die immer gleichen Stadtlandschaften wieder? Weshalb musste es überhaupt Berlin sein, als ob es keine andere Stadt in Deutschland geben würde. Wieso exekutieren Karim Aïnouz und sein Drehbuchautor Felipe Bragança meine aufkeimende Erwartungshaltung und lassen die Beziehung zwischen Donato und Konrad scheitern? Schwule Soldaten mutieren zu depressiven Großstadtgespenstern. Erneut darf ich mir ansehen, dass Männer-Liebe in dieser Stadt keine Zukunft hat. Danke, das weiß ich selbst. Wo bleibt der Mut zur kleinen Utopie, das ist hier schließlich Kino? Sinn, Sinnlichkeit, Wärme und Zukunft - kann das nicht-heterosexuelle Kino beim Stichwort Berlin bitte endlich auch an Menschlichkeit und Nähe denken, anstatt an kalte, triebgesteuerte Depression? Und wieso wird diese kinoverliebte Kamera von ihren Darstellern und dem Drehbuch so übel im Stich gelassen? Weshalb gerinnen diese wunderbar durchkomponierten Bilder irgendwann zur Wandtapete? Warum ist diese Kritik voller W-Fragen? Einfache Antwort: PRAIA DO FUTURO wirft all diese Fragen auf und scheitert kläglich daran, auch nur die Möglichkeiten von Antworten zu entwickeln.

PRAIA DO FUTURO
Brasilien/Deutschland 2013
106 Minuten
DCP, Farbe
Regie, Buch: Karim Aïnouz
Buch: Felipe Bragança
Kamera: Ali Olcay Gözcaya