tag:blogger.com,1999:blog-321845912024-03-13T02:55:12.281+01:00filmanzeigerKino. Film. Kritik. Seit 2006.filmanzeigerhttp://www.blogger.com/profile/07608769428649714067noreply@blogger.comBlogger204125tag:blogger.com,1999:blog-32184591.post-6961027575718009982024-02-28T15:21:00.001+01:002024-02-28T15:21:18.768+01:00Berlinale 2024: „BALDIGA – ENTSICHERTES HERZ“ | Kunst & Ficken<p><i>Mit BALDIGA – ENTSICHERTES HERZ erkunden Markus Stein und Ringo Rösener das Vermächtnis des Fotografen Jürgen Baldiga und dessen Leben und Sterben im Westberlin der 1980er und frühen 90er. Basierend auf Tagebucheinträgen, Fotografien und Zeitzeugenbefragungen erzählt diese eindrückliche dokumentarische Arbeit von Resilienz, der Bedeutung von Gemeinschaft und der Macht des künstlerischen Ausdrucks. Zugleich ist dies hier aber auch: ein Liebesfilm.</i></p><hr /><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><p style="text-align: left;">„Kunst & Ficken, das ist mein Leben. Ich liebe mein Leben.“</p></blockquote></blockquote></blockquote><p>„<b>Wenn</b> ich Glück habe, mach’ ich noch ein Jahr, und dann will ich wenigstens ein paar Kratzer an der Wand hinterlassen.“ – mit diesem Zitat schließt ein Porträt über den Fotografen und Lyriker Jürgen Baldiga. Das Stück ist in der taz vom 21. Februar 1991 erschienen, auf einer Sonderseite jener Zeit, die rubriziert war mit „Leben mit dem Virus – Aids in Berlin“.</p><p><b>Archiv – Teil 1</b></p><p>Man findet diesen Text heute tief in der internen alten Archivdatenbank der taz (als taz-Mitarbeiter habe ich darauf Zugriff), welches bis 1999 genutzt wurde und wo alle erschienenen Zeitungsseiten seit Beginn der taz und bis ’99 als Faksimile gespeichert sind. Auf die Idee der Suche im alten taz-Archiv brachte mich Jürgen Baldiga. Nicht persönlich, denn Baldiga ist seit etwas mehr als 30 Jahren tot. Aber er erwähnt die taz in einem seiner Tagebücher.</p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhd_PaNXdLA8tixT1xlryIKMBJVO1LMPp-K1vSEMIS-Ig7BUfq2SWLTyafZM1eINH5SRzlPJ4x2h8juf7MKpxuihzt1QPuQ14_v4oznkRa3bEg8Cwo2LRgB66g8AEu0kY3GAuUp5a53-_hNziit2MkOcB74xiGZiuaCUF6ZVfC3SxFll15nGPO7/s1280/filmanzeiger-berlinale-JuergenBaldiga--foto-Salzgeber-SchwulesMuseumBerlin-AronNeubert.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="853" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhd_PaNXdLA8tixT1xlryIKMBJVO1LMPp-K1vSEMIS-Ig7BUfq2SWLTyafZM1eINH5SRzlPJ4x2h8juf7MKpxuihzt1QPuQ14_v4oznkRa3bEg8Cwo2LRgB66g8AEu0kY3GAuUp5a53-_hNziit2MkOcB74xiGZiuaCUF6ZVfC3SxFll15nGPO7/s16000/filmanzeiger-berlinale-JuergenBaldiga--foto-Salzgeber-SchwulesMuseumBerlin-AronNeubert.jpg" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Wenn er nicht andere fotografierte, nahm er sich selbst ins Bild: Jürgen Baldiga | (c) Foto: Baldiga/Salzgeber/Schwules Museum/Aaron Neubert</td></tr></tbody></table><p>Das alte taz-Archiv fördert zahlreiche Einträge unter dem Namen Baldiga zutage. Die taz jener Zeit war sehr interessiert an der nicht-heterosexuellen Subkultur Berlins und nicht selten waren tazler:innen auch selber Teil dieser, genauso wie Baldiga. Diverse Berichte über Ausstellungshinweise und Besprechungen mit Baldiga-Bezug finden sich. Zudem druckte die taz desöfteren Fotos von ihm ab. Am 12. Juni 1985 bebilderte sie den Bericht zu einem Hearing über ein Grundsicherungsprogramm der Grünen mit einem Baldiga-Foto. Das Bild zeigt eine Rentnerin, die in einem Mülleimer wühlt.</p><p>Am 1. Dezember 1992 prangt ein Baldiga-Selbstporträt sogar auf der Titelseite: Es ist die Ausgabe zum Welt-Aids-Tag. Auch am 10. Dezember 1993 findet sich auf Seite 26 ein Baldiga-Selbstporträt – es bebildert seinen Nachruf, Überschrift: „Unter Engeln“.</p><p><b>Archiv – Teil 2</b></p><p>Jürgen Baldigas Nachlass lagert heute im Archiv des Schwulen Museums in Berlin. Was für ein Ort dieses Archiv ist, wie dieser Nachlass heute aussieht, Filmemacher Markus Stein zeigt es im Anfang seiner Arbeit von BALDIGA – ENTSICHERTES HERZ.</p><p>Die Kisten, in denen die Archivalien aufbewahrt sind, der Inhalt, die Tagebücher, Fotonegative, Abzüge, Bücher etc. Filemacher Markus Stein verortet, nein, er inszeniert die Materialien an ihrem gegenwärtigen Aufenthaltsort, dem Archivraum. Diese Materialien haben ihren Besitzer lange verloren, sie liegen nun in Magazinschränken, umgeben von anderen Toten, von anderen Geschichten. Darauf wartend, vielleicht, dass sich jemand für sie interessiert.</p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjfdg_GJB7KJ4G6sggYbypD9zqX008OkFZkHhyBOqi4lQ72RZBARmJC0CYD5f_k1rjcywfl-GUIBdml2IXYUwGANh0oa00Txetu5afHvfPfZ8Utk-MkWM2Y7U8P_yFUpLZKqyyiK9aqyb4DKAjT0SX-CSSepZk4HWJSxKcXzNrauuRppl7QUBuG/s1920/TAZdietageszeitung_21Feb1991.png" imageanchor="1" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="1920" data-original-width="1295" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjfdg_GJB7KJ4G6sggYbypD9zqX008OkFZkHhyBOqi4lQ72RZBARmJC0CYD5f_k1rjcywfl-GUIBdml2IXYUwGANh0oa00Txetu5afHvfPfZ8Utk-MkWM2Y7U8P_yFUpLZKqyyiK9aqyb4DKAjT0SX-CSSepZk4HWJSxKcXzNrauuRppl7QUBuG/s16000/TAZdietageszeitung_21Feb1991.png" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">21. Februar 1991: Jürgen in der taz, mal wieder | (c) Bild: taz</td></tr></tbody></table><br />Es ist ein kluger und außergewöhnlicher Schritt, gleich zu Beginn transparent zu machen, womit dieser Film arbeiten konnte und wo die Entwicklung von ENTSICHERTES HERZ ursprünglich ihren Anfang nahm. Viel zu oft wird den Archiven und Quellen in dokumentarischen Arbeiten ein Platz ganz hinten, im Abspann zugewiesen, dort, wo keiner hinschaut. <p>Bei Markus Stein und seinem Autor Ringo Rösener (beide haben bereits für die herausragende Doku UNTER MÄNNERN – SCHWUL IN DER DDR zusammengerabeitet) beginnt die filmische Reise genau anders herum. Und sie adressieren damit nicht erst nebenbei noch einen weitere Botschaft an uns als Publikum im Heute: Leute, da ist ein Ort, der euch gehört. Den zu besuchen, aber auch zu bewahren ihr euch zur Aufgabe machen solltet. Steht die Zukunft dieses einzigartigen schwulen Gedächtnisses doch mehr als nur in den Sternen. </p><p><b>Feuer</b></p><p>BALDIGA – ENTSICHERTES HERZ ist nicht die erste dokumentarische Arbeit, die sich mit Jürgen Baldiga auseinandersetzt. Bereits vor fünf Jahren, 2019, präsentierte Jasco Viefhues beim Filmfest München seine Auseinandersetzung mit Jürgen Baldiga – RETTET DAS FEUER, eine DFFB-Produktion.</p><p>Auch Viefhues beginnt im Archiv und bei Baldigas Materialien. Doch sein filmischer Ansatz ist konventioneller als bei Markus Stein. RETTET DAS FEUER setzt viel intensiver auf die Befragung von Weggefährten respektive deren Erzählung der Baldiga-Archivalien. </p><p>Das ist zweifelsohne enorm informativ, aber trotz der überschaubaren 82 Minuten Spielzeit nicht gänzlich ohne Ermüdungserscheinungen. Einen Resonanzraum für eigene Gedanken aufseiten des Publikums eröffnet RETTET DAS FEUER nicht.</p><p><b>Jürgay</b></p><p>Jürgen Baldiga kam Ende der 70er nach Westberlin. Sein Geburtsort: Essen, unterm Elternhaus lag die Kohle, der Vater malochte in der Grube. Für den jungen Jürgen war das kein Ort, er wollte etwas Anderes, er war etwas anderes: Schwul.</p><p>Der gelernte Koch hat Träume, irgendwas mit Kunst. Aber erstmal muss er sich selber finden. Stein und Rösener überschreiben dieses Kapitel mit einer Selbstbetitelung Baldigas aus dessen Tagebuch: „Jürgay“. Hier bleibt die filmische Erzählung zunächst chronologisch. Jürgen kommt an, findet eine Arbeit, findet die Männer.</p><p>Er ist stolz darauf, in Berlin zu sein. Er hat Kerle, viele Kerle. Jürgen macht keine halben Sachen. Er jobbt zusätzlich als Stricher – gut ficken und auch noch Geld dafür bekommen. „Super.“ Schwuler Sex ist für diesen jungen hübschen Typen mit abstehenden Ohren und schönem Schwanz ein Lebensmittel in mehrfacher Hinsicht. Ohne das geht es nicht. Aber da ist noch mehr im Busch.</p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhnyz93U3QOfkLJ79iHkxY95iREBhyB1JTC2bEfGElF7NUy43IXFE3-ouLnbcZGDYurcZQxEytA8x0JLGHbb84P77eEHHlPxzLMrNBop2iSQG7k3AYeb0XKCx_11X_ZAqCr4ZGI3HSQ8qS4TaiomYzeoIPPP57Pnoe7Sx7c44a4EV3DhsWwt4Ai/s1280/filmanzeiger-berlinale-IFB2024-JuergenBaldiga-selbstportraet--foto-Salzgeber-SchwulesMuseumBerlin-AronNeubert.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="853" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhnyz93U3QOfkLJ79iHkxY95iREBhyB1JTC2bEfGElF7NUy43IXFE3-ouLnbcZGDYurcZQxEytA8x0JLGHbb84P77eEHHlPxzLMrNBop2iSQG7k3AYeb0XKCx_11X_ZAqCr4ZGI3HSQ8qS4TaiomYzeoIPPP57Pnoe7Sx7c44a4EV3DhsWwt4Ai/s16000/filmanzeiger-berlinale-IFB2024-JuergenBaldiga-selbstportraet--foto-Salzgeber-SchwulesMuseumBerlin-AronNeubert.jpg" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Das Ich in Pose: Jürgen Baldiga | (c) Foto: Baldiga/Salzgeber/Schwules Museum/Aaron Neubert</td><td class="tr-caption"></td></tr></tbody></table><p>Markus Stein und Ringo Rösener bringen diese Lebensphase auf mehreren Wegen ins Bild. Sie verwenden unter anderem Foundfootage über das Westberlin jener Zeit, sie lassen den Schauspieler Maurice Läbe die Tagebucheinträge von Baldiga für die Tonspur einlesen. Und sie illuminieren die Einträge, indem sie Jürgens Zeilen in großen Scans und Animationen auf die Leinwand schreiben. Wort & Bild – Wir sind umgeben von Baldigas Worten, eine ungemein kinoaffine und eindringliche Form.</p><p>Dieser Stricher/Koch aus dem Rollschuhdiner am Lehniner Platz will definitiv Künstler werden. Und Ficken. „Kunst & Ficken, das ist mein Leben. Ich liebe mein Leben.“ Jürgay ist geboren.</p><p><b>Keine Kompromisse</b></p><p>Rückblickend wissen wir, das mit dem Künstlerdasein wird klappen. Aber der Weg dorthin ist kompliziert und keinesfalls gradlinig. Nicht nur aber auch weil Jürgen Baldiga ein Haufen Gefühle in die Quere kommt, die Liebe. Salome. Eros. Markus Stein und Ringo Rösener verlassen ab hier die chronologische Erzählung und ziehen uns mit in den assoziativen, ja rasenden Gedankenstrom, den Jürgen Baldiga in seinen Tagebüchern festgehalten hat. Und dieser Mann machte keine Kompromisse, schon gar nicht in der Liebe. Eben ein entsichertes Herz.</p><p>Eros – Stein und Rösener konnotieren unter dieser Kapitelüberschrift zweierlei. Den Lover gleichen Namens und die Macht, die die Lust über Jürgen Baldigas Leben hatte. Anfang und Mitte der 1980er eine lebensgefährliche Macht. Tagebuch: „25 Prozent der Schwulen sind verseucht, aber Jürgen ist geil wie ein Schwein.“</p><p>Wieder Tagebuch, 14.11.84: „Jürgen und Eros haben den Aids-Virus. Wie lange mir noch bleibt, kann mir keiner sagen.“</p><p><b>AVK</b></p><p>BALDIGA – ENTSICHERTES HERZ ist nicht allein eine Annäherung an Jürgen Baldiga. Das ginge auch gar nicht, denn, wie uns diese dokumentarischer Arbeit zeigt, war Baldiga zwar an sich eine singuläre Erscheinung, aber er war ebenso ein unverzichtbares Element des schwulen Aggregats jener Zeit in jenem sonderbaren Gebilde namens Westberlin. Seine Fotomotive, fortwährend präsent auf der Kinoleinwand, sind Dokumente dieser Welt und der Menschen, die sie prägten. Die allermeisten dieser Menschen sind tot.</p><p>Und so gehört die Leinwand in ENTSICHERTES HERZ auch den Überlebenden. Zeitzeugen, die Baldiga, aber vor allem diesen grausamen Moment der Geschichte erlebten, ja durchlitten haben, in dem junge, schöne, virile Menschen von einem scheinbar nicht übermächtigen Virus zu Tausenden dahingerafft wurden.</p><p>Es ist selten, dass im Kontext der Aids-Krise Ärzte und Pfleger:innen mit ihren Erinnerungen zu Wort kommen. Was wiederum auch kaum überrascht, denn gerade zu Beginn der Aids-Krise war in den Kliniken die Angst vor dem Virus dem Wissen darüber um ein Vielfaches überlegen, der Umgang mit den Patienten entsprechend schrecklich. Von homophoben Grundeinstellungen ganz zu schweigen.</p><p>Kliniken wie das Auguste-Viktoria-Krankenhaus in Berlin-Schöneberg wurden über die HIV-Epidemie zu spezialisierten Krankenhäusern, die ersten Schwerpunktstationen, die sich dezidiert der Pflege und Versorgung von Aidskranken widmeten. „Das AVK“ – es wurde zum Synonym.</p><p>Markus Stein holt jene Ärzte und Pfleger:innen des AVK vor die Kamera. Wir sehen Mediziner, die bis heute kaum die schockierende Ratlosigkeit beschreiben können, mit der sie sich damals konfrontiert sahen angesichts von jungen Körpern, die mit einem halben Dutzend sich gegenseitig in der Behandlung blockierenden Erkrankungen befallen waren.</p><p>Wir sehen gestandene Krankenschwestern, denen der Schrecken über das massenhafte Sterben dieser jungen Männer bis heute, 30 Jahre später, ins Gesicht geschrieben steht. Die Worte suchen für das Unbeschreibliche, während sie Mühe haben, ihre Stimmen nicht brechen zu lassen.</p><p><b>Götterboten</b></p><p>Viele Teile der HIV-Geschichte in Deutschland, in Berlin sind bis heute nicht aufgearbeitet. Allenfalls anhand von Einzelpersonen wie Baldiga kommen Schlaglichter ans Licht, mehr nicht. Der übergroße Teil dieser Geschichte liegt in Archiven und Erinnerungen von zunehmend alternden Überlebenden begraben.</p><p>Es scheint, als ob hierzulande der Wunsch nach Vergessen ausgeprägter ist, als das Erinnern an jene, die verloren sind. Aber wenn eine Community lieber eine ganze Generation verdrängt und ihre Existenz in der eigenen Geschichte ignoriert, was ist diese queere Community noch wert? Kurze Antwort: Nichts.</p><p>Welche Kraft eine Gemeinschaft im Angesicht von Sterben und Leiden entfalten kann, Jürgen Baldiga hat in seinem Tagebuch dokumentiert: „Jürgen wird jetzt vom HIV e.V. gepflegt. Wunderbar, meine Götterboten.“</p><p>Schwule Männer, viele von ihnen als Tunten sowieso schon aktiv in der Szene, so erfahren wir es in ENTSICHERTES HERZ, gründeten den HIV e.V. im Angesicht des eklatanten Pflegenotstands, den Aids über ihre Gemeinschaft brachte. Die Männer, sie starben häufig nicht nur allein, sie starben wortwörtlich in völliger Verwahrlosung. Niemand half ihnen, ihren Alltag noch zu bewältigen, Essen zu kochen, Wäsche zu machen, Körperpflege zu betreiben. In manchen Fällen wohnten die Eltern sogar im selben Haus. Ihre Söhne ließen sie verrotten.</p><p>Die schwulen Pflege-Aktivisten, sie lebten Solidarität und Nächstenliebe, sie betrieben Pflege aber auch als einen Akt der Notwehr und des Widerstands gegen Staat und Gesellschaft, die die Existenz nicht-heterosexueller Menschen sowieso kaum zu ertragen vermochten.</p><p><b>Tunten</b></p><p>Tagebuch: „25 Jahre und es soll noch ein wenig mehr werden.“ – So verrückt es klingen mag, aber die konkrete Lebensbedrohung, die sich in seinem Körper eingenistet hatte, sie wirkte auf Jürgen Baldiga offenbar wie ein Katalysator für eine unbändige künstlerische Schaffensphase. Aus Ideen und Träumen wurden Realitäten – Fotograf werden, Künstler sein, er steckte alle seine Energie in dieses Ziel.</p><p>Es setzte dabei aber auch noch etwas anderes in ihm frei: Wut. Wut auf eine schwule Gemeinde, die sich selbst im Weg stand. Die sich zunehmend zerklüftete und verstritt, da die versteckten Klappenschwulen in all ihrer Toxizität, dort die nicht minder toxischen hypermaskulinen Lederkerle, die Positiven hatten den Stuhl von den „Gesunden“ sowieso längst vor die Tür gestellt bekommen.</p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEh_KoQ6l7TbLjBl_Jk_9EFtdrfK4tq4vuXhCt1NTQee2x_TddJUozH1lgqECWCs-sBlk9rrduvzhkiqsRKoqIvnzxaYVbQVbbgVWbiMH6ZQoUJiumjyKEvwWC7oXC5KwTqxqd1D8SI7zxThpeLR4jw3eZJ6cEGeIqfQcRU7Acg1IgEp6-63hc59/s1280/filmanzeiger-berlinale-JuergenBaldiga-selbstportraet--foto-Salzgeber-SchwulesMuseumBerlin-AronNeubert.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="853" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEh_KoQ6l7TbLjBl_Jk_9EFtdrfK4tq4vuXhCt1NTQee2x_TddJUozH1lgqECWCs-sBlk9rrduvzhkiqsRKoqIvnzxaYVbQVbbgVWbiMH6ZQoUJiumjyKEvwWC7oXC5KwTqxqd1D8SI7zxThpeLR4jw3eZJ6cEGeIqfQcRU7Acg1IgEp6-63hc59/s16000/filmanzeiger-berlinale-JuergenBaldiga-selbstportraet--foto-Salzgeber-SchwulesMuseumBerlin-AronNeubert.jpg" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Jürgen, nur echt mit ORWO-Film | (c) Foto: Baldiga/Salzgeber/Schwules Museum/Aaron Neubert</td></tr></tbody></table><p>Zwischen all dem die Tunten. Jürgen Baldiga liebte Tunten. Er widmete ihnen ein ganzes Fotobuch. Die Damenimitatorinnen brachten eine einzigartige Energie in sein Leben und in die Community. Sie brachten aber auch Selbsthilfe und Freiwilligenarbeit: Tunten veranstalteten die ersten Safer-Sex-Partys im legendären SchwuZ-Club (Jürgen war natürlich dabei: „Heiß!“) und sie rauften sich zusammen für Soli-Abende zugunsten der frisch gegründeten Aidshilfe: „Ladys Neid“.</p><p>Aber die Tunten waren in sich, das lernen wir in den 92 Minuten von BALDIGA – ENTSICHERTES HERZ, nochmal ein besonderer Mikrokosmos des Zoffs, wo keine der anderen viel gönnte. Es sagt viel aus über die Wirkmächtigkeit von Jürgen Baldiga damals, dass all diese untereinander verhassten Tunten zur Premiere seines Tunten-Fotobuchs noch einmal gemeinsam auf einer Bühne standen, sangen und ihn feierten. Baldiga selbst hatte wohl nie größere Aspirationen, den Fummel anzulegen. Aber manchmal tat er es doch, sein Tuntenname: „Praktica“. Natürlich.</p><p><b>Mauerfall</b></p><p>Die Leinwand zeigt uns bekannte Fernsehbilder von DDR-Bürgern, die nach Westberlin strömen. Soeben war die Mauer gefallen, ein Staatsexperiment implodiert – 1989. Jürgen Baldiga notiert dazu in seinem Tagebuch: „Das war sie nun, die Party“. In seinem Fall hatten die Zeilen eine doppelte Bedeutung: Er spürte wohl, dass dieses sonderbare Gebilde Westberlin an sein Ende gekommen war. Und er wusste, dass das Virus in seinem Körper die Macht übernommen hatte: „Bin wahrscheinlich furchtbar krank, nur noch 50 Helferzellen.“</p><p>CD4-Helferzellen sind für HIV-positive und an AIDS erkrankte Menschen so etwas wie eine Währung. 400, 600, 800, 1000 – je höher der Wert, desto besser. Wird die Zahl jedoch zweistellig, brechen die Abwehrmauern des Körpers zusammen, und Krankheiten breiten sich aus, von denen ein auch nur halbwegs gesunder Mensch niemals hören, geschweige denn sie durchleben wird. Vollbild nennt es die Medizin, wenn ein Körper von AIDS-bedingten Krankheiten übernommen ist: aggressiver Hautkrebs, Lungenerkrankungen, Augenentzündungen, Magen-Darm – die Liste ist lang und tödlich.</p><p>Vollbild nennt der Film sein liebstes Bildformat: 35 mm. Man kann schon sagen, dass Baldiga beide auf gewisse Weise miteinander vermählte: Er war vielleicht einer der Ersten in Deutschland überhaupt, die ihre AIDS-Erkrankung bildstark und medienöffentlich thematisierten. Coming-out! Jürgen ging ins Fernsehen, in die Zeitungen und Magazine. Er versuchte, gegen die Scham, die Angst und die Ausgrenzung anzukämpfen. Wenn man so will, forderte er eines der zentralsten Motive des Films lautstark auch für die Positiven ein: Menschlichkeit. Menschenwürde.</p><p>Eine Würde, auch dies notiert Baldiga in seinem Tagebuch und wütend, die sich viele HIV-positive schwule Männer nicht einmal selbst zugestehen wollten, vor allem wenn die Krankheit durch den Hautkrebs, Kaposi, nach außen sichtbar wurde. „Was sind das für Zeiten, in denen sich Positive selbst gegenseitig ausgrenzen?“</p><p><b>Liebe</b></p><p>BALDIGA – ENTSICHERTES HERZ ist im Kern ein Liebesfilm. Es geht um die Liebe eines jungen schwulen Mannes zu sich selbst und seinem Leben. Ein Leben für die Fotografie. Ein Leben für die Männer, für die Lust: „Warum sollte ich gegen meinen Trieb ankämpfen? Warum sollte ich nicht nach meiner Lust leben?“</p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEixB8wiQW4ohiPgvtNd6Jxal0NGSnAlMjB0GyWYKPwK0biLpAY9cEUeZg9n5nlZeNXbxmCq1ck1j195oo9uTVVs9uCigEMiwST7N8C9LGgv6E26TSumn6iVw-wJSexJA-gyjb0SrZLKwY9AgnSE1EHR3nly65W_-GkzfyJ2dswKnxFiUOhA2lgU/s1280/filmanzeiger-berlinale-IFB2024-baldiga--foto-Salzgeber-FlorianLampersberger.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="853" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEixB8wiQW4ohiPgvtNd6Jxal0NGSnAlMjB0GyWYKPwK0biLpAY9cEUeZg9n5nlZeNXbxmCq1ck1j195oo9uTVVs9uCigEMiwST7N8C9LGgv6E26TSumn6iVw-wJSexJA-gyjb0SrZLKwY9AgnSE1EHR3nly65W_-GkzfyJ2dswKnxFiUOhA2lgU/s16000/filmanzeiger-berlinale-IFB2024-baldiga--foto-Salzgeber-FlorianLampersberger.jpg" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Die Überlebenden: Uwe, Jürgens letzte große Liebe und Stütze | (c) Foto: Salzgeber/Florian Lampersberger</td></tr></tbody></table><p>Allerdings: Dieses Leben kannte eine mindestens genauso starke Liebe zu den Menschen seiner Umgebung. In der Fotografie fand Baldiga das Medium, um diese Liebe auf seine Weise zu feiern und zu ehren: „Ich interessiere mich für Menschen, die am Rand der Gesellschaft stehen und ihre Mitte gefunden haben.“</p><p>Es ist der große Verdienst dieser 92 Minuten Film, dass wir diesen wahnsinnig lebensverliebten Menschen kennenlernen und Zeuge dieser unbändigen Liebe werden können. Eine Liebe, die tiefe Spuren hinterlassen hat. Nicht nur ein paar Kratzer an der Wand. </p><p>BALDIGA – ENTSICHERTES HERZ | DE 2024 | R: Markus Stein; B: Ringo Rösener | 92' | Panorama</p><p>Der Film wird <a href="https://salzgeber.de/baldiga" target="_blank">via Salzgeber</a> in Deutschland verliehen. </p><div class="blogger-post-footer">| filmanzeiger.de |</div>filmanzeigerhttp://www.blogger.com/profile/07608769428649714067noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-32184591.post-40160419097285658282024-02-24T18:30:00.001+01:002024-02-28T19:03:04.527+01:00Berlinale 2024 – der Dauerliveblog: Die Abrechnung<h2 style="text-align: left;">28. Februar 2024, 18.30 Uhr: Die Abrechnung</h2><p style="text-align: left;">45 Filme aller Längen konnten zwischen dem 15. und 25. Februar 2024 gesichtet werden. Sie seien im Folgenden wertend kategorisiert:</p><p style="text-align: left;"><b># Schimmernd</b></p><p style="text-align: left;">HENRY FONDA FOR PRESIDENT | Forum</p><p style="text-align: left;">BALDIGA – ENTSICHERTES HERZ | Panorama</p><p style="text-align: left;">THE WRONG MOVIE | Forum</p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEid36_OfXaK8syq0NlyeQrdHPbb1kht16t2meDpdrAqullP8rvyw_yeMK9pcNW8_T3l0FMwqxTG2a_ZX5KZfHaAgzc2KAmVBmogxC9hwBgd_3G_AfT9FawQL5ZiFmk7pEgUfNpIgPlgSr-eeljpkqsENcldgvDufRLTDfFjO36eMypIcWnlekN7/s1280/filmanzeiger-berlinale-ifb-thewrongmovie--foto-KerenCytter-IFB2024.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="853" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEid36_OfXaK8syq0NlyeQrdHPbb1kht16t2meDpdrAqullP8rvyw_yeMK9pcNW8_T3l0FMwqxTG2a_ZX5KZfHaAgzc2KAmVBmogxC9hwBgd_3G_AfT9FawQL5ZiFmk7pEgUfNpIgPlgSr-eeljpkqsENcldgvDufRLTDfFjO36eMypIcWnlekN7/s16000/filmanzeiger-berlinale-ifb-thewrongmovie--foto-KerenCytter-IFB2024.jpg" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Still aus THE WRONG MOVIE | (c) Foto: Keren Cytter/IFB 2024</td></tr></tbody></table><p style="text-align: left;"><b># Zeitlos</b></p><p style="text-align: left;">DIE DEUTSCHEN UND IHRE MÄNNER – BERICHT AUS BONN | Retrospektive</p><p style="text-align: left;">HERZSPRUNG | Retrospektive</p><p style="text-align: left;">TOBBY | Retrospektive</p><p style="text-align: left;"><b># Unverzichtbar</b></p><p style="text-align: left;">REPRODUKTION | Forum</p><p style="text-align: left;">YOAKE NO SUBETE – ALL THE LONG NIGHTS | Forum</p><p style="text-align: left;">MIT EINEM TIGER SCHLAFEN | Forum</p><p style="text-align: left;">SASQUATCH SUNSET | Special</p><p style="text-align: left;">LOVE LIES BLEEDING | Special</p><p style="text-align: left;">DAS LEERE GRAB | Special</p><p style="text-align: left;">DER UNSICHTBARE ZOO | Forum</p><p style="text-align: left;"><b># Ordentlich</b></p><p style="text-align: left;">MADE IN ENGLAND: THE FILMS OF POWELL AND PRESSBURGER | Special</p><p style="text-align: left;">FILMSTUNDE_23 | Special</p><p style="text-align: left;">SPUREN VON BEWEGUNG VOR DEM EIS | Forum</p><p style="text-align: left;">IHRE ERGEBENSTE FRÄULEIN | Forum</p><p style="text-align: left;">FAVORITEN | Forum</p><p style="text-align: left;">REPUBLIC | Forum</p><p style="text-align: left;">TONGO SAA | Panorama</p><p style="text-align: left;">YOUNG HEARTS | Generation</p><p style="text-align: left;">SAYYAREYE DOZDIDE SHODEYE MAN – MY STOLEN PLANET | Panorama</p><p style="text-align: left;">IL CASSETTO SEGRETO | Forum</p><p style="text-align: left;"><b># Nebensächlich</b></p><p style="text-align: left;">AVERROÈS & ROSA PARKS | Special</p><p style="text-align: left;">QUEBRANTE | Forum Expanded</p><p style="text-align: left;">FOR HERE AM I SITTING IN A TIN CAN FAR ABOVE THE WORLD | Forum Expanded</p><p style="text-align: left;">REDAKTSIYA | Forum</p><p style="text-align: left;">AFTERWAR | Panorama</p><p style="text-align: left;">SEX | Panorama</p><p style="text-align: left;">OASIS | Forum</p><p style="text-align: left;"><b># Sinnlos</b></p><p style="text-align: left;">DAHOMEY | Wettbewerb</p><p style="text-align: left;">BETÂNIA | Panorama</p><p style="text-align: left;">TEACHES OF PEACHES | Panorama</p><p style="text-align: left;">SĂPTĂMÂNA MARE | Forum</p><p style="text-align: left;">JANET PLANET | Panorama</p><p style="text-align: left;">LA HOJARASCA | Forum</p><p style="text-align: left;">INTERCEPTED | Forum</p><p style="text-align: left;">DETOURS WHILE SPEAKING OF MONSTERS | Forum Expanded</p><p style="text-align: left;">GRANDMAMAAUNTSISTERCAT | Forum Expanded</p><p style="text-align: left;">THE PERFECT SQUARE | Forum Expanded</p><p style="text-align: left;">HERE WE ARE | Forum Expanded</p><p style="text-align: left;"><b># Schrecklich</b></p><p style="text-align: left;">BETWEEN THE TEMPLES | Panorama</p><p style="text-align: left;">THE VISITOR | Panorama</p><p style="text-align: left;">I SAW THE TV GLOW | Panorama</p><p style="text-align: left;">I DON’T WANT TO BE JUST A MEMORY | Forum Expanded</p><p style="text-align: left;">Damit schließt der Dauerliveblog zur Berlinale 2024.</p><p style="text-align: left;">Die 75. Berlinale geht in irgendeiner Form im Jahr 2025 über die Bühne. Interessanterweise war ein Termin zum Redaktionsschluss noch nicht bekannt.</p><p style="text-align: left;">Aber soviel ist klar, das Festival bekommt eine neue Führung. Zum Glück.</p><h2 style="text-align: left;">28. Februar 2024, 16.32 Uhr: Kunst & Ficken</h2><p style="text-align: left;">„Wenn ich Glück habe, mach’ ich noch ein Jahr, und dann will ich wenigstens ein paar Kratzer an der Wand hinterlassen.“ – mit diesem Zitat schließt ein Porträt über den Fotografen und Lyriker Jürgen Baldiga. Das Stück ist in der taz vom 21. Februar 1991 erschienen, auf einer Sonderseite jener Zeit, die rubriziert war mit „Leben mit dem Virus – Aids in Berlin“.</p><p style="text-align: left;"><b>Archiv – Teil 1</b></p><p style="text-align: left;">Man findet diesen Text heute tief in der internen alten Archivdatenbank der taz (als taz-Mitarbeiter habe ich darauf Zugriff), welches bis 1999 genutzt wurde und wo alle erschienenen Zeitungsseiten seit Beginn der taz und bis ’99 als Faksimile gespeichert sind. Auf die Idee der Suche im alten taz-Archiv brachte mich Jürgen Baldiga. Nicht persönlich, denn Baldiga ist seit etwas mehr als 30 Jahren tot. Aber er erwähnt die taz in einem seiner Tagebücher.</p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEh0b85LES05faSz4hsDmQ0qWrO9dFD5bnFQsEDhrr5IbHWT78hCCh2Ax6lrs8vBZvDczrmXABFKGXpMVIq3QYPg7cLC4_Ekz6g-t-jpAK3-3vIhVJPFX8oOW6DO4v3XWAy8aanWhBH-zWiQ10wYRiyQN4ypP0HY4GC_WXhAJh2mdqcLghlQlpQM/s1280/filmanzeiger-berlinale-JuergenBaldiga--foto-Salzgeber-SchwulesMuseumBerlin-AronNeubert.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="853" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEh0b85LES05faSz4hsDmQ0qWrO9dFD5bnFQsEDhrr5IbHWT78hCCh2Ax6lrs8vBZvDczrmXABFKGXpMVIq3QYPg7cLC4_Ekz6g-t-jpAK3-3vIhVJPFX8oOW6DO4v3XWAy8aanWhBH-zWiQ10wYRiyQN4ypP0HY4GC_WXhAJh2mdqcLghlQlpQM/s16000/filmanzeiger-berlinale-JuergenBaldiga--foto-Salzgeber-SchwulesMuseumBerlin-AronNeubert.jpg" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Wenn er nicht andere fotografierte, nahm er sich selbst ins Bild: Jürgen Baldiga | (c) Foto: Baldiga/Salzgeber/Schwules Museum/Aaron Neubert</td></tr></tbody></table><p style="text-align: left;">Das alte taz-Archiv fördert zahlreiche Einträge unter dem Namen Baldiga zutage. Die taz jener Zeit war sehr interessiert an der nicht-heterosexuellen Subkultur Berlins und nicht selten waren tazler:innen auch selber Teil dieser, genauso wie Baldiga. Diverse Berichte über Ausstellungshinweise und Besprechungen mit Baldiga-Bezug finden sich. Zudem druckte die taz desöfteren Fotos von ihm ab. Am 12. Juni 1985 bebilderte sie den Bericht zu einem Hearing über ein Grundsicherungsprogramm der Grünen mit einem Baldiga-Foto. Das Bild zeigt eine Rentnerin, die in einem Mülleimer wühlt.</p><p style="text-align: left;">Am 1. Dezember 1992 prangt ein Baldiga-Selbstporträt sogar auf der Titelseite: Es ist die Ausgabe zum Welt-Aids-Tag. Auch am 10. Dezember 1993 findet sich auf Seite 26 ein Baldiga-Selbstporträt – es bebildert seinen Nachruf, Überschrift: „Unter Engeln“.</p><p style="text-align: left;"><b>Archiv – Teil 2</b></p><p style="text-align: left;">Jürgen Baldigas Nachlass lagert heute im Archiv des Schwulen Museums in Berlin. Was für ein Ort dieses Archiv ist, wie dieser Nachlass heute aussieht, Filmemacher Markus Stein zeigt es im Anfang seiner Arbeit von BALDIGA – ENTSICHERTES HERZ.</p><p style="text-align: left;">Die Kisten, in denen die Archivalien aufbewahrt sind, der Inhalt, die Tagebücher, Fotonegative, Abzüge, Bücher etc. Filemacher Markus Stein verortet, nein, er inszeniert die Materialien an ihrem gegenwärtigen Aufenthaltsort, dem Archivraum. Diese Materialien haben ihren Besitzer lange verloren, sie liegen nun in Magazinschränken, umgeben von anderen Toten, von anderen Geschichten. Darauf wartend ... <a href="https://filmanzeiger.blogspot.com/2024/02/berlinale-2024-baldiga-entsichertes.html" target="_blank"><b>HIER WEITERLESEN</b></a></p><p style="text-align: left;">▪︎ Berlinale Panorma Dokumente</p><h2 style="text-align: left;">24. Februar 2024, 22.45 Uhr: Zukunft</h2><p style="text-align: left;">Letzter Abend, letzter Film des Jahrgangs 2024: DAHOMEY.</p><p style="text-align: left;">Wie schon 2022 ein Goldener-Bär-Gewinner, der im Panorama besser aufgehoben gewesen wäre. Was das im Wettbewerb zu suchen hatte, bleibt Chatrians Geheimnis.</p><p style="text-align: left;">Wahrscheinlich weil irgendwas mit Politik. Aber nach diesem schrecklichen Jahrgang sollte die Berlinale hoffentlich und endlich davon geheilt sein, Politik machen zu wollen. Gute Kunst ist übrigens in sich politisch, sie muss sich nicht noch das Label „politisch“ geben. Wie wäre es also mal wieder mit Kunst auf der Leinwand?</p><p style="text-align: left;">Frau Tuttle, bitte übernehmen Sie, und tun sie irgendwas. So kann es nicht weitergehen.</p><p style="text-align: left;">Gute Nacht, Berlinale 2024.</p><h2 style="text-align: left;">24. Februar 2024, 14 Uhr: Herzsprung-Rot</h2><p style="text-align: left;">Helke Misselwitz' HERZSPRUNG, eine Erzählung über eine unmögliche Liebe, jedenfalls in einem kleinen Ort irgendwo in der Prignitz in den frühen 90ern. Gedreht 1991, noch vor Lichtenhagen.</p><p>Die junge, schöne Johanna, frischgebackene Witwe, soeben arbeitslos geworden, und der nicht minder schöne, Akkordeon spielende Fremde ohne Namen. Sie, weiß, Tochter eines überlebenden NS-Verfolgten. Er, schwarz, Afrodeutscher. Sie geraten unvermittelt aneinander, und doch ist sofort klar: Liebe.</p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgdnlA4O2vL3q8tp5htY9HY01284WFxF-1FBoVI5ic97LGggqH9nH_N7yZvu80LBQSAeOiEktEoprkyfGLonQ2xKVKi0myfBGR2fEFXsMj26i-0lchb5hQLGDb3Y4nqQnK6p8NsoNbxJLaDzYP_EOYzNlNq9tHjemsEu73LAo1RoOSrFYXrhrLb/s1280/Filmanzeiger-Berlinale-Retrospektive-Herzsprung--Foto-DEFAStiftung-HelgaParis.jpg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="853" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgdnlA4O2vL3q8tp5htY9HY01284WFxF-1FBoVI5ic97LGggqH9nH_N7yZvu80LBQSAeOiEktEoprkyfGLonQ2xKVKi0myfBGR2fEFXsMj26i-0lchb5hQLGDb3Y4nqQnK6p8NsoNbxJLaDzYP_EOYzNlNq9tHjemsEu73LAo1RoOSrFYXrhrLb/s16000/Filmanzeiger-Berlinale-Retrospektive-Herzsprung--Foto-DEFAStiftung-HelgaParis.jpg" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Still aus HERZSPRUNG | (c) Foto: DEFA Stiftung/Helga Paris</td></tr></tbody></table><p>Fortan kreist Misselwitz' Erzählung um dieses junge Paar und das Aufblühen einer vielleicht untrennbaren Verbindung an einem unwirtlichen Ort zu einer unmöglichen Zeit. Die örtlichen Neonazis stiften derweil Unruhe, beschmieren das NS-Mahnmal am Ort, zum Entsetzen von Johannas Vater. Er sieht Unheil kommen.</p><p>Einer der Neonazis, Soljanka sein Name, sie kennen sich seit Kindheitstagen, fühlt sich zu Johanna hingezogen – und hasst ihre Verbindung zu diesem anderen Kerl.</p><p>Rot ist das Blut der Gänse, die Johanna in der Schulküche rupft, bevor ihr der Job gekündigt wird. Rot ist das Blut, das überall schwimmt, wenn Johannas Ehemann erst im Kuhstall Amok läuft und die Waffen dann gegen sich selber richtet. Rot ist der kleine Schienenbus, der Johannas Freundin Lisa weg von hier bringt, während Johanna zurückbleibt. Rot ist das Haar von Soljanka, während alle anderen in der Gang ihre Haare längst raspelkurz tragen. Rot sind die Highheels, die Johanna anzieht für ihre Verabredung mit ihrem Liebsten am Silvesterabend. Rot ist das Blut – von Johanna. Herzsprung-Rot.</p><p>Misselwitz' HERZSPRUNG, was für ein unendlich schöner und unendlich trauriger Film.</p><p style="text-align: left;">▪︎ Berlinale Retrospektive</p><h2 style="text-align: left;">23. Februar 2024, 21.34 Uhr: LaBruce ist am Ende</h2><div style="text-align: left;"><p>Im Berlinale Panorama 2004 war ein kanadischer Filmemacher zu Gast, der zu seiner Zeit bereits ein faszinierendes Oeuvre vorweisen konnte und dabei vor allem Menschen damit aufregte, dass er klassische Formen filmischer Narration mit explizitem Sex fusionierte. Sex als Ausdrucksmittel des Körpers, der begehrende, der aufgegeilte, der fickende Körper als Träger der Erzählung. Zu seiner Zeit war das, obwohl wir über die 2000er sprechen, immer noch ein Affront. Bruce LaBruce.</p><p>RASPBERRY REICH war ein Film, der dem Publikum keine Kompromisse erlaubte. Entweder ließ man sich von dieser irren und politisch erfrischend schamlosen Versuchsanordnung eines schwulen RAF-Reenactments anstecken, oder man verließ das Kino. Radical Chic.</p><p>LaBruce nahm Motive der RAF und ihres Aktivismus/Terrors auf und drehte sie durch den schwulen Fleischwolf. Er erzählt die Entführung eines Bankierssohns, der sich jedoch recht schnell mit den Schwänzen seiner Entführer anfreundet. Im Zentrum aber steht die Anführerin der radikalen Zelle, Gudrun, gespielt von der einzigartigen Susanne Sachsse, die durchweg den Schwanz eines ihrer Kameraden heimsucht und zugleich dem Publikum den Agitprop einer schwulen Revolution entgegenbrüllt. Phrasen, zusätzlich illustriert mit leinwandfüllenden großen Lettern.</p><p><b>Schwule Umcodierung der RAF</b></p><p>RASPBERRY REICH bürstete lustvoll gut gepflegte Diskurs-Heiligtümer der Bundesrepublik gegen den Strich: Während das (konservative) deutsche Bürgertum viel Energie in die Dämonisierung der linken RAF und überhaupt alles Linken investierte, romantisierten weite Teile der alten Linken die tödliche Gewalt der RAF, ihre „Inhalte“ waren sowieso unstrittig. Dass im Zentrum der RAF ein heterosexueller Macho stand, störte beide Seiten nicht. Hier setzte Bruce LaBruce an und nahm nicht weniger als eine veritable schwule Umcodierung vor. RASPBERRY REICH, bis heute ein großartiger, ja zeitloser Film.</p><p>Fickende Körper, das RAF-Sujet, aber auch Zombies sollten in den folgenden 20 Jahren bestimmend bleiben für die Filme von Bruce LaBruce – in Berlin respektive im Kontext der Berlinale. In Venedig derweil, wo LaBruce in den letzten zehn Jahren ebenfalls mehrere Spielfilme vorstellte, scheint ein Namensvetter am Werk zu sein.</p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEga3msra3fR-ldMhyrxpzrFPSQXTLG8i_sUPb6LzH3OUYxYJ-ZvxIVKi1BXKny2gNJ7M67DrLQuzu8UsLIEbzlNF_cTsSnFLz-LkpY2uVUClVSUwnUXAWqgJRj6OD89Qxa6Cr_IZU62bnQZwaRubd7YtW3101NPzaXhKtiMZxqnhb_pGUCLk5Ge/s1280/filmanzeiger-berlinale-thevisitor-brucelabruce--foto-apolitical-salzgeber.jpg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="853" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEga3msra3fR-ldMhyrxpzrFPSQXTLG8i_sUPb6LzH3OUYxYJ-ZvxIVKi1BXKny2gNJ7M67DrLQuzu8UsLIEbzlNF_cTsSnFLz-LkpY2uVUClVSUwnUXAWqgJRj6OD89Qxa6Cr_IZU62bnQZwaRubd7YtW3101NPzaXhKtiMZxqnhb_pGUCLk5Ge/s16000/filmanzeiger-berlinale-thevisitor-brucelabruce--foto-apolitical-salzgeber.jpg" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Besuch kündigt sich an – THE VISITOR | (c) Foto: Apolitical/Salzgeber</td></tr></tbody></table><p>2024. London. Ein nackter schwarzer Männerkörper steigt aus einem altmodischen Koffer, der am Ufer der Themse liegt. Wie er dorthin kommt – unbekannt. Vielleicht wurde er angespült. Der Körper schlüpft in das Zelt eines Wohnungslosen, schnappt sich dessen dreckige Klamotten, zieht sie an, streift durch die Stadt und landet in der Villa einer reichen Familie; Vater, Mutter, Sohn, Tochter – die Magd. THE VISITOR.</p><p><b>Pissen und Scheißen</b></p><p>Die Magd lässt ihn ein, führt ihn in die Küche. Sogleich lässt sie ihn in die Suppe pissen und auf einen Teller scheißen. Dinnertime. Er, der Besucher, sitzt <a href="https://filmanzeiger.blogspot.com/2024/02/berlinale-2024-visitor-labruce-ist-am.html" target="_blank"><b>HIER WEITERLESEN</b> ...</a></p></div><h2 style="text-align: left;">22. Februar 2024, 12.33 Uhr: Kunst aus dem Körper</h2><div><div>95 Jahre Künstlerinnenleben in einem Film – Filmemacherin Anja Salomonowitz und Darstellerin Birgit Minichmayr stellen in ihrem MIT EINEM TIGER SCHLAFEN etwas Beeindruckendes an: Sie ziehen gleich drei Bewegungen individueller Emanzipation parallel, um eine faszinierende Persönlichkeit für die Leinwand lebendig zu machen.</div><div><br /></div><div>MIT EINEM TIGER SCHLAFEN erzählt vom Leben der österreichischen Malerin Maria Lassnig. Wenn man so will, ist es ein Biopic, aber doch dabei irgendwie auch mehr. Zum einen wären da Lassnigs Bilder (und nicht nur die), die in steter Abfolge die Leinwand übernehmen und uns einladen, ihr Werk auch vor der biografischen Folie zu lesen.</div><div><br /></div><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgZ6ni-TTaX9Dr-yVjx7XyAWGTvbcaFc8qg3F0-ITyrLTpBKEjZF5GT5HHPNr1tA_ceE2PYN-QW7NPlA8tN2pywAH3jZDQwJ0o4n8KhROjaJEUcI7jEf-sSkDC1qRiAnJw8wskxx629nzcxOE8njCBM1Dq31040ekC1wO4aZWa_bnshBYsnMpyd/s1280/filmanzeiger-berlinale-forum-miteinemtigerschlafen-marialassnig--foto-coop99Filmproduktion-IFB2024.jpg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="853" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgZ6ni-TTaX9Dr-yVjx7XyAWGTvbcaFc8qg3F0-ITyrLTpBKEjZF5GT5HHPNr1tA_ceE2PYN-QW7NPlA8tN2pywAH3jZDQwJ0o4n8KhROjaJEUcI7jEf-sSkDC1qRiAnJw8wskxx629nzcxOE8njCBM1Dq31040ekC1wO4aZWa_bnshBYsnMpyd/s16000/filmanzeiger-berlinale-forum-miteinemtigerschlafen-marialassnig--foto-coop99Filmproduktion-IFB2024.jpg" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="text-align: left;">MIT EINEM TIGER SCHLAFEN: Vor der leeren Leinwand stehend – das gibt keine Kunst | Foto: Coop99 Filmproduktion/IFB 2024</span></td></tr></tbody></table><p style="text-align: left;">Zum anderen schwenkt die filmische Erzählung wiederholt und mitten in einer Szene plötzlich ins Dokumentarische, und Zeitzeugen oder Nachfahren von Zeitzeugen übernehmen für einen Moment die Szenerie und die Erzählung dessen <a href="https://filmanzeiger.blogspot.com/2024/02/berlinale-2024-mit-einem-tiger-schlafen.html" target="_blank"><b>Hier weiterlesen ...</b></a></p><p style="text-align: left;">▪︎ Berlinale Forum</p></div><h2 style="text-align: left;">21. Februar 2024, 22.32 Uhr: Mediokres Irgendwas</h2><p style="text-align: left;">„Fuck the Pain Away“ ist vielleicht einer der wichtigsten und wirkmächtigsten Songs im Oeuvre der Musikerin und Sängerin Peaches. Es geht darin um die Überwindung der mannigfaltigen Bürden und Konflikte, die eine patriarchale Gesellschaft Frauen aufoktruiert. Konflikte, deren Schmerzen eine paralysierende Wirkung entfalten, denen man sich aber widersetzen kann – durch Selbstermächtigung.</p><p style="text-align: left;">Eines gleich vorneweg: Die dokumentarische Arbeit TEACHES OF PEACHES ist alles andere als schmerzhaft und sicherlich nicht paralysierend. Und das ist in diesem Fall irgendwie ein Problem, denn diese Arbeit – sie lässt einen völlig ratlos zurück. Was in Anbetracht der zentralen Protagonistin, Merrill Beth Nisker, besser bekannt als Peaches, eigentlich einem Vergehen gleichkommt. </p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjHq9_ZsFUhbINIrZ2b12jI7NrEiG1SmxezJeL0S5RrTWWwLug3bkOz1pirqTXIR3V1blTmrxgDeDshYU_RB0EvGCloRL734Ei1eVVvJ9a6RwF9m-cbAVFrwsuLoWbJ6bCvXI8hVG9RITRlEq48_zqnXrd6ePKeRbephhHVPEoSOm3cKkRYAe_m/s1280/filmanzeiger-berlinale-panorama-peaches-teachesofpeaches--foto-AvantiMediaFiction-IFB2024.jpg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="853" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjHq9_ZsFUhbINIrZ2b12jI7NrEiG1SmxezJeL0S5RrTWWwLug3bkOz1pirqTXIR3V1blTmrxgDeDshYU_RB0EvGCloRL734Ei1eVVvJ9a6RwF9m-cbAVFrwsuLoWbJ6bCvXI8hVG9RITRlEq48_zqnXrd6ePKeRbephhHVPEoSOm3cKkRYAe_m/s16000/filmanzeiger-berlinale-panorama-peaches-teachesofpeaches--foto-AvantiMediaFiction-IFB2024.jpg" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Merrill Beth Nisker auf der Bühne | (c) Foto: Avanti Media Fiction/IFB 2024</td></tr></tbody></table><p style="text-align: left;">Philipp Fussenegger und Judy Landkammer haben die Arbeit zu verantworten. Sie folgen Peaches bei den Vorbereitungen und während ihrer Jubiläumstour zum 20-jährigen Jubiläum ihres Albums „Teaches of Peaches“, zugleich erzählen sie über ihren Aufstieg zu einer modernen Ikone der unabhängigen Populärmusik.</p><p style="text-align: left;"><b>Was will dieser Film eigentlich?</b></p><p style="text-align: left;">Und genau hier liegt vielleicht das eigentliche Problem: Sie können sich nicht entscheiden, welchen Zweck, welches Ziel dieser Film haben soll. Soll es eine Konzertdokumentation sein? Eine biografische Erzählung? Ein Porträt? Oder ein Abtauchen in den künstlerischen Schaffungsprozess, der mit dem Schreiben und Aufnehmen von Musik nicht endet. Ganz im Gegenteil, wenn es um die Erarbeitung eines Stücks für die Bühne geht, fängt die eigentliche Arbeit erst an.</p><p style="text-align: left;">Seine faszinierendsten Minuten hat TEACHES OF PEACHES dann auch, wenn die Kamera Merrill Beth Nisker und ihrer kleinen Crew beim Arbeitsprozess weit vor dem Tourbeginn zuschaut. Was soll auf der Bühne passieren? Wie soll es passieren? Wie lässt sich das Publikum adressieren? Wir sehen, wie sie die Show in einem Studio Stück für Stück einstudieren. Es ist ein heller, mittelgroßer Raum, keine stickige Konzerthalle. Die Atmosphäre ist konzentriert und zugleich warm und – liebevoll?</p><p style="text-align: left;">Es gibt in diesen Sequenzen der Proben und Konzertvorbereitungen einen besonders magischen Moment, wenn Peaches ihre wesentlich jüngere Gitarristin dazu ermuntert, das Publikum aktiv zu adressieren und mit ihm zu spielen. Es zu teasen und zu verführen. Und ihr dabei konkret ein paar Ideen vorstellt, wie sie das anstellen kann. </p><p style="text-align: left;"><b>Mediokres Irgendwas</b></p><p style="text-align: left;">In diesen wenigen Sekunden schwingt viel mit von der Erfahrung, die Merrill Beth Nisker in weit über 20 Jahren gesammelt hat. Sie weiß um die Kunst der Performance wie vielleicht nur wenige Musiker:innen ihrer Zeit. Eine Gitarristin kann deshalb nicht einfach nur links oder rechts neben der Sängerin stehen und sich hinter ihren Gitarrensaiten verstecken. Sie muss zentraler Teil dieses Organismus sein, wenn er abends auf der Bühne zum Leben erwachen soll.</p><p style="text-align: left;">Doch der Weg bis zu diesem Moment ist Arbeit, ist an sich ein harter, aber zugleich ungemein spannender und inspirierender künstlerischer Prozess, bei dem Musiker:innen, Techniker:innen, Stylist:innen und viele mehr als Kollektiv zusammenwirken müssen. Diesen Prozess noch mehr verständlich zu machen, ihn zu ergründen, ihm vielleicht die gesamten 102 Minuten Laufzeit zu widmen, hätte aus TEACHES OF PEACHES eine großartige Arbeit gemacht. Leider wählten Fussenegger und Landkammer den Weg ins Gewöhnliche.</p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhDVv9Xk56w6af8a4W6eD-f_cUDTr-ewBsgTPwGQ8jbT29QMUaONBXc4yWQLATVC5HM8cBVmDE_BggVweWTXNh6-QxAfCyE4596DRQGQniMNkk-VrByhzrcU1yodEQwJ78eQda7okecQGz3HgBERCwYUWSkz4N0ZGHYMhK8g7pjRjR9qUEluj_O/s1280/filmanzeiger-berlinale-ifb-panorama-teachesofpeaches--foto-AvantiMediaFiction-IFB2024.jpg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="853" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhDVv9Xk56w6af8a4W6eD-f_cUDTr-ewBsgTPwGQ8jbT29QMUaONBXc4yWQLATVC5HM8cBVmDE_BggVweWTXNh6-QxAfCyE4596DRQGQniMNkk-VrByhzrcU1yodEQwJ78eQda7okecQGz3HgBERCwYUWSkz4N0ZGHYMhK8g7pjRjR9qUEluj_O/s16000/filmanzeiger-berlinale-ifb-panorama-teachesofpeaches--foto-AvantiMediaFiction-IFB2024.jpg" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Merrill Beth Nisker vor dem Betreten der Bühne | (c) Foto: Avanti Media Fiction/IFB 2024</td></tr></tbody></table><p style="text-align: left;">Archivmaterial, Talking Heads und Konzertmaterial werden zusammengeworfen. Prominente Weggefährten, Band- und Teammitglieder sagen freundliche Oneliner in die Kamera, zwischendurch kommt die Künstlerin selbst zu Wort und fungiert gleichermaßen als Stichwortgeberin wie Erzählerin ihrer eigenen Geschichte.</p><p style="text-align: left;">Die Konventionalität der dokumentarischen Erzählung wie der visuellen Gestaltung ist genauso ermüdend wie rundweg ärgerlich. Im Stoff hinter dieser Arbeit versteckt sich so viel Potenzial, allein Philipp Fussenegger und Judy Landkammer wollten oder konnten es nicht erkennen. Sie verschenken es für ein mediokres Irgendwas, dessen Schicksal als ein vergessenes One-Hit-Wonder der Arte-Mediathek nicht überraschend wäre.</p><p style="text-align: left;">TEACHES OF PEACHES – je länger man darüber nachdenkt, desto schmerzhafter wird dieser Film dann doch. Time to „Fuck the Pain Away“.</p><p style="text-align: left;">▪︎ Berlinale Panorama</p><h2 style="text-align: left;">20. Februar 2024, 14.32 Uhr: MUBI Edeltrash</h2><p style="text-align: left;">Das Kernproblem von JANET PLANET und BETWEEN THE TEMPLE liegt darin, dass sie sich viel zu sehr in ihrer schlichten Existenz auf der Leinwand und dabei in ihrer Form gefallen.</p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhk7h5O5s_63plykxGST-VPhQ8XGGrmNwGiz4Gg4utDVvXpD5bStNkPlmII7sPmpyQQqDYATymB8MdTnmEqM5oaad2UMzpxbDW3FN6fCszLLmQLYJy6LvFxvX1IZcPhwVMGna-lEV_Y7SdTrIEbnKKrEQT7CsDb9B390Wyo_AVhYTr9FKtotJ5O/s1280/filmanzeiger-berlinale-ifb-janetplanet--foto-A24-IFB2024.jpg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="853" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhk7h5O5s_63plykxGST-VPhQ8XGGrmNwGiz4Gg4utDVvXpD5bStNkPlmII7sPmpyQQqDYATymB8MdTnmEqM5oaad2UMzpxbDW3FN6fCszLLmQLYJy6LvFxvX1IZcPhwVMGna-lEV_Y7SdTrIEbnKKrEQT7CsDb9B390Wyo_AVhYTr9FKtotJ5O/s16000/filmanzeiger-berlinale-ifb-janetplanet--foto-A24-IFB2024.jpg" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Julianne Nicholson, Zoe Ziegler in JANET PLANET | (c) Foto: A24/IFB 2024</td></tr></tbody></table><p style="text-align: left;">Grobkörniger Analogfilm, viel Spielerei mit Licht, mit Schnitten und Quadragen, während die Storys einfach keine Funken schlagen. Sie bleiben papieren, unterkühlt, blutlos. Man sieht schönste Flächen, aber hat alles sofort vergessen, sobald das Saallicht angeht. </p><p style="text-align: left;">Das ist kein Kino, nur Rohfilmverschwendung, die am Ende als Edeltrash auf MUBI verramscht werden wird. </p><p style="text-align: left;">▪︎ Berlinale Panorama</p><h2 style="text-align: left;">19. Februar 2024, 19.00 Uhr: Linkes Scheitern</h2><p>OASIS erzählt schnörkellos und direkt vom Aufstieg und Fall der linken Verfassungsbewegung in Chile zwischen 2019 und 2022.</p><p>Formal angelegt als zügige Montage von Bewegtbildern aus allen Phasen des Versuchs, eine progressive neue Verfassung für Chile Realität werden zu lassen und die alte Verfassung der Pinochet-Diktatur endlich zu ersetzen, führt das MAFI-Kollektiv, bestehend aus über einem Dutzend Filmemacher:innen, dabei indirekt auch den Beweis, dass Verfassungsreferenden nur in der Mitte gewonnen werden können.</p><p>80 harte, aber lehrreiche Minuten für linke Zukunftsträume.</p><p style="text-align: left;">▪︎ Berlinale Forum</p><h2 style="text-align: left;">19. Februar 2024, 16.58 Uhr: Martins Mentor</h2><p>Martin Scorsese satte 131 Minuten dabei zuzuschauen, wie er einen vom Film erzählt, klingt für sich genommen erstmal nicht unbedingt spannend – es sei denn, Mensch ist ein Martin-Scorsese-Nerd.</p><p>Aber MADE IN ENGLAND: THE FILMS OF POWELL AND PRESSBURGER von David Hinton mit Martin Scorsese erweist sich als verblüffend informativ und lädt ein, mit Michael Powell und Emeric Pressburger zwei nahezu vergessene britische Filmemacher und ihre außergewöhnlichen Filme zu entdecken. (Looking at you, Berlinale Retrospektive.)</p><p>Denn Scorsese beschreibt nicht nur im Detail, wie einzigartig die Filme dieses Filmemacher-Duos zu ihrer Zeit waren und irgendwie auch bis heute sind. Er gibt ebenso sehr persönlichen Einblick, wie ihn diese Arbeiten und vor allem Michael Powell als eine Art Mentor geprägt haben. Kurz gesagt: In jedem Scorsese-Film steckt immer auch sehr viel Powell & Pressburger. </p><p style="text-align: left;">▪︎ Berlinale Special<br /></p><h2 style="text-align: left;">19. Februar 2024, 14.29 Uhr: Fell</h2><p style="text-align: left;">SASQUATCH SUNSET ist das vielleicht seltsamste Stück Film, dass ich in langer Zeit gesehen habe. Und es ist ungemein faszinierend. Darüber zu schreiben ohne zu spoilern, ist jedoch unmöglich. </p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiQynec-dB1-sINbBT8kAupdp2RTzPwTURT6gkTkMzDR2Fx2NsRvxXeYrQ9Rok-0ia0IWwconrRbTLSjT6yVSTKRfIkTPSb6jvZssf-8KuHT32B_6GO26tOyzsVFDxef7IBLo1JgE5rngS1A0ubR-WYFhNuSzcrGagujss5cPY6XBuzjRkuPSm6/s1280/filmanzeiger-berlinale-ifb-sasquatchsunset-zellner--foto-SasquatchSunset-IFB2024.jpg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="622" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiQynec-dB1-sINbBT8kAupdp2RTzPwTURT6gkTkMzDR2Fx2NsRvxXeYrQ9Rok-0ia0IWwconrRbTLSjT6yVSTKRfIkTPSb6jvZssf-8KuHT32B_6GO26tOyzsVFDxef7IBLo1JgE5rngS1A0ubR-WYFhNuSzcrGagujss5cPY6XBuzjRkuPSm6/s16000/filmanzeiger-berlinale-ifb-sasquatchsunset-zellner--foto-SasquatchSunset-IFB2024.jpg" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Ausschnitt aus dem einzigen verfügbaren Filmstill von SASQUATCH SUNSET | (c) Bild: Sasquatch Sunset/IFB 2024</td></tr></tbody></table><p style="text-align: left;">Deshalb sei es mal so formuliert, diesen Film nicht zu sehen, wäre ein Fehler. Es sind 80 auf wundersame Art lebensverändernde Minuten, die die Zellner Brothers da auf die Leinwand packen.</p><p style="text-align: left;">▪︎ Berlinale Special</p><h2 style="text-align: left;">19. Februar 2024, 10.02 Uhr: Ficken</h2><p style="text-align: left;">Ist Dag Johan Haugeruds SEX jetzt eigentlich ein progressiver(er) Film? </p><p style="text-align: left;">Oder ist es pure Regression, wie zwei heterosexuelle Schornsteinfeger und Familienväter darüber ins Straucheln geraten, dass ihnen etwas widerfährt, das nicht zur sexuellen Identität des 100%-Hetero-Manns passt? Ich meine, das ist alles wirklich sehr schön gefilmt und gespielt und so. Aber irgendwie – überzeugend ist etwas Anderes. <br /></p><p style="text-align: left;">▪︎ Berlinale Panorama</p><h2 style="text-align: left;">18. Februar 2024, 17:04 Uhr: In die Fresse</h2><div style="text-align: left;"><p style="text-align: left;">Filmemacherin Rose Glass hat ihren Tarantino gut studiert, ohne sich davon aber allzu sehr die Richtung vorgeben zu lassen, im Gegenteil. Genrekonventionen und genretypische visuelle Topoi sind dazu da, sie in Stücke zu hauen und daraus etwas Neues zu schaffen.<br /></p><p>Herausgekommen ist mit LOVE LIES BLEEDING ein sehr unterhaltsamer Genrecocktail, der virtuos und lustvoll Elemente von Rache-, Revanche- und Vater-Tochter-Story um eine schweißtreibende lesbische Liebesgeschichte irgendwo in New Mexico kreisen lässt, garniert mit etwas Splatter.</p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgZhqZ0KrTcMKYlMI-2m1xplF-brOtjQft08KyAawYh2Tx8YNOLEZO0Ha9pcDLy60mknuS103BP9xCgKW7vD8rVD8WTI9dx49gxrlAJsIcdXzqakhWUXH8ooddZ5MlzuH_sWhyphenhyphenmSpzN-jNDAFPgS2pme3wx0kkKLTTue8_l2KYoyqPiczUW8YpY/s1280/filmanzeiger-berlinale-ifb-loveliesbleeding--foto-AnnaKooris-ifb2024.jpg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="853" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgZhqZ0KrTcMKYlMI-2m1xplF-brOtjQft08KyAawYh2Tx8YNOLEZO0Ha9pcDLy60mknuS103BP9xCgKW7vD8rVD8WTI9dx49gxrlAJsIcdXzqakhWUXH8ooddZ5MlzuH_sWhyphenhyphenmSpzN-jNDAFPgS2pme3wx0kkKLTTue8_l2KYoyqPiczUW8YpY/s16000/filmanzeiger-berlinale-ifb-loveliesbleeding--foto-AnnaKooris-ifb2024.jpg" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">LOVE LIES BLEEDING: Katy O’Brian, Kristen Stewart | (c) Foto: Anna Kooris/IFB 2024</td></tr></tbody></table><p>Kristen Stewart und Katy O’Brian geben hier ein gleichermaßen schimmerndes wie erfrischend triebiges Paar, dessen Liebe so irre ist wie die nie um einen Plottwist verlegene Geschichte, in die sie sich Stück für Stück hineinmanövrieren. Ed Harris mimt derweil einen psychotischen wie kreuzgefährlichen Mafiaboss und Vater mit einer Lust am Overacting, die ebenso einfach großartig anzuschauen ist und vom Camp nicht mehr weit entfernt scheint.</p><p>LOVE LIES BLEEDING ist kein Werk für penistragende Genrepuristen mit einem Toxische-Männlichkeit-Komplex. Für alle anderen indes die vielleicht kurzweiligsten und coolsten 104 Minuten Film seit Längerem.</p><p>▪︎ Berlinale Special</p><p></p></div><h2 style="text-align: left;">18. Februar 2024, 13.39 Uhr: Ratlos</h2><p style="text-align: left;">INTERCEPTED hinterlässt einen sprachlos, was wohl Absicht ist. Aber man bleibt auch einigermaßen ratlos zurück. </p><p style="text-align: left;">Was bezweckt Oksana Karpovych mir ihrem Film? Wer die eigene Empathie nicht komplett ins Klo gespült hat, wird wenig Verwendung für diese visuell aufgebrezelte Erinnerung an die Abscheulichkeit von Putins Krieg haben. Und Putin-Freunde sind bis über die Ohren mit Propagande bewaffnet, die hören keine Wahrheit mehr. Was bleibt, ist seltsam unterhaltsames Dräuen auf der Tonspur, während die Kamera durchs Kriegsgebiet fährt.</p><p style="text-align: left;">▪︎ Berlinale Forum</p><h2>18. Februar 2024, 08.00 Uhr: Favoriten</h2><p style="text-align: left;">Für Ruth-Beckermann-Verhältnisse wirkt FAVORITEN visuell und inszenatorisch eher schlicht. Trotzdem ist es faszinierend zu sehen, wie sie es selbst mithilfe einer Grundschulklasse aus einem Wiener Arbeiterbezirk schafft, die österreichische Gesellschaft über Dinge zum Sprechen zu bringen, die sie lieber nicht besprechen würde. Und nicht nur nebenbei wirft sie dabei ein Schlaglicht auf die miesen Zustände im Bildungswesen, die vor allem jene treffen, die sich am wenigsten dagegen wehren können, aber die meiste Unterstützung bräuchten. Zwischen Wien und Berlin passt diesbezüglich kein Blatt.</p><p style="text-align: left;">▪︎ Berlinale Encounters</p><h2 style="text-align: left;">17. Februar 2024, 11.39 Uhr: Das Ding names Nähe</h2><p>Manchmal müssen sich offenkundig unmögliche Paarungen erst gegenseitig aufdrängen, um zu merken, wie sehr sie sich eigentlich guttun.</p><p>Misa und Takatoshi begegnen einander, weil sie in derselben Firma arbeiten, einem kleinen Betrieb, der wissenschaftliche Werkzeuge für Grundschulen herstellt – darunter auch kleine Astronomie-Sets.</p><p>Auf den ersten Blick scheinen die beiden jungen Menschen nicht wirklich miteinander zu können. Misa ist eine sehr fürsorgliche, freundliche und aufmerksame Kollegin. Takatoshi ist das Gegenteil, ein in sich gekehrter, eigentlich abweisender Typ in Anzug und Krawatte, der so gar nicht in diese etwas trutschige kleine Firma zu passen scheint. Und der möglichst wenig mit den anderen zu tun haben möchte, schon gar nicht mit der so aufdringlichen Misa – was diese freundliche junge Frau plötzlich dazu bringt, ihn anzubrüllen. Wo kam das jetzt her?<span></span></p><p><i>Misa und Takatoshi.</i></p><p>Was beide nicht voneinander wissen: Sie haben gesundheitliche Störungen, die ihr Leben zuweilen zur Qual machen. Sie wird allmonatlich von äußerst heftigen Auswirkungen des prämenstruellen Syndroms gequält, welche sie emotional völlig unberechenbar und zuweilen lethargisch machen. Er hat eine Panikstörung, die seinen Alltag in eine endlose Abfolge von Vermeidungsstrategien verwandelt.</p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhmUv4-BV7vVxhzO9O_H1L0elwAkrWPvNrYor2Mh2pecjbWcvuZoQSjlIOjZKBM2VH72IejzASe_nEcmx1Hs4EfN0j9GrylMQURCcSA-S9U0xfPq1NGT5TZ5RFqaQk9qwud7KKKOXksH_q-ZO_y8Mh3GDlEuNbiuFAq4gCXx1C_nvi7rcuZpxn8/s1280/filmanzeiger-berlinale-ifb-forum-Yoakenosubete--foto-MaikoSeo-AlltheLongNightsFilmPartners-IFB2024.jpg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="853" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhmUv4-BV7vVxhzO9O_H1L0elwAkrWPvNrYor2Mh2pecjbWcvuZoQSjlIOjZKBM2VH72IejzASe_nEcmx1Hs4EfN0j9GrylMQURCcSA-S9U0xfPq1NGT5TZ5RFqaQk9qwud7KKKOXksH_q-ZO_y8Mh3GDlEuNbiuFAq4gCXx1C_nvi7rcuZpxn8/s16000/filmanzeiger-berlinale-ifb-forum-Yoakenosubete--foto-MaikoSeo-AlltheLongNightsFilmPartners-IFB2024.jpg" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Yoake no subete: Takatoshi und Misa | (c) Foto: Maiko Seo/All the Long Nights Film Partners/IFB 2024</td></tr></tbody></table><p>Es ist dann auch solch eine Panikattacke Takatoshis während der Arbeit, die Misa aufhorchen lässt. Verzweifelt sucht er in diesem Moment seine Beruhigungspillen, zum Glück findet Misa die kleine Tablettenverpackung unter einem Schrank. Und sie erkennt diese Tabletten, auch sie hatte sie von ihrem Arzt einst gegen Ihre Leiden verschrieben bekommen – und es bereut, sie zu nehmen, denn die Nebenwirkungen, plötzliche Schläfrigkeit, zwangen sie als junge Berufseinsteigerin einst, ihren neuen Job gleich wieder aufzugeben. Sie war auf der Arbeit beim Schlafen erwischt worden.</p><p>Da ist also etwas los, und Misa will wissen, was. Mit einem erstaunlichen Maß an Beharrlichkeit geht sie der Sache nach, und Takatoshi gibt ihrem schier unentrinnbaren Angebot von Hilfe schließlich nach, gleichwohl ihr Umgang miteinander erstmal ziemlich kurios und gezwungen wirkt. Doch irgendwie gerät dann doch etwas in Bewegung und die beiden kommen sich näher. YOAKE NO SUBETE</p><p><i>Nähe.</i></p><p>Was ist das eigentlich, dieses Ding namens Nähe? Was bedeutet das für uns? Was macht es mit uns? Warum leiden Kinder, wenn sie keine Nähe ihrer Eltern spüren dürfen? Warum verzehren wir uns als Singles oft danach? Und warum sind wir paradoxerweise der Nähe auch schnell mal überdrüssig und fühlen uns von ihr eingeengt, gerade in Partnerschaften?</p><p>Nähe ist ein gleichermaßen körperliches wie emotionales Grundbedürfnis und tief in uns eingeschrieben. Doch genauso ist es auch extrem paradox und komplex. Nicht selten bauen wir dicke Panzerungen um uns auf, um keine Nähe zuzulassen, denn Nähe zu geben und zu empfangen, scheint auch ein Akt voller Gefahren zu sein.</p><p>Doch wenn wir so gar keine Nähe empfangen oder geben (können), gehen wir nicht selten ein wie Zimmerpflanzen ohne Wasser. Ein langsames Siechtum, gleichsam wie bei einem langsam wirkenden Gift, sterben wir daran irgendwann. Und niemand will ohne die Nähe eines anderen Menschen sterben. Jedenfalls stellen wir uns das so vor und finden die Vorstellung schrecklich, wenn ein Mensch ganz allein sterben musste – ohne Nähe.</p><p>YOAKE NO SUBETE von Filmemacher Shô Miyake ist eine Auseinandersetzung mit Nähe und ihrer Macht, Menschen zu transformieren, auch über zwischenmenschliche Widerstände hinweg. Doch nicht nur Misa und Takatoshi haben hier ihre ganz persönlichen Lasten durch den Alltag zu schleppen. Ihr Chef ist Teilnehmer einer Selbsthilfegruppe für Suizid-Hinterbliebene. Alle in dieser Gruppe hatten enge Familienmitglieder, die ihrem Leben ein Ende setzten – allein.</p><p>Jetzt sitzt die Gruppe in einem Kreis zusammen und sucht in der Nähe der Anderen, um diese Tat zu verstehen und zu lernen, damit zu leben. Eine Gruppe eigentlich Fremder, denen die gegenseitige Nähe im Gespräch aber hilft, wieder Fuß zu fassen. Man tut sich gegenseitig gut.</p><p><i>Sterne.</i></p><p>Eines der neuesten Produkte der kleinen Firma soll ein aufblasbares Planetarium werden, das man einfach in einer Schulaula oder Sporthalle aufblasen und darin dann Astronomiestunden geben kann. Es ist an Misa und Takatoshi, dafür die wissenschaftliche Erzählung zu entwickeln. Nur kommen sie mit ihrem Skript nicht so wirklich weiter. Es fehlt etwas, eine zündende Idee, die über die reine Wissenschaft hinausgeht. Was sie noch nicht wissen: In der Garage der Firma lagert, was sie brauchen – endlose Stunden Tonbandaufzeichnungen von Astronomiestunden mit Kindern, kleine Planetenmodelle, zahllose Tagebücher und Notizen. Nur: Es darf eigentlich niemand der Mitarbeitenden wirklich in diese Garage. Dort geht nur der Chef hinein.</p><p>Es ist Takatoshi, der schließlich versteht, was hier los ist, als er eines Abends nach Büroschluss in die Arbeit zurückkehrt, um eine vergessene Sache zu holen. Er findet seinen Chef noch im Büro vor, allein und ein Gebet vor einem kleinen Porträtfoto zwischen Akten vorbereitend: Das Foto zeigt seinen Bruder, mit dem er einst die Firma gründete und der sich vor einiger Zeit das Leben nahm. Takatoshi steigt in diese kleine Zeremonie einfach mit ein, füllt das kleine Glas Reiswein, das symbolisch als Gabe an den Toten gereicht wird. Und hält zusammen mit seinem Chef Andacht. Nur ein kleiner Akt der Nähe, der aber neue Wege öffnet – auch zur Garage und damit in gewisser Weise zum Sternenhimmel.</p><p>Es sind diese wunderschönen und berührenden kleinen Motive wie dieses, mit denen Shô Miyake seine Geschichte erzählt. Die große Emotion kommt höchstens mal zum Tragen, wenn Misa ausrastet, aber diese Explosionen werden weniger, auch dank der Unterstützung von Takatoshi. Und er wiederum gewinnt dank ihr die Kraft zurück, sich seinen Angstmomenten wenigstens zu stellen. Die große Heilung, die Erlösung vom Leiden, findet in den 199 Minuten von YOAKE NO SUBETE nicht statt.</p><p>Warum auch? Dinge ändern sich nicht von jetzt auf gleich, auch wenn Filmgeschichten die Neigung haben, anderes zu behaupten und Menschenschicksale aller Art gerne mal mikrowellieren. Shô Miyake entwickelt seine Geschichte dagegen faszinierend entspannt und mit großer Ruhe.</p><p><i>Safe Space.</i></p><p>Ein Großteil der Handlung spielt in geschlossenen und kleinen Räumen, meist in dem kleinen Büro der Firma oder den Wohnungen von Misa und Takatoshi. Auch die Kamera wagt selten den großen Bildausschnitt. Es bleibt alles eher nah und durchzogen von Geborgenheit – dabei aber trotzdem ungemein kinoaffin in den Bildern.</p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEj1mJO7G0wvJSGqRNnEWtCmMB1hqvRrvaI0qx36u5J7Ivme6p8Mnh21ufeRfOtK-5NLZ5rpIqhZcnUiOisx1hFHImc9A1WhL-_y_1rbOGSibiN5Hhra9ZFMWBhm6AoVMgq4t6_UxOPbnOZV2B3jkoP5jYFp475TUXFxZ-Ni0c8HPhZGqfrBdnR6/s1280/filmanzeiger-berlinale-forum-Yoakenosubete--foto-MaikoSeo-AlltheLongNightsFilmPartners-IFB2024.jpg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="853" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEj1mJO7G0wvJSGqRNnEWtCmMB1hqvRrvaI0qx36u5J7Ivme6p8Mnh21ufeRfOtK-5NLZ5rpIqhZcnUiOisx1hFHImc9A1WhL-_y_1rbOGSibiN5Hhra9ZFMWBhm6AoVMgq4t6_UxOPbnOZV2B3jkoP5jYFp475TUXFxZ-Ni0c8HPhZGqfrBdnR6/s16000/filmanzeiger-berlinale-forum-Yoakenosubete--foto-MaikoSeo-AlltheLongNightsFilmPartners-IFB2024.jpg" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Yoake no subete: Takatoshi und Misa | (c) Foto: Maiko Seo/All the Long Nights Film Partners/IFB 2024</td></tr></tbody></table><p>Ein Kammerspiel ist YOAKE NO SUBETE nein, dessen Hermetik, die gerne auch mal klaustrophobisch wird, ist diesem Film fremd. Vielmehr kreiert Shô Miyake Safe Spaces für seine Figuren. Es sind Orte, an denen sie Schutz finden vor den Zumutungen der modernen japanischen Gesellschaft, aber ebenso sind es Räume, in denen sie in der Nähe von anderen Menschen aufblühen und wieder einen Tritt finden können in Leben, die ihnen eben noch zu entgleiten schienen.</p><p>Dieser Film ist kein Liebesfilm. Niemand ist hier jemandes Love Interest. Aber es ist trotzdem eine Liebeserklärung – an dieses machtvolle Ding namens Nähe. Das uns in den unmöglichsten Momenten und Konstellationen begegnen und helfen kann, wenn wir es am nötigsten brauchen. Und das Großartige an Nähe ist – sie ist immer da, überall. Wie die Sterne. Wir müssen sie nur sehen – wollen. Was für ein im besten Sinne bezaubernder Film.</p><div>YOAKE NO SUBETE; Shô Miyake; Japan 2024; 119'; 35mm-Film; Forum</div><h2>16. Februar 2024, 23.10 Uhr: Gestrüpp</h2><p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Das Glück von LA HOJARASCA ist, dass irgendwann während der Dreharbeiten ein Vulkan auf Gran Canaria ausbrach und fortan Kamera und Mikro in seinen Bann zog. Andernfalls wäre diese dokumentarische Annäherung an ein Trio alter Geschwister und ihren Krampf mit einem riesigen, verwunschenen Stück Land auf der Insel vollends daran verunglückt, dass die Filmemacherin keinen brauchbaren Zugang zum Stoff zu entwickeln vermag, genauso wenig wie sie es schafft, Bilder dafür zu finden. Verschenkt.</span></p><p style="text-align: left;"><span>▪︎ Berlinale Forum</span><span style="font-weight: normal;"><br /></span></p><h2 style="text-align: left;">16. Februar 2024, 21.03 Uhr: Erdmännchen bei Cherson</h2><div><div>Wollte man REDAKTSIYA in wenigen Worten paraphrasieren, dann wie folgt: Wenn die Ukrainer nicht gezwungen sind, gegen einen vernichtungswilligen Angreifer Krieg zu führen, dann führen sie mit Vorliebe Kleinkriege gegeneinander.</div><div><br /></div><div>Jura ist Biologe in einer Stadt irgendwo in der südlichen Ukraine. Sein Interesse gilt einer vom Aussterben bedrohten Art Erdmännchen, die in den Kiefernwäldern und Dünen rund um die Stadt leben – sollen. Wenn es ihm gelingt, die Tiere nachzuweisen, könnte die ganze Region ins Netzwerk Europäischer Habitate aufgenommen und damit besser geschützt werden. Doch das Erdmännchen zeigt sich ihm nicht, dafür Männer, die die Wälder in Brand setzen. Jura kann die Täter während ihrer Tat dokumentieren, doch sein Versuch, sie zur Strecke zu bringen, setzt eine Kaskade absurdester Begegnungen, Kollisionen und Wendungen in Gang, bei denen niemand gewinnt oder höchstens die Falschen. Denn Juras Heimatstadt steht kurz vor den Bürgermeisterwahlen.</div><div><br /></div><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEg1WNz6Ov-fawkOtjpvbC_68mHSnNeuzKte9ZTXberY5-uUczPqEVBkl5xP9MEX8RepiAJQ2V7Vz_ONLgM92qb-zD8gS4EYvi0hrK40DpR5IbP1ejEwtWshCiL33Je938vJks5FzHr26G4V7iWjxd2HtXCzgDUyPnpV7i2OEyGygcZaHuxGFORQ/s1280/filmanzeiger-berlinale-ifb-forum-Redaktsiya--Foto-MoonManFilmproduction-IFB2024.jpg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="853" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEg1WNz6Ov-fawkOtjpvbC_68mHSnNeuzKte9ZTXberY5-uUczPqEVBkl5xP9MEX8RepiAJQ2V7Vz_ONLgM92qb-zD8gS4EYvi0hrK40DpR5IbP1ejEwtWshCiL33Je938vJks5FzHr26G4V7iWjxd2HtXCzgDUyPnpV7i2OEyGygcZaHuxGFORQ/s16000/filmanzeiger-berlinale-ifb-forum-Redaktsiya--Foto-MoonManFilmproduction-IFB2024.jpg" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Jura unterwegs für die Gerechtigkeit, oder so | (c) Foto: Moon Man Filmproduction/IFB 2024</td></tr></tbody></table><div>REDAKTSIYA ist eine Art leicht vergifteter Liebeserklärung von Filmemacher Roman Bondarchuk an die ukrainische Gesellschaft und seine Heimat, die südliche Ukraine und die Stadt Cherson. Gedreht kurz vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine. In seinen besseren Momenten zeigt sich diese beißende Satire als kritische, klug beobachtende, engagierte und nicht zuletzt hoffnungsvolle Auseinandersetzung mit Korruption, Opprtunismus, Falschheit, Machthunger, Medienmissbrauch und den Grenzen des Idealismus.</div><p style="text-align: left;">In seinen schlechteren Momenten gerinnt Roman Bondarchuks Film zu einer zähen, klamottigen und enervierend zynischen Farce, die in den satten 126 Minuten Laufzeit vor allem mit ihrem fehlenden Timing nervt. Nur wenig zündet hier. Man versteht die Skurrilität und den Sarkasmus, aber es ist eher ein trocken-analytisches Verstehen denn ein Räsonieren im Bauch. Mehr Präzision und ein schärferes Redigat des Scripts hätten diesen im Ansatz sehr spannenden Film gerettet. </p><p style="text-align: left;">▪︎ Berlinale Forum</p></div><h2 style="text-align: left;">15. Februar 2024, 23.45 Uhr: Mariette, Carlo, Claudia und Tricia</h2><p>Rückblickend betrachtet war es vielleicht einfach zu ideal, um eine längere Zukunft zu haben: Eine versierte Fachfrau der Filmwirtschaft und ein renommierter Filmjournalist und Festivalmacher führen zusammen eines der wichtigsten Festivals im internationalen Festivalkalender. Im Frühjahr 2019 übernahmen Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian von Dieter Kosslick eine recht biedere, programmtechnisch aufgeblähte Veranstaltung namens Berlinale, die mit der vorgeblichen Prämisse des politischen Filmfestivals enervierend selbstgenügsam wurde und die sinkende Qualität auf der Leinwand dafür scheinbar gerne in Kauf nahm.</p><p>Ehrlicherweise muss man sagen, Chatrian und Rissenbeek hatten im Grunde nur ein Jahr, um eine eigene Erzählung für eine Berlinale unter ihrer Verantwortung zu entwickeln – dann schlug die Pandemie zu, und alle Zukunftspläne waren faktisch Makulatur.</p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhEm-P_NmHhfoktE8RxAwWDkhMSQMe6q7AGK4Pox9XBJHPDEOVIweyHWK5AhmbKM6ciG7-MV0vEcvb7bmXtnSFybapg9bDaiukOZ0fjoDH8PZW_u4v36EgtK4Hb-cDyOXQjoN-SFWoja3221UfUaNQRowF7kNOclqnyhkwEK4HPdhoXdqMn5_H4/s3508/filmanzeiger-berlinale-ifb-rissenbeek-chatrian-2024--foto-DirkMichaelDeckbar-Berlinale2024.jpg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="2339" data-original-width="3508" height="426" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhEm-P_NmHhfoktE8RxAwWDkhMSQMe6q7AGK4Pox9XBJHPDEOVIweyHWK5AhmbKM6ciG7-MV0vEcvb7bmXtnSFybapg9bDaiukOZ0fjoDH8PZW_u4v36EgtK4Hb-cDyOXQjoN-SFWoja3221UfUaNQRowF7kNOclqnyhkwEK4HPdhoXdqMn5_H4/w640-h426/filmanzeiger-berlinale-ifb-rissenbeek-chatrian-2024--foto-DirkMichaelDeckbar-Berlinale2024.jpg" width="640" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Rissenbeek und Chatrian bei der Vortellung ihres letzten gemeinsamen Programms 2024 | (c) Foto: Dirk Michael Deckbar/Berlinale 2024</td></tr></tbody></table><br /><p>In der Folge reihten sich zwei Jahrgänge aneinander, die mit Ausnahmezustand freundlich beschrieben sind. Filmisch gleichwohl trotz der widrigen Umstände bedeutend spannender als vieles in den „Wir machen Festival als trutschige Kücheneckbankzusammenkunft“-Ausgaben unter Kosslick. Was aber auch an einigen überfälligen Personalveränderungen in den zentralen Sektionen Panorama und Forum lag.</p><p><b>Nach der Pandemie: Krise statt Normalzustand</b></p><p>Erst 2023 kehrte in die Berlinale wieder so etwas wie ein Normalzustand ein – zumindest was Pandemie-Prävention betraf. Wirtschaftlich schlug die Pandemie dafür weiter voll durch und zeigte sich im zunehmenden Mangel an Sponsoren. Sponsorengelder finanzieren wesentlich mehr als nur immer irrwitzigere Modelle von Berlinale-Taschen im Pseudo-Öko-Chic. Diese Geldmittel tragen bedeutend dazu bei, dass ein Festival dieser Größe finanziell und organisatorisch leistbar wird – vor allem, wenn die Bundesrepublik als Veranstalterin die Grundfinanzierung eher prekär gestaltet.</p><p>Mit dem Regierungswechsel und dem Ausscheiden von Monika Grütters kam eine Ministerin ins Amt, deren Ruf als kenntnisreiche Fachfrau und große Wertschätzerin der Filmkunst wie der Filmwirtschaft inexistent ist – Claudia Roth.</p><p>Grütters Meriten lagen freilich auch eher woanders, aber sie hatte sich insbesondere im Herbst ihrer Amtszeit zumindest eine Spur von Ansehen als ehrliche Brokerin für das Festival erarbeitet, nicht zuletzt war ihr die Abschaffung des unsäglichen Intendantenmodells à la Kosslick zu verdanken. Auch berief sie mit Chatrian einen künstlerischen Leiter, der den Begriff Filmkunst inhaltlich wirklich zu füllen vermochte. Alles Geschichte.</p><p><b>Einmalig. Hochnotpeinlich. Claudia.</b></p><p>In einem geradezu vor Missachtung triefenden Prozess stellte Claudia Roth 2023 Chatrian de facto den Stuhl vor die Tür und zog damit den Groll von in der Filmwelt nicht gänzlich unbekannten Menschen wie Martin Scorsese auf sich. Ein einmaliger und hochnotpeinlicher Vorgang.</p><p>Rissenbeek hatte schon vorher bekundet, aufzuhören. Vorgeblich, um ihren Ruhestand endlich beginnen zu können, wahrscheinlich dürfte die finanziell problematische Situation des Festivals zu Rissenbeeks Entscheidung beigetragen haben. Sponsoren-Elend, steigende Kosten und eine Veranstalterin, welche sich enorm schwer damit tut, dem Festival eine berechenbare und auskömmliche Finanzierung bereitzustellen. Warum sollte man sich so etwas antun?</p><p>Der Festivaljahrgang 2023 war schon nur noch dank zusätzlicher finanzieller Mittel aus dem Fördertopf „Neustart Kultur“ in einer halbwegs pre-pandemischen Form möglich. Für 2024 ist dieses Geld nicht mehr verfügbar, während die Kosten weiter gestiegen sind. Das brachte selbst Claudia Roth zu der Erkenntnis, dass sie irgendetwas unternehmen musste, und so mobilisierte sie zwei zusätzliche Millionen Euro aus ihrem Etat – ein kleines Pflaster für eine große finanzielle Wunde. Eine echte Wundheilung? Nicht in Sicht. In der Konsequenz schafften Rissenbeek und Chatrian gleich zwei Sektionen ab und desavouierten bei der Gelegenheit gleich die just ins Amt berufene neue Sektionsleiterin für die nun abgeschaffte Perspektive Deutsches Kino, Jenny Zylka.</p><p>Mit 233 Filmen im offiziellen Programm rangiert die Festivalausgabe 2024 nur knapp vor der ersten Pandemieausgabe in Präsenz – 229 Filme liefen im Nur-50%-Auslastung-Festivaljahrgang 2022. Lediglich die digitale „Industrieausgabe“ 2021 hatte noch weniger Filme im Programm.</p><p><b>Welche Relevanz hat das noch?</b></p><p>Um nicht falsch verstanden zu werden: Niemand, schon gar nicht der Autor dieser Zeilen, wünscht sich die Kosslick’schen Exzesse mit über 430 Filmen im Programm zurück. Weniger Masse, mehr Klasse, mehr Konzentration war für die Berlinale dringend erforderlich, und Chatrian/Rissenbeek haben genau hier manches geschafft und einige Verdienste errungen.</p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhEB8W3eUDkEC5YlpEE_0jz5LJig6OmVyaIJhSBv8ne0CDBqsmUFJoXFlBcoldlJ_IsHvIdpIQNMJeyJ2qVa6bEUXkSkljv2_M7kxYR0CX2AArSzJvVNrL3UXuoOzttZ0_53ZEZftjtcIuTD9yuAabib5yScnsb9h1Rt4kxLoxweE94281EnLz4/s2800/filmanzeiger-berlinale-ifb-zahlen.png" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="1400" data-original-width="2800" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhEB8W3eUDkEC5YlpEE_0jz5LJig6OmVyaIJhSBv8ne0CDBqsmUFJoXFlBcoldlJ_IsHvIdpIQNMJeyJ2qVa6bEUXkSkljv2_M7kxYR0CX2AArSzJvVNrL3UXuoOzttZ0_53ZEZftjtcIuTD9yuAabib5yScnsb9h1Rt4kxLoxweE94281EnLz4/w640-h320/filmanzeiger-berlinale-ifb-zahlen.png" width="640" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Zahlen bitte: Entwicklung der Menge der Filme im offiziellen Berlinale-Programm seit 2013 | Grafik: filmanzeiger</td></tr></tbody></table><p>Aber wenn die Zahl der Programmeinträge nun plötzlich erheblich schrumpft und gleichzeitig die Zahl der Einreichungen wächst (über 8.000 für 2024), stellt sich am Ende eben doch die Frage, ob die überschaubare Auswahl noch ausreicht, um einen halbwegs brauchbaren Eindruck vom Status quo filmkünstlerischen Schaffens im Frühjahr eines Filmjahres zu vermitteln. In anderen Worten: Welche Relevanz hat das noch, was wir jetzt im Programm vorfinden?</p><p>Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian kann es jetzt eigentlich egal sein (auch wenn es ihnen wahrscheinlich nicht egal sein wird). Sie durchleben die letzten Tage und Wochen ihrer Arbeitsverträge mit der Bundesrepublik Deutschland. Sie müssen nun gute Miene spielen und am Roten Teppich für schöne Fotomomente sorgen.</p><p>Ihre Nachfolgerin ist es, die sich schon jetzt schon sorgen sollte. Und sie darf sich diese Sorgen quasi allein machen, denn dank Claudia Roth ist Tricia Tuttle die neue alleinige Intendantin, und die Berlinale kehrt ab April 2024 zurück ins Intendantenmodell à la Kosslick, de Hadeln und Co. </p><p>Rückschritt als Fortschritt – die Dialektik der Claudia R.</p><p><b>Tricia Tuttles Sorgenliste</b></p><p>Zu Tuttles Sorgenliste gehört neben der wirtschaftlichen Krise eine weitere Verschlimmerung der Kinosituation. Das Siechtum des Gewerbegebiets Potsdamer Platz setzt sich Ende 2024 fort, wenn Kino Arsenal, Kinemathek und DFFB das sog. Filmhaus verlassen.</p><p>Das Arsenal wird dann bis zur Fertigstellung seines neuen Quartiers in Wedding heimatlos sein, und das Forum wie auch der European Film Market somit eine weitere Spielstätte verlieren. Sicher ist ebenso, dass auch das Kino International, eine der wichtigsten (und größten Spielstätten) des Festivals, fehlen wird. Es schließt für eine Grundsanierung und dürfte wohl erst irgendwann 2026 wieder öffnen.</p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiFG0oEK_GKJ3CbZ7Qs9JOWnrJrf0sYx6joRjCoFrtNyV7MBSAGwYr93EbubGh-Tq2XJQUncYKeBG62rP3KFRB6Vnb9TdgsFqeP6W6Z2S4FSx7c-r56mKG1nFJ3ej2LO1uXluZD1jQwXDH34Vp4H8cPdLHg7rKicRFViRrSNvg5cPNzk6_ZKcSA/s4080/filmanzeiger-berlinale-ifb-potsdamerplatz-zukunft-sonycenter.jpg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="3072" data-original-width="4080" height="482" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiFG0oEK_GKJ3CbZ7Qs9JOWnrJrf0sYx6joRjCoFrtNyV7MBSAGwYr93EbubGh-Tq2XJQUncYKeBG62rP3KFRB6Vnb9TdgsFqeP6W6Z2S4FSx7c-r56mKG1nFJ3ej2LO1uXluZD1jQwXDH34Vp4H8cPdLHg7rKicRFViRrSNvg5cPNzk6_ZKcSA/w640-h482/filmanzeiger-berlinale-ifb-potsdamerplatz-zukunft-sonycenter.jpg" width="640" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Die Zukunft des Centers im Gewerbegebiet, laut Werbebanner auch mit irgendwas mit Kino – irgendwann | (c) Foto: filmanzeiger</td></tr></tbody></table><p>Angeblich soll im ehemaligen Sony-Center wieder ein Kino entstehen, dort fand sich mit dem Cinestar bis 2019 eine der wichtigsten Spielstätten des Festivals. Doch ob dann (irgendwann) im selben Umfang wie früher Platz zur Verfügung steht – unklar. Beschaut man sich, was aus der ehemals ebenfalls zentralen Spielstätte CinemaxX am Potsdamer Platz geworden ist, sind Zweifel angebracht: Während einer mehrjährigen Sanierung sind dort nahezu alle Kinosäle de facto kastriert und teilweise um die Hälfte ihrer Plätze reduziert worden.</p><p><b>Zum Finden verdammt</b></p><p>Die neue Chefin des größten Publikumsfilmfestivals der Welt steht also vor gleich drei riesigen Suchbewegungen: Sie muss Filme finden (oder Leute, die Filme finden), die das endlich wieder steigende filmkünstlerische Niveau der Berlinale weiter heben. Sie muss neue Kinos finden, um die Identität des Publikumsfestivals Berlinale weiterhin mit Leben füllen zu können. Und sie muss Geld finden, um das alles zu bezahlen. Im Grunde ein unmöglicher Job, den Tricia Tuttle im April antreten wird.</p><p>Immerhin: Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass Claudia Roth zur Berlinale 2026 nicht mehr als Kulturstaatsministerin dient. Aber wird Tricia Tuttle dann noch Intendantin sein? Oder wirft sie Claudia Roth die Brocken vorher wieder vor die Füße?</p><div class="blogger-post-footer">| filmanzeiger.de |</div>filmanzeigerhttp://www.blogger.com/profile/07608769428649714067noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-32184591.post-8898744210396774752024-02-24T02:40:00.002+01:002024-02-24T03:50:05.673+01:00Berlinale 2024: „THE VISITOR“ | Bruce LaBruce ist am Ende<p><i>Bruce LaBruce, einst zurecht gefeiert für seine radikale Fusion von Sex und Politik, kocht mit seinem neuesten Werk, THE VISITOR, erneut die Suppe der Kontroverse. Doch hinter der Fassade expliziter Darstellungen und provokanter Botschaften wird nun ein ehemaliger Avantgardist sichtbar, dessen filmisches Erzählen inzwischen so altbacken wie abstoßend wirkt. Eine Anklage.</i></p><hr /><p><b>Im</b> Berlinale Panorama 2004 war ein kanadischer Filmemacher zu Gast, der zu seiner Zeit bereits ein faszinierendes Oeuvre vorweisen konnte und dabei vor allem Menschen damit aufregte, dass er klassische Formen filmischer Narration mit explizitem Sex fusionierte. Sex als Ausdrucksmittel des Körpers, der begehrende, der aufgegeilte, der fickende Körper als Träger der Erzählung. Zu seiner Zeit war das, obwohl wir über die 2000er sprechen, immer noch ein Affront. Bruce LaBruce.</p><p><a href="https://www.berlinale.de/external/programme/archive/pdf/20042339.pdf" target="_blank">RASPBERRY REICH</a> war ein Film, der dem Publikum keine Kompromisse erlaubte. Entweder ließ man sich von dieser irren und politisch erfrischend schamlosen Versuchsanordnung eines schwulen RAF-Reenactments anstecken, oder man verließ das Kino. Radical Chic.</p><p>LaBruce nahm Motive der RAF und ihres Aktivismus/Terrors auf und drehte sie durch den schwulen Fleischwolf. Er erzählt die Entführung eines Bankierssohns, der sich jedoch recht schnell mit den Schwänzen seiner Entführer anfreundet. Im Zentrum aber steht die Anführerin der radikalen Zelle, Gudrun, gespielt von der einzigartigen Susanne Sachsse, die durchweg den Schwanz eines ihrer Kameraden heimsucht und zugleich dem Publikum den Agitprop einer schwulen Revolution entgegenbrüllt. Phrasen, zusätzlich illustriert mit leinwandfüllenden großen Lettern.</p><p><b>Schwule Umcodierung der RAF</b></p><p>RASPBERRY REICH bürstete lustvoll gut gepflegte Diskurs-Heiligtümer der Bundesrepublik gegen den Strich: Während das (konservative) deutsche Bürgertum viel Energie in die Dämonisierung der linken RAF und überhaupt alles Linken investierte, romantisierten weite Teile der alten Linken die tödliche Gewalt der RAF, ihre „Inhalte“ waren sowieso unstrittig. Dass im Zentrum der RAF ein heterosexueller Macho stand, störte beide Seiten nicht. Hier setzte Bruce LaBruce an und nahm nicht weniger als eine veritable schwule Umcodierung vor. RASPBERRY REICH, bis heute ein großartiger, ja zeitloser Film.</p><p>Fickende Körper, das RAF-Sujet, aber auch Zombies sollten in den folgenden 20 Jahren bestimmend bleiben für die Filme von Bruce LaBruce – in Berlin respektive im Kontext der Berlinale. In Venedig derweil, wo LaBruce in den letzten zehn Jahren ebenfalls mehrere Spielfilme vorstellte, scheint ein Namensvetter am Werk zu sein.</p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEga3msra3fR-ldMhyrxpzrFPSQXTLG8i_sUPb6LzH3OUYxYJ-ZvxIVKi1BXKny2gNJ7M67DrLQuzu8UsLIEbzlNF_cTsSnFLz-LkpY2uVUClVSUwnUXAWqgJRj6OD89Qxa6Cr_IZU62bnQZwaRubd7YtW3101NPzaXhKtiMZxqnhb_pGUCLk5Ge/s1280/filmanzeiger-berlinale-thevisitor-brucelabruce--foto-apolitical-salzgeber.jpg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="853" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEga3msra3fR-ldMhyrxpzrFPSQXTLG8i_sUPb6LzH3OUYxYJ-ZvxIVKi1BXKny2gNJ7M67DrLQuzu8UsLIEbzlNF_cTsSnFLz-LkpY2uVUClVSUwnUXAWqgJRj6OD89Qxa6Cr_IZU62bnQZwaRubd7YtW3101NPzaXhKtiMZxqnhb_pGUCLk5Ge/s16000/filmanzeiger-berlinale-thevisitor-brucelabruce--foto-apolitical-salzgeber.jpg" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Besuch kündigt sich an – THE VISITOR | (c) Foto: Apolitical/Salzgeber</td></tr></tbody></table><p>2024. London. Ein nackter schwarzer Männerkörper steigt aus einem altmodischen Koffer, der am Ufer der Themse liegt. Wie er dorthin kommt – unbekannt. Vielleicht wurde er angespült. Der Körper schlüpft in das Zelt eines Wohnungslosen, schnappt sich dessen dreckige Klamotten, zieht sie an, streift durch die Stadt und landet in der Villa einer reichen Familie; Vater, Mutter, Sohn, Tochter – die Magd. THE VISITOR.</p><p><b>Pissen und Scheißen</b></p><p>Die Magd lässt ihn ein, führt ihn in die Küche. Sogleich lässt sie ihn in die Suppe pissen und auf einen Teller scheißen. Dinnertime. Er, der Besucher, sitzt mit bei Tisch, isst aber nichts. In diesen vielleicht zehn Minuten Laufzeit bündelt sich ein bunter Strauß visueller Topoi, die LaBruce in den letzten 20 Jahren aufgeboten hat: Ein nackter Body of Colour, der weltentrückt – wie ein Zombie – durch eine Stadt streift, das Zelt als sein erster Unterschlupf. Eine Gruppe von Menschen, versammelt um einen großen Esstisch, mit dem Patriarchen und der Matriarchin an den Stirnseiten des Tisches. OTTO; OR, UP WITH DEAD PEOPLE, L.A. ZOMBIE, THE MISANDRISTS.</p><p>In den folgenden vielleicht 50 Minuten sehen wir, wie der Körper nach und nach die ganze Familie fickt bzw. dazu verführt, sich gegenseitig zu ficken. Lediglich die Magd steht beim Sex auf ganz andere Dinge als Penetration. Jede sexuelle Sequenz ist dabei identisch in ihrem Aufbau: Begehren, Verführung, Sex, dazwischen blitzt Agitprop in großen Lettern über die Leinwand: „Open Borders, Open Legs“, „Sex Has No Borders“, „Invade My Ass“.</p><p>Sex im Kino kann unglaublich zäh und langweilig werden. Sex allein ist ein schlechter Erzähler. Eine gut funktionierende Sexszene in einer pornografischen Arbeit hat am Stück kaum mehr als 5-10 Minuten Länge. Alles, was länger dauert, muss sein Publikum schon durch besonders außergewöhnliche Performances, Bildgestaltung und Schnitt an sich binden. Das Konzept Pornokino funktionierte nur, weil es einen Zweck hatte – schneller Orgasmus. Und es starb just in dem Moment, als die Zuschauer:innen ein Medium an die Hand bekamen, bei dem sie vorspulen konnten. VHS.</p><p><b>Sex zum Sprechen bringen</b></p><p>Um das Vergießen von Körperflüssigkeiten geht es in THE VISITOR aber nicht, jedenfalls nicht aufseiten des Publikums. Und Bruce LaBruce war zwar stets einer der umtriebigsten, aber nicht unbedingt einfallsreichsten Pornografen. Es braucht also einen narrativen oder visuellen Einfall, eine Reagenz, um den Sex auf der Leinwand für den Kopf zu kontextualisieren und, wenn man so will, zum Sprechen zu bringen.</p><p>IN RASPBERRY REICH gab es das, denn de facto war diese Arbeit eine wütende Abrechnung mit Heteronormativität an sich und mit der Homophobie linker Bewegungen im Speziellen. THE VISITOR will vorgeblich eine Auseinandersetzung mit Großbritanniens Flüchtlingspolitik sein. Die Tonspur konfrontiert uns auch gleich zu Beginn unentwegt mit einer flüchtlingsfeindlichen Hassrede, die diverse Talking Points der Konservativen und Rechten in der britischen Politik zusammenmixt. In den Agitprop-Parolen der Sexszenen taucht das Motiv auf. Und natürlich sollen wir auch den Besucher als Geflüchteten lesen.</p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEg3KraCkiN0k4pdrt2VwGuXEDniIpZXSuYTu1QX7D2jDI58NHHg0JxR-9d52g7i1506PxiIC9TJTBuIUupfSK2fWs2viK1eU5z5UbFP5gR4gCb-F0ibxAgnZxYfE9prpxm2O0veQxNt6I8eePSvQWtOAeunfV7g77Flt0RV-zqv3zajzKbXjcBs/s1280/filmanzeiger-berlinale-panorama-thevisitor-brucelabruce--foto-apolitical-salzgeber.jpg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="853" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEg3KraCkiN0k4pdrt2VwGuXEDniIpZXSuYTu1QX7D2jDI58NHHg0JxR-9d52g7i1506PxiIC9TJTBuIUupfSK2fWs2viK1eU5z5UbFP5gR4gCb-F0ibxAgnZxYfE9prpxm2O0veQxNt6I8eePSvQWtOAeunfV7g77Flt0RV-zqv3zajzKbXjcBs/s16000/filmanzeiger-berlinale-panorama-thevisitor-brucelabruce--foto-apolitical-salzgeber.jpg" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">THE VISITOR: Vier weiße Körper, das andere Fleisch begehrend | (c) Foto: Apolitical/Salzgeber</td></tr></tbody></table><p>Aber genau hier liegt das Problem: <i>WIR</i> sollen das so lesen. Eine wirkliche Etablierung, eine irgendwie Bindung entfaltende Zeichnung der Figur findet nicht statt. Viel zu sagen hat der Besucher sowieso nicht. Bindungswirkung für den Kopf entsteht hier nirgends. Eine Auseinandersetzung? Keinesfalls. Eher schon: eine Behauptung von Story, draufgeklatscht auf Sexszenen.</p><p><b>Pornografie jenseits der Massenware</b></p><p>Nachdem der Besucher also die ganze Familie durchgefickt und vulgo befreit hat (vorgeblich ist THE VISITOR übrigens eine Interpretation von Pasolinis THEOREMA), schwärmt diese aus in ihre neuen Leben der befreiten Lust. Vater fickt Twinks im Wald, Mutter rödelt an einem fremden Kerl auf einem Friedhof herum und lässt sich dann von diesem in einer Kirche ans Andreaskreuz hängen. Begehren im Kontext von Kirche und Friedhof, noch so ein Motiv einer früheren LaBruce-Arbeit: DIABOLO IN MADRID für das schwule Pornolabel Cockyboys. Das sexuelle Element von THE VISITOR verkommt vollends zur enervierenden Litanei.</p><p>Anders als Bruce LaBruce hat sich die Pornografie jenseits der kommerziellen Massenware weiterentwickelt. Neue Formen, neue Körper, neue Bilder prägen heute die Arbeiten, wie sie nun auf den in den letzten 20 Jahren überall auf der Welt entstandenen Pornfilmfestivals zu erkunden sind.</p><p>Es ist eine neue globale Filmsprache, die Sinnesfreude, Lust und vielgestaltige Formen von Kink und Fetisch vermählt hat mit Achtung, Respekt und Repräsentanz diversester Körper. Ein eigener visueller Kosmos, ausdrücklich sexpositiv, irritierend für jene, die damit nicht vertraut sind und deren Vorstellung von Pornografie bei Pornhub endet.</p><p><b>Filmischer Missbrauch</b></p><p>Bruce LaBruce, das spürt man, sucht den Anschluss an diesen Kosmos. Er leiht sich sogar die Performer aus (Bishop Black, Hauptdarsteller in THE VISITOR, ist ein Kind dieses Kosmos) und nimmt ihre Interpretationen von Kink in den Fokus seiner Kamera. Allein, er versteht offenbar nicht, was er da sieht und was diesen Kosmos neuer pornografischer Erzählungen konstituiert. Schlimmer noch, in gewisser Weise vollzieht er eine Art Instrumentalisierung dieses Kosmos für eigene Zwecke, seinen Radical Chic. In THE VISITOR muss dieser Kosmos als Brandbeschleuniger für den scheinbar unstillbaren Hunger eines Filmemachers nach Affront, Tabubrüchen und Skandal herhalten.</p><p>Es ist ein filmischer Missbrauch sexpositiver Bilderwelten, den kein:e Intimacy Coordinator:in verhindern kann, ganz egal, wie groß der Name der verantwortlichen Intimacy Coordinatorin auch in den Credits geschrieben sein möge (in THE VISITOR groß, so wie alles andere auch).</p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEguKr3vl0236C4yg5wYvNeP41G42Q62hnKOT-FM3GWLbU8pXVl4EWmYLlk3qPuN5EOQa8yxu5QFLuasYp4ja6QuZJsUquBX25ymwq8-2Q_jfhAA_el53tOGWE1dMgdT5_eTwCj5-J7FteV9JL1fI1QE8qyqC1CktR7Fft8Xysn45h96b_lYBVnh/s1280/filmanzeiger-berlinale-panorama-bishopblack-thevisitor-brucelabruce--foto-apolitical-salzgeber.jpg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="853" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEguKr3vl0236C4yg5wYvNeP41G42Q62hnKOT-FM3GWLbU8pXVl4EWmYLlk3qPuN5EOQa8yxu5QFLuasYp4ja6QuZJsUquBX25ymwq8-2Q_jfhAA_el53tOGWE1dMgdT5_eTwCj5-J7FteV9JL1fI1QE8qyqC1CktR7Fft8Xysn45h96b_lYBVnh/s16000/filmanzeiger-berlinale-panorama-bishopblack-thevisitor-brucelabruce--foto-apolitical-salzgeber.jpg" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">THE VISITOR – Der Besucher bei der Arbeit | (c) Foto: Apolitical/Salzgeber</td></tr></tbody></table><p>Doch hier drängt sich noch ein weiterer Missbrauch auf: Wie kommt es, dass der einzige Body of Colour im Cast die wenigsten Zeilen hat? Wieso wird ihm die Rolle des Sexbunnys zugewiesen, der wie am Fließband den weißen Körpern beizugehen hat? Je länger man über diese Arbeit nachdenkt, desto problematischer wird es.</p><p><b>Für das Panorama reicht es noch</b></p><p>Bruce LaBruce war im Programm des Berlinale Panoramas 2004 nicht der einzige nicht-heterosexuelle Filmemacher, der explizite Sexualität einsetzte: Todd Verow, der zuvor bereits einige Filme im Forum gezeigt hatte, präsentierte in jenem Jahr seinen <a href="https://www.berlinale.de/external/programme/archive/pdf/20040159.pdf" target="_blank">ANONYMOUS</a>. „Ich wollte einen Film über Beziehungen machen und darüber, wie vielschichtig und letztlich unmöglich eine monogame Sexualität ist“, gab Verow damals dem Katalog der Berlinale zu Protokoll.</p><p>Verow, ein Auteur wie LaBruce, hat sich seit ANONYMOUS enorm weiterentwickelt. Mit einer sprachlos machenden Energie fertigt er unermüdlich Filme, deren Stil inzwischen genauso ausdifferenziert wie einzigartig ist. Verow ist ein enorm kluger und genauer Beobachter schwuler Realitäten im Heute. Seine Filme spiegeln das auf ihre Weise und ergründen nicht selten Abgründe, die im Queer Cinema und allem, was dafür gehalten oder als solches vermarktet wird, nicht zu finden sind.</p><p>Im Oktober 2023 präsentierte er im Pornfilmfestival Berlin seine jüngste Arbeit, den Psychothriller <a href="https://blogs.taz.de/filmanzeiger/2023/10/30/dont-kill-me/" target="_blank">YOU CAN'T STAY HERE</a>. Eine sinistre Auseinandersetzung mit dem Ur-Trauma schwuler Männer – dem Verstoßen und Verfolgtwerden durch die Mutter für das, was man(n) ist.</p><p>In derselben Festivalausgabe war auch Bruce LaBruce mit seinem THE VISITOR zu Gast. Doch während Verow de facto als einer der Headliner des Festivaljahrgangs unterwegs war, wurde LaBruce als namenlose 23:59 Uhr Sneak Preview versteckt. Rückblickend ist das absolut nachvollziehbar: Die Kurator:innen des Pornfilmfestivals Berlin (darunter der RASPBERRY-REICH-Produzent Jürgen Brüning) wären völlig zurecht dafür verrissen worden, hätten sie das regressive Machwerk THE VISITOR ganz normal im regulären Programm präsentiert.</p><p>Für das Berlinale Panorama indes hat es gereicht. Das sagt einiges über den Zustand dieser Sektion im Jahr 2024.</p><p>THE VISITOR | UK 2024 | Bruce LaBruce | 101' | Panorama</p><div class="blogger-post-footer">| filmanzeiger.de |</div>filmanzeigerhttp://www.blogger.com/profile/07608769428649714067noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-32184591.post-10313748823618520512024-02-22T12:32:00.001+01:002024-02-22T12:32:20.799+01:00Berlinale 2024: „MIT EINEM TIGER SCHLAFEN“ | Kunst aus dem Körper<div style="text-align: center;">
</div><p><i>Maria Lassnig gehörte zu den einflussreichsten und prägendsten Künstler:innen Österreichs. Ihr Stil war dabei so einzigartig wie ihr Leben, kein Wunder, war Lassnigs Zugriff auf ihr künstlerische Schaffen tief verbunden mit dem Erspüren und Einfühlen in ihren Körper. Auf der Berlinale 2024 präsentierte die Filmemacherin Anja Salomonowitz nun eine zutiefst fesselnde, fast immerive Annäherung an diese außergewöhnliche Kunstschaffende: MIT EINEM TIGER SCHLAFEN</i></p><div style="text-align: center;">
<hr style="width: 85%;" />
</div><p><b>95 Jahre</b> Künstlerinnenleben in einem Film – Filmemacherin Anja Salomonowitz und Darstellerin Birgit Minichmayr stellen in ihrem MIT EINEM TIGER SCHLAFEN etwas Beeindruckendes an: Sie ziehen gleich drei Bewegungen individueller Emanzipation parallel, um eine faszinierende Persönlichkeit für die Leinwand lebendig zu machen.</p><p>MIT EINEM TIGER SCHLAFEN erzählt vom Leben der österreichischen Malerin Maria Lassnig. Wenn man so will, ist es ein Biopic, aber doch dabei irgendwie auch mehr. Zum einen wären da Lassnigs Bilder (und nicht nur die), die in steter Abfolge die Leinwand übernehmen und uns einladen, ihr Werk auch vor der biografischen Folie zu lesen.</p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhbQQqfloXNKgqDqWMYZx8JczOcMakSy3rFXtrnYKh8n_5M6EUKdtcHETKh9JGUt4m_tYUcqDsj1EXDW4rSFtn8DXE6yRT-MghGqTRgJWxRMmrY2MSxsoCuTiHQLIm7-BbCL_73CBQ13RVygE2-TMJFmbM7mk5Rzs-d7FLcoo5RXPTgfkFvH8Jq/s1280/filmanzeiger-berlinale-forum-miteinemtigerschlafen-marialassnig--foto-coop99Filmproduktion-IFB2024.jpg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="853" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhbQQqfloXNKgqDqWMYZx8JczOcMakSy3rFXtrnYKh8n_5M6EUKdtcHETKh9JGUt4m_tYUcqDsj1EXDW4rSFtn8DXE6yRT-MghGqTRgJWxRMmrY2MSxsoCuTiHQLIm7-BbCL_73CBQ13RVygE2-TMJFmbM7mk5Rzs-d7FLcoo5RXPTgfkFvH8Jq/s16000/filmanzeiger-berlinale-forum-miteinemtigerschlafen-marialassnig--foto-coop99Filmproduktion-IFB2024.jpg" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">MIT EINEM TIGER SCHLAFEN: Vor der leeren Leinwand stehend – das gibt keine Kunst | Foto: Coop99 Filmproduktion/IFB 2024</td></tr></tbody></table><p>Zum anderen schwenkt die filmische Erzählung wiederholt und mitten in einer Szene plötzlich ins Dokumentarische, und Zeitzeugen oder Nachfahren von Zeitzeugen übernehmen für einen Moment die Szenerie und die Erzählung dessen, was sich einst zugetragen hat. Salomonowitz und Minichmayr verdichten Lassnigs langes Leben (94 Jahre) und Schaffen dabei im Grunde zu drei zentralen Aspekten: das Patriarchat, das Matriarchat und das Ich.</p><p><i>Mann</i></p><p></p><blockquote>„Eine Frau muss dreimal so hart arbeiten, nur weil sie eine Frau ist.“</blockquote><p></p><p>Maria Lassnig war in Österreich in vielen künstlerischen Dingen die erste Frau, was umgekehrt bedeutet, dass die Männer beherrschend in der Kunstszene des Landes (und nicht nur dieses) waren.</p><p>Selbst in Paris und New York, wo Lassnig ab den 60ern einige Zeit lebte und arbeitete, verfolgte sie die Geringschätzung als weibliche Kunstschaffende. Sie wurde darüber zur Feministin. Salomonowitz stellt dieses Umzingeltsein vom Patriarchat in ihrer Erzählung unmissverständlich heraus, macht dabei aber ebenso deutlich, wie sehr Maria Lassnig dagegen anging und schlussendlich siegte – auch auf dem Kunstmarkt.</p><p><i>Mutter</i></p><p>Ob sie das Matriarchat der Mutter jemals wirklich abschütteln konnte, lässt MIT EINEM TIGER SCHLAFEN ein Stück weit offen. Geboren als uneheliches Kind 1919, wurde sie in den ersten Lebensjahren von ihrer Großmutter aufgezogen. Erst mit sechs nahm die Mutter Maria wieder zu sich, doch von einer aufrichtig liebevollen Beziehung scheint das Verhältnis, so arbeiten Salomonowitz und Minichmayr es heraus, weit entfernt gewesen zu sein. Vielmehr schon könnte man von einer psychischen Übergriffigkeit der Mutter sprechen.</p><p>Wiederholt taucht im Film der Moment auf, wo die Mutter Maria auffordert, sich doch eine andere Mutter zu suchen. Sie kündigt ihr in gewisser Weise die Mutterschaft, nur um ihre Tochter dann wieder in einer großen vorgeblichen Liebe an sich zu ziehen. Mutterliebe im On-Off-Modus.</p><p>Es muss eine albtraumhafte Situation für das junge Mädchen gewesen sein, aus der sich Maria auch als Erwachsene scheinbar nur bedingt freistrampeln konnte, zumal sie auf die finanzielle Unterstützung der Mutter wohl lange Zeit noch angewiesen war.</p><p>Ein schon früh sichtbares Talent ihrer Tochter, so lernen wir es in MIT EINEM TIGER SCHLAFEN, erkannte die Mutter zweifelsohne – aber sie betrachtete es eher als Mittel für ein paar schnelle Schillinge nebenbei – „Solange man jemanden abmalen kann, wird man net verhungern.“ Kunstgewerbe.</p><p>Dass Maria danach strebte, aus dem Talent ein Leben als Künstlerin zu machen, schien für diese Mutter keine Option, weder wirtschaftlich noch gesellschaftlich. Ihre Ansichten ließ sie ihre Tochter offenbar deutlich spüren. Erst mit dem Tod der Mutter, so lässt es uns der Film lesen, findet Maria eine gewisse Form von Freiheit und auch innerer Autonomie.</p><p><i>Maria</i></p><p>Wenige Minuten nach Beginn von MIT EINEM TIGER SCHLAFEN nagelt die Film-Maria ein Stück leere Leinwand an die Wand ihres Ateliers und setzt sich davor hin. Sie sitzt. Und sitzt. Das Künstler:innen-Ich hadert mit der leeren Leinwand – das ultimative Klischee. Aber dieses Filmbild ist eine Finte, ein Spiel mit Erwartungshaltungen und ein Verweis darauf, welch anderen Arbeitsstil Lassnig entwickelte.</p><p>Malerei war für Maria Lassnig ein Akt, der ihren ganzen Körper involvierte. Ein Bild war bei ihr nicht die Ausführung einer Idee im Kopf, sondern eher die Übersetzung eines Körpergefühls. Ein stetiges Untersuchen des Inneren und der Versuch, diese Art einer Analyse in Formen und vor allem Farben zu übersetzen. Aber wie macht man daraus eine Sprache, die im Kino verstanden werden kann? Man castet Birgit Minichmayr.</p><p>Filmemacherin Anja Salomonowitz nutzt einen Kunstgriff, der eigentlich nur im Genre der Biopics wirklich ein Kunstgriff ist: Sie lässt etwas weg. Es gibt keine besonderen Masken, keine Prothesen oder sonstige „Verkünstelungen“, die ein bestimmtes Lebensalter oder eine bestimmte Phase der portraitierten Person auf eine:n Darsteller:in pinseln. Ihre Minichmayr-Lassnig bleibt, wie sie ist. Ob junges Mädchen oder sterbensalte Frau, Minichmayr bleibt Minichmayr. Und trägt dabei meistens auch dasselbe Outfit.</p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhUuXz7c8xQRXBeOZ2eYl0vcqiW2fqlHMlUehftclCmimLppFNrdlCFieVnYvrQ3zTn8egBSdZPIPXFFZ3mNdR3AUz-hGC2KlssBfqlfUyiC6VIZ3ohzB7Cf6t0Qop3bMHaK617ytf1Raskh2ogJ8xNA8XoJ3i4elQMqT_pUhSxi-ZEm3Agmdlz/s1280/filmanzeiger-berlinale-forum-miteinemtigerschlafen-birgitminichmayr--foto-coop99Filmproduktion-IFB2024.jpg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="537" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhUuXz7c8xQRXBeOZ2eYl0vcqiW2fqlHMlUehftclCmimLppFNrdlCFieVnYvrQ3zTn8egBSdZPIPXFFZ3mNdR3AUz-hGC2KlssBfqlfUyiC6VIZ3ohzB7Cf6t0Qop3bMHaK617ytf1Raskh2ogJ8xNA8XoJ3i4elQMqT_pUhSxi-ZEm3Agmdlz/s16000/filmanzeiger-berlinale-forum-miteinemtigerschlafen-birgitminichmayr--foto-coop99Filmproduktion-IFB2024.jpg" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Birgit Minichmayr in MIT EINEM TIGER SCHLAFEN | (c) Foto: Coop99 Filmproduktion/IFB 2024</td></tr></tbody></table><p>Die Lassnig bringt Birgit Minichmayr allein aus ihrem Körper und ihrem Spiel heraus aufs Bild. Die kleinen Marotten und Manierismen, das Ringen der Arme und Beine, das faktische Raufrobben auf die Leinwand, um einen ersten Strich führen zu können – alles holt Minichmayr aus sich selbst.</p><p>Mehr noch, der Prozess der inneren Einkehr, dieses Reinarbeiten, ja Reinkriechen in die eigenen Gefühle, um das Bild zu finden – Minichmayr findet dafür eine fesselnde Form des Agierens. Körper in Bewegung, Weinen, Stöhnen, Schnäuzen, Sabbern. Es wirkt beinahe wie völlige Selbstvergessenheit im Moment. Wie ein Trip. Und wahrscheinlich war das Arbeiten für Maria Lassnig kaum weniger als das, ein Trip. Aber auch: Ein stetiger innerer Widerstreit um die Form und die richtigen Farben.</p><p><i>Markt</i></p><p>Schaut mensch sich im Frühjahr 2024 auf der Website der Maria-Lassnig-Stiftung um, findet sich dort ein interessanter Aufruf: Personen, die über Werke oder den Verbleib von Werken der Lassnig verfügen, sollen sich melden. Es geht darum, ein Werksverzeichnis aufzubauen, welches bis heute nicht vollständig vorhanden ist. Das passt ins Bild einer Künstlerin, die wohl bis zuletzt zerrissen war zwischen der Notwendigkeit, Bilder zu verkaufen, sie aber zugleich nicht hergeben zu wollen. Die Film-Maria bringt es auf den Punkt: „Die Bilder sind ihre Kinder“, klagt sie. Und Museen nichts weiter als Waisenhäuser. Was sie damit auch sagt: Das Vergessen ist der größte Feind der Kunst, zumal wenn Frauen sie erarbeitet haben.</p><p>Es ist der unschätzbare Verdienst von MIT EINEM TIGER SCHLAFEN, dass Lassnigs Bilder nicht mehr in „Waisenhäusern“ oder unbekannten Sammlungen vergessen werden können. Sie scheinen jetzt hell auf der Kinoleinwand und fordern uns auf, mit ihnen in Konversation zu treten. </p><p>Schließlich stecken hinter jedem dieser Bilder Erfahrungen und Emotionen. Gefühle, die die Frau, Tochter, Künstlerin Maria Lassnig nicht exklusiv durchlebt hat. Sie sind heute nicht weniger relevant, steht es doch um die Gleichberechtigung allenfalls geringfügig besser als zu Lassnigs Lebzeiten. Was für ein ungemein fesselnder, fast immersiver und humaner Film.</p><p>MIT EINEM TIGER SCHLAFEN | AT 2024 | Anja Salomonowitz | 107' | Forum</p><div class="blogger-post-footer">| filmanzeiger.de |</div>filmanzeigerhttp://www.blogger.com/profile/07608769428649714067noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-32184591.post-58643566695612394242023-11-02T02:00:00.000+01:002023-11-02T02:03:38.281+01:00Pornfilmfestival Berlin 2023 als Dauerliveblog | Naked ISrael<p style="text-align: left;"><span style="font-size: x-large;"><b>01. November 2023, 22:49 Uhr | Naked Israel </b></span><br /></p><p style="text-align: left;">Es kommt gelegentlich vor, dass dokumentarische Filme plötzlich und unerwartet von der Realität eingeholt werden. Hervorragende dokumentarische Arbeiten zeigen gerade in solchen Momenten ihre Stärke und liefern selbst unter den neuen Gegebenheiten einen interessanten Blickwinkel oder einen wichtigen Akzent, um das Geschehen zu interpretieren.</p><p style="text-align: left;">Doch mit welcher unglaublichen Brutalität die Realität am 7. Oktober 2023 zuschlug und den Blick auf den Beitrag im Programm des Pornfilmfestivals 2023 und das neueste Werk der Filmemacherin und Videokünstlerin Ines Moldavsky für immer veränderte, war in keiner Weise vorhersehbar: NAKED ISRAEL.</p><p style="text-align: left;"><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEgV2Rf6eRH7Xp72iRiDGWHe1najn3H-_m-Fi0aX9eo3F3OErpigwkscUTAvJC3aW5jOAi9tstTiM5ArhZ1c5CTn3M00msBomen6PJKs2Bw0eU4t1CYLREeUaaJjJNiNdmVttqQz_YKZRVn-lNDFhpkO148Yy2PPUDXvfd45sTzRRgTFvi927vgX" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img data-original-height="853" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEgV2Rf6eRH7Xp72iRiDGWHe1najn3H-_m-Fi0aX9eo3F3OErpigwkscUTAvJC3aW5jOAi9tstTiM5ArhZ1c5CTn3M00msBomen6PJKs2Bw0eU4t1CYLREeUaaJjJNiNdmVttqQz_YKZRVn-lNDFhpkO148Yy2PPUDXvfd45sTzRRgTFvi927vgX=s16000" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Still aus NAKED ISRAEL | (c) Bild: Ines Maldovsky/PFFB 2023<br /></td></tr></tbody></table><br />Das Konzept, sowohl inhaltlich als auch visuell, ist hier vergleichsweise simpel: Ines Moldavsky platziert ihre Protagonisten vor der Kamera, stellt ihnen Fragen aus dem Hintergrund, die von den Menschen vor der Kamera (mitunter) beantwortet werden, und so entsteht ein Gespräch.</p><p style="text-align: left;"><b>Männer vs. Gesellschaft</b> </p><p style="text-align: left;">Allerdings: Die Protagonisten sitzen nicht einfach so vor der Kamera; sie sind vollkommen nackt. Wir kennen ihre Namen und Hintergründe nicht, höchstens können wir uns im Verlauf des Films im Kopf eine kleine Liste erstellen und Gesichter wie Körper Nummern zuordnen – 1, 2, 3, 4 ...</p><p style="text-align: left;">Ines Moldavsky stellt keineswegs beliebige Fragen – sie forscht nach dem Verhältnis der Männer zu ihrem Körper, ihrer Identität, ihrer Sexualität, ihrer gesellschaftlichen Selbstverortung und ihren gesellschaftspolitischen Ansichten.</p><p style="text-align: left;">Im Verlauf der Arbeit entsteht so ein äußerst vielfältiges Bild introspektiver Betrachtungen der Männer, unabhängig von ihrer Körperform und Altersgruppe. Dies war zumindest bei Ines Moldavskys vorherigem Werk NAKED AMERICA der Fall, welches auf dem Pornfilmfestival Berlin 2022 gezeigt wurde. In NAKED ISRAEL jedoch sieht die Situation bedeutend anders aus.</p><p style="text-align: left;"><b>Tinder in Palästina</b></p><p style="text-align: left;">Das Verhältnis von Männern und Frauen in Israel und Palästina, insbesondere die Beziehung der Männer zur Gesellschaft, in der sie leben, ist ein wiederkehrendes Thema in Moldavskys Werk. Neben den bereits erwähnten Arbeiten ist hierbei auch THE MAN BEHIND THE WALL hervorzuheben, ein 28-minütiger dokumentarischer Kurzfilm, in dem Moldavsky Männer datet, die in ihrer Nähe auf Tinder angezeigt werden. Doch diese Männer sind nur scheinbar nah, da sie auf der anderen Seite der israelischen Mauer im Westjordanland leben. 2018 erhielt Moldavsky für diese Arbeit den Goldenen Bären als besten Kurzfilm auf der Berlinale. </p><p style="text-align: left;">Denken wir für einen Moment über die Form nach, die Moldavsky in der NAKED-Serie entwickelt: Talking-Heads-Dokumentationen, bei denen nur sprechende Köpfe vor der Kamera zu sehen sind, gehören zu den am häufigsten verwendeten und visuell reizlosesten Stilformen in der Dokumentarfilmgestaltung. Doch NAKED ISRAEL und NAKED AMERICA strahlen eine immense Anziehungskraft aus und ziehen ihr Publikum mühelos in ihren Bann. Was macht Moldavskys Darstellungsweise so kraftvoll?</p><p style="text-align: left;">Zunächst ist natürlich der offensichtliche Umstand, dass die Männer nackt vor der Kamera sitzen. Wir haben Zeit, ihre Körper zu studieren. Was verraten uns diese Körper? Welche Lebensumstände haben auf sie gewirkt und sie geformt? Keiner dieser Körper wirkt beispielsweise besonders fit; selbst die etwas jüngeren Männer wirken etwas aufgedunsen. Unsere Ernährung beeinflusst zweifellos unsere Körper, logisch. Aber was beeinflusst wiederum unsere Ernährung?</p><p style="text-align: left;"><b>Der Körper als eigene Erzähler</b> </p><p style="text-align: left;">Diese Körper geben uns jedoch noch weitere Auskünfte: Es sind die Gesten, die Körperhaltung, wie nervös oder ruhig die Beine sich bewegen. Wie die Männer mit der Tatsache umgehen, dass ihr Penis genauso sichtbar ist wie ihre Füße oder ihr Kopf. Und nicht zuletzt, wie viel Zeit die Männer manchmal benötigen, um auf Ines Moldavskys Fragen zu antworten.</p><p style="text-align: left;">Im Gegensatz zu NAKED AMERICA, wo Moldavsky die hermetische Trennung zwischen dem befragten Subjekt vor und dem fragenden Subjekt hinter der Kamera durchbrach, selbst nackt vor die Kamera trat und die Protagonisten ermutigte, eigene Fragen an sie zu richten, bleibt die Filmemacherin dieses Mal hinter der Kamera.</p><p style="text-align: left;"><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEhx3WLGPUZVpAzJ3XsF12egnG3lBUHo7le-Asham-tyCbXqkfaHDtEGX8XRTv0wQL6alulWsvOKYShBeGQnC19RbjFHxcG5OqID62vMv9aIaOEAS8l0Ddj0kI_q-9zPf-b-Agn4iD-sQMXvFXiw7TNKnD6Zwza516CuIoAwpqAG4Tdvc0D8KTKp" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img data-original-height="853" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEhx3WLGPUZVpAzJ3XsF12egnG3lBUHo7le-Asham-tyCbXqkfaHDtEGX8XRTv0wQL6alulWsvOKYShBeGQnC19RbjFHxcG5OqID62vMv9aIaOEAS8l0Ddj0kI_q-9zPf-b-Agn4iD-sQMXvFXiw7TNKnD6Zwza516CuIoAwpqAG4Tdvc0D8KTKp=s16000" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Still aus NAKED ISRAEL | (c) Bild: Ines Maldovksy/PFFB 2023<br /></td></tr></tbody></table><br />Dafür fügt sie ihren Bildern eine weitere visuelle Komponente hinzu: Die Männer sitzen nicht mehr vor einem neutralen schwarzen Hintergrund, sondern in einer individuellen Umgebung. Mal ist es ihr Wohnzimmer, mal ein Stadtpark, mal ein Dach auf einem Haus in der Stadt, dann wieder ein Strand oder ein Flussufer.</p><p style="text-align: left;"><b>Der Körper als Verräter des Subjekts</b> </p><p style="text-align: left;">Die Körper, das Gesagte und die Umgebung treten in eine Art Wechselwirkung miteinander und zeichnen dabei ein äußerst nuanciertes Bild.</p><p style="text-align: left;">Beispielsweise, wenn einer der Protagonisten auf dem Dach eines Wohnhauses sitzt, ein Weinglas in der Hand hält und über die Kriegsverbrechen berichtet, die ihm befohlen wurden – die Erschießung wehrloser palästinensischer Zivilisten zum Schutz der eigenen Truppe.</p><p style="text-align: left;">Während er erzählt, klingt seine Stimme ruhig, fast cool, doch sein Körper verrät ihn: Nervöse Bewegungen sind erkennbar bei diesem mittelalten Mann mit grauen lockigen Haaren. Seine Beine wissen nicht wohin mit sich, seine Hand klammert sich förmlich an das kleine Weinglas, und er schenkt sich mehrmals Weißwein nach.</p><p style="text-align: left;">Der Rückzug auf den Befehlsnotstand ist eine sich wiederholende Erzählung in den Berichten der Männer. Natürlich sind uns solche Aussagen bekannt, sie sind bei allen Armeen im Kampfeinsatz verbeitet. Meistens ist es nichts weniger als der zum Scheitern verurteilte Versuch der Verteidigung des Subjekts vor dem Eingeständnis der eigenen Schuld am Tod eines Unschuldigen.</p><p style="text-align: left;"><b>Armee eines Rechtsstaats?</b> </p><p style="text-align: left;">Doch wie wir in NAKED ISRAEL bald erkennen, ist die Situation in der IDF komplexer. Hier werden Soldaten offenbar systematisch psychisch manipuliert und unter Druck gesetzt, keinen Gefühlsausdruck zu zeigen und abzudrücken – schließlich, so die scheinbar äußerst wirkungsvolle Erzählung, könnten sie andernfalls schuld am Untergang ihrer eigenen Kameraden sein. Die Wirkmächtigkeit dieser Erzählung ist der eigentliche Knackpunkt.<br /></p><p style="text-align: left;">Je mehr man über die Abgründe und Gräuel erfährt, die diese Männer während ihrer Dienstzeit erlebt und teilweise selbst verursacht haben – willkürliche Erschießungen und Festnahmen von Zivilisten, Suizide in der Truppe usw. –, desto größer wird die Frage, wie so etwas überhaupt möglich sein kann und in welchem Zustand sich der Militärapparat IDF als Ganzes befindet. Immerhin handelt es sich um die Armee eines demokratischen Rechtsstaats.</p><p style="text-align: left;">NAKED ISRAEL nimmt diese Fragen nicht explizit auf. Schließlich werden hier keine aktiven Militärangehörigen, keine Befehlshabenden und auch keine Politiker:innen befragt, sondern ehemalige Soldaten. Aber zwischen den Zeilen gelingt es Ines Maldovsky, das komplexe Verhältnis zwischen der israelischen Gesellschaft und ihrer Armee klug herauszuarbeiten.</p><p style="text-align: left;"><b>Toxische Symbiose</b></p><p style="text-align: left;">Israel, als Nation, geboren mit der Shoa im Rücken und dem Ziel vor Augen, einen Ort auf Erden zu schaffen, an dem Juden nie wieder um ihrer selbst willen in ihrer Existenz bedroht werden, entstand gegen den Widerstand derer, die auf dem Boden des heutigen Staatsgebiets lebten. Ein Staat also, der von Tag Eins an unter dem Eindruck akuter Existenzbedrohung handelte und bis heute handelt.</p><p style="text-align: left;">Die Symbiose zwischen IDF und israelischer Gesellschaft – sie muss wohl als toxisch beschrieben werden: Israels Gesellschaft wäre ohne das Militär sofort in akuter Lebensgefahr. Der Militärapparat kann seinerseits nicht existieren, ohne jene Gesellschaft, die ihm Jahr für Jahr neue Wehrdienstpflichtige zuführt.</p><p style="text-align: left;"><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEjcXbSZWJRCBswSk535bP1zdxrFoCYsRDHg_E_MFbvw_zOciklFGWoFsxQyWgrD3MT7WJBFWWwi_mXIU71ITGHTDAzMWQqkcorEaml9DoFbo31ik-91VeQalqfgQlid04XGgmGe19np9PhnlHhx-HCC7rn-b__MLKkAVXNNA0CLfpgamFLZeqeG" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img data-original-height="853" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEjcXbSZWJRCBswSk535bP1zdxrFoCYsRDHg_E_MFbvw_zOciklFGWoFsxQyWgrD3MT7WJBFWWwi_mXIU71ITGHTDAzMWQqkcorEaml9DoFbo31ik-91VeQalqfgQlid04XGgmGe19np9PhnlHhx-HCC7rn-b__MLKkAVXNNA0CLfpgamFLZeqeG=s16000" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Still aus NAKED ISRAEL | (c) Bild: Ineas Maldovsky/PFFB 2023<br /></td></tr></tbody></table></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"></div><p><br />Jahr für Jahr formt dieser Apparat vordergründig Soldaten und Beschützer, schafft jedoch dabei genauso eine Armee von seelischen Krüppeln, die nicht selten unsägliche Schuld auf sich laden oder mindest einen Selbstmordversuch mit der eigenen Waffe verzeichnen können. „Every Nation needs an Army, but the question is, what the IDF is doing,“ gibt einer der Protagonisten fragend zu Protokoll<b>.</b></p><p><b>Ein hoher Preis</b> </p><p style="text-align: left;">Ein düsteres Abhängigkeitsverhältnis, das selbst diejenigen deformiert, die nicht gedient haben, weil sie aus gesundheitlichen oder religiösen Gründen nicht zum Dienst an der Waffe zugelassen waren. Und jene, die zwar gedient haben, aber nicht kämpfen durften, empfinden dies als Schande und tragen es als Bürde zeitlebens: „I killed no one, fortunately – but we also never fought.“</p><p style="text-align: left;">Die psychischen Dynamiken, die Ines Moldavsky in NAKED ISRAEL herausfiltert, sie sind atemberaubend und niederschmetternd.</p><p style="text-align: left;">Doch die Sicherheit, die sich Israels Gesellschaft mit diesem Militärapparat erkauft, hat einen immens hohen Preis – nicht nur im Bezug auf die palästinensischen Nachbarn. Im medizinischen Vokabular verkürzt sich dieser Preis auf vier Buchstaben – PTSD, oder auf Deutsch, die posttraumatische Belastungsstörung. In der Realität bedeutet diese Krankheit schwere psychische Ausnahmezustände für ehemalige Soldat:innen, (häusliche) Gewalt, Suchtmittelmissbrauch und nicht selten Arbeitsunfähigkeit.</p><p style="text-align: left;"><b>Jenseits der Militär-PR</b> </p><p style="text-align: left;">Ohne den 7. Oktober 2023 wäre NAKED ISRAEL ein idealer Ansatzpunkt gewesen, um eine (nicht nur) inner-israelische Debatte über eine Reform der IDF in Bewegung zu bringen. Doch davon kann jetzt keine Rede mehr sein. Nicht nach dem Pogrom der Schlächter aus Gaza.</p><p style="text-align: left;">Wieder berichten uns die Nachrichten nun auf allen Kanälen, wie israelische Soldaten in Gaza, im Westjordanland und im Libanon im Kampf stehen. Dank Ines Moldavskys NAKED ISRAEL haben wir jetzt jedoch – jenseits der Militär-PR – eine sehr konkrete Vorstellung davon, was das für die jeweiligen Menschen an der Front und in Uniform bedeutet – und ausdrücklich nicht nur für sie.</p><p style="text-align: left;">Das Perverse an dieser Situation ist: Unter lauter miserablen Optionen stellt der Einsatz der IDF jetzt die am wenigsten schreckliche Wahl dar. Doch dieser Krieg wird Israels Gesellschaft, wie alle Kriege und Scharmützel Israels zuvor, teuer zu stehen kommen.</p><p style="text-align: left;"><b>NAKED ISRAEL, Ines Moldavksy, IL 2022, 66', Dok.</b></p><p><span style="font-size: x-large;"><b>30. Oktober, 20:03 Uhr | Teil Zwei</b></span></p><p>Der erste Teil des Pornfilmfestivals, die Kino-Ausgabe, endete am Sonntagabend mit der Vergabe des Hauptpreises an den französischen Kurzfilm WRONG HOLES ONLY von June Fontaine und Revenge. WRONG HOLES ONLY verfolgt mit einem geradezu zärtlichen Auge, großer Intimität und Wärme eine lesbische BDSM-Session, die in ihrer Drastik wenig zu wünschen übrig lässt und gleichzeitig durch die intensive Nähe und den schier grenzenlosen Spaß der beiden Performerinnen fasziniert. WRONG HOLES ONLY ist ein passender Gewinner, der einen starken Jahrgang des Wettbewerbs beim Pornfilmfestival 2023 repräsentiert.</p><p>Seit heute läuft nun der zweite Teil des Festivals im Stream. Noch bis einschließlich 14. November 2023 präsentiert das Festival viele Teile seines Kurzfilmprogramms sowie drei Langspielfilme beim unabhängigen pornografischen Streaminganbieter Pink Label aus San Francisco (die restriktive Jugendschutzgesetzgebung hierzulande verhindert ein eigenständiges Streamingangebot des Festivals).<br /><br /><b>Der Film zur Zeit</b><br /><br />Die Verbindung zu Pink Label ist keine zufällige. Pink-Label-Gründerin Shine Louise Houston kam auf die Idee zur Plattform bei Besuchen auf dem Berliner Pornfilmfestival, wo sie selbst Arbeiten präsentierte. Im Jahr 2012 ging die Webseite online und ermöglicht seither unabhängigen, sexpositiven Filmemacher:innen, ihre Arbeiten einem weltweiten Publikum zugänglich zu machen, auch weil Pink Label den Großteil der Einnahmen direkt an die Filmemacher:innen weiterleitet. So entsteht eine Form des fairen Pornos.<br />abo</p><p>Zeiten wie diese brauchen Seiten wie diese, jetzt die wochentaz testen! 10 Ausgaben für 10 Euro im Probeabo: Lernen Sie 10 Wochen lang die linke Wochenzeitung kennen.</p><p>In diesen komplexen Zeiten fällt unter den Langspielfilmen im Angebot besonders ein Film auf: NAKED ISRAEL. Es handelt sich um eine dokumentarische Arbeit der argentinisch-israelischen Filmemacherin Ines Moldavsky. Konzeptuell ähnlich dem Vorgänger NAKED AMERIKA fordert sie nun gewöhnliche israelische Männer auf, nackt vor die Kamera zu treten, um sie über ihren Lebensalltag und vor allem das Erleben ihres Mannseins in der Gesellschaft zu befragen.</p><p>Während der US-amerikanische Vorgänger aufgrund der Berichte der Männer eine breite Palette von Themen berührte, drehen sich die Gespräche in NAKED ISRAEL nahezu immer um denselben Punkt: die Erfahrungen der Männer als Soldaten in der israelischen Armee (IDF) und wie diese ihre Leben für immer verändert haben, genauer gesagt, zerstört haben. Es wird in diesen Tagen kaum eine filmische Arbeit geben, die besser und unmissverständlicher verdeutlicht, was jene Menschen durchmachen, die in der Uniform der IDF aktuell nach Gaza beordert werden, und welche Konsequenzen ihre Erlebnisse vor Ort (nicht nur) für Israels Gesellschaft der Zukunft sehr wahrscheinlich haben werden.<b> </b></p><p><b>Faszinierende Filmreihen</b> </p><p>Das Kurzfilmprogramm bietet nicht nur den Gewinnerfilm des diesjährigen Wettbewerbs, sondern auch die Arbeiten einiger faszinierender Sonderfilmreihen. Dazu gehört „Touring the Chilean Body“, eine Retrospektive (post-)pornografischer Arbeiten aus Chile zwischen 2008 und 2022, kuratiert von den Macher:innen des noch jungen (Porn-)Filmfestivals Excéntrico in Santiago. Ebenso sind beide mittellangen Arbeiten der „Outdoor Pleasure Pain Shorts“ zu sehen – LIKE IT BELONGS und den äußerst faszinierenden französischen doku-pornografischen Film FRIOUL.</p><p>Der Festivalpass für den digitalen Festivaljahrgang 2023 kostet umgerechnet etwa 39 Euro: <a href="https://pffb.pinklabel.tv">https://pffb.pinklabel.tv</a><br /><br /><span style="font-size: x-large;"><b>28. Oktober 2023, 23:15 Uhr | Körper unter Druck<br /></b></span></p><p style="text-align: left;">Gesellschaften aller Couleur neigen dazu, sich tief in die Körper ihrer Mitglieder einzuschreiben, ob diese es wollen oder nicht. Blicke werden normiert, Schönheitsideale formuliert, Geschlechterrollen ausgeformt, Verhaltenscodes standardisiert und Tabus etabliert.</p><p style="text-align: left;">Wenn Körper diese nicht selten ungeschriebenen Regeln verletzen, entstehen Spannungen und Ausgrenzung, nur wenigen ist es vergönnt, das Leben außerhalb der Grenzen des Statthaften als etwas Positives auszuleben.</p><p style="text-align: left;">Die Kurzfilmrolle „Body Politics Short“ des Pornfilmfestivals Berlin 2023 präsentierte aktuelle filmische Positionen zu akuten und länger schon schwelenden Konflikten um Körper und wie Gesellschaften und Communitys diese als nicht passend definieren.</p><p style="text-align: left;"><b>Aktuelle Trans*-Positionen aus Polen </b><br /></p><p style="text-align: left;">Eine aktuell geradezu virulente Streitfrage wird bekanntlich über und anhand von Trans*-Körpern ausgefochten und wie diesen das Recht auf Entstehung und Existenz eingeräumt wird, respektive wie diese sich ihre Existenzberechtigung und Akzeptanz zumeist gegen den Widerstand der binären und cis-geschlechtlichen Mehrheitsgesellschaft erkämpfen.</p><p style="text-align: left;">Gleich zwei Positionen aus Polen bieten dazu Annäherungen: In 3SOME COLLAGE der Gruppe „No Pic No Chat“ werden wir ohne viel Federlesen in das Körperknäuel eines schwulen Dreiers geworfen. Wir sehen kaum ihre Gesichter, dafür ihre Körper umso mehr und eng ineinander verschlungen. Doch nur zwei der drei als männlich lesbaren Körper, die es sich dort gegenseitig besorgen, haben einen Penis.</p><p style="text-align: left;">In einer Community, die von popkulturellen bis zu Begehrensfragen nahezu alles hermetisch um den Penis herum aufbaut, sind männlich zu lesende Körper ohne Penis Außenseiter mit einem schweren Stand. Ablehnung und Vorurteile begegnen ihnen sobald sie auch nur eine x-beliebige schwule Dating-App öffnen oder gar einen schwulen Club oder eine Sauna besuchen.</p><p style="text-align: left;"><b>Der penis<span> </span>freie Mann </b><br /></p><p style="text-align: left;">Die Penisträger in dieser visuell recht verspielt angelegten Arbeit spiegeln dies exemplarisch: Immer wieder entfahren ihnen zwischendurch kleine Kommentare, die ihre Überraschung über die Performancefähigkeit und Geilheit des penisfreien Männerkörpers bezeugen. Der penisfreie Mann lässt sich davon zum Glück weder beirren noch die Geilheit ruinieren.</p><p style="text-align: left;">Akzeptanz für Trans*-Körper, so könnte mensch diese Arbeit apostrophieren, lässt sich sehr wahrscheinlich nicht in Kommentarspalten sozialer Netzwerke erkämpfen, sondern eher schon zwischen den Laken. Und wer einen Strap-On mit einem zünftigen Dildo zur Hand hat, wird halbsteife Durchschnittspenisse sowieso recht schnell links liegen lassen. Denn am Ende geht es bei schwulem Sex nie allein um den Penis.</p><p style="text-align: left;">Die Penisfrage beschäftigt derweil auch Edmund Krempiński und Jakub Dylewski in ihrer Arbeit SKRAJ. Der 18-minütige Kurzspielfilm erzählt uns die Geschichte eines Mannes, der von der allgegenwärtigen Penishörigkeit (einer patriarchal durchwirkten Gesellschaft) nahezu verfolgt wird.</p><p style="text-align: left;"><b>Kieselstein im Auge </b><br /></p><p style="text-align: left;">Es beginnt jedoch zunächst mit mystischer christlicher Symbolik: Eine Gruppe Flaggelanten betritt bei Tageslicht einen Stadtplatz und peitscht sich scheinbar die Rücken blutig. Im nächsten Bild liegen sie auf dem Boden eines Kathedralen-artigen Gebäudes im Kreis, zwischen ihnen dreht sich eine Flasche.</p><p style="text-align: left;">Die Flasche bleibt vor einem der Männer liegen, er öffnet seine Augen darin faszinierend blaue Pupillen. Er wird von den anderen Männern aufgehoben und an ein Andreaskreuz gefesselt. Anschließend wird ihm ein Kieselstein in eines seiner Augen gelegt – Schnitt.</p><p style="text-align: left;">Der Mann sitzt in einem artifiziell hergerichteten Zimmer mit grünen Wänden und einer Couch. Vor ihm liegen alte Hanteln, und eine Sportmatte, er trainiert kräftigt, hört auf, setzt sich verschwitzt zurück auf die Couch, schiebt langsam die Hand in seine Trainingshose – doch er wird von etwas gestört: Heterosexuelle Fickgeräusche. Er versucht es zu ignorieren, doch plötzlich sind die grünen Wände komplett mit Penissen vollgemalt, und vor dem Fenster ficken Eintagsfliegen. Wieder Schnitt.</p><p style="text-align: left;"><b>An den Penis gekettet </b><br /></p><p style="text-align: left;">Edmund Krempiński und Jakub Dylewski führen ihre Figur in dieser visuell ungemein opulenten, ausdrücklich schönen und mit Symbolen und Referenzen gesättigten Arbeit durch eine Tour-de-force, bei der erst allmählich klar wird – dieser Mann hat eine Vagina. Weshalb ihm die Penisträger, respektive die cis-geschlechtlichen Menschen alsbald das Leben zur Hölle machen und ihm sogar im Wortsinne den Penis ans Bein ketten.</p><p style="text-align: left;">Zum Glück führt ihn die Erzählung schließlich zu einer Art Magier oder Priester, der ihm das Tarot legt, ihn durch einen sexuellen Ritus von den Ketten des Penis befreit und in ein neues Sein führt.</p><p style="text-align: left;">Am Ende sehen wir ihn in seiner ganzen körperlichen Schönheit aus einer riesigen Auster entsteigen und einen Strand betreten. Nackt, frei und selbstbewusst steht er da, schimmert beinahe wie die zauberhafte Perle einer Auster. Und zur Erinnerung: Am Anfang jeder Perle steht ja ein Sandkorn oder ein Kieselstein.</p><p style="text-align: left;"><b>Superwoman mit Narben</b> <br /></p><p style="text-align: left;">Gegen die Normen dessen, was als schön respektive als schöner Körper angesehen wird, kämpft Lilian Liquid in der sechsminütigen und komplett schwarzweiß gehaltenen Arbeit SCARS an. Ihr Körper, das sehen wir sofort, ist versehrt. Große Narben prägen eine ihrer Brüste und ihren Unterbauch.</p><p style="text-align: left;">Es beginnt mit einer kurzen Sequenz, bei der sie nackt, nur mit einem schwarzen Cape bekleidet durch eine (ikonische) Straßenunterführung in Berlin schreitet – stolz und aufrecht, wie eine Art Superwoman.</p><p style="text-align: left;">Umschnitt, sie läuft durch den Wald, lässt sich auf einem umgestürzten Baum nieder und beginnt, sich zu masturbieren. Das Sonnenlicht umschmeichelt die Szenerie. Die Sequenz dauert einen Moment, wir haben Zeit, ihren Körper genauer in Augenschein zu nehmen, wir sehen die Narben und wir erleben, wie sie sich mit einem kleinen Vibrator Lust bereitet. Wieder ein Schnitt – sie liegt auf einem Bett, Hände beginnen ihren Körper zu umspielen, eine sinnliche sexuelle Interaktion mit einem anderen (unversehrten) Frauenkörper nimmt ihren Lauf.</p><p style="text-align: left;">Narben stehen für Verletzungen – für Unfälle, für Krankheiten. In einer Gesellschaft wie der Deutschen, sind viele Krankheiten mit einer Art Tabu belegt. Krebs allen voran, eine Krankheit, die bei den meisten erkrankten Menschen operative Interventionen erfordert.</p><p style="text-align: left;"><b>Gegen die Ausgrenzung</b> <br /></p><p style="text-align: left;">Bei Frauen betrifft dies häufig die Brust, aber auch Geburten per Kaiserschnitt hinterlassen meist große Narben auf dem Unterbauch. Körperregionen also, die sexuell aufgeladen werden können. Narben an diesen Stellen stören unsere auf Unversehrtheit getrimmten Blicke. Die vernarbten Körper werden aus dem Bund der begehrenswerten Körper quasi ausgestoßen.</p><p style="text-align: left;">Mit SCARS stellt Lilian Liquid dieser Ausgrenzung ein filmisches Stoppschild entgegen. Körper mit Narben, dies verdeutlicht SCARS sehr eindrucksvoll, sind Körper wie alle anderen auch, sie sind begehrend und begehrenswert. Wir sollten sie sehen – und (im Sinne des pornografischen Bewegtbildes) auch sehen können.</p><p style="text-align: left;"><b>Der Teenager und die Kamera </b><br /></p><p style="text-align: left;">Den eigenen Körper betrachten, ihn darstellen, erforschen, ja sogar durch eigene Bilder begehren – all das begann Rafael Rudolf schon als Jugendlicher.</p><p style="text-align: left;">Sein (weißer) Körper, zunächst der eines heranwachsenden Jungen und später eines erwachsenen Mannes, wird in der gleichermaßen rassistischen wie machistisch-patriarchalischen Gesellschaft Brasiliens, trotz eines gewissen, nennen wir es, Penisvorteils, nicht gerade wohlwollend betrachtet. Denn es ist der Körper eines schwulen Mannes.</p><p style="text-align: left;">In HOMEN DE VERDADE (co-produziert von Gustavo Vinagre) setzt sich Rudolf mittels Unmengen von selbstgefilmten Homevideos seines Teenager-Ichs wie seines erwachsenen, sexuell sehr aktiven Selbst mit dem eigenen Coming-of-Age und der Existenz als Mann jenseits der akzeptierten Normen von (heterosexueller) Männlichkeit auseinander.</p><p style="text-align: left;"><b>Die Kamera, eine Vertraute </b><br /></p><p style="text-align: left;">Doch zunächst sehen wir den ganz jungen Rafael, aufgenommen zusammen mit seiner Schwester Mitte der 90er Jahre. Ein Junge, noch ein Stück vor der Schwelle zum Teenager, etwas frech, etwas hibbelig, der kurz mal den Arsch blank zieht vor der Kamera in der Hand seiner Mutter, die danach erstmal das Aquarium im Wohnzimmer ins Bild nimmt.</p><p style="text-align: left;">Es folgt ein Teenager, der mit unbändiger Energie vor seiner Kamera posiert, der seinen eigenen Körper halb nackt und gänzlich nackt vor der Kamera ausprobiert, der unentwegt in die Kamera spricht, ihr Unmengen privatester Dinge anvertraut, die er sonst niemandem scheint anvertrauen zu können – seine Liebe zu Madonna, sein Interesse an Männern, seine Fantasien über schwulen Sex und das Tanzen als Go-go-Boy in einem Club. Schließlich werden die Kamerabilder – man bemerkt es nicht nur an ihrer Qualität – jünger, wir sehen einen erwachsenen jungen Mann, der sich fleißig dabei filmt, wie er von anderen Männern gefickt wird.</p><p style="text-align: left;"><b>Kampf mit den Normen </b><br /></p><p style="text-align: left;">Ein schwuler Körper wächst in einer Gesellschaft heran, die einen wie ihn bis heute kaum mehr als tolerieren kann. Die Kamera ist das Medium, um in dieser schwierigen Umgebung eine eigene Erzählung von Identität, von einer eigenen Form der Männlichkeit und Selbstbehauptung zu erarbeiten. Die Kamera als Freund, ja gar als Liebhaber, der die ersten tastenden Schritte hinein in die eigene Sexualität aufzeichnet.</p><p style="text-align: left;">HOMEN DE VERDADE ist eine Liebeserklärung an die Kamera als Gefährte des Subjekts im Kampf mit den Normen. Und das intime wie beeindruckende Dokument der Emanzipation eines Körpers – wider aller gesellschaftlichen Zuschreibungen und Barrieren. Wir müssen uns nehmen, was uns nicht gegeben wird. </p><p style="text-align: left;"><span style="font-size: x-large;"><b>27. Oktober 2023, 23:58 Uhr | Muttermilch, das Sperma des Busens </b></span><br /></p><p style="text-align: left;">Als sehr schwuler Mann ist es für den Autor dieser Zeilen nicht ganz so einfach, einen Ansatzpunkt für das Sujet zu finden, welches das britische Porno-Kollektiv Four Chambers in seinem Beitrag zur Kurzfilmrolle „Fetish Porn Shorts“ des Berliner Pornfilmfestivals 2023 ausbreitet.</p> <p style="text-align: left;">MAMAM heißt das Werk der Pornfilmfestival-Dauergäste Four Chambers, und es verhandelt nichts Geringeres als den Fetisch Muttermilch.</p><p style="text-align: left;"></p><table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto; text-align: left;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEiSrNomsD7Elhp3T61B9OWNBg-pBdIGmknRvxf163DN5Loh1i0QccxoQAcrXw5pJp2rf48_LJIs4a5UQ8W-rramkASktkXwpmVKzxoSskTaSIjvfk8Y_PAkEY60qPeBx7MLsfKgtq8aSPyAKAWxS7QBJy_ybw-1X1GW6s4KRhz18YddTwCZYiqo" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img data-original-height="1000" data-original-width="1000" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEiSrNomsD7Elhp3T61B9OWNBg-pBdIGmknRvxf163DN5Loh1i0QccxoQAcrXw5pJp2rf48_LJIs4a5UQ8W-rramkASktkXwpmVKzxoSskTaSIjvfk8Y_PAkEY60qPeBx7MLsfKgtq8aSPyAKAWxS7QBJy_ybw-1X1GW6s4KRhz18YddTwCZYiqo=s16000" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Still aus MAMAM | (c) Bild: Four Chambers/PFFB 2023<br /></td></tr></tbody></table> <br />Eine der wohl bekanntesten Abbildungen in der christlichen Symbolik ist die brustgebende Jungfrau, die das Jesuskind nährt. Aber auch jenseits des Christentums hat die Mutter, die ihr Baby aus ihrer eigenen Brust füttert, etwas Archetypisches, fast Heiliges. Eine Sexualisierung dessen scheint weitgehend unvorstellbar und tabuisiert.<p style="text-align: left;"></p><p style="text-align: left;"><b>Das Glückshormon </b><br /></p><p style="text-align: left;">Doch Fetisch wohnt naturgemäß eine transgressive Kraft inne, der Tabus im Regelfall nie standhalten – das gilt natürlich auch für Muttermilch. Die Fähigkeit zur Milchgabe, so lernen wir in dieser gleichermaßen pornografischen wie dokumentarischen Arbeit, ist jedoch nicht notwendigerweise von einer Schwangerschaft abhängig. Es ist ein biochemischer Prozess im Körper, hinter dem das Hormon Oxytocin steckt. Ein Hormon, das als eines der drei sogenannten Glückshormone bekannt ist und das Frau sich mit Tabletten sehr einfach künstlich zuführen kann.</p><p style="text-align: left;">Entsprechend wundert es nicht, dass am Beginn von MAMAM auch eine kurze Sequenz steht, in der Pillendosen mit Tabletten gefüllt werden und zwei Tabletten auf der Zunge liegend im Mund verschwinden.</p><p style="text-align: left;">Das Zentrum dieser Arbeit bilden drei Performer:innen: zwei Frauen und ein Mann. Die Drei geben uns von Beginn an bis zum Schluss auf der Tonspur immer wieder Auskunft über ihr Erleben, ihre Wahrnehmung, ihre Gedanken zum Fetisch Muttermilch und dessen Realisierung. In Form eines Gesprächs reflektieren sie über die vielseitigen Implikationen – die biologischen Prozesse etwa, oder wie das Ausleben des Fetischs ihre Sexualität, ihre Körper und ihre Körperwahrnehmung verändert, ja bereichert.</p><p style="text-align: left;"><b>Ästhetisch und sinnlich </b><br /></p><p style="text-align: left;">Sie diskutieren die Bilder, die gesellschaftlichen Narrative und die Tabus rund um diesen Fetisch, aber ebenso emanzipatorische Fragen zur Rolle der Frau, ihres Körpers und zur Tabuisierung von Formen weiblicher Lust in allen Lebensstadien, also auch während und nach der Schwangerschaft.</p><p style="text-align: left;">Es sind ungemein faszinierende 24 Minuten, die Four Chambers hier auf die Leinwand bringt. Nicht allein ob des enorm facettenreichen thematischen Kosmos, der eröffnet wird. Wie in eigentlich allen ihren Arbeiten verstehen es Four Chambers, ihre Sujets auf sehr ästhetische und sinnliche Weise zu visualisieren. MAMAM ist hierfür vielleicht sogar ein Paradebeispiel.</p><p style="text-align: left;"></p><table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto; text-align: left;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEg4a0Mjaj3G3PHD73biKmYrf4f-6UWJ6jYds4RedNbkWGsz4ItL4CCVR23eKsj11ycu8x83vNGJtsTYMwx2t-ZZZOWdgjaR0qHG39v7CVpPLlo3od0e0KjadMT9Hj6TQ4KM8jykTM6i1La-kB7kmt8DFq6IXNQKh-Moe6BOfTZqk-Zm6MJs4tbZ" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img data-original-height="853" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEg4a0Mjaj3G3PHD73biKmYrf4f-6UWJ6jYds4RedNbkWGsz4ItL4CCVR23eKsj11ycu8x83vNGJtsTYMwx2t-ZZZOWdgjaR0qHG39v7CVpPLlo3od0e0KjadMT9Hj6TQ4KM8jykTM6i1La-kB7kmt8DFq6IXNQKh-Moe6BOfTZqk-Zm6MJs4tbZ=s16000" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Still aus MAMAM | (c) Bild: Four Chambers/PFFB 2023</td></tr></tbody></table> <br />Wir folgen den drei Performern, die auf einer großen, mit dunkel-rosé farbendem Latex bedeckten Couch und in einem ansonsten ortslosen Raum liegen. Das Licht ist hell, aber dabei leicht gedämpft, etwas Sphärisches umschmeichelt die Bilder. Geschmackvoll wäre hier ein weiteres passendes Adjektiv. Sie sind nicht gänzlich nackt. Zwei kurze, leichte Kleider, ein Paar weiße Pants.<p style="text-align: left;"></p><p style="text-align: left;"><b>Die Brust, ein Phallus </b><br /></p><p style="text-align: left;">Er liegt zwischen den beiden Frauen, wirkt leicht entrückt, liebkost ihre Busen, ihre Nippel, umspielt mit seinen Händen ihre Vagina. Die Kamera folgt dem Spiel ungemein zärtlich, beinahe schwebend und durchaus spürbar – fasziniert. Die beiden Performerinnen umspielen mit ihren Busen sein Gesicht, seinen Mund, ab und zu gehen ihre Hände zu seiner Unterhose, in der sehr schnell ein deutlich erigierter Penis verharrt.</p><p style="text-align: left;">Doch um den Penis geht es hier – erstmal – nicht. Im Zentrum stehen die Brüste und was sie spenden. Dabei gibt es einige Möglichkeiten Muttermilch zu verteilen: Klar, man kann nuckeln und sie saugen. Aber viel mehr Spaß macht es, so zeigen diese Bilder, die Muttermilch selber munter abzuspritzen, überall im Gesicht und auf dem Körper zu verteilen. Die Nippel wie kleine Sprühköpfe eines Gartenschlauchs zu nutzen, oder die Brüste kräftig in den Mund des Mannes zu schieben – „feeding, not consuming a body.“ Sub oder Dom, sofern diese Kategorien hier überhaupt zum Tragen kommen, die Aufteilung ist klar.<br /></p><p style="text-align: left;"></p><table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto; text-align: left;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEgYsyHorpN54Z3SiXrFYF-FmTgni2Z1chT9Yan_TBn8472A6yDIPwlRs1zOZioOxohr5xI9oUGr_eWPAz0Mc988QcGtQb66mQzoLLMUt6rrOwiG75tPYd-4vRz_oFCaLy4CjeJQFXP2nP-EEyuWBi-S_Nl7ihNWyBtLYLM2Y6vUdASpBB7bxGtr" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img data-original-height="853" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEgYsyHorpN54Z3SiXrFYF-FmTgni2Z1chT9Yan_TBn8472A6yDIPwlRs1zOZioOxohr5xI9oUGr_eWPAz0Mc988QcGtQb66mQzoLLMUt6rrOwiG75tPYd-4vRz_oFCaLy4CjeJQFXP2nP-EEyuWBi-S_Nl7ihNWyBtLYLM2Y6vUdASpBB7bxGtr=s16000" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Still aus MAMAM | (c) Bild: Four Chambers/PFFB 2023</td></tr></tbody></table><br />Brüste, sie haben auch etwas Phallisches an sich, sie sind im Grunde eine ganz eigene Form von Penis, wie den Performerinnen während ihres Gesprächs auffällt. „The beauty of lactation – a form of ejaculation.“ Die Milch, sie ist eine eigene Art von Sperma. Und wie die Muttermilch, so ist ja auch Sperma ein Produkt komplexer biochemischer Prozesse, hinter denen Glückshormone stecken.<p style="text-align: left;"></p><p style="text-align: left;">So absonderlich das alles nach den vorangegangenen Zeilen immer noch klingen mag, wer einmal das Gesicht des männlichen Performers mitten im Verlauf von MAMAM gesehen hat, versteht, welche immense Kraft diesem Fetisch innewohnt. Es ist ein Gesicht der puren Lust und des Glücks, der Erfüllung und der absoluten Friedlichkeit. Und kaum weniger glücklich und friedlich verlässt man als Zuschauer:in diese unvergleichliche Arbeit.</p><p style="text-align: left;">MAMAM, Four Chambers, GBR 2023, 24' | Als Stream verfügbar auf <a href="https://afourchamberedheart.com/cinema/maman">afourchamberedheart.com</a><br /></p><p style="text-align: left;"><span style="font-size: x-large;"><b>27. Oktober 2023, 11.42 Uhr | Bitte immer schön krass</b></span><br /></p><p style="text-align: left;">Das Netz kennt eine Regel, die als „Rule 34“ bekannt ist. Sie geht angeblich auf ein Meme zurück, das besagt, dass zu allem, was existiert, auch ein Porno existiert – „if it exists, there is Porn of it.“</p><p style="text-align: left;">Davon ausgehend, dass diese Regel niemals irrt, wie sollte man sich einen Porno über schlechte Kinofilme vorstellen?<br /><br />Wären sie krass? Völlig überzeichnet? Verstörend? Lächerlich? Sie wären sicherlich darauf bedacht, die Autonomie ihrer Zuschauer:innen nicht ernst zu nehmen und im Idealfall manipulativ zu wirken, schließlich muss man den Widerstand in den Köpfen des Publikums irgendwie überwinden.</p><p style="text-align: left;"></p><table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto; text-align: left;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEifI71BQ6tvpw2Wtv-6i4um8zQDc6r8y3CwYkdB8ddpe7sKNv0EdsvVNs7iKiv0o8H8GbfxEtfPA1cAuagukTFR8oxicw4YXE0_MtGq73tWLjex1uDLBaPaXOyOTCZYFr_Ig8TK5hViV5-D8QrRaENtg5nKwttBssqnG-f-Io7Q3OTZCtY-12D6" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img data-original-height="854" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEifI71BQ6tvpw2Wtv-6i4um8zQDc6r8y3CwYkdB8ddpe7sKNv0EdsvVNs7iKiv0o8H8GbfxEtfPA1cAuagukTFR8oxicw4YXE0_MtGq73tWLjex1uDLBaPaXOyOTCZYFr_Ig8TK5hViV5-D8QrRaENtg5nKwttBssqnG-f-Io7Q3OTZCtY-12D6=s16000" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Sol Miranda in REGRA 34 | (c) Foto: Esquina Filmes, Bubbles Project<br /></td></tr></tbody></table><br />Was uns die brasilianische Filmemacherin Julia Murat mit ihrem Spielfilm, der nach dieser Regel benannt ist – REGRA 34 – sagen möchte, erschließt sich selbst nach den üppigen 100 Minuten Laufzeit nicht. Dass über ihre Arbeit eine Pornoversion entsteht, ist sicherlich nicht die Absicht der Filmemacherin, auch wenn ein Porno über REGRA 34 wahrscheinlich in die Kategorie „Schlechte Pornos über schlechte Filme“ fallen würde.<p style="text-align: left;"></p><p style="text-align: left;"><b>Diese Neigung</b><br /><br />Betrachtet man die Karriere von REGRA 34, könnte man kaum auf den Gedanken kommen, dass dieses Werk misslungen ist. Schon in der Projektphase war der Film beim Co-Production Market der Berlinale erfolgreich, und beim Filmfestival von Locarno 2022 sammelte die Arbeit sogar den Hauptpreis, den Goldenen Leoparden ein. Der Film stand im Programm des renommierten Festivals von Busan und natürlich auch beim Festival in Rio de Janeiro.</p><p style="text-align: left;">REGRA 34 führt uns ein in die Welt der jungen Staatsanwältin in Ausbildung, Simone. Sie ist eine Person of Color und arbeitet bei einer Staatsanwältin im Bereich häusliche Gewalt. Nachts posiert sie auf einem Webcamportal für fremde Menschen und deren Tokens.</p><p style="text-align: left;">Außerdem hat sie eine Neigung. Lassen Sie uns das Wort an dieser Stelle in all seiner Befremdlichkeit verwenden, denn Simones „Neigung“ vernutzt Filmemacherin Julia Murat in exakt derselben Befremdlichkeit.<br /><br />Während ihrer Webcamsessions entdeckt Simone, dass sie auf Breathplay steht. Dies ist eine besonders spannende, wenn auch nicht gänzlich ungefährliche Spielart im BDSM-Bereich – besonders für Neulinge wie Simone. Sie ist von diesem Kink schnell gefesselt, ja geradezu besessen, und bereit, immer mehr und immer verantwortungslosere Risiken einzugehen. Natürlich, das Drehbuch will es ja so. </p><p style="text-align: left;"><b>Narratives Schocken </b><br /></p><p style="text-align: left;">REGRA 34 scheitert aufgrund des offensichtlichen Interesses von Filmemacherin Julia Murat an Drastik und an der größtmöglichen Kollision von Kontrasten. Sie knallt mit frappierender Kaltschnäuzigkeit äußerst komplexe Erzählstränge sowie thematische und politische Motive miteinander zu sammen. Es ist die Lust am narrativen Schock, die diesen Film so unangenehm macht.<br /><br />Gerade erst bringt sich Simone halb um, und im nächsten Schnitt sitzt sie schon wieder im Hörsaal und nimmt an elaborierten Diskussionen über die (Un-)Möglichkeiten des Rechtsstaats in einer machistischen und zutiefst patriarchal geprägten Gesellschaft und einem Staat teil. Nur um nach einem weiteren waghalsigen Selbstversuch zusammen mit ihrer Staatsanwältin einer Frau gegenüber zu sitzen, die schwere psychische Gewalt erlitten hat und die sie versuchen davon zu überzeugen, dass ihr Mann Teil des Prozesses der Aufarbeitung werden muss, damit Heilung einkehren kann. <br /><br />Einige atemberaubende Scharmützel später sitzt Simone vor ihrer Mentorin und erfährt, dass der Mann die Frau im Rausch ins Krankenhaus geprügelt hat, und sie nur aus purem Glück noch lebt.</p><p style="text-align: left;"><b>Kein Spielraum fürs Publikum</b><br /><br />Je länger der Film, desto krasser werden die erzählerischen Motive und filmischen Spiegelungen realer Krisen der brasilianischen Gesellschaft gegeneinander gecrasht. Es handelt sich um eine hochmanipulative und leider wohl sehr wirkungsvolle Art der Narration, die dem Publikum keinen Spielraum für eigene Denkbewegungen und Auseinandersetzungen lassen will.<br /><br />Das Ganze wird garniert mit manch rassistischer Sexualisierung: Während die jungen Staatsanwält:innen gerade noch im Gericht über die Unterdrückung von People of Color in der brasilianischen Gegenwart diskutieren, hüpft Simones Kommilitone, ebenfalls eine Person of Color, in so gut wie allen Szenen, die in ihrer gemeinsamen WG spielen, halbnackt herum. Wenn der Darsteller dieser Figur Glück hat, darf er noch ein Hemd oder ein T-Shirt tragen, aber meistens sind es nur kurze Shorts oder Pants. Sein farbiger Körper wird zu einem sexualisierten Objekt.</p><p style="text-align: left;">REGRA 34 wirft Fragen auf. So real die in diesem Film angetippten Probleme der brasilianischen Gesellschaft sind, so sehr verstört der Umgang damit, respektive die darauf Bezug nehmende Zeichnung der Figuren und ihrer Entwicklung. Anders formuliert: Warum werden hier Kink einerseits und rassistische sowie patriarchale Gewalt andererseits auf diese absurde Weise gegeneinander in Stellung gebracht?<br /><br />Beides hat nichts miteinander zu tun. Es handelt sich um eine völlig dysfunktionale Kombination – sofern man als Filmemacher:in nicht danach strebt, die eigene Geschichte mit drastischstem Effekt zu erzählen und dafür Kink rücksichtslos auszuschlachten. REGRA 34 ist ein weiteres starkes Beispiel dafür, wie problematisch das Verhältnis des Weltkinos zu Erörterungen der menschlichen Sexualität in all ihren Facetten ist.</p><p style="text-align: left;">REGRA 34, Julia Murat, BR 2022, 100'<br /> </p><div style="text-align: left;"><span style="font-size: x-large;"><b>26. Oktober 2023, 17.23 Uhr | Fuck your friends!</b></span></div><div style="text-align: left;"><p> „… Are there going to be any other Black people there?” – Es ist im Kern diese Frage, die vier Freund:innen davon abhält, den geplanten Besuch einer sexpositiven Party doch wieder abzublasen. Sie haben einfach keine Lust, als schwarze Körper von weißen Blicken exotisiert und fetischisiert zu werden, „on display“ zu sein. Sie entscheiden sich stattdessen dafür, den Abend miteinander zu verbringen.</p></div><div style="text-align: left;"><p>Schnell ist das Arsenal der Toys und Devotionalien auf der großen Wohnzimmercouch ausgebreitet, und es beginnt eine äußerst gut gelaunte Suche nach dem bevorzugten Spielzeug und Accessoire: „FUCK YOUR FRIENDS“, zu sehen in der Kurzfilmrolle „Queer Porn Shorts“ und eine Produktion des queeren Pornolabels Aorta Films, um Pornfilmfestival-Stammgast Mahx Capacity. Entwickelt sich ohne viel Federlesen zu einer ungemein dynamischen und stets sehr ausgelassenen Orgie von vier Freund:innen.</p><p></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEhqU7D0LsuOqOnXEBV_q0_GoNr22YXri7P1QknI0fcF-1WcRqKhkwt21hhWq4x8V9fc55cBJO4s1bP4RXyrA1LRunk9YAxJzWPEa-w50oB-d4UpOp4n3IHSaaYgTixQ4UmsL9zmAQ6NBK_sa_ICCZxjCL7mO8fHxUXupSIaGm2xnE0ygjlSwvy7" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img data-original-height="576" data-original-width="864" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEhqU7D0LsuOqOnXEBV_q0_GoNr22YXri7P1QknI0fcF-1WcRqKhkwt21hhWq4x8V9fc55cBJO4s1bP4RXyrA1LRunk9YAxJzWPEa-w50oB-d4UpOp4n3IHSaaYgTixQ4UmsL9zmAQ6NBK_sa_ICCZxjCL7mO8fHxUXupSIaGm2xnE0ygjlSwvy7=s16000" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Still aus FUCK YOUR FRIENDS | (c) Bild: Aorta Films/PFFB 2023<br /></td></tr></tbody></table><br />Mahx Capacitys Arbeiten faszinieren immer wieder durch ihre Nähe und Intimität, das ist ist FUCK YOUR FRIENDS nicht anders. Capacity setzt die Kamera eher als zurückhaltende und doch stets aufmerksame Beobachterin ein. Im Zentrum stehen die Performer:innen, die sich im Verlauf einer Performance nicht selten zu einem warmen Zentrum vereinen, und deren Körper – in ihrer mannigfaltigen Diversität – auf kaum zu beschreibende Weise in Lust zu schimmern scheinen, trotz, oder gerade weil es in den Filmen von Aorta Films zumeist eher härter und BDSM-basiert zur Sache geht.<p></p></div><div style="text-align: left;"><p>Also, warum noch zu einer angeblich sexpositiven Party mit fragwürdigem Publikum gehen, wenn man Freund:innen hat, die genau verstehen, wie sie lustvolle Qualen hervorrufen können? „Fuck your Friends“ – das darf hier ausdrücklich als zur Nachahmung empfohlen verstanden werden.</p></div><div style="text-align: left;"><p><span style="font-size: x-large;"><b>26. Oktober 2023, 13:06 Uhr | Auster, Weck-Glas, Vagina</b></span><br /></p><p>Essen und Erotik pflegen seit jeher eine sehr enge Verbindung. Dass Sex auch ein Lieferant für eine fehlende Zutat sein kann, zeigt die österreichische Filmemacherin Bea Blue in ihrer Arbeit TASTE OF YOU, einer Kollaboration mit dem Berliner Performance-Duo Toussik und Teil der Kurzfilmrolle „Female Panorama Shorts“.<br /></p></div><div style="text-align: left;"><p>Es beginnt wie eine reichlich abgedroschene Porno-Erzählung: ein Paar, eine Küche, Zutaten, Kochen. Das Essen könnte jetzt zur Nebensache werden, und die sexuelle Erzählung sogleich beginnen. Doch das Paar in dieser Küche hat ein Problem: Das Gericht mit frischer Auster, das sie zubereiten, will einfach nicht gelingen. Es scheint trotz mehrfachem Abschmecken immer noch eine Zutat, eine Geschmacksnuance zu fehlen.</p><p> <b>Virtuos und furios</b> <br /></p></div><div style="text-align: left;"><p style="text-align: left;">Die Professionalität der Speisenzubereitung, die wir hier zunächst verfolgen, erinnert eher an die Küche eines Sterne-Restaurants. Das wundert nicht, denn die beiden Performer von Toussik, Kitty und Uri, sind tatsächlich gelernte Köche und Gastronomen, wie sie im Filmgespräch nach dem Screening von TASTE OF YOU berichteten.</p><p style="text-align: left;">Auf der Suche nach dem fehlenden Element in ihrem Rezept bewegen sich die beiden dann doch weg vom Herd und zum Sex. Filmemacherin Bea Blue vertraut bei der Umsetzung der Sexsequenz ganz auf die Chemie zwischen ihren Performern und schafft so das Fundament für einige ungemein fesselnde und energiegeladene Minuten Pornografie, wie sie selbst auf einem lustgesättigten Festival wie dem Pornfilmfestival nicht allzu oft zu finden ist.</p><p style="text-align: left;">Toussik legen eine – man muss das einfach so beschreiben – rundheraus virtuose und furiose Session zwischen Herd und Anrichte hin, die die gesuchte Zutat gleich mehrfach liefert. Und nein, es geht nicht um Sperma, aber so in der Art. Warum sonst hält Urs seiner Partnerin kurz vor ihrem Orgasmus ein Weck-Glas vor die Vagina, wenn nicht, um die fehlende Zutat zu ernten?</p> <p><span style="font-size: x-large;"><b>25. Oktober 2023, 22:05 Uhr | (Don't) Kill me <br /></b></span></p><p></p><blockquote style="text-align: left;"><blockquote><blockquote><blockquote><blockquote>„Look, you’re rock hard“</blockquote></blockquote></blockquote></blockquote></blockquote><p></p><p>Für Rick beginnt und endet es im Park. New York, frühe 90er, der schwule Nachwuchsfotograf Rick zieht seine Bahnen durch den Central Park und die dortige Cruising-Area. „The Ramble“ heißt dieser Teil des Parks, ein bis heute weit über New York hinaus bekannter Cruising-Hotspot im südlichen Teil des Central Parks.</p><p>Rick (Guillermo Diaz) nähert sich dem Treiben als eine Art teilnehmender Beobachter. Er vermeidet es jedoch, direkten Körperkontakt zu den anderen Männern aufzunehmen. Er erlebt das Geschehen durch seinen Fotoapparat, eine Minolta, die er sich von seiner Chefin, einer exzentrischen Modefotografin, ausleiht.</p><p></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEhsrSjhum0nipTfAUOB8bNyGKb1On2ynDiMb_GGMTpCjk3pKhlA6UqcfkU_yiW0H5d7qqELE_Gsof-CueZpMlV5a0qdUQ9sDXx4-U904pRpRCqVSv3HJgOwf5_q6nvscOKiQELU3ytQn8ik5wMXpTXKuYgCNnVGwOXW_IUMF20lIzsIUlhdX4Wy" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img data-original-height="853" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEhsrSjhum0nipTfAUOB8bNyGKb1On2ynDiMb_GGMTpCjk3pKhlA6UqcfkU_yiW0H5d7qqELE_Gsof-CueZpMlV5a0qdUQ9sDXx4-U904pRpRCqVSv3HJgOwf5_q6nvscOKiQELU3ytQn8ik5wMXpTXKuYgCNnVGwOXW_IUMF20lIzsIUlhdX4Wy=s16000" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Still aus YOU CAN'T STAY HERE: Guillermo Diaz als Rick – und das Skalpell des Killers | (c) Bild: PFFB/Bangor Films<br /></td></tr></tbody></table><br />Was genau er allerdings in seinen Bildern sucht und bezweckt, bleibt relativ unklar, obwohl wir seine Fotomotive sehen: Ein athletischer schwarzer Jogger im weißen Jockstrap, ein langhaariger junger Kerl im blauen Shirt, der sich von einem anderen Kerl ficken lässt, ein älterer Mann am Wegesrand, der die Waschbären im Park abgerichtet hat – ein blutüberströmter Typ, der heillos durch die Nacht torkelt und dann spurlos verschwindet. YOU CAN'T STAY HERE.<p></p><h3 style="text-align: left;">Wer lauert dort im Park? <br /></h3><p>Warum Rick die Kamera nutzt, um eine Distanz zwischen sich und den anderen Männern herzustellen, werden wir im Verlauf von YOU CAN'T STAY HERE noch lernen. Es hat mit seiner Vergangenheit zu tun und den Dämonen darin, denen er viel zu lange gehorcht hat, anstatt sich von ihnen zu befreien. Aber zunächst einmal gilt es, vor einer Razzia der Polizei zu flüchten: „Don't run, they always look for the runners.“</p><p>Die Bullen sind jedoch nicht die einzige Gefahr, die in diesem Park lauert. Wo kam der blutüberströmte Mann her? Warum hängt dort ein blutverschmiertes T-Shirt im Baum? Was hat es mit dieser Blutlache am Waldboden auf sich? Etwas geht hier vor oder viel mehr um. Und Rick brennt alsbald dafür, diesem Etwas mit seiner Kamera auf die Spur zu kommen.</p><p>Ohne es zu wissen, begegnet Rick gleich zu Beginn des Films demjenigen, der für dieses Blutvergießen verantwortlich ist. Ein hochgewachsener, hagerer Typ in einem halbtransparenten dunklen Latexmantel geht im Park an ihm vorbei und hält ihm dabei eine Flasche Poppers hin. Rick ignoriert ihn, und das ist sein Glück. Vorerst.</p><h3 style="text-align: left;">Wider der Doktrin <br /></h3><p style="text-align: left;">YOU CAN'T STAY HERE ist der (mindestens) 28. Spielfilm des US-amerikanischen Filmemachers und Pornfilmfestival-Stammgasts Todd Verow. Er ist einer der vielleicht außergewöhnlichsten und sehenswertesten Filmemacher in den heutigen USA. Müsste man Schubladen bemühen, würde er wohl in der Schublade Independent oder Underground landen. Doch Verow passt eigentlich in keine Schublade. Seine Art des filmischen Erzählens hat eine sehr eigene und einzigartige Form, wie auch Kraft.</p><p style="text-align: left;">Man könnte die Art seiner Inszenierung als theatralisch umschreiben, als bühnenartig, nicht selten gar karikierend und dabei doch sehr klar und selbstbewusst ernst in der Form stehend. Schonungslos auf minimalste Mittel heruntergebrochen im Erzählen und Ausagieren. Dabei unbedingt explizit – nicht notwendigerweise jedoch im sexuellen Sinne. Besondere filmische Verkünstelung, das Kreieren von Welten, ist seine Sache nicht.</p><p style="text-align: left;"></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEhkhGL42hhVCAWmBnQ0BcUasubHrCnPRvHcTtdKrCjw5ZOpYm6Mo2TcQhDnpqJ8s6nXYa7Cc_W1VJ1B1dWuB8x-Z4b2h0eU1-l52z647waoNdwfzf_IaJ1M4yxVQkQ0yIo9ZGUIpicP4LruJNrZO_auJ6sws4FVvVpw6IsA-HlItDVtjz1MQwKv" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img data-original-height="853" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEhkhGL42hhVCAWmBnQ0BcUasubHrCnPRvHcTtdKrCjw5ZOpYm6Mo2TcQhDnpqJ8s6nXYa7Cc_W1VJ1B1dWuB8x-Z4b2h0eU1-l52z647waoNdwfzf_IaJ1M4yxVQkQ0yIo9ZGUIpicP4LruJNrZO_auJ6sws4FVvVpw6IsA-HlItDVtjz1MQwKv=s16000" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Still aus YOU CAN'T STAY HERE | (c) Bild: PFFB 2023/Bangor Films<br /></td></tr></tbody></table><p></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"></div><br />Die Filmwelten von Todd Verow wirken abstrakt, improvisiert, skizzenhaft, manchmal kurios. Wenn man die Nähe zum Theater betonen wollte, käme am ehesten der Stil des Performance-Kollektivs „The Nature Theater Of Oklahoma“ (NTO) in den Sinn. Deren Co-Gründerin Kelly Copper beschrieb einst im <i>Guardian</i> ihre Herangehensweise ans Inszenieren mit den Worten: „You shouldn’t feel like you can just watch the actors as objects: it should be a more complicated relationship.“ Verows Filme ähneln in gewisser Weise den Performances (und Filmen) des NTO, jedoch sollten sie keinesfalls miteinander verwechselt werden. Sie sind Geschwister im Geiste. Beide eint der Stil ihrer Abkehr von (nicht nur) formalen Normen und Konventionen, die in ihren jeweiligen Bereichen als Doktrin wirken.<p></p><h3 style="text-align: left;">Kluger Beobachter <br /></h3></div><div style="text-align: left;"><p>Das Offensichtliche, das scheinbar „inszenierte,“ als das zu betrachten, was es zu sein scheint, es zu vereinfachen und gering zu schätzen, wäre zu simpel und faul. In diesen Filmen steckt stets mehr, und unter der Oberfläche brodelt eine große Portion Ungemach, Abgründigkeit – und Trauma. Dabei zeichnet sich Todd Verow Film für Film als kluger Beobachter für queere und schwule Leben und Lebensrealitäten aus. YOU CAN'T STAY HERE bestätigt dies einmal mehr auf eindrucksvolle Weise. </p></div><div style="text-align: left;"><p>Natürlich fängt er das Kribbeln und die besondere Spannung ein, die einen beim Cruising stets begleitet. Doch viel mehr arbeitet er heraus, wie Coming-of-Age für schwule Männer zum Trauma wird, wenn sie in homofeindlichen Familien aufwachsen müssen. Wenn die wichtigste Person im Leben eines Kindes, die Mutter, zugleich zur ärgsten Feindin wird, die einen auf ewig für das verfolgt und peinigt, was man im Kern ist. </p></div><div style="text-align: left;"><p>Ein Trauma, das im Erwachsenenalter als Obsession wieder an die Oberfläche drängt und schließlich zur Psychose wird. Ein psychischer Ausnahmezustand, der wahnsinnige Selbstgefährdung mit sich bringt, vor allem wenn ein blutrünstiger Killer durch den Park streift.</p><h3 style="text-align: left;">BLOW UP <br /></h3></div><div style="text-align: left;"><p>YOU CAN'T STAY HERE ist ein Genrestück, ein Thriller, lose basierend auf realen Geschehnissen im New York der frühen 90er Jahre. Rick, der Nachwuchsfotograf, steigert sich mehr und mehr hinein in seine Suche nach demjenigen, der im Central Park Männer meuchelt. Er entdeckt den Mörder auf einem seiner Fotos, die er in der Dunkelkammer seiner Chefin entwickelt. Es braucht eine Vergrößerung, ein Blow-up, um das Gesicht des Killers genau zu erkennen. Caught in the act. </p></div><div style="text-align: left;"><p>Dieser Film ist eine Schatztruhe für Filmfans, lassen sich doch gleich mehrere Referenzen entdecken, beispielsweise Friedmann’s CRUISING, Powell’s PEEPING TOM und allen voran Antonioni’s BLOW UP. Selbst THE SHINING kommt hier manchmal in den Sinn. Diese Referenzen sind Hommagen, kleine Liebesbeweise eines filmverliebten Filmemachers, der es virtuos versteht, diesen Ikonen der Filmgeschichte eine eigene Interpretation hinzuzufügen. Gleichwohl, sie bestimmen YOU CAN'T STAY HERE nicht.</p><p></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEi-jf544maUlIBUggyrviqLqp8Svp1iMKhBXOdWS6ehVeVi2OwXjK9xbfrGW2ltck43eswOaRRmnvksoaRg9khb8HPRGoihzwQfKNkIJ0RrQTr2kXehAoz_tEXv0EoEwuUwa-lENAIo0h1KQZ1VA_ChCBC-ctSCb8LG6lQ1w2_HsiiWwCuYFFGf" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img data-original-height="853" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEi-jf544maUlIBUggyrviqLqp8Svp1iMKhBXOdWS6ehVeVi2OwXjK9xbfrGW2ltck43eswOaRRmnvksoaRg9khb8HPRGoihzwQfKNkIJ0RrQTr2kXehAoz_tEXv0EoEwuUwa-lENAIo0h1KQZ1VA_ChCBC-ctSCb8LG6lQ1w2_HsiiWwCuYFFGf=s16000" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Still aus YOU CAN'T STAY HERE: Rick (Guillermo Diaz) und der Killer (Justin Ivan Brown) | (c) Bild: PFFB2023/Bangor Films<br /></td></tr></tbody></table><p></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"></div><br />Ricks Problem, neben vielen Anderen, besteht darin, dass der Killer (fesselnd verkörpert von Justin Ivan Brown) auch ihn erkannt hat. Sie beginnen, sich gegenseitig zu verfolgen. Eine Art Katz- und Maus-Spiel, das alsbald auf eigentümliche Weise die Grenzen zwischen Jäger und Gejagtem aufhebt. Als der Killer Rick zum ersten Mal stellt, bringt er ihn nicht um – denn er erkennt, welche Wirkung seine Gegenwart, seine Bedrohung auf Rick hat: „Look, you’re rock hard“ – sagt der Killer, während er Rick ein Skalpell an die Kehle drückt. Wer begehrt hier wen?<p></p></div><div style="text-align: left;"><h3 style="text-align: left;">Poppers und Skalpell <br /></h3></div><div style="text-align: left;"><p style="text-align: left;">Der abgründige Reigen zwischen diesen Männern ist damit noch lange nicht am Ende und Todd Verow zieht uns immer weiter hinein in die psychischen und psychotischen Untiefen, die sowohl Rick als auch den Killer antreiben und beide scheinbar untrennbar miteinander verbinden.<br /><br />Ein Happy End kennt YOU CAN'T STAY HERE nicht – oder vielleicht doch? Was ist, wenn die einzige Chance auf Erlösung von den Traumata und den Dämonen der Kindheit in den Händen eines Killers liegt? Und wenn dieser Killer eine Flasche voll betäubendem Poppers und ein Skalpell anzubieten hat?</p><p style="text-align: left;">YOU CAN'T STAY HERE ist ein weiterer Höhepunkt (unter vielen) im Oeuvre von Todd Verow.</p><p>YOU CAN'T STAY HERE, Todd Verow, US 2023, 104', <a href="https://bangorfilms.com/ycsh" target="_blank">Bangor Films</a></p><p><br /></p> <p><span style="font-size: x-large;"><b>24. Oktober 2023, 23.56 Uhr | Porno macht depressiv</b></span> </p><p>Endlich volljährig! Das Pornfilmfestival Berlin eröffnete seine 18. Ausgabe am 24. Oktober 2023, zwei Monate vor Heiligabend. Festival-Co-Kuratorin Paulina Pappel kam dann auch nicht umhin, bei den einführenden Worten vor dem Eröffnungsfilm von nichts weniger als einer "Pornoweihnacht" zu sprechen – was, wenn man bedenkt, wie dünn gesät die deutsche Filmfestivallandschaft ist, sobald es um Filme mit mehr oder weniger expliziten Erörterungen menschlicher Sexualitäten geht, durchaus eine zutreffende Umschreibung für das Pornfilmfestival Berlin darstellt.</p></div>Das Pornfilmfestival Berlin ist wie Weihnachten für alle Zuschauer, die sich mehr oder weniger expliziten filmischen Erzählungen und Erkundungen der Vielfalt menschlicher Sexualitäten und Emotionen öffnen möchten, und dies ausdrücklich auf der großen Kinoleinwand.<h3 style="text-align: left;">Nebenerwerb Pornfluencer <br /></h3><p style="text-align: left;">Die Verbindung zwischen dem kleinen Bildschirm und dem Kino stellte jedoch sogleich der Eröffnungsfilm PORNOMELANCHOLIA her. Der Film des in Berlin lebenden Argentiniers Manuel Abramovich präsentiert uns einen jüngeren Mann in einer namenlosen mexikanischen Großstadt: Lalo. Sein Broterwerb besteht eigentlich aus der Arbeit in einer Schlosserei, doch er pflegt einen kleinen Nebenerwerb – er ist, so muss man das wohl bezeichnen, ein Pornfluencer. Oder will es zumindest werden.<span></span> </p><p style="text-align: left;"><span></span>Wir steigen ein, wenn er scheinbar sinnlos auf der Straße steht, dabei fällt sein Blick, fallen seine Augen auf – sie wirken leer, fast stählern – nur um plötzlich in Tränen auszubrechen. Schnitt. Wir folgen Lalo, wie er sich vor allem auf TwitterX inszeniert und seine Follower anheizt – und die ihn. Dort nimmt auch ein Pornolabel Kontakt zu ihm auf. Die filmische Erzählung lässt uns im weiteren Verlauf teilhaben an einigen Stufen der professionellen Sexarbeit vor der Kamera: Auf das Casting folgt der erste große Pornodreh, folgt die Entdeckung der Schattenseiten der Industrie und schließlich der Einstieg in die Welt der Content Creation, also der Selbstvermarktung eigener pornografischer Inhalte auf großen Plattformen wie OnlyFans oder JustForFans.</p><p style="text-align: left;"></p><table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto; text-align: left;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEhF-gzGyerBvsqAQmgxXcz_g5l1Tm7juauK5lcUBxOGriXmiyiy0Q3tn72Xf_1l_iVZrF2qMCL5qGa-EGqC9KWYkFyIa2joFvzSwz9H59_qCvYjwyJA5m-CJMsUXrXijzMmx2f1JPDSXEUiZLN6tOs0ibLv8u4eX_3lrKzVOnqcEC1S62tYrYjP" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img data-original-height="853" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEhF-gzGyerBvsqAQmgxXcz_g5l1Tm7juauK5lcUBxOGriXmiyiy0Q3tn72Xf_1l_iVZrF2qMCL5qGa-EGqC9KWYkFyIa2joFvzSwz9H59_qCvYjwyJA5m-CJMsUXrXijzMmx2f1JPDSXEUiZLN6tOs0ibLv8u4eX_3lrKzVOnqcEC1S62tYrYjP=s16000" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Still aus PORNOMELANCHOLIA:Lalo Santos als Lalo | (c) Bild: PFFB/GMFilms 2023<br /></td></tr></tbody></table><p style="text-align: left;"></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"></div> <br />Im Gegensatz zu dieser schlichten Aufzählung ist die Skizze dessen, was Manuel Abramovich mit seiner filmischen Erzählung eigentlich will, schon wesentlich schwieriger. Am ehesten und wohlmeinendsten ließe sich PORNOMELANCHOLIA noch als Sondierung des Alltags eines Sexarbeiters im digitalen Raum lesen. Doch dafür fehlt eigentlich alles, was eine intensive Auseinandersetzung mit einem Protagonisten respektive einer Figur auszeichnet – allem voran: Empathie und Respekt.<p style="text-align: left;"></p><h3 style="text-align: left;">Je länger, desto mehr Fragezeichen<br /></h3>Empathie für die Figur und Respekt für das Publikum dieses Films. Filmemacher Manuel Abramovich, der mit seinem Kurzfilm BLUE BOY und der dokumentarischen Arbeit SOLDADO bereits bei der Berlinale Filme präsentiert hat, vermag zu keinem Zeitpunkt der Arbeit transparent zu machen, was für einen Film er eigentlich vorlegen möchte. Was ist das hier? Ein fiktionaler Film? Eine dokumentarische Arbeit? Ein Hybrid? Ist Lalo Santos noch Darsteller einer fiktionalen Figur oder schon ein echter Protagonist – oder umgekehrt? Wo verlaufen die Grenzen? Hat Lalo Santos Agency über das, was hier mit ihm passiert, wie er dargestellt wird? Je weiter die 98 Minuten Laufzeit voranschreiten, desto mehr Fragezeichen drängen sich auf.<br /><br />Vor einem Jahr präsentierte das Pornfilmfestival mit RUA DOS ANJOS eine dokumentarische Arbeit, die auf geradezu vorbildliche Weise die Frage der Agency und der Verantwortung der Subjekte hinter und vor der Kamera verhandelte: Wie sieht eine wahrhaftige Repräsentation dessen aus, was Menschen zu dem macht, was sie sind und wer sie sind?<br /><br />Eine Frage, die nicht allein auf dokumentarische Arbeiten beschränkt ist. Auch eine fiktionale Erzählung wird am ehesten dann funktionieren, wenn die Entwicklung ihrer Figuren zusammenpasst, wenn sie glaubwürdig ist. Selbst fiktionale Filmfiguren haben in gewisser Weise ein Recht auf eine wenigstens plausible, im besten Fall authentische, nah- und nachvollziehbare Zeichnung. Es sei denn, die Filmemacher:innen wollten, dass sie nur Marionetten sind. Aber gehen wir als Zuschauer für Marionetten ins Kino? Und wollen wir Filmen von Filmemacher:innen zusehen, die ihre Figuren als Marionetten in einem fragwürdigen Spiel benutzen?<h3 style="text-align: left;">Marionette <br /></h3>Stöbert man durch den Instagram-Account des Hauptdarstellers von PORNOMELANCHOLIA, Lalo Santos (@lalo.oaxaca), wird man schnell auf eine Sammlung von Instagram-Stories zum Projekt PORNOMELANCHOLIA stoßen. Darin finden sich diverse Stories und Memes, die selbst über die Sprachbarriere hinweg recht unmissverständlich erkennen lassen, dass sich Lalo Santos von Filmemacher Manuel Abramovich wohl in erheblichem Maße als Marionette missbraucht fühlt und mit der Verwendung seiner Person für diesem Film inzwischen absolut nicht mehr einverstanden ist.<br /><br />Kaum weniger als eine Abrechnung nimmt Santos mit dem Filmemacher vor, wenn er ihm in Memes Sätze wie „Ich habe dich nur benutzt, um mein kulturelles Kapital zu erweitern, Kumpel“ in den Mund legt. Oder die offenbar halbseidenen Rechtfertigungen des Filmemachers auseinander nimmt: „Es ist eine Reflexion über die Grenzen zwischen Privatem und Öffentlichem, Kumpel.“ Und wie tief das Zerwürfnis letztendlich wohl reicht, zeigt auch dieser Satz: „What substantial difference is there between cinema and a sweatshop?“<br /><br />Legt man die Äußerungen von Santos über die Dysfunktionalität des Films zugrunde, wird deutlich, dass PORNOMELANCHOLIA also wohl tatsächlich weniger Film als ein Marionettenspiel ist, womit die Frage im Raum steht, was das obere Ende der Fäden uns denn nun beizubringen gedachte? Das lässt sich, trotz satten 98 Minuten Lauflänge, kurz fassen: Manuel Abramovich will uns mit seiner sinistren Fabel seine Sicht auf digitale Sexarbeit präsentieren – man könnte auch von seinen Vorurteilen sprechen. Sexarbeit für den Bildschirm macht einsam, depressiv und stumpf. Die digitalen Fans sind keine echten Freunde, und Menschen werden als Sexarbeiter:innen im digitalen Raum jeden Morgen allein im Bett aufwachen. Abramovichs Thesen, sie sind pure Regression und intellektuelle Verzwergung.<br /><br />Man muss dem Pornfilmfestival Berlin dankbar dafür sein, dass es dieses Werk als Opener programmierte. Nicht, weil PORNOMELANCHOLIA ein guter Film ist, das ist er sicherlich nicht. Sondern weil er auf äußerst ernüchternde Weise verdeutlicht, wie weit der Weg für Menschen in der (filmischen) Sexarbeit noch ist, bis sie für ihre Arbeit vor der Kamera wenigstens ein Minimum an Respekt von Filmemacher:innen und der Mehrheitsgesellschaft erfahren.<br /><p style="text-align: left;"><b>PORNOMELANCHOLIA, Manuel Abramovich, AR/BR/FR 2022, 98' | Ab November 2023 via GMFilms in Deutschland im Kino</b><br /></p><p style="text-align: left;"></p><p style="text-align: left;"></p><p style="text-align: left;"></p><p style="text-align: left;"></p><p style="text-align: left;"></p><p style="text-align: left;"></p><p style="text-align: left;"></p><div class="blogger-post-footer">| filmanzeiger.de |</div>filmanzeigerhttp://www.blogger.com/profile/07608769428649714067noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-32184591.post-46898395014200321612023-02-24T19:30:00.000+01:002023-02-26T05:45:57.706+01:00Berlinale 2023 als Dauerliveblog | Familienzeit<h1 style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Gedanken, Schnipsel, Kritiken zur Berlinale 2023 und ihren Filmen</span></h1><h2 style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">_____</span></h2><h2 style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">22. Februar 2023, 19.22 Uhr, Family Time</span></h2><p style="text-align: left;">MUMMOLA hat 114 Minuten Lauflänge und schafft etwas sehr seltenes: Zu keinem Moment überkommt einen der Reflex, zwischendurch auf die Uhr zu schauen. Man bleibt einfach dran.</p><p style="text-align: left;">Es ist eine Geschichte – oder vielmehr sehr viele kleine Geschichten in einer größeren Erzählung – über mehrere Generationen einer Familie rund um Weihnachten und danach. Großeltern, die Töchter, die Enkel. Die Erzählweise folgt nicht üblichen Mustern, sonder wählt eine seltene aber sehr effektive Form: Die Handlung entwickelt sich in ungeschnittenen Sequenzen von jeweils mehreren Minuten Dauer. </p><h2 style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgZCQ5YM-1spMPjuuLiptz5y_yfFU4kYcqcxNXVVIPm3xXwWUy9LFJZVdq0Bqu8Iojpr_G3J7-s5ZwJdd-MEGCgf_FmRW3UQHAYJWj3-20ezaIAVeMN4cBQPu4piIrVjaTauvGhgCGAxGdSAp937m2NAECsk-zqIx0pELfIgeVu8YQVcHYj0g/s1200/filmanzeiger-berlinale-Mummola-TiaKouvo--Foto-SamiKuokkanen-AamuFilmcompany-IFB2023.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="600" data-original-width="1200" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgZCQ5YM-1spMPjuuLiptz5y_yfFU4kYcqcxNXVVIPm3xXwWUy9LFJZVdq0Bqu8Iojpr_G3J7-s5ZwJdd-MEGCgf_FmRW3UQHAYJWj3-20ezaIAVeMN4cBQPu4piIrVjaTauvGhgCGAxGdSAp937m2NAECsk-zqIx0pELfIgeVu8YQVcHYj0g/s16000/filmanzeiger-berlinale-Mummola-TiaKouvo--Foto-SamiKuokkanen-AamuFilmcompany-IFB2023.jpg"></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Familienzeit – Still aus MUMMOLA | (c) Bild: Sami Kuokkanen/Aamu Filmcompany/IFB2023<br></td></tr></tbody></table></span></h2><div style="text-align: left;">Auffällig ist ein weitere formaler Aspekt: Die Kamera bewegt sich fast nie. Kein Schuss/Gegenschuss, keine aufwändigen Fahrten oder Handkameraarbeiten. Nichts. Die Kamera bleibt statisch, bleibt an ihrem Platz.</div><h2 style="text-align: left;"></h2><p>Diese visuelle Form erinnert ans Theater, den alten Guckkasten, wo Figuren ins Blickfeld gehen wieder abgehen, an die Rampe treten und wieder im Hintergrund verschwinden. Nur das wir es hier eben nicht mit einer aufgebrezelten Theaterbühne zu tun haben, sondern mit dem engen Wohnraum eines Holzhauses in der finnischen Pampa mitten im Winter. Die Dramen des Alltäglichen, die sich abspielen, stehen Theaterstoffen indes in nichts nach.</p><p>Es ist eine erstaunlich fesselnde Methode, die Filmemacherin Tia Kouvo hier anwendet. Woher und von wem die nächste Bewegung kommt, was sie auslöst, wo es endet – jede Sequenz ist ein neues Rätsel. Wir folgen begierig, werden hineingezogen in eine Erzählung über eine Familie, die im Kern dysfunktional geworden ist – quer durch die Generationen. Wo Sprachlosigkeiten nur mühsam überspielt werden können, wo Erinnerungen, die zwar tränenfrei und fast mit einem zarten Lächeln geteilt werden, im Grunde zum heulen sind. </p><p>Das alles ist hier mitunter sehr bitter, ja. Aber niemals bleiern schwer. Lakonie und leiser Humor zeichnen diesen Film, neben seiner faszinierenden Formensprache, besonders aus. Man will nicht, dass es aufhört und ist empört, wenn nach 114 Minuten plötzlich alles schon zu ende sein soll. MUMMOLA, was für ein Geschenk von einem Film!</p><h2 style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">_____</span></h2><h2 style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">22. Februar 2023, 15.34 Uhr, Indizien</span></h2><p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">KNOCHEN UND NAMEN ist ein weiteres Indiz, dass die interessanteren Filme in Deutschland inzwischen wohl außerhalb des Fördersystems entstehen. Vielleicht hätte es die 104 Minuten Laufzeit nicht unbedingt gebraucht und die ein oder andere Kürzung ein gutes Ergebnis weiter gestärkt.</span></p><h2 style="text-align: left;"><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjyp65j67Y4FS29DjMEracaYXy23FpZ91lDQEP_kKjmmQLjtMZTTN3i11lO1S0Bzy6NQB8Q8JyqWpZg5WmLC2doayIuoLVWHteZlFTK0zNnINgagVI13DNQ9Vch81NSOvYo5svM9l3I6gPiaMHblOB0qKcs2mZ0rur3An3iL9CXoZWAlHnfxA/s1280/filmanzeiger-KnochenundNamen-KnutBerger-FabianStumm-Berlinale--Foto-Postofilm-IFB2023.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjyp65j67Y4FS29DjMEracaYXy23FpZ91lDQEP_kKjmmQLjtMZTTN3i11lO1S0Bzy6NQB8Q8JyqWpZg5WmLC2doayIuoLVWHteZlFTK0zNnINgagVI13DNQ9Vch81NSOvYo5svM9l3I6gPiaMHblOB0qKcs2mZ0rur3An3iL9CXoZWAlHnfxA/s16000/filmanzeiger-KnochenundNamen-KnutBerger-FabianStumm-Berlinale--Foto-Postofilm-IFB2023.jpg"></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Knut Berger, Fabian Stumm in KNOCHEN UND NAMEN | (c) Bild: Postofilm/IFB 2023<br></td></tr></tbody></table></h2><p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Trotzdem bleibt der angenehme Eindruck eines frischen, sehr heutigen und zugleich auf tolle Weise verschrobenen Films, der noch dazu selbstbewusst in seiner kinoaffinen Form steht.</span></p><h2 style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">_____</span></h2><h2 style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">22. Februar 2023, 14.42 Uhr, Penisfragen und Traumata<br></span></h2><p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Die Form ist hier ausdrücklich fürs Streaming gebaut, schnell, poppig, laut, stylish. Fürs Kino weniger, aber das ist nicht schlimm. Die Message ist genauso ausdrücklich – unapologetisch: KOKOMO CITY porträtiert schwarze Transfrauen in der Sexarbeit überall in den heutigen USA.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"></span></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhAjXoGPa1nX6eFoGTOfbA4BsL2lwJFJMYoO14o7vLInP7xOPWvLvJP0bvlnM96ubcqvHBKPSThOjP8GXA9XJrH7RZfg6dGN8nrk8NF4Ni8ng7MnFWwYDmC6LmMZ-plLhi87qT0-aKq4HHYsJdE68sJJ0x_M18kvmFwkADHXZUw9S1NxJsPhQ/s1280/KokomoCity-DaniellaCarter-DSmith-Berlinale-Panorama--Foto-CouchPotatoePictures-IFB2023.jpg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhAjXoGPa1nX6eFoGTOfbA4BsL2lwJFJMYoO14o7vLInP7xOPWvLvJP0bvlnM96ubcqvHBKPSThOjP8GXA9XJrH7RZfg6dGN8nrk8NF4Ni8ng7MnFWwYDmC6LmMZ-plLhi87qT0-aKq4HHYsJdE68sJJ0x_M18kvmFwkADHXZUw9S1NxJsPhQ/s16000/KokomoCity-DaniellaCarter-DSmith-Berlinale-Panorama--Foto-CouchPotatoePictures-IFB2023.jpg"></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Daniella Carter in D. Smith' KOKOMO CITY | (c) Bild: Couch Potatoe Pictures/IFB 2023 <br></td></tr></tbody></table><span style="font-weight: normal;"><br>Wir lauschen ihren Erzählungen über ihre Profession und alles was dieser Job mit sich bringt: Beauty-Tipps, Selbstmarketing, ihre Prenisgrößen („You won't make money with a small dick.“) – und ständige Lebensgefahr. </span><p></p><p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Die Bedrohungen für schwarze Transfrauen, sie bestehen zunächst im konkreten Gegenüber – ihren Kunden. Gewalt, allen voran die Bedrohung durch Schusswaffen kann mit jedem neuen „Trade“ kommen und oft tödlich enden. Die Bedrohung ist aber genauso auch unkonkret, verschleiert, ephemer und doch unmissverständlich da: Die Wunden und Traumata, die in die schwarzen Communitys geschlagen wurden durch den Rassismus der Weißen. Traumata, die sich über Generationen fortpflanzten, die ein Eigenleben entwickelten, Verhaltensmuster und (Geschlechter-)Normen ausprägten, – die in den Communitys gegen die Communitys wirken. </span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"><b>Erst Orgasmus, dann Lebensgefahr </b><br></span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Normen, in die queere Kinder nicht hineinpassen, Transkids schon gar nicht. Ausgestoßen von ihren Familien. Verachtet als Sexarbeiter von ihren Kunden für das, was sie sind, was sie symbolisieren, was sie spiegeln. Die Lebensgefahr, sie ist nach dem Orgasmus am größten.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Filmemacher:in D. Smith stellt uns in KOKOMO CITY unglaublich reflektierte Frauen vor, deren Schatz an Lebenserfahrung größer ist als es ihnen eigentlich selber lieb wäre. Sie sind stark, weil sie sich Schwächen nicht erlauben können, sonst sind sie tot. Sie sind schön, weil sie das Geld brauchen, um zu überleben in einem Amerika, das menschlichen Wert nicht nur nach Hautfarbe und Geschlecht, sondern auch nach Einkommen bemisst. </span></p><p style="text-align: left;"></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgNRh4pOERermnOjDw9PmPMkCngbWsv_dQiViBr9Nzx5FT1wtaBprv2YvarbbeYqpmc-VvH0orgIb5f0z4EiW1rsdfDYEea26TrZvTTQYLcbd6--jHAPz_-vdgNWSIp4CIAXmDUcwpH5aFpu4XJv-CjJioMcq4Js0SE6mzCyaaAErV1jE7OXw/s1280/KokomoCity-RichParis-XoTommy-DSmith-Berlinale-Panorama--Foto-CouchPotatoePictures-IFB2023.jpg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgNRh4pOERermnOjDw9PmPMkCngbWsv_dQiViBr9Nzx5FT1wtaBprv2YvarbbeYqpmc-VvH0orgIb5f0z4EiW1rsdfDYEea26TrZvTTQYLcbd6--jHAPz_-vdgNWSIp4CIAXmDUcwpH5aFpu4XJv-CjJioMcq4Js0SE6mzCyaaAErV1jE7OXw/s16000/KokomoCity-RichParis-XoTommy-DSmith-Berlinale-Panorama--Foto-CouchPotatoePictures-IFB2023.jpg"></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="font-weight: normal;">Rich-Paris, XoTommy in D. Smith' KOKOMO CITY | (c) Bild: Couch Potatoe Pictures/IFB 2023 </span></td></tr></tbody></table><span style="font-weight: normal;"><br>Sie sind aber auch: müde. Müde von einem Kampf – zuallererst mit den Geschlechtern zwischen und in denen sie ihre eigene Identität finden mussten und immer noch müssen. Dann von einem Job, der ihnen alles abverlangt. Und schließlich von Gesellschaften, deren Mitglieder sie genauso sehr begehren, wie sie sich verachten.</span><p></p><p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">KOKOMO CITY setzt diesen Frauen kein Denkmal, ausdrücklich nicht. Dieser Film ist eher eine große Bühne, ein Sprachrohr, um jene Stimmen laut zu machen und zu verstärken, die zu den multiplen Krisen in den US-amerikanischen Gesellschaften (und, deren Lösungen) wesentlich mehr beitragen könnten als Politik, Medien, Forschung und Kirchen. Doch all diese Entitäten sind zu sehr damit beschäftigt, schwarze Transfrauen zu pathologisieren und zu verachten, als ihnen zuzuhören. So gesehen ist KOKOMO CITY auch eine unmissverständliche Anklage. Und dabei verdammt gut aussehend. <br></span></p><h2 style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">_____</span></h2><h2 style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">21. Februar 2023, 23.51 Uhr, Twitterismen</span></h2><p style="text-align: left;"><b><a href="https://twitter.com/filmanzeiger/status/1628093686536863754" target="_blank">*zu THIS IS THE END von Vincent Dieutre, Forum</a></b> </p><h3 style="margin-left: 40px; text-align: left;">„Man ist sehr gerne Gast in diesem Strom aus Gedanken und Bildern über eine alte schwule Liebe, die zur unwirtlichsten Zeit (Ausbruch der Pandemie) und in der unwirtlichsten Stadt (L.A.) wieder aufeinander trifft. Melancholisch und doch voll von Leben: #ThisIsTheEnd #Berlinale2023“</h3><p></p><p style="text-align: left;"><a href="https://twitter.com/filmanzeiger/status/1628141449769353219" target="_blank"><b>*zu PASSAGES von Ira Sachs, Panorama </b></a></p><div style="margin-left: 40px; text-align: left;"><h3 style="text-align: left;">„Don't hate me, aber der spannendste Teil an #Passages war Franz Rogowski in bauchfreien Oberteilen. Ich bin Ira Sachs ewig depressives Menschen-leiden-an-Beziehungen-Kino einfach nur noch überdrüssig. It's always the same mood, the same colours, the same problems. #Berlinale2023“</h3></div><p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"></span></p><p style="text-align: left;"><a href="https://twitter.com/filmanzeiger/status/1627634831319334912" target="_blank"><b>*zu LE PARADIS von Zeno Graton, Genration 14plus</b></a></p><p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"></span></p><h3 style="margin-left: 40px; text-align: left;">„Publikumsscreenings in der #Generation14plus – immer ein Highlight, dass Kino wird zum trubeligen Bienenstock. Perfekter Test für die dramaturgischen Qualitäten eines Films.“</h3><h3 style="margin-left: 40px; text-align: left;">„Nachtrag: Was die dramaturgischen Qualitäten betrifft, hat #LeParadis gut abgeliefert. Für 83 Minuten kein Mucks im Saal, nichtmal als die Jungs anfingen, miteinander zu knutschen. Das ist ein sehr solide durcherzähltes Debüt mit einem erfrischend dreisten Ende. #Berlinale2023“</h3><h2 style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">_____</span></h2><h2 style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">21. Februar 2023, 15.17 Uhr, Unsere Körper<br></span></h2><p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">„Hoffentlich bekomme ich keinen Krebs da drin.“ – in dieser kleinen lakonischen Bemerkung von Filmemacherin Claire Simon bevor sie den Komplex einer Pariser Gynäkologischen Klinik betritt, spiegelt sich ein Gedanke der wohl alle beschleicht, wenn sie ein Krankenhaus besuchen ohne selbst Patient:in zu sein: Bitte genauso heil wieder rauskommen wie man reingegangen ist.<br></span></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjFMQyczO8fTibkPgjyrNlW7dbmyM98U1f-ug5hcAyw9DZu9jrkcKGYXJpjEbEkH4qsveJn9W63zSEUJACbrfqWaOVHVPCWWnniNGTVmqLaQzquMGq5FNwz_8Bp9tA0k-N20P5h9A39gJPntdBlwQpzxro1gfripiO2iFo_cr7v30vUjvzuFg/s1280/NotreCorps-ClaireSimon-Berlinale-Forum--foto-MadisonFilms-IFB2023.jpg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjFMQyczO8fTibkPgjyrNlW7dbmyM98U1f-ug5hcAyw9DZu9jrkcKGYXJpjEbEkH4qsveJn9W63zSEUJACbrfqWaOVHVPCWWnniNGTVmqLaQzquMGq5FNwz_8Bp9tA0k-N20P5h9A39gJPntdBlwQpzxro1gfripiO2iFo_cr7v30vUjvzuFg/s16000/NotreCorps-ClaireSimon-Berlinale-Forum--foto-MadisonFilms-IFB2023.jpg"></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">It's a girl! Still aus NOTRE CORPS | (c) Bild: Madison Films/IFB 2023<br></td></tr></tbody></table><p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Und noch etwas beunruhigt an diesen Orten: Krankenhäuser sind immer irgendwie unpersönlich. Für den Betrieb Krankenhaus, für die Behandlungsmaschine sind die einzelnen Menschen so etwas wie der Sprit, der sie am Laufen hält. Menschen werden zu Namen, Namen zu Akten, Akten beinhalten Befunde, Diagnosen, Behandlungen, Prognosen, – aber diese Akten verraten nichts über den Menschen, dessen Namen auf den Akten stehen.</span><span style="font-weight: normal;"> </span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Was Claire Simon in ihrer dokumentarischen Arbeit NOTRE CORPS versucht ist, die Subjekte hinter den Akten sichtbar zu machen. Die Motive, die Claire Simon aufnimmt, sind dabei oft ähnlich: Meistens beobachtet sie Menschen in einer Besprechungssituation im Praxiszimmer. Dabei legt sich eine Art Rhythmus frei zwischen den Momenten, in denen die Ärtzt:innen im Bild sind, und mal die Patient:innen. Beide Seiten des Tisches kommen zu Wort, ihre Sprechakte könnten unterschiedlicher nicht sein und doch geht es darum, sich dem Gegenüber verständlich zu machen und sei es mit Stift und Papier. Klappt das?</span></p><p style="text-align: left;"><b>Konzentrieren auf Menschen </b><span style="font-weight: normal;"><b> </b><br></span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Beschwerden, Diagnosen, Befunde, Behandlungspläne – was ist das eigentlich für eine Situation, dieses Arztgespräch? Für die eine Seite des Tisches ist es der ganz normale Arbeitsalltag, ein Job, ein anstrengender Job, – die Gesichter der Ärzte sprechen Bände. Für die andere Seite geht es mitunter um alles, – auch hier geben die Gesichter über weit mehr Auskunft als die gesprochenen Worte</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Die Kamera registriert dieses Geschehen, ist eine stille Beobachterin, mehr ausdrücklich nicht. Claire Simon gibts uns Ruhe und Raum, um uns auf die Menschen zu konzentrieren. Sie wahrzunehmen in ihrem Sein in dieser Ausnahmesituation. Sie macht die Menschen sichtbar an einem Ort, der dazu neigt, Menschen unsichtbar zu machen in der Masse.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"><b>Krankenhaus, kein Safe Space </b><br></span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Wenn die Kamera nicht in einem Praxiszimmer steht, ist sie unterwegs. Sie beobachtet die Gänge des altehrwürdigen Gebäudes, welches die Klinik beherbergt und das genauso gut auch das Set eines Harry-Potter-Films sein könnte. Sie schaut Laboranten dabei zu, wie sie Spermien in Eizellen stecken, wohnt Geburten bei, lauscht einer Tumorkonferenz, beobachtet die Arbeit eines begeisterten Arztes mit seiner endoskopischen OP-Apparatur, während er ein Gewächs aus einer Gebärmutter schneidet – wir sehen es auf dem großen Monitor im OP-Saal. Einmal geht die Kamera vor die Tore der Klinik und besucht dort eine Demonstration. Frauen prangern sexualisierte Übergriffe von Ärzten an und fordern neue Behandlungsstandards ein. Krankenhäuser – für Frauen sind sie kein Safe Space.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Abbrüche von Teenagerschwangerschaften, künstliche Befruchtungen, Schwangerenbetreuung, Geburten, Transitionen, Endometriosen, Brustkrebs, das Alter – in der gynäkologischen Klinik steht das ganze Spektrum der Erkrankungen und Bedürfnisse des (weiblichen) Körpers auf dem Programm. NOTRE CORPS ist eine unerbittliche Vermessung der körperlichen Zumutungen des Frauseins von der Eizelle bis zum Tod – und damit auch ein gleichermaßen feministischer wie furioser Film gegen eine medizinische Welt, die bis heute vor allem vom Mann her denkt, forscht und behandelt. <br></span></p><h2 style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">_____</span></h2><h2 style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">21. Februar 2023, 00.46 Uhr, Streben nach Glück<br></span></h2><p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Warten auf eine Aufenthaltserlaubnis bedeutet Leben auf dem Abstellgleis, keine Arbeit, kein Umziehen, nur die Träume können fliegen, bis zu den Sternen. Realität geht trotzdem weiter: Beste Freundin, Singen, Tanzen, Aktivismus, Bingo spielen fürs Geld, Erwachsen werden. Die Tage sind heiß in Loredo, Texas, doch im Fluss baden geht nicht, denn es ist der Grenzfluss zu Mexiko. Abkühlung verschaffen Anwesen mit Pools, in die sie nachts einsteigen. Hoffentlich kommt keine Polizei, sonst droht die Abschiebung: Silvia und Estefanía, beste Freundinnen.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"></span></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgacxPEDivQRsCYVYaxvfdfUidAMe92lbNfKKQXI8AnRiBFyEBsHi3uU_gzUIoJpZN29KYFgOmbU80taltXYvuzTOBjedelPkVUVgVfUMPcNRpKmVN7kfyx7FDE77Kz_FXT9124RLR6dtzEf7g00Zv_ZkkXjaIPWVXHboWBTA7glytQf8WW3w/s1280/Hummingbirds-Silvia-Estefania-Berlinale-Generation--Foto-ILoveYouChingosLLC-IFB2023.jpg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgacxPEDivQRsCYVYaxvfdfUidAMe92lbNfKKQXI8AnRiBFyEBsHi3uU_gzUIoJpZN29KYFgOmbU80taltXYvuzTOBjedelPkVUVgVfUMPcNRpKmVN7kfyx7FDE77Kz_FXT9124RLR6dtzEf7g00Zv_ZkkXjaIPWVXHboWBTA7glytQf8WW3w/s16000/Hummingbirds-Silvia-Estefania-Berlinale-Generation--Foto-ILoveYouChingosLLC-IFB2023.jpg"></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Silvia und Estefanía beim Bingo – mit mäßigem Erfolg | (c) Bild: I Love You Chingos LLC/IFB 2023<br></td></tr></tbody></table><br>Zwei junge Frauen in einem Grenzort an der amerikanisch-mexikanischen Grenze. Ihre Mütter sind mit ihnen illegal eingewandert, als sie noch klein bzw. in Silvias Fall noch im Mutterbauch waren, nun stehen sie auf der Schwelle zum Erwachsensein. Silvia hat das Glück, gebürtige Amerikanerin zu sein, doch Estefania hat immer noch keinen legalen Status. Sie sind die Protagonistinnen in und die Regisseurinnen von HUMMINGBIRDS. Für 77 Minuten erlauben sie uns, an ihren Leben teilzuhaben. Leben im erzwungenen Stillstand, Estefanias Antrag auf Legalisierung ist gestellt, doch die US-Bürokratie arbeitet langsam und unberechenbar. Sie nehmen uns mit in ihren Alltag, ihre Gedanken, ihre Träume.<p></p><p style="text-align: left;"><b>Pursuit of Happiness</b></p><p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Ein Alltag im Leerlauf und doch auch voll von Dingen. Estefanias Abtreibung hat sie in den Aktivismus gebracht, genauso wie die Realität ständiger Verhaftungen und Abschiebungen durch die gewalttätige Migrationspolizei ICE. Dazwischen: Herumdriften, Fast Food, Musik. Estefania ist eine talentierte Musikerin und Sängerin, doch auf Tour gehen kann sie nicht – ohne Papiere. Silvia kann schreiben, starke, lebensnahe, krasse Lyrik ist ihre Sache. Estefania entwickelt den Soundtrack zu ihren Zeilen.<br></span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Ihr schwuler Freund schleppt sie in einen queeren Club, „Pursuit of Happiness“ ist ihr Song. Was auch sonst? Nachts toben sie zu dritt mit einem Einkaufswagen durch die leeren Straßen und fordern „Accept your local gays!“.<br></span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Die Mütter, die sie in dieses Land brachten in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft, sie sind in dieser dokumentarischen Arbeit seltsam abwesend. Estefanias Mutter kommt immerhin kurz vor, bei Silvia erfahren wir nur per Telefon, dass die Frau Probleme mit einem übergriffigen Mann hat, der den Unterhalt für seine Tochter nicht zahlt. Silvias Vater. Derlei Sorgen haben Estefania und ihre Mutter nicht: Estefanias Vater liegt in einem Grab in Loredo. Silvia und Estefania verschönern das Grab mit etwas Grün. Natürlich machen sie ein Selfie dabei. </span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"><b>Keine Kompromisse </b><br></span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Selfies, Insta, Fotos – das Leben durchs Smartphone oder den Fotoapparat festzuhalten, so gut es nur geht, scheint ihre Maxime. Obwohl sie die Kehrseite dessen sehr klar benennen: Was die Technik aufs Bild bannt, vergisst der Kopf. Doch vergessen wollen sie ausdrücklich nicht. Sie wollen bleiben, wollen bestehen, nicht vergessen sein. Hier und jetzt, und darüber hinaus. <br></span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Dieser Film, diese irgendwie auch verdammt intime und zugleich extrem bildstarke Doku in so jungen Jahren, ist kein Denkmal, es ist eine klare und deutliche Ansage an die Welt, dass hier zwei junge Frauen keine Kompromisse machen werden, wenn es um ihren Platz im Leben und in der US-amerikanischen Gesellschaft geht. HUMMINGBIRDS ist ein Schatz von einem dokumentarischen Film. </span></p><h2 style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">_____</span></h2><h2 style="text-align: left;">20. Februar 2023, 21.34 Uhr, James (2)<span> </span> <br></h2><p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"><i>„It's a mystery movie“</i> – James Benning zu seiner neuesten Arbeit ALLENSWORTH, einer filmischen Annäherung an eine der ersten Siedlungen von Afro-Amerikaner:innen für Afro-Amerikaner:innen in den USA im frühen 20. Jahrhundert. </span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Die Siedlung, gegründet in der kalifornischen Einöde, um dem Terror der alltäglichen Rassentrennung zu entgehen, überlebte nur wenige Jahrzehnte. Am Ende hatten die Weißen der Siedlung wortwörtlich das Wasser abgegraben und wichtige Verbindungen wie die Eisenbahn defakto gekappt. Ihr Gründer, der ehemalige Sklave und spätere Militärkaplan und Theologe Allen Allensworth, verstarb 1914, nachdem er von einem Motorrad überfahren wurde. Die Umstände dessen, ob Unfall oder Mord, wurden nie aufgeklärt. Die Siedlung verfiel und wurde erst Jahrzehnte später als Museumspark in Teilen wieder aufgebaut.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"></span></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEglCt6YsD9RnDgFXkrdhP_QiiCe9_BZ9z_WeM9bU6OOP162ozVr_t74v7SQn76nIrNUqQVvsBLRPfijbtYS3FR2hvgrMFQ5lEW-io1GxGrBuDlJAl20F7fneEBKp1U5yxxdb_htY703FOC4RFoo8Z9VBiIEiy1e-iipWTeKHQ9-p9mGkG8gWA/s1280/Allensworth-JamesBenning-Forum-Berlinale2023--Foto-Benning-neugerriemschneider-IFB2023jpg.jpg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEglCt6YsD9RnDgFXkrdhP_QiiCe9_BZ9z_WeM9bU6OOP162ozVr_t74v7SQn76nIrNUqQVvsBLRPfijbtYS3FR2hvgrMFQ5lEW-io1GxGrBuDlJAl20F7fneEBKp1U5yxxdb_htY703FOC4RFoo8Z9VBiIEiy1e-iipWTeKHQ9-p9mGkG8gWA/s16000/Allensworth-JamesBenning-Forum-Berlinale2023--Foto-Benning-neugerriemschneider-IFB2023jpg.jpg"></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">September in Allensworth, Kalifornien – Still aus ALLENSWORTH | (c) Bild: James Benning/neugeriemschneider/IFB 2023<br></td></tr></tbody></table><span style="font-weight: normal;"><br>Benning nimmt dieses Freilichtmuseum in den Fokus. Ein Jahr, 12 Monate, zwölf Akte zu jeweils ca. 5 Minuten. 30 Sekunden Länge, 12 Gebäude bzw. Räume und Orte, zumeist aus Holz. Die Verzweiflung ist in den Bildern spürbar, mit der Menschen versuchten, ausgerechnet mitten in der Prärie eine ruhige Heimat ohne Rassenhass und Ausgrenzung zu finden. Zugleich geben einige der Gebäude durch ihre Architektur Zeugnis vom Wunsch nicht nur nach einem zweckmäßigen Zuhause, sondern auch nach Schönheit und geradezu Utopie. </span><p></p><p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Dieser Ort, Allensworth, und seine Geschichte sind in der breiteren US-Öffentlichkeit heute weitgehend vergessen. Die soziale, wirtschaftliche, infrastrukturelle und topografische Depravierung, die diesen Ort zerstörte, sie ist derweil auch im Jahr 2023 Alltag in den USA. James Bennings ALLENSWORTH ist ein hochgradig aktuelles Werk.<br></span></p><h2 style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">_____</span></h2><h2 style="text-align: left;">20. Februar 2023, 20 Uhr, James<span> </span> </h2><p style="text-align: left;"><a href="https://twitter.com/filmanzeiger/status/1627753720959143968" target="_blank">Auf Twitter</a>:</p><p style="text-align: left;"></p><blockquote>Ein @BerlinaleForum ohne #JamesBenning ist möglich, aber sinnlos.</blockquote><p></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhy1F98TbsX4z4Yubi4QdmgUl9KmAYnihwX89z-VWAnRXNFBKK5R_oFqEiUAJ2KafI7q-vrW-6WbcrmFzni6Xi2NNP-IBfRyjW4l1Q8xbGgi4rpavwjd-72Oib9plH9o1dc_p52tYIvSfsCIo-1_cOoMOEsqI1H-3reI_wAiSiGhaa_ODwDZw/s1200/filmanzeiger-JamesBenning-Allensworth-Berlinale2023--foto-filmanzeiger.jpg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="904" data-original-width="1200" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhy1F98TbsX4z4Yubi4QdmgUl9KmAYnihwX89z-VWAnRXNFBKK5R_oFqEiUAJ2KafI7q-vrW-6WbcrmFzni6Xi2NNP-IBfRyjW4l1Q8xbGgi4rpavwjd-72Oib9plH9o1dc_p52tYIvSfsCIo-1_cOoMOEsqI1H-3reI_wAiSiGhaa_ODwDZw/s16000/filmanzeiger-JamesBenning-Allensworth-Berlinale2023--foto-filmanzeiger.jpg"></a></div><h2 style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">_____</span></h2><h2 style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">20. Februar 2023, 19.23 Uhr, Machwerk</span></h2><p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Erst die Queen, dann Golda Meir, Helen Mirren strikes again. Der Unterschied zwischen THE QUEEN und GOLDA ist, dass Mirren bei THE QUEEN mit Stephen Frears einen Regisseur hatte, der zwischen all dem royalen Camp wichtige Zwischentöne und darstellerische Nuancen zu destillieren wusste. In Guy Nattivs GOLDA, diesem befremdlich unterhaltsamen, weil irgendwie wolig-gruseligem Film, gibt es keine Nuancen mehr. Eine zur Unkenntlichkeit maskierte Mirren ist angehalten, sich mit dem dickest möglichen Besteck durch diese Farce zu arbeiten, die rund um den Jom-Kippur-Krieg angesiedelt ist und bis zur wortwörtlich allerletzten Kippe auf Golda Meirs Totenbett andauert.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"></span></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhonsI1RbrslPU-_dBWO-sFvdLLGyC6ZYy-vEhgykSYF_abmr33mH9nkvxT284sWErwyDyMwkk5sU6FPpVWfz-_JBGQ0Gu5LRmVGk64Hca-yVN85BkudkBj5aFHYozQTpzWz7yiDUbCnfab3JCS2u6MNR5H0EASswNbxfcg3dKfvuE4KOxytQ/s1280/Golda-HelenMirren-Berlinale--Foto-JasperWolf-IFB2023.jpg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhonsI1RbrslPU-_dBWO-sFvdLLGyC6ZYy-vEhgykSYF_abmr33mH9nkvxT284sWErwyDyMwkk5sU6FPpVWfz-_JBGQ0Gu5LRmVGk64Hca-yVN85BkudkBj5aFHYozQTpzWz7yiDUbCnfab3JCS2u6MNR5H0EASswNbxfcg3dKfvuE4KOxytQ/s16000/Golda-HelenMirren-Berlinale--Foto-JasperWolf-IFB2023.jpg"></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Suchbild: In diesem Filmstill ist Helen Mirren versteckt. Finden Sie die Darstellerin. | (c) Bild: Jasper Wolf/IFB 2023<br></td></tr></tbody></table><br>Guy Nattivs Erzählung ist schwarz-weiß, die Aufstellung wird schnell klar: Dort die blutrünstigen Araber, hier die armen Israelis um ihre schwerkranke Golda Meir, die keine Ahnung von Krieg hat – und am Spielfeldrand die unzuverlässigen Amis, die keinen Bock auf Stress mit den Sowjets haben. Verkürzung, Verknappung, Überhöhung sind gern gewählte Mittel bei der Konstruktion einer filmischen Erzählung über historische Ereignisse. Die guten Erzähler wissen, wo ihre künstlerische Freiheit endet. Guy Nattiv und sein Drehbuchautor Nicholas Martin sind davon weit entfernt, gute Erzähler zu sein. Ihre <span style="font-weight: normal;">Authentizität ist Fake. </span><span style="font-weight: normal;">Ihr Film ist ein Geschenk für das neue rechtsradikale Regime von Benjamin Netanyahu. Mensch spürt Golda Meir förmlich im Grab rotieren. <br></span><p></p><h2 style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">_____</span></h2><h2 style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">19. Februar 2023, 15.45 Uhr, Zeitkapsel</span></h2><p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Wir sehen bewegte Bilder – im Wortsinne. Bilder, aufgenommen wenige Jahre nach der Jahrhundertwende, damals, als die Bilder gerade erst laufen lernten. Die bewegten Bilder stammen aus dem Archiv des Eye Filmmuseums Amsterdam. Sie dokumentieren eine Niederlande am Beginn der industriellen Revolution. Aus kleinen Weihern werden Dörfer werden Städte. Erste Maschinen helfen, der widerspenstigen See mühsam Land abzutrotzen. Handwerk weicht Fabrik aus Bauern werden Arbeiter, Pferdefuhrwerke machen Platz für die Eisenbahn, die Tram, das Auto. Energie durch Verbrennung fossiler Brennstoffe als Trigger für einen beinahe evolutionären Schub. DEAREST FIONA.<span></span></span></p><a name="more"></a><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiXgZYH4AsUXrhKNfh_EV8O3Lkks9n_n2pf0cQtEm4gz7N-spa5QxSabUS8aCJx-CZaRkeM0kNDWjXXXON3xd_QJgBTnMaQugQA7kdNez0OsZ4Lgi4W3L0c2aM08T0RIw-j26F8BtfgVWGXT2DChaFT5SQnWLwdwKVrH0RcFJPofs73smYwjQ/s1280/DearestFiona--Foto-FionaTan-AntithesisFilms-IFB2023.jpg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiXgZYH4AsUXrhKNfh_EV8O3Lkks9n_n2pf0cQtEm4gz7N-spa5QxSabUS8aCJx-CZaRkeM0kNDWjXXXON3xd_QJgBTnMaQugQA7kdNez0OsZ4Lgi4W3L0c2aM08T0RIw-j26F8BtfgVWGXT2DChaFT5SQnWLwdwKVrH0RcFJPofs73smYwjQ/s16000/DearestFiona--Foto-FionaTan-AntithesisFilms-IFB2023.jpg"></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Still aus DEAREST FIONA | (c) Bild: Fiona Tan/Antithesis Films/IFB 2023<br></td></tr></tbody></table><p>Die Filme vor den 1920ern besitzen eine faszinierende materielle Vielfalt. Selten kann man heutzutage noch die filmtechnische Entwicklung jener Zeit so komprimiert auf der Leinwand erkunden: Wortwörtliches Bewegtbild geht langsam in Film über, Schwarzweiss und Sepia wechseln sich mit ersten Experimenten der Handkolorierung von Film ab. Mit den Möglichkeiten verändern sich die Motive, wird das Gezeigte wenn man so will waghalsiger: Beschauliche Dorfaufnahmen oder Porträts prägen die frühesten Aufnahmen. Allmählich stürzt sich die Kamera ins Getümmel, fährt Eisenbahn, beobachtet Kundgebungen, guckt in Hochöfen, dokumentiert Feuersbrünste und Sturmfluten.<br><span style="font-weight: normal;"></span></p><p>Was alle Bilder eint, sie haben noch keinen Ton. Filmemacherin Fiona Tan entwickelt daher eine eigene Tonspur. <span style="font-weight: normal;">Soundcollagen fühlen dem Geschehen in den Bildern nach,
sie untermalen, manchmal überhöhen sie das Treiben. Und sie stellt den
Bildern auf der Tonspur eine weitere, durchaus intime Erzählung
entgegen: Ein Sprecher liest aus den Briefen, die ihr Vater Ende der
1980er an sie schrieb. Er, ein Ministerialbeamter und offenbar im
geologischen Dienst des Wirtschaftsministeriums in Australien, mit
familiären Wurzeln in der früheren niederländischen Kolonie Indonesien,
sie seine Tochter, die nun in Amsterdam studiert.</span></p><p></p><p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Seine Nachrichten scheinen alltäglich, es geht um Urlaub, die Arbeit, um kranke Familienmitglieder, um Haustiere, das Wetter – und die Weltlage. Eifrig kommentiert er in den vorgelesenen Briefen, was aktuell in der Welt los ist, ob australische Innenpolitik oder der Fall der Berliner Mauer, er hat zu allem eine Meinung. Manchmal lässt sich aus seinen Worten erahnen, dass es zur damaligen Zeit auch der Filmemacherin selber nicht immer gut ging. Ihre Antworten auf seine Briefe hören wir nicht.<br><br>Auf den ersten und auch den zweiten Blick haben die Bilder auf der Leinwand und die Briefe des Vaters nichts miteinander zu tun. Die Verbindungen zwischen beiden Welten entstehen eher in unserem Kopf. Wir sind der Resonanzraum in DEAREST FIONA. Wir, das sind die Menschen des Anthropozäns. Unsere Vorfahren haben sich das Land angeeignet wie die Menschen in den Bildern und wie Fiona Tans Vater im geologischen Dienst für einen Staat, der Rohstoffexporte zum Überleben braucht. </span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"></span></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhCOEUa5iyxaGhDEbhWx9GuUOUrqe-HYzUDtfUahV62avJ8OEp8-jst_Dw5oZ7NK68NEscmoyv-6zHGhoO0o3CldhYoan_1TgfDNIfns-GoW-nmBr20dlcNh-gJi1DK647vN1MERl8NiJDHECfY14lsp2Vi2yeo32nzwBDehk0j-N4iFGENiQ/s1280/DearestFiona-Forum-Berlinale--Foto-FionaTan-Antithesis%20Films-IFB2023.jpg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhCOEUa5iyxaGhDEbhWx9GuUOUrqe-HYzUDtfUahV62avJ8OEp8-jst_Dw5oZ7NK68NEscmoyv-6zHGhoO0o3CldhYoan_1TgfDNIfns-GoW-nmBr20dlcNh-gJi1DK647vN1MERl8NiJDHECfY14lsp2Vi2yeo32nzwBDehk0j-N4iFGENiQ/s16000/DearestFiona-Forum-Berlinale--Foto-FionaTan-Antithesis%20Films-IFB2023.jpg"></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">DEAREST FIONA – eine Technik der damaligen Zeit: Handkolorierte Bewegtbilder | (c) Bild: Fiona Tan/Antithesis Films/IFB 2023<br></td></tr></tbody></table><br>In den Bildern sehen wir die Kinderstube des Anthropozäns, auf der Tonspur hören wir von einer Periode dieses Zeitalters, in der der „Treibhauseffekt“ schon bekannt, aber zugleich die Menschheit zu sehr mit sich selber beschäftigt war, um ernsthaft etwas gegen das zu tun, was wir heute Klimakrise nennen. Fiona Tan lässt in DEAREST FIONA zwei Zeitkapseln kollidieren, die uns erkenntnisreich Auskunft davon geben, wann wir begannen, unser eigenes Grab zu schaufeln und wann wir nichts taten, um dieses Grab wieder zuzuschütten. Heute sitzen wir in diesem Grab und sehen diesen faszinierenden Film.<p></p><p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">DEAREST FIONA, Fiona Tan, NL 2023, Forum<br></span></p><h2 style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">_____</span></h2><h2 style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">19. Februar 2023, 12.29 Uhr, Keine Angst</span></h2><p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">*auf Twitter:</span></p><p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"></span></p><blockquote>Was für ein filmischer Schatz schlummert eigentlich im Archiv der DDR Opposition? Danke Anna Zett für diese faszinierende und extrem viel Lust auf mehr machende Zeitkapsel #EsGibtKeineAngst. @BerlinaleForum #Berlinale2023 </blockquote><p></p><h2 style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">_____</span></h2><h2 style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">18. Februar 2023, 17.00 Uhr, Geschwister</span></h2><p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">_Drei Geschwister, nach anderthalb Jahren sehen sie sich wieder. Eric, der Bruder, besucht seine Schwestern in ihrem Heimatort. Während sich die jüngere Schwester Maggi begeistert zeigt, wird schnell klar, dass zwischen Eric und seiner älteren Schwester Rachel etwas entschieden kaputt zu sein scheint.<span></span></span></p><a href="https://filmanzeiger.blogspot.com/2023/02/berlinale-2023-als-dauerliveblog.html#more">...Weiterlesen »</a><div class="blogger-post-footer">| filmanzeiger.de |</div>filmanzeigerhttp://www.blogger.com/profile/07608769428649714067noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-32184591.post-73964806719314504512023-02-24T09:05:00.024+01:002023-02-26T03:43:51.735+01:00Berlinale 2023: „Drifter“ | Ein toxischer Heimatfilm<h4 style="text-align: left;">
DRIFTER von Hannes Hirsch erzählt über einen jungen Schwulen aus der Provinz,
der in Berlin erst die Liebe und bald auch sich selber verliert. Versuch einer
Auseinandersetzung in acht Stichworten mit einem Film, bei dem man sich nicht
nur fragt, warum derartige Filme im Jahr 2023 noch auf die
Awareness-behauptende Berlinale eingeladen werden.
</h4>
<a href="https://filmanzeiger.blogspot.com/2023/02/berlinale-2023-drifter-ein-toxischer.html#more">...Weiterlesen »</a><div class="blogger-post-footer">| filmanzeiger.de |</div>filmanzeigerhttp://www.blogger.com/profile/07608769428649714067noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-32184591.post-90869768218474592902023-01-04T22:59:00.004+01:002023-01-09T12:50:37.359+01:00Berlinale 2022: „STAY AWAKE“ | Wider aller Hoffnung<div><p>STAY AWAKE von Jamie Sisley erzählt uns von zwei jungen Erwachsenen im Konflikt mit ihrer suchtkranken Mutter vor dem Hintergrund der Opioid-Krise in den USA. Eine darstellerisch und atmosphärisch packende Coming-Of-Age-Geschichte, die auf schmerzhafte Weise den kaum lösbaren Konflikt zwischen Liebe, Loyalität und Selbstschutz, zwischen dem Bleibenwollen und dem nicht Bleibenkönnen auslotet. </p><p>Ab 26. Januar 2023 tourt der Gewinner des Gilde-Filmpreises auf der Berlinale 2022 im Rahmen des <i>Berlinale Spotlight: Generation Cinema Vision 14plus</i> durch ausgewählte deutsche Arthouse Kinos. Die nachfolgende Filmkritik zu STAY AWAKE entstand während der Berlinale 2022.<br></p></div><a href="https://filmanzeiger.blogspot.com/2023/01/berlinale-2022-stay-awake-wider-aller.html#more">...Weiterlesen »</a><div class="blogger-post-footer">| filmanzeiger.de |</div>filmanzeigerhttp://www.blogger.com/profile/07608769428649714067noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-32184591.post-27387298676908868362022-10-29T03:29:00.005+02:002022-11-03T17:46:28.055+01:00Pornfilmfestival Berlin 2022 als Dauerliveblog: How to unlearn the male gaze?<span style="font-size: x-large;">31. Oktober 2022, 19:00 Uhr, Stream</span>
<p>
Das Pornfilmfestival Berlin 2022 in seiner Kinofassung ist vorbei, wenn auch das Kreuzberger Kino
Moviemento ausgewählte Programme und Filme nocheinmal wiederholt. Ein Kind der
Pandemie und wahrscheinlich gekommen und zu bleiben ist indes das digitale
Pornfilmfestival im Stream.</p><p>Bis 14. November 2022 präsentiert das
Festival große Teile seines Kurzfilmprogramms beim unabhängigen pornografischen
Streaminganbieter Pink Label aus San Francisco (die restriktive
Jugendschutzgesetzgebung hierzulande verunmöglicht dem Festival ein
eigenständiges Streamingangebot).</p><a href="https://filmanzeiger.blogspot.com/2022/10/pornfilmfestival-berlin-2022-als.html#more">...Weiterlesen »</a><div class="blogger-post-footer">| filmanzeiger.de |</div>filmanzeigerhttp://www.blogger.com/profile/07608769428649714067noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-32184591.post-49480241595726691532022-07-13T19:06:00.001+02:002022-07-13T19:07:23.362+02:00Berlinale 2022: „GEOGRAPHIES OF SOLITUDE“ | Die Pferde von Sable Island<h4 style="text-align: left;">Anlässlich des Arsenal Sommerfests 2022 eine Erinnerung an die faszinierende dokumentarische Arbeit und geradezu immersive Filmerfahrung GEOGRAPHIES OF SOLITUDE von Jacquelyn Mills, die beim Forum 2022 Prämiere feierte. Am 16. Juli 2022 besteht die Chance auf ein (Wieder-)Sehen im Kino Arsenal ... </h4><a href="https://filmanzeiger.blogspot.com/2022/07/anlasslich-des-arsenal-sommerfests-2022.html#more">...Weiterlesen »</a><div class="blogger-post-footer">| filmanzeiger.de |</div>filmanzeigerhttp://www.blogger.com/profile/07608769428649714067noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-32184591.post-26914208989586848182022-02-28T20:25:00.003+01:002022-07-13T19:05:58.529+02:00Berlinale 2022: „CAMUFLAJE“ | Grauen im Verborgenen <h4 style="text-align: left;">Campo de Mayo in Argentinien ist eine Militärbasis und ein Naturparadies. Ein Gedenkort ist es nicht, dabei befand sich dort während der argentinischen Militärdiktatur ein riesiges KZ. Für die Angehörigen der Opfer bedeutet das heute eine endlose Spurensuche im Unterholz. Dokumentarfilmer Jonathan Perel hat mitgesucht: CAMUFLAJE</h4><a href="https://filmanzeiger.blogspot.com/2022/02/berlinale-2022-camuflaje-grauen-im.html#more">...Weiterlesen »</a><div class="blogger-post-footer">| filmanzeiger.de |</div>filmanzeigerhttp://www.blogger.com/profile/07608769428649714067noreply@blogger.comPotsdamer Str. 2, 10785 Berlin, Deutschland52.509553999999987 13.373709252.50922750561422 13.373172758197022 52.509880494385754 13.374245641802979tag:blogger.com,1999:blog-32184591.post-73220064795440950222022-02-23T00:51:00.000+01:002022-02-23T00:51:33.397+01:00Berlinale 2022 als Dauerliveblog | Ranking, Kinoabsteiger, Penisse und Liebe<p style="text-align: left;"></p>
<p style="text-align: left;"></p>
<p style="text-align: left;">
<i>Zur Berlinale 2022 der Versuch eines fortlaufenden Schreibens und Denkens
über die Filme der Berlinale 2022 und das Festival mitten in der
Omicron-Wand – ein Dauerliveblog.</i>|
</p>
<p style="text-align: left;"></p>
<hr style="text-align: left;" />
<h2 style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">22. Februar, 21:00 Uhr, Das Ranking<br /></span>
</h2>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">45 Filme aller Längen konnten zwischen dem 10. und 20. Februar 2022
gesichtet werden. Sie seien im Folgenden wertend kategorisiert: </span>
</p>
<p style="text-align: left;"><b># Schimmernd</b></p>
<p style="text-align: left;">AŞK, MARK VE ÖLÜM | Panorama</p>
<p style="text-align: left;">CAMUFLAJE | Forum</p>
<p style="text-align: left;">STAY AWAKE | Generation 14Plus<br /></p>
<p style="text-align: left;">EUROPE | Forum</p>
<p style="text-align: left;">GEOGRAPHIES OF SOLITUDE | Forum</p>
<p style="text-align: left;">THE UNITED STATES OF AMERICA | Forum</p>
<p style="text-align: left;">
DIE LEERE MITTE | Forum Special „Fiktionsbescheinigungen“
</p>
<p style="text-align: left;"></p>
<table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: left;">
<tbody>
<tr>
<td style="text-align: center;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEikbGucU804VHwbMD6N5nNqAfDPI71MOt33KWh0SfDSCe2T8QskCglQ0mAZGrCHugYqrAOtNq2NlsvKZYLNHg1bqHH3I2hCFWJ30XjOwQE_E6yzJS2TCDUw8yAHec6EFcwfIfmVaLmnPNNZF6-lj3vnKicQ-YOp0lehF5yLX988uwouD0Q7CQ=s1280" style="clear: left; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEikbGucU804VHwbMD6N5nNqAfDPI71MOt33KWh0SfDSCe2T8QskCglQ0mAZGrCHugYqrAOtNq2NlsvKZYLNHg1bqHH3I2hCFWJ30XjOwQE_E6yzJS2TCDUw8yAHec6EFcwfIfmVaLmnPNNZF6-lj3vnKicQ-YOp0lehF5yLX988uwouD0Q7CQ=s16000" /></a>
</td>
</tr>
<tr>
<td class="tr-caption" style="text-align: center;">
Hatay Engin in AŞK, MARK VE ÖLÜM (Liebe, D-Mark und Tod) | Foto:
filmfaust/Film Five/IFB 2022<br /><br />
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<br /><br /><br /><br /><br /><b># Zeitlos</b>
<p style="text-align: left;">KALLE KOSMONAUT | Generation 14Plus <br /></p>
<p style="text-align: left;">A LOVE SONG | Panorama</p>
<p style="text-align: left;">QUEENS OF THE QUING DYNASTY | Encounters</p>
<p style="text-align: left;">NUCLEAR FAMILY | Forum</p>
<p style="text-align: left;">SONNE UNTER TAGE | Forum Expanded</p>
<p style="text-align: left;">MUTZENBACHER | Encounters</p>
<p style="text-align: left;">
MERRY CHRISTMAS DEUTSCHLAND ... | Forum Special „Fiktionsbescheinigungen“
</p>
<p style="text-align: left;"><b># Unverzichtbar</b></p>
<p style="text-align: left;">SORRY GENOSSE | PDK</p>
<p style="text-align: left;">BRAINWASHED: SEX-CAMERA-POWER | Panorama</p>
<p style="text-align: left;">SCALA | Forum</p>
<p style="text-align: left;">EINE DEUTSCHE PARTEI | Berlinale Special</p>
<p style="text-align: left;">LADIES ONLY | PDK</p>
<p style="text-align: left;">SOL IN THE DARK | Forum Expanded</p>
<p style="text-align: left;">BETTINA | Panorama</p>
<p style="text-align: left;"></p>
<table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: left;">
<tbody>
<tr>
<td style="text-align: center;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEh1af6-PSX4dcPkM1Q2zCfrWTAef8W73-Q6D-dSxI4jwZVgYc3k4XRt3Z0q077h4LMXE0qEyYlnMFBgE8T-PvGzRk5XAkVwKo68Yw85I7oLmdwFrtyOuNbRBJZsgS6MyDTeR3NniZTC6-SpGGwD6fgY0dHVcOACMiig83VtCKbWSPYTJKD41A=s1280" style="clear: left; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEh1af6-PSX4dcPkM1Q2zCfrWTAef8W73-Q6D-dSxI4jwZVgYc3k4XRt3Z0q077h4LMXE0qEyYlnMFBgE8T-PvGzRk5XAkVwKo68Yw85I7oLmdwFrtyOuNbRBJZsgS6MyDTeR3NniZTC6-SpGGwD6fgY0dHVcOACMiig83VtCKbWSPYTJKD41A=s16000" /></a>
</td>
</tr>
<tr>
<td class="tr-caption" style="text-align: center;">
Kalle: Still aus KALLE KOSMONAUT | Foto: Günther Kurth/IFB 2022<br /><br />
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<br /><br /><br /><br /><br /><br /><br /><br /><b># Ordentlich</b>
<p style="text-align: left;">BASHTAALAK SA'AT | Forum <br /></p>
<p style="text-align: left;">REWIND AND PLAY | Forum</p>
<p style="text-align: left;">CONCERNED CITIZEN | Panorama</p>
<p style="text-align: left;">SHABU | Generation KPlus</p>
<p style="text-align: left;">HAPERS COMET | Forum</p>
<p style="text-align: left;">EL VETERANO | Forum</p>
<p style="text-align: left;">GAZING... UNSEEING | Forum Expanded</p>
<p style="text-align: left;">SURFACE RITES | Forum Expanded</p>
<p style="text-align: left;">RONDO | PDK</p>
<p style="text-align: left;">JAIL BIRD IN A PEACOCK CHAIR | Forum Expanded</p>
<p style="text-align: left;">
1341 FRAMIM MEHAMATZLEMA SHEL MICHA BAR-AM | Berlinale Special<br />
</p>
<p style="text-align: left;">
FÜR DIE VIELEN – DIE ARBEITERKAMMER VON WIEN | Forum
</p>
<p style="text-align: left;">NOTHING LASTS FOREVER | Berlinale Special</p>
<p style="text-align: left;"></p>
<table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: left;">
<tbody>
<tr>
<td style="text-align: center;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEiZFCRuLa4MGyyTpaSxhZn-VU_0fF2nQDyGSon9-oduyZKqUq5HWZZTmTfbzW27ZmXZDPiXyV0mOk9FBro7GTPly09IQZ3XqbowDuFaN2CVUscW460p6r6Ye4kmXhMMkXCgcy9xkvDyvMVGUPk_HK3rOTBi4wvFAGCH05qr33d831-Bcaahig=s1280" style="clear: left; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEiZFCRuLa4MGyyTpaSxhZn-VU_0fF2nQDyGSon9-oduyZKqUq5HWZZTmTfbzW27ZmXZDPiXyV0mOk9FBro7GTPly09IQZ3XqbowDuFaN2CVUscW460p6r6Ye4kmXhMMkXCgcy9xkvDyvMVGUPk_HK3rOTBi4wvFAGCH05qr33d831-Bcaahig=s16000" /></a>
</td>
</tr>
<tr>
<td class="tr-caption" style="text-align: center;">
Still aus BASHTAALAK SA'AT | Foto: Aflam Wardeshan/Amerikafilm/IFB
2022<br /><br />
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<br /><br />
<p></p>
<p style="text-align: left;"><b># Verzichtbar</b></p>
<p style="text-align: left;">
IF REVOLUTION IS A SICKNESS | Forum Expanded <br />
</p>
<p style="text-align: left;">ZUM TOD MEINER MUTTER | Encounters</p>
<p style="text-align: left;">DREAMING WALLS | Panorama</p>
<p style="text-align: left;">TRÊS TIGRES TRISTE | Forum</p>
<p style="text-align: left;">
KOMM MIT MIR IN DAS CINEMA – DIE GREGORS | Forum
</p>
<p style="text-align: left;">SUBLIME | Generation 14Plus</p>
<p style="text-align: left;">NELLY & NADINE | Panorama</p>
<p style="text-align: left;">VIENS JE T'EMMÈNE | Panorama</p>
<p style="text-align: left;"></p>
<table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;">
<tbody>
<tr>
<td style="text-align: center;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEhhqOxq5WvKORMOBjb7xVB9R_IOkSP20b3z8LVu9srEqpx6ti38L1CA3m_py0GHHGIWaUuk9S2At8RgNIBOBYs3FxTTnz8xBBtpsgTz7NfiAcaISzj8dur_CDqpqckwRVrlOzRqLbVJoe4sPN6Oxo1GlrSZK7SXdVHdpHh-_2TI53mIZ6Ag4w=s1280" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEhhqOxq5WvKORMOBjb7xVB9R_IOkSP20b3z8LVu9srEqpx6ti38L1CA3m_py0GHHGIWaUuk9S2At8RgNIBOBYs3FxTTnz8xBBtpsgTz7NfiAcaISzj8dur_CDqpqckwRVrlOzRqLbVJoe4sPN6Oxo1GlrSZK7SXdVHdpHh-_2TI53mIZ6Ag4w=s16000" /></a>
</td>
</tr>
<tr>
<td class="tr-caption" style="text-align: center;">
Still aus IF REVOLUTION IS A SICKNESS | Foto: © Diane Severin Nguyen/IFB
2022<br /><br />
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<b># Schrecklich</b>
<p></p>
<p style="text-align: left;">JOURNAL D'AMERIQUE | Encounters</p>
<p style="text-align: left;">À VENDREDI, ROBINSON | Encounters</p>
<p style="text-align: left;">A LITTLE LOVE PACKAGE | Encounters</p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;"><i><b>––</b></i></span>
</p>
<p><i><b>Damit schließt der Dauerliveblog zur Berlinale 2022. </b></i>
</p>
<p><i><b>Die nächste Berlinale geht in irgendeiner Form vom 16. bis 26. Februar
2023 über die Bühne.
</b></i>
</p><hr />
<h2 style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">20. Februar, 20:04 Uhr, Ein Glücksfall<br /></span>
</h2>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Hedi und Karl-Heinz lieben sich leidenschaftlich. Nur können sie diese
Liebe jenseits von Briefen nicht wirklich ausleben, denn Hedi wohnt in Jena
und Karl-Heinz in Frankfurt/Main und wir schreiben das Jahr 1970. Was also
tun? </span>
</p>
<p style="text-align: left;"></p>
<table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: left; margin-left: 1em; text-align: left;">
<tbody>
<tr>
<td style="text-align: center;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEgD9AwFXm8x9OFBGPY8-z54eJrwzFdqTb8vcfO5GsenH7GEQHIiqP6AFZWI_a0PUmNFyQViI1st2KjRjn_DoW4qKVb9RQp_FeIomM-lcgmelZpzcZSPqwdiRa9Yag7-9V3k_apYgRBYNdxM4xeux4vACOWsCCQGgcS2PhXnCxa8wHLTCR4yoA=s2560" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="1066" data-original-width="2560" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEgD9AwFXm8x9OFBGPY8-z54eJrwzFdqTb8vcfO5GsenH7GEQHIiqP6AFZWI_a0PUmNFyQViI1st2KjRjn_DoW4qKVb9RQp_FeIomM-lcgmelZpzcZSPqwdiRa9Yag7-9V3k_apYgRBYNdxM4xeux4vACOWsCCQGgcS2PhXnCxa8wHLTCR4yoA=s16000" /></a>
</td>
</tr>
<tr>
<td class="tr-caption" style="text-align: center;">
Damals: Karl-Heinz und Hedi, so jung, so schön, so verliebt | Foto ©
Felix Pflieger/Nordpolaris/IFB 2022<br /><br />
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<br /><span style="font-weight: normal;"></span>
<p style="text-align: left;"></p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Für den Antikriegs- und studentenbewegten Karl-Heinz ist der Entschluss
schnell gefallen: Er siedelt in die DDR und zu seiner Hedi über. Nur findet
die Stasi, dass Karl-Heinz sich viel besser als IM in Westberlin machen
würde und umgarnt ihn nach allen Regeln der Stasi-Kunst, – während sie ihm
die Einbürgerung in die DDR verweigert. Was also tun?</span>
</p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Auf eine Karriere als Spion im Dienst des MfS hat Karl-Heinz keine Lust, er
will nur Hedi und sie will ihn. Sie schmieden einen Plan zur Republikflucht
von Hedi. Aber der Plan ist so aberwitzig, dass er eigentlich scheitern
muss. Sie ziehen es trotzdem durch und finden sich plötzlich inmitten eines
hochgefährlichen Chaos wieder. Was also tun?</span>
</p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Für die 2021 an der HFF München diplomierte Dokumentarfilmerin Vera
Brückner war die Antwort klar: Über diese aberwitzige Lebens- und
Liebesgeschichte muss ein Film gemacht werden. Und wie richtig sie damit
lag! Ihre dokumentarische Arbeit SORRY GENOSSE berichtet uns von Hedi und
Karl-Heinz und ihrem wortwörtlichen Abenteuer auf dem Weg gen Westen.</span>
</p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;"><i><b>Ein Glücksfall</b></i><br /></span>
</p>
<p style="text-align: left;">
SORRY GENOSSE ist Vera Brückners, wie man so sagt, erste abendfüllende Arbeit.
Ob mensch diesen Dokumentarfilm nun mittags oder abends sieht, ist egal, das
Erlebnis einer emotional klugen, visuell faszinierend treffsicher
stilbewussten und dramaturgisch durch und durch unterhaltsamen Arbeit bleibt
gleich.
</p>
<p style="text-align: left;">
Selten war in jüngerer Zeit hierzulande eine dermaßen erfrischende und
kurzweilige Doku zu sehen. Das allzu oft bleischwere und problembärige
Erzählen deutscher Dokumentarfilme ist Brückners Sache ausdrücklich nicht. Sie
vermählt Amüsement mit Klugheit und kino-affiner Raffinesse. Vera Brückner ist
ein Glücksfall für den deutschen Dokumentarfilm.<span style="font-weight: normal;"></span>
</p>
<hr style="text-align: left;" />
<p style="text-align: left;"></p>
<h2 style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">20. Februar, 18:30 Uhr, Kinomeister und Kinoabsteiger</span>
</h2>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">„Mit dem diesjährigen Festival wollten wir Flagge zeigen für das Kino.“ –
So ließen sich die Berlinale-Chefs Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian
<a href="https://www.berlinale.de/de/news-themen/news/detail_140169.html" target="_blank">in der Abschluss-Pressemitteilung</a>
zitieren, die (so wie jedes Jahr) eine erfolgreiche Festival-Ausgabe
verkündete. </span>
</p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Nun ist das Kino aber wesentlich mehr als eine
Filmabspielverrichtungsanstalt. Kino ist für manche Lieblingszirkus, für
einige unerlässlicher Denkraum, für andere Zuhause. In jedem Fall ein
besonderer Ort, der von besonderen Menschen gemacht wird. Doch wie reagieren
dieser Ort und diese Menschen auf die Herausforderung von 2G+, noch dazu im
Festivalbetrieb?</span>
</p>
<p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"></span></p>
<table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: left; text-align: left;">
<tbody>
<tr>
<td style="text-align: center;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEic_Bsw21fNl6BWvWNpYCBY2rTG2HmXpNyxRkoslgDk3nWh01OXjRkYYBDuXb5graRaFyXgzf2BuW-nNxkovg1nqWVAuokXwyCyBKOqsnou41VfJ6x55BIaQgPgwgn212dIkHdyEeBThjvnQmFUjDilG7ejBbX2mybMrNVn81gko3W8hsoRVA=s1280" style="clear: left; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEic_Bsw21fNl6BWvWNpYCBY2rTG2HmXpNyxRkoslgDk3nWh01OXjRkYYBDuXb5graRaFyXgzf2BuW-nNxkovg1nqWVAuokXwyCyBKOqsnou41VfJ6x55BIaQgPgwgn212dIkHdyEeBThjvnQmFUjDilG7ejBbX2mybMrNVn81gko3W8hsoRVA=s16000" /></a>
</td>
</tr>
<tr>
<td class="tr-caption" style="text-align: center;">
Wer es bis zu diesem Anblick geschafft hatte, hatte das Gröbste nicht
zwangsläufig hinter sich: Leinwanddekoration vor und nach jedem
Screening | Foto: filmanzeiger<br />
<br />
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<span style="font-weight: normal;">Dazu eine kleine Versuchsanordnung: Interpretieren wir die vergangenen 10
Tage Berlinale doch mal als kleine Meisterschaft um das beste Kinoerlebnis, in
der die wichtigsten Festivalkinos in der „1. Liga“ der Kombinierer von
Crowdmanagement, CovPass- & Ticket-Check-In antreten. Wie sähe der
Spielbericht nach dem letzten Spieltag 2022 aus und welches Kino wäre der
Meister, welche Kinos wären abgestiegen?</span><span style="font-weight: normal;"> </span><br />
<p style="text-align: left;"></p>
<h3 style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;"><span style="font-family: Fjalla One;"><span style="color: #d50d2e;">+++ Hier ist das Filmanzeiger-Kinosportstudio mit dem Finale der
Berlinale-Kinomeisterschaft 2022 +++<br /></span></span></span>
</h3>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Nach einer furiosen 10-tägigen Saison hat das Kino Delphi aus der
Yorck-Kinogruppe die Meisterschaft souverän für sich entschieden. Kein
Kinoteam verstand es so elegant und schnell die Besucher:innen einzulassen,
willkommen zu heißen und für ihren Corona-Schutz zu sorgen. Darüber hinaus
wusste das Delphi die Räume stets mit zeitloser Eleganz und erfrischender
Sauberkeit zu füllen. Glückwunsch an einen verdienten Kinomeister.</span>
</p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Dicht dahinter der Vizemeister der diesjährigen Saison, die Akademie der
Künste am Hanseatenweg. Auch hier wusste das Team auf dem Platz den Ein- und
Auslass souverän und reibungslos zu spielen. Zu keinem Zeitpunkt geriet die
Mannschaft hier in Bredouille. Gleichwohl es in der Spitze doch etwas an
Eleganz, Wärme und Willkommensgefühl mangelte, was auch durch die
eindrückliche Raumgestaltung nicht völlig aufgefangen werden konnte.</span>
</p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;"><i><b>Dritter Platz und Mittelfeld</b></i><br /></span>
</p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Das kleinste der drei Treppchen konnte das Cubix aus der Cinestar-Gruppe
für sich erobern. Hier war auf dem Platz eine reibungslose, schnelle und
professionelle Erledigung der Sache zu beobachten. Doch das war auch ein
bisschen das Problem: Mensch fühlte sich gelegentlich nur wie eine Sache,
die durch die Gegend geschoben wurde. Schade. Leider ließen auch die Räume
eine Wohlfühlatmosphäre deutlich vermissen, weshalb der Abstand zu den
beiden Spitzenreitern durchaus deutlich ausfällt.</span>
</p>
<p style="text-align: left;">
Im soliden oberen Mittelfeld behauptete sich das Kino Arsenal, dessen Service
der Zugewandtheit im Delphi in kaum etwas nachstand. Leider verzettelte sich
das kleine Kinoteam dabei gelegentlich im Kleinklein der 1-Personen-Betreuung
und und provozierte somit Schlangen. Auch konnte das Arsenal in Sachen
Raumqualität wenig anbieten. Der Eindruck eines lieblosen Kinobunkers sorgte
für Bedrückung.
</p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;"><i><b>In den Abstiegsrängen</b></i><br /></span>
</p>
<p style="text-align: left;">
Kommen wir zu den Absteigern der 1. Liga der Berlinale-Kinomeisterschaft 2022:
Knapp auf den Relegationsplatz gerettet hat sich das Kino International der
Yorck-Kinogruppe. Es ist halt nicht alles Gold, was glänzt – auch nicht in
einem prachtvollen Haus wie diesem.<span style="font-weight: normal;"></span>
</p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Zwar gelang es dem Kinoteam gelegentlich einen reibungslosen Einlass zu
gewährleisten. Doch scheiterten sie beim Auslass veritabel. Anstatt sich der
in den Vorjahren erfolgreichen Strategie zu bedienen und das Publikum nach
der Vorstellung über die Seitenausgänge herauszugeleiten, wurden die
Besucher:innen durch den Haupteingang entlassen und damit direkt in die Arme
der davor wartenden Gäste der folgenden Vorstellung. Dabei kam es außerdem
auch noch zu Zeitverlust, der wiederum für Verspätungen beim nächsten
Einlass sorgte. Chaos vorprogrammiert. Für einen Erstligisten keine würdige
Vorstellung.<br /></span>
</p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Als Absteiger dieser Saison stehen die Urania und das Cinemaxx am Potsdamer
Platz fest, wenngleich sich die Urania noch die Blechmedaille des
Liga-Vorletzten anheften darf. Zwar üppig mit Mitarbeitern ausgestattet,
zeigte sich das Team sehr damit beschäftigt, falsch interpretierte
Einlassregeln zu exekutieren und durch unnötige Diskussionen lange Staus zu
produzieren, was üppige Verspätungen beim Programmstart verursachte. Auch
kommt die Urania räumlich kaum um den Fakt herum, dass sie als Kino eher
ungeeignet ist.</span>
</p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;"><i><b>Verdientes Tabellenschlusslicht</b></i><br /></span>
</p>
<p style="text-align: left;">
Verdientes Tabellenschlusslicht ist das Cinemaxx am Potsdamer Platz und das
ist einem als Filmfestival-Kino konzipierten Haus eigentlich unwürdig. Wer den
unübersichtlichen CovPass-CheckIn samt semi-gut trainierter Mitarbeiter:innen
überwunden hatte, durfte sich zum Kino durch ein Wirrwarr scheinbar wahllos
platzierter Absperrbänder kämpfen, deren Beachtung von grimmigen Securitys mit
stählerner Stimme durchgesetzt wurde. Dumm nur, dass die Positionierung der
Absperrbänder keinerlei Sinn ergab. Auch sonst lässt sich zur Wegeleitung nur
sagen, dass sie inexistent war.<span style="font-weight: normal;"><br /></span>
</p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Wer es einmal in den Saal geschafft hatte, durfte dann noch übereifrige
Helfer:innen beobachten, die das Publikum sitzplatztechnisch maßregelten.
Die Spitze der Minderleistung ergab sich aber beim Auslass. Anders als beim
Kino International sorgte die Programmplanung im Cinemaxx überwiegend für
leere Foyers und Eingangsbereiche. </span>
</p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Dumm nur, dass man die Leute nicht durch diese luftigen Foyers entließ,
sondern durch enge, verwinkelte Notausgangskorridore auf die Straße
scheuchte, was den Covid-Schutz ad absurdum führte. Wer klug war, ersparte
sich das Kriechen durchs Gedärm des Kinobetonbunkers und erbat sich den Gang
aufs Klo im Foyer. Leider zeigten sich Toilettenanlagen in einem dermaßen
ekelhaften Zustand, dass das Bahnhofsklo des Bahnhof Zoo in den 1970ern
vergleichsweise wie eine Wohlfühloase gewirkt haben muss. Der
heruntergekommene und ungepflegte Zustand war allerdings auch im Rest des
Gebäudes deutlich sichtbar. Das Cinemaxx am Potsdamer Platz ist der absolut
verdiente Absteiger der 1. Liga der Berlinale-Kinomeisterschaft 2022.</span><span style="font-weight: normal;"></span>
</p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Gratulation ans Delphi.</span>
</p>
<hr style="text-align: left;" />
<p style="text-align: left;"></p>
<h2 style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">20. Februar, 17:09 Uhr, Wenn der Penis Regie führt<br /></span>
</h2>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">„Was bleibt von Hollywoods Filmindustrie übrig, wenn man alle Triebtäter
entfernt? Nichts.“ – In der dokumentarisch-essayistischen Arbeit
BRAINWASHED: SEX-CAMERA-POWER versucht sich Filmemacherin Nina Menkes an
nicht weniger als einer kompletten Dekonstruktion des Filmemachens wie wir
es kennen. </span>
</p>
<p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"></span></p>
<table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: left; text-align: left;">
<tbody>
<tr>
<td style="text-align: center;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEi1kwPMwVWSvo1DONxJictgVdnV1rwN5D52OrwPO9Adiua2khUzDiIAeyK4cSJdhhiXwUc4fPHtWhEi2mDc6Haac1XMhz6eDP3u9l8qxPJR11QYGahfClirEHlFDsGrQvK8H6YV0Lunbcu9lpO8BO3CMzsU9fBQgRPyj7IJZ-DkKejvilDO4w=s1280" style="clear: left; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEi1kwPMwVWSvo1DONxJictgVdnV1rwN5D52OrwPO9Adiua2khUzDiIAeyK4cSJdhhiXwUc4fPHtWhEi2mDc6Haac1XMhz6eDP3u9l8qxPJR11QYGahfClirEHlFDsGrQvK8H6YV0Lunbcu9lpO8BO3CMzsU9fBQgRPyj7IJZ-DkKejvilDO4w=s16000" /></a>
</td>
</tr>
<tr>
<td class="tr-caption" style="text-align: center;">
Unter Anderem an LADY FROM SHANGHAI und Rita Hayworth veranschaulicht
Nina Menkes die genderstereotypische Beleuchtung von Frauen im Film |
Foto: Menkes Film/IFB 2022<br /><br />
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<span style="font-weight: normal;"></span>
<p style="text-align: left;"></p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Sie findet dabei eine durch und durch machistisch geprägte, international
seit Jahrzehnten alles durchdringende Filmsprache vor, die Frauen und den
weiblichen Körper systematisch zu Objekten degradiert und (so ihre nicht von
der Hand zu weisende Argumentation) faktisch als Beutegut für sexuelle
Übergriffe und Vergewaltigungen inszeniert. Dabei findet sie Belege für ihre
filmhandwerklich versierten und sauber durchdeklinierten Thesen
gleichermaßen in C-Movies wie in zahllosen legendären Oscar- und
Goldene-Palme-Gewinnern namhafter Regisseure UND Regisseurinnen.<span class="css-901oao css-16my406 r-poiln3 r-bcqeeo r-qvutc0"><br /></span></span>
</p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;"><span class="css-901oao css-16my406 r-poiln3 r-bcqeeo r-qvutc0">Bei der filmhandwerklichen Täterschaft bleibt sie allerdings nicht
stehen, sie weitet den Blick und entblößt mit frappierender
Überzeugungskraft, wie Frauen hinter der Kamera seit Einsetzen des
Tonfilms aus der Filmwirtschaft heraus gedrängt wurden und werden.</span></span>
</p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;"><span class="css-901oao css-16my406 r-poiln3 r-bcqeeo r-qvutc0"></span></span>
</p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;"><span class="css-901oao css-16my406 r-poiln3 r-bcqeeo r-qvutc0">Was sie in ihrer visuell leider unauffälligen, dafür filmmusikalisch
etwas überambitionierten Arbeit aber auch sehr unmissverständlich
offenlegt, ist eine wichtige Lektion für die MeToo-Bewegung: Es darf nicht
(nur) darum gehen, mehr Geld respektive 50 Prozent eines in jeder Hinsicht
abstoßenden Kuchens einzufordern. Es ist nichts weniger als die komplette
Transformation der kulturellen Praxis des Filmemachens überfällig. Und
heteronormativ geprägte Männer werden dabei die Lösung wohl kaum sein.
</span></span>
</p>
<hr style="text-align: left;" />
<h2 style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">20. Februar, 14:17 Uhr, Liebe</span>
</h2>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Vielleicht liegt es am letzten Tag und meiner Müdigkeit, vielleicht auch
nicht, aber ich habe A LOVE SONG im Berlinale-Panorama als ein Juwel von
US-Erzählkino erlebt. Ich war sehr gerne Gast dieses Roadtrips im Nirgendwo
der keinen Meter fährt, dafür aber emotional enorm unterwegs ist. Und ganz
nebenbei auch noch eine Hommage ans gute alte Radio liefert.
</span>
</p>
<img border="0" data-original-height="3000" data-original-width="2025" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEiIitNrzRFP8q1a5zvQD1I0mHS0kh3fxvrX5sESA6u81PgbLFabe0c9PEZX9PqO3BoSBFDYB2MX4VaHLjRg7QyA8-TV7pQG9C5gDj57oEtCZvQFxssu18oNl5I7-9jnP1EPBEvaQDrcaO4d08D6CIG5CcbaiJUTgWQMe7YBYIrbYocTVtdfeg=s16000" />
<hr style="text-align: left;" />
<h2 style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">19. Februar, 23:34 Uhr, (...)</span>
</h2>
<p style="text-align: left;">Müdigkeit. </p>
<p style="text-align: left;">
Ich bekomme keine gerade Zeile mehr hin. Dabei gäbe es noch soviel zu
berichten.
</p>
<p style="text-align: left;">
Trotz aller Widrigkeiten, es fühlt sich so an wie ein guter Festivaljahrgang.
</p>
<hr style="text-align: left;" />
<h2 style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">18. Februar, 23:55 Uhr, Traditionspflege (2)</span>
</h2>
<div style="text-align: left;">
<p>
<span style="font-weight: normal;">Die Jury des Teddy Award hat gesprochen und wenig überraschend die eher
mäßigen unter den nicht-heterosexuellen Filmen des diesjährigen
Berlinale-Jahrgangs prämiert:</span>
</p>
</div>
<div style="text-align: left;">
<ul style="text-align: left;">
<li>
<span style="font-weight: normal;">Bester dokumentarischer Film: NELLY & NADINE (Gedanken dazu siehe
weiter unten)</span>
</li>
</ul>
<ul style="text-align: left;">
<li>
<span style="font-weight: normal;">Bester fiktionaler Film: TRÊS TIGRES TRISTE (Gedanken dazu siehe weiter
unten)</span>
</li>
</ul>
<ul style="text-align: left;">
<li>
<span style="font-weight: normal;">Bester Kurzfilm MARS EXALITÉ</span>
</li>
</ul>
</div>
<hr style="text-align: left;" />
<h2 style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">18. Februar, 19:03 Uhr, Sanierungsbedürftige Dramaturgie</span>
</h2>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Mit Ihrer dokumentarischen Arbeit DREAMING WALLS (Panorama) demonstrieren
die Filmemacherinnen Amélie van Elmbt und Maya Duverdier wie man eine
spannende Story insbesondere dramaturgisch gegen die Wand fahren kann.</span>
</p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;"></span>
</p>
<table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: left; text-align: left;">
<tbody>
<tr>
<td style="text-align: center;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEi2jXtWpF0cbdpKO6lO86V4EHkd3wZLwKWKpQC4IlCAxwrhvFLVj1OQSo_zp0GpXe0NB2RES6pkCtfdW4lOILcJUeReDESYCbTLQzBPQ6oTF0a4vED-nYI-DjQeywq76mz8vAc88sVMWpNVOK5A3YpRjHz5KoAabZcIaLszMfRpOAJUU3yuDA=s1280" style="clear: left; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEi2jXtWpF0cbdpKO6lO86V4EHkd3wZLwKWKpQC4IlCAxwrhvFLVj1OQSo_zp0GpXe0NB2RES6pkCtfdW4lOILcJUeReDESYCbTLQzBPQ6oTF0a4vED-nYI-DjQeywq76mz8vAc88sVMWpNVOK5A3YpRjHz5KoAabZcIaLszMfRpOAJUU3yuDA=s16000" /></a>
</td>
</tr>
<tr>
<td class="tr-caption" style="text-align: center;">
Filmstill aus DREAMING WALLS | Foto: Clin d’oeil films/IFB 2022<br /><br />
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<span style="font-weight: normal;">
Ihr Film will die letzten der alten Bewohner:innen des Chelsea Hotels in
Manhattan, New York City und ihren Alltag auf einer Großbaustelle
porträtieren, denn das Gebäude, einst Inkubator einer legendären wie längst
verblichenen Community von Künstler:innen, Outcasts und Queers, wird seit bald
einem Jahrzehnt luxussaniert.<br /></span>
<p style="text-align: left;"></p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">In einer Mixtur aus dokumentarischer Beobachtung, Archivmaterial und
Inszenierung mittels 16-mm-Filmmaterial sollen hier Geister und Geschichten
dieses Ortes zum Klingen gebracht werden. Problem nur, dass die beiden
Filmemacherinnen erschreckend uninspiriert und ungeschickt mit ihrem
Material umgehen. Wo Erklärung und Kontextualisierung notwendig gewesen
wäre, wird Bedeutsamkeit behauptet, wo Zuhören und Zuschauen angesagt
gewesen wäre, wird die Kamera mit schrecklich banalem Bildertrash gefüttert.
Dazwischen irren Protagonist:innen herum wie bestellt und nicht
abgeholt.</span>
</p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;"><i><b>Dokumentarfilmtrash </b></i><br /></span>
</p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Das ganze Elend wird garniert mit einer schrecklich arrhythmischen
Dramaturgie, die sich viel Mühe dabei gibt, Momente der Kontemplation und
Erkenntnis gar nicht erst entstehen zu lassen, sondern erratisch
Bildschnipsel an Bildschnipsel, Gedanken an Gedanken zu heften offenbar in
der Meinung, es entstünde dabei Wichtigkeit und Erkenntnis.<br /></span>
</p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Es tut einem in der Seele weh anzusehen, wie hier kostbares Filmmaterial
und (inzwischen verstorbene) einzigartige Vertreter:innen einer längst
untergegangenen Epoche für Dokumentarfilmtrash verheizt werden.
</span>
</p>
<hr style="text-align: left;" />
<p style="text-align: left;"></p>
<h2 style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">18. Februar, 14:49 Uhr, Kinos kann man abreißen, Erinnerungen nicht<br /></span>
</h2>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Gibt es etwas Deprimierenderes, als den Abriss eines Kinos im Kino zu
verfolgen? Wohl kaum. Die Sektion Forum der Berlinale präsentierte trotzdem
Ananta Thitanats SCALA. Zurecht.</span>
</p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;"></span>
</p>
<table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: left; text-align: left;">
<tbody>
<tr>
<td style="text-align: center;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEheFF6BRDiR6ThXvhW_aY7nk1imdKvtc8embdvSjMQW1BOnfqRU-FyQB7nvL4hk0WVVLSyVQn8PKST7QnLs2Z_dVF1WO6M9ikpaoO71538u_aepxKIm5k5CM_Sc_tGNFW5DQ9T-LxXewPeiT-uWKZIRIwcCkPneeLOR3_odWX91JN9zteHhxg=s1280" style="clear: left; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEheFF6BRDiR6ThXvhW_aY7nk1imdKvtc8embdvSjMQW1BOnfqRU-FyQB7nvL4hk0WVVLSyVQn8PKST7QnLs2Z_dVF1WO6M9ikpaoO71538u_aepxKIm5k5CM_Sc_tGNFW5DQ9T-LxXewPeiT-uWKZIRIwcCkPneeLOR3_odWX91JN9zteHhxg=s16000" /></a>
</td>
</tr>
<tr>
<td class="tr-caption" style="text-align: center;">
Der Saal steht noch, doch die Leinwand fehlt bereits – das Kino „Scala“
in Bangkok | Foto: Bandai Dam Studio/IFB 2022<br /><br />
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<span style="font-weight: normal;">
Sie dokumentiert in ruhigen und konzentrierten Bildern, wie das beeindruckende
Lichtspielhaus „Scala“ in Bangkok Stück für Stück abgebaut wird. Es beginnt
mit einem fantastischen Kronleuchter im prachtvollen Foyer, den die Arbeiter
behutsam zerlegen und verpacken. Im Verlauf bleibt kein Ort unangetastet. Der
riesige Kinosaal wird entkernt, die Leinwand fehlt bereits, als der Film
einsetzt. Sitze, Verkleidungen, Deko, Klos, Technik, Projektoren – Stück für
Stück wird der Ort Kino allem entledigt, was ihn zum Kino macht. Nur die
Menschen, die darin arbeiten und ausdrücklich auch leben – mit der Küchenzeile
gegenüber dem Projektor, dem Selbstversorger-Garten auf dem Dach und dem Bett
unter der Lüftungsanlage – scheinen bleiben zu wollen.</span>
<p style="text-align: left;"></p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Doch es gibt für sie an diesem Platz keine Zukunft. Ihr letzter Dienst, den
sie ihrem Kino noch erweisen können, ist, es so behutsam wie möglich zu
demontieren. Und dabei die Erinnerungen zu pflegen, die sich an diesem Ort
in ihre Leben eingekerbt haben. Danach, nach – wie wir lernen – Jahrzehnten
im „Scala“, bleibt das Leben für sie, die sie alle auch längst älter
geworden sind, ungewiss.</span>
</p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Wir sehen einen kraftvollen Film, der einem beeindruckenden Kinoort und
seinen Bewohner:innen ein würdiges Denkmal setzt. Man kann den Ort abreißen,
aber das Kino existiert trotzdem weiter – in diesem Film und in den
Erinnerungen der Menschen, die das „Scala“ jahrzehntelang zu dem machten was
er war. Im Oktober 2021 wurde das entkernte Gebäude dem Erdboden
gleichgemacht. Nach 52 Jahren als eines der wenigen eigenständigen
Lichtspielhäuser in Bangkok.</span>
</p>
<p style="text-align: left;"><b>PS:</b></p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Auch in Berlin gab es einstmals ein Kino Scala. Es eröffnete 1908 und
stellte 2000 seinen Betrieb für immer ein. Im Kinokompendium Berlin
<a href="https://www.kinokompendium.de/scala_kino_berlin.htm" target="_blank">finden sich noch ein paar Fotos</a>. Mit etwas Fantasie lässt sich an der Fassade des Gebäudes
<a href="https://www.google.com/maps/place/Friedrichstra%C3%9Fe+112,+10117+Berlin/@52.5255381,13.3866152,18z/data=!3m1!4b1!4m5!3m4!1s0x47a851e9990033e7:0x84d10234e9395154!8m2!3d52.5255365!4d13.3877122" target="_blank">in der Friedrichstraße</a>
in Mitte immer noch ausmachen, wo das Kino einst war.
</span>
</p>
<hr style="text-align: left;" />
<p style="text-align: left;"></p>
<h2 style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">18. Februar, 14:49 Uhr, Boomerkino</span>
</h2>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Einen assoziativen, aber auch reichlich gewollten Mix sehen wir in Arnaud
des Pallières JOURNAL D' AMERIQUE. Filmschnipsel amerikanischer
Alltagskultur des frühen bis mittleren 20. Jahrhunderts laufen in schier
endloser Montage und weitestgehend entkontextualisiert über die Leinwand,
nur unterbrochen von tagebuchförmig geordneten und stummfilmartig
eingesetzten Zwischentiteln.</span>
</p>
<p style="text-align: left;"></p>
<table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: left; text-align: left;">
<tbody>
<tr>
<td style="text-align: center;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEjJRg5rzpTadeIGD-Si014L57j0elOZSaV9lrDxI0VZOiOEe5KZtysRfqLbgsHk8OWmKWAYhK3ZqTo3_GjMUsmaibSbKjd1RSWAkGKxvHEcnTmzWq3Beiq3ECjr6jvAOYXSeVvplVw0M5Jzke6k5iTxOHw5LqpruZ6FDYD3hsOs9QcDpPEk4A=s1280" style="clear: left; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEjJRg5rzpTadeIGD-Si014L57j0elOZSaV9lrDxI0VZOiOEe5KZtysRfqLbgsHk8OWmKWAYhK3ZqTo3_GjMUsmaibSbKjd1RSWAkGKxvHEcnTmzWq3Beiq3ECjr6jvAOYXSeVvplVw0M5Jzke6k5iTxOHw5LqpruZ6FDYD3hsOs9QcDpPEk4A=s16000" /></a>
</td>
</tr>
<tr>
<td class="tr-caption" style="text-align: center;">
Still aus JOURNAL D' AMERIQUE | Foto: Les Films Hatari/Iwaso Films/IFB
2022<br /><br />
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<span style="font-weight: normal;">Die Zwischentitel geben die Tagebucheintragungen eines alternden Mannes
wieder – Kindheitserinnerungen, Jugend, Liebe, Alltag, Krieg, Vergessen und
manches andere mehr. Doch diese Gedanken und Erlebnisse wirken so völlig
wahllos und plattitüd, dass sie selbst dem Groschenroman zu egal sind.</span>
<p style="text-align: left;"></p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Das Filmmaterial ist teils äußerst reizvoll, aber der Rest des Films wirkt
eher wie eitles Boomerkino. Wer wählt sowas für die Berlinale und ihre
Sektion Encounters aus? Alternde Männer?</span>
</p>
<hr style="text-align: left;" />
<p style="text-align: left;"></p>
<h2 style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">18. Februar, 01:00 Uhr Uhr, Traditionspflege</span>
</h2>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Auf
<a href="https://twitter.com/filmanzeiger/status/1494461827706728449" target="_blank">Twitter</a>
...</span><i> </i>
</p>
<p style="text-align: left;">
<i>„Wer wohl dieses Jahr alles einen @TeddyAward bekommt? Beschaut man sich
die Jury-Entscheidungen der zurückliegenden Jahre, dürften wieder mal die
Falschen ausgezeichnet werden. Im Grunde auch schon fast eine Tradition ...
#teddyaward“</i>
</p>
<hr style="text-align: left;" />
<p style="text-align: left;"></p>
<h2 style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">17. Februar , 14:00 Uhr, Unbefriedigend</span>
</h2>
<p style="text-align: left;">
Wer dem steinalten Jean-Luc Godard knapp fünf Minuten beim Trinken von
Rotweinschorle zuschauen und daraus irgendeine Bedeutung ableiten will, wird À
VENDREDI, ROBINSON befriedigt verlassen. Wem das zu wenig ist, geht
unbefriedigt aus diesem Film.
</p>
<p style="text-align: left;">
Es gibt aber ein paar hübsche Einzeiler zum Aufschreiben oder Aufdrucken auf
ein Küchenkalenderblatt, diesen beispielsweise: „Fill my glass with wine, till
my hourglas is full.“ Oder: „We are never sad enough, to make the world a
better place.“. Oder auch: „Do you still believe in Cinema, Mr. Godard? –
That's a question, only the police would ask.“ Ebenso hübsch: „Cinema doesn't
ask questions. Therefore gives no answers.“
</p>
<p style="text-align: left;">
Was genau aber der eigentliche Antrieb von Filmemacherin Mitra Farahani für
diesen Film mit zwei alten Männern, die sich E-Mails hin und her schicken,
Jean-Luc Godard und Ebrahim Golestan, war, will sich nicht erschließen. Aus
dem E-Mail-Wechsel zwischen den Beiden, der im Zentrum dieser (im weitesten
Sinne) dokumentarischen Arbeit steht und bereits 2015 stattfand, lässt sich
alles und nichts herauslesen. Er ist irrelevant, wie dieser Film.
</p>
<hr style="text-align: left;" />
<p style="text-align: left;"></p>
<h2 style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">16. Februar, 18:13 Uhr, Gift <br /></span>
</h2>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Embedded in den Wahnsinn: In seiner dokumentarischen Arbeit EINE DEUTSCHE
PARTEI legt von Simon Brückner mit eindrücklicher Präzision und Ruhe den
Wesenskern der sog. Alternative für Deutschland (AfD) als
menschenfeindliches Gebilde frei. Er zieht sich dafür komplett auf seine
Bilder zurück, es gibt keinen Kommentar, keine Nachfragen, keine
inszenatorischen Kunstgriffe oder Ähnliches. Seine Protagonisten sprechen
für sich selbst. Er beobachtet sie bei Meetings, Fraktionssitzungen,
Wahlkampfveranstaltungen, Parteitagen oder kleinen Zusammenkünften im
privaten Rahmen. Politiker wie der Berliner Ex-Militär Georg Pazderski
präsentieren sich erstaunlich offen und Simon Brückner fängt jene Offenheit
gerne ein. </span>
</p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;"></span>
</p>
<table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: left; text-align: left;">
<tbody>
<tr>
<td style="text-align: center;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEjEHpIKqind5K7AOTKn0WZYZC2UyXkadUROAUnNkteioD4Vkqi9-Qu-QY7yp5jg7cHx3zd97TBTENm7_qkoR5MibVMVfLJefO8zyNc7FvQ5eHZsiziUtrAEFZTnAHTSi-Jk8gXvXHP34udwHJDODfwRW7slpv9r77Dy6z31jaPQhiRD63HtnQ=s1280" style="clear: left; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEjEHpIKqind5K7AOTKn0WZYZC2UyXkadUROAUnNkteioD4Vkqi9-Qu-QY7yp5jg7cHx3zd97TBTENm7_qkoR5MibVMVfLJefO8zyNc7FvQ5eHZsiziUtrAEFZTnAHTSi-Jk8gXvXHP34udwHJDODfwRW7slpv9r77Dy6z31jaPQhiRD63HtnQ=s16000" /></a>
</td>
</tr>
<tr>
<td class="tr-caption" style="text-align: center;">
Die Zukunft der Partei bei der Agitation – nicht im Bild: die Antifa,
die lautstark Widerstand leistet | Foto: Spice Film/IFB 2022<br /><br />
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<span style="font-weight: normal;">
Dieser Ansatz der maximalen Zurückhaltung, die mutmaßlich der Schlüssel dafür
war, um in einem Umfeld tiefen Misstrauens gegenüber Andersdenkenden überhaupt
Zugang zu bekommen, ist kritisierbar. Zumal bei Protagonisten, die nicht dafür
bekannt sind, Wort und Geist des Grundgesetzes (und damit also auch die
Kunstfreiheit) sonderlich wertzuschätzen. Wo mündet die dokumentarische
Beobachtung in das Kreieren einer Bühne zur Selbstdarstellung und Agitation?
Wann wird der eigene Film zum Vehikel der anderen? Bei einem Sujet, wie es die
rechtspopulistisch-neofaschistische sog. AfD darstellt, ist der Versuch der
Vereinnahmung im Grunde vorprogrammiert. Was tun? Simon Brückner entschied
sich für das einzig Richtige: Er vertraute dem, was in seinem Material
steckte.</span><span style="font-weight: normal;"> </span>
<p style="text-align: left;"></p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Etwa 500 Stunden Film sammelte sich im Laufe der Dreharbeiten an, Brückner
und seine Schnittmeister:innen Sebastian Winkels und Gesa Marten
destillieren daraus 110 Minuten. Was sie zutage fördern und herausschälen
ist ein verstörendes Dokument von Menschen, die sich mit all ihrer Energie
in eine düstere Parallelgesellschaft verbissen haben, in der Hass, Wahn und
Misstrauen herrschen. Kräfte, welche sie mit enormen Furor gegen andere wie
gegen die eigenen Leute lenken. <br /></span>
</p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Es bedarf keiner politischen Haltung seitens des Publikums, um diesen Film
zu verstehen, pure Menschlichkeit reicht. Die ungefilterte Düsternis dieses
Milieus und der Menschen darin ist offenkundig und sie ist schier endlos.
Jedem Menschen mit nur einem Hauch an Empathie wird unzweifelhaft gewahr, um
was es sich bei der sog. AfD und ihren Parteigängern handelt.</span><span style="font-weight: normal;"></span>
</p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Das Märchen von der bürgerlichen Partei entlarvt sich in EINE DEUTSCHE
PARTEI als das, was immer war: Eine Lüge. Diese Partei und die Menschen
darin, quer durch alle Generationen, sind bis in die Haarspitzen
rechtsextrem gepolt. Damit wird für die übergroße Mehrheit der Gesellschaft
jedoch ein gravierendes Problem erneut akut deutlich: Wie umgehen mit diesen
Menschen, um ihr giftiges Handeln zu neutralisieren?</span>
</p>
<p style="text-align: left;"><b>PS: </b></p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Der im Film häufig zu sehende Ex-Militär und sich als gemäßigt
präsentierende Georg Pazderski ist nach der Bundestags- und
Abgeordnetenhauswahl 2021 von seiner Partei restlos kaltgestellt worden und
heute ohne jegliches Amt oder Mandat. Er war seinen „Parteifreunden“
offenbar nicht mehr radikal genug.<br /></span>
</p>
<h2 style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">16. Februar, 15:16 Uhr, Grauen im Verborgenen</span><span style="font-weight: normal;"> <br /></span>
</h2>
<p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"></span></p>
<table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: left; text-align: left;">
<tbody>
<tr>
<td style="text-align: center;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEgw1nmOik3NRpbau0LYvEP1bXRAxvXxRQ_gtpIJ47fPM2RW4J80lpU_OVcG9qjbROVbzD_zAy7K_loUO4_W9If6BHLMY2tAQlsDyR5oDENeJLJnG3oB9LtMNMsBJJLe3NKEHYNZaXh4Z6cucwsn5bwZ-jJcWA08zAjA54h9TZbCoNMLF4gWQg=s1280" style="clear: left; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEgw1nmOik3NRpbau0LYvEP1bXRAxvXxRQ_gtpIJ47fPM2RW4J80lpU_OVcG9qjbROVbzD_zAy7K_loUO4_W9If6BHLMY2tAQlsDyR5oDENeJLJnG3oB9LtMNMsBJJLe3NKEHYNZaXh4Z6cucwsn5bwZ-jJcWA08zAjA54h9TZbCoNMLF4gWQg=s16000" /></a>
</td>
</tr>
<tr>
<td class="tr-caption" style="text-align: center;">
Camuflaje | Foto: Alina Films/Off The Grid/IFB 2022<br /><br />
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<span style="font-weight: normal;"></span>
<p style="text-align: left;"></p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Campo de Mayo gilt bis heute als eine der wichtigsten Militärbasen
Argentiniens. 1987 versuchten von dort aus Militärs einen Putsch gegen die
wenige Jahre zuvor erste demokratisch gewählte Regierung des Landes
anzustoßen, der scheiterte. Berühmter oder vielmehr berüchtigter ist der
Komplex als zentrales Folterzentrum der neo-faschistischen Militärdiktatur
zwischen 1976 und 1983. Mehrere zehntausend Menschen verschleppte das
Militär auf diese Basis und ließ sie dort „verschwinden“. Von Unzähligen
dieser Menschen fehlt bis heute jede Spur. Campo de Mayo war, wie es eine
der Protagonist:innen in CAMUFLAJE formuliert, ein gigantisches KZ.</span>
</p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Wollte man die Anlage joggend umrunden, hätte man 17 Kilometer Strecke zu
überwinden und wäre vier Stunden unterwegs. Félix Bruzzone hat diese
gigantische Anlage bereits umrundet. Das Schicksal seiner Familie ist
gezwungenermaßen mit diesem Ort verknüpft, seine Mutter „verschwand“ in
Campo de Mayo. Nur durch einen Zufall entging er damals als Kleinkind der
Entführung zusammen mit seiner Mutter. </span><span style="font-weight: normal;">Félix Bruzzone ist der zentrale Protagonist, gleichsam Co-Autor in Jonathan
Perels dokumentarischer Arbeit </span><span style="font-weight: normal;">CAMUFLAJE. </span>
</p>
<p style="text-align: left;">
<b><i>Erinnerungskulturweltmeister</i></b>
</p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Seine Geschichte steht am Beginn dieses Film, wir erfahren sie im Gespräch
mit seiner Großmutter. Sie spazieren gemeinsam durch einen Vorort. Laufen,
Joggen, in Bewegung sein ist essenziell für diesen Film. Schon die erste und
lange Einstellung beginnt mit zwei nackten Füßen, die über Asphalt joggen.
Bewegung vermeidet Verdacht und schafft Sicherheit, erstmal losgehen, auf
dem Weg wird sich das Ziel schon finden. </span>
</p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Aus deutscher Perspektive irritiert der Zustand von Campo de Mayo, wie wir
ihn in CAMUFLAJE sehen können. Wir sind Aufarbeitungs- und
Erinnerungskulturweltmeister, ehemalige Tatorte sind bei uns längst
Gedenkstätten, Mahnmale, Erinnerungsorte. Wohl dokumentiert, gut erhalten,
der Öffentlichkeit zugänglich, Pflichtprogramm für Schulklassen. Campo de
Mayo ist ein mehr schlecht als recht umzäunter Dschungel und eine aktiv
genutzte Militärbasis, die irritierenderweise tagsüber auf einer
öffentlichen Straße durchfahren werden kann – Anhalten verboten. Diese
Durchfahrtsstraße existierte auch zu Zeiten der Diktatur schon, war ganz
normal nutzbar – während irgendwo verborgen im Dickicht Menschen zu Tode
gefoltert wurden.</span>
</p>
<p style="text-align: left;"></p>
<table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: left; text-align: left;">
<tbody>
<tr>
<td style="text-align: center;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEgf4c4IeDAt8WDKP4PYf4W1-v_9KnrYh0cakuxbj_qI3aYAYRjkbZGobXy0QaFmgqiV0wSNaPYJL0SKBVHdm-jt3QtcP0fZGtaZIdu8Yy5HVO-yBEtYDIBjV_kZt2ihjCmdMgt0hlD6-SuvOvzpVYQLAAbghKiGG4K8cNElJcnVKCFyMrsGGA=s1280" style="clear: left; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEgf4c4IeDAt8WDKP4PYf4W1-v_9KnrYh0cakuxbj_qI3aYAYRjkbZGobXy0QaFmgqiV0wSNaPYJL0SKBVHdm-jt3QtcP0fZGtaZIdu8Yy5HVO-yBEtYDIBjV_kZt2ihjCmdMgt0hlD6-SuvOvzpVYQLAAbghKiGG4K8cNElJcnVKCFyMrsGGA=s16000" /></a>
</td>
</tr>
<tr>
<td class="tr-caption" style="text-align: center;">
Camuflaje | Foto: Alina Films/Off The Grid/IFB 2022<br /><br />
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<span style="font-weight: normal;">Jonathan Perel nähert sich diesem Ort durch seinen Protagonisten und dessen
verschiedene Begleiter. Zunächst wird nur darüber gesprochen, wird der Ort
umschlichen, umfahren. Wir hören Gespräche über Gewesenes, Erinnerungen,
verwoben und verwickelt mit Alltagsgeplauder. Erst mit einem
Dinosaurierer-Forscher, der aus dem ganzen Komplex ob dessen reicher Flora und
Fauna am liebsten ein Naturschutzgebiet machen würde, treten wir erstmals ein.
Und sehen: nichts. Jedenfalls nichts, was wie ein Tatort von Verbrechen gegen
die Menschlichkeit aussieht. Dafür immens viel Vegetation. Wollte man die
schreckliche Floskel des „Gras drüber wachsen Lassens“ an einem realen
Beispiel studieren, Campo de Mayo wäre ideal.</span>
<p style="text-align: left;"></p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;"><i><b>Schildkröten und Schießanlagen</b></i><br /></span>
</p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Ein Fitnesstrainer hat den Ort noch tiefer durchdrungen, kennt sich aus,
weiß, wo die Schießanlage zu finden ist und wo es Schildkröten zu gucken
gibt. Drei jungen Künstlerinnen haben verfallene und von der Natur
überwucherte Gebäudeanlagen erkundet und beschreiben den Ort wie ein
gruseliges Labyrinth. Und schließlich jemand, der sich tatsächlich mit
Aufarbeitung befasst, eine ältere Frau, Vorsitzende eines
Erinnerungsvereins, die den gesamten Komplex gerne in einen Mahn- und
Gedenkort umgewandelt sehen würde, doch das gestaltet sich schwierig. Campo
de Mayo ist eine Militärbasis, sie zu betreten, wie Félix Bruzzone und seine
Begleiter:innen es tun, illegal. Die Angst entdeckt zu werden sitzt uns
Zuschauern hier irgendwann genauso im Nacken wie den
Protagonist:innen.</span><span style="font-weight: normal;"></span>
</p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Nur zu einem Anlass sind Zivilisten offiziell zugelassen: Für einen
Hindernis-Marathon durchs Unterholz der Anlage öffnen die Militärs den Ort,
bieten gar Schießtraining als eine der Challenges für die Läufer:innen an.
Der Name der Veranstaltung: „Killer Race“. </span>
</p>
<p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"></span></p>
<table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: left; text-align: left;">
<tbody>
<tr>
<td style="text-align: center;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEiVGwgaXzT6Lra2S6RX4CL_eeh6fWz_-xGv_ppAtjEZEQGnDeE1Gyg9XRA1Bm9drKzIJ5U0MwkH8fohvUFKG5KQYcw7yMeGmAQFcybPO3UWzt-al_8akQLVOddq1WhPjhSpgoLh6DzKvdn9TrACriUUvXSFgVK-gaIAlFp_TgTlvEzW-n8UyQ=s1280" style="clear: left; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEiVGwgaXzT6Lra2S6RX4CL_eeh6fWz_-xGv_ppAtjEZEQGnDeE1Gyg9XRA1Bm9drKzIJ5U0MwkH8fohvUFKG5KQYcw7yMeGmAQFcybPO3UWzt-al_8akQLVOddq1WhPjhSpgoLh6DzKvdn9TrACriUUvXSFgVK-gaIAlFp_TgTlvEzW-n8UyQ=s16000" /></a>
</td>
</tr>
<tr>
<td class="tr-caption" style="text-align: center;">
Camuflaje | Foto: Alina Films/Off The Grid/IFB 2022<br /><br />
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<span style="font-weight: normal;">CAMUFLAJE ist ein gleichermaßen fassungslos machendes wie beeindruckendes
Porträt von Menschen, die nicht stillstehen können. Die kein „Gras über die
Sache wachsen“ lassen wollen, die sich die Erinnerung und Aufarbeitung
individuell aus dem Dickicht herausschlagen, wo sie kollektiv bzw.
staatlicherseits nicht geleistet wird. Eine Marathonaufgabe. Zum Glück hat </span><span style="font-weight: normal;">Jonathan Perel sie dokumentiert.</span>
<p style="text-align: left;"></p>
<p style="text-align: left;"><b>PS:</b></p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Eine Instagram-Kurzbesprechung zu </span><span style="font-weight: normal;">Jonathan Perels vorherigem Berlinale-Forums-Beitrag CORPORATE
ACCOUNTABILITY
<a href="https://www.instagram.com/p/B88jzaogEqd/" target="_blank">findet sich hier</a>.</span><span style="font-weight: normal;">
Und auf MUBI wird der Film aktuell
<a href="https://mubi.com/films/corporate-accountability" target="_blank">als Stream angeboten</a>.<br /></span>
</p>
<h2 style="text-align: left;"><hr /></h2>
<h2 style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">15. Februar 2022, 22:24 Uhr, Wider aller Hoffnung</span><br />
</h2>
<p style="text-align: left;"></p>
<table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: left; text-align: left;">
<tbody>
<tr>
<td style="text-align: center;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEjYsqUdllLnnVeJoiE-To6bBvavHoyzveuqlvVlF8EaXhgTNqV-N897RZmcWvaej46gCKatvRKQgH2U1a1nULEY9DUb7z532A4NEkSpwKmPQvWqBwCSBsV8GJerzh583bli42i25Yg5woCUQ5JZGyAsNQrLqJgbVVKyOaOUcYkpox3H9JFe0w=s1280" style="clear: left; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEjYsqUdllLnnVeJoiE-To6bBvavHoyzveuqlvVlF8EaXhgTNqV-N897RZmcWvaej46gCKatvRKQgH2U1a1nULEY9DUb7z532A4NEkSpwKmPQvWqBwCSBsV8GJerzh583bli42i25Yg5woCUQ5JZGyAsNQrLqJgbVVKyOaOUcYkpox3H9JFe0w=s16000" /></a>
</td>
</tr>
<tr>
<td class="tr-caption" style="text-align: center;">
Fin Argus, Wyatt Oleff in STAY AWAKE | Foto: Stay Awake LLC/IFB 2022<br /><br />
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
Wenn die eigene Mutter von Schmerzmitteln schwer suchtkrank ist, wie lange
sollte man sie als heranwachsender Sohn zu ihr halten und sie unterstützen?
Unterstützen im Sinne, dass man sie nachts immer und immer wieder zugedröhnt
einsammelt und in die Notaufnahme schafft. Unterstützen dabei, schon wieder
einen neuen Entzug zu beginnen und dafür eine bezahlbare Klinik zu finden.
Unterstützen im Sinne, auf die Versprechen zu vertrauen, dass es diesmal klappt
und das versprochene gemeinsame Abendessen endlich stattfindet. Unterstützen
auch, indem man seine eigene Zukunft zurückstellt. Wie lange?
<p style="text-align: left;"></p>
<p style="text-align: left;">
Für den 17-jährigen Ethan und seinen 19-jährigen Bruder Derek stellt sich
diese Frage ganz konkret. Sie leben mit ihrer alleinerziehenden und süchtigen
Mutter in einer Kleinstadt in Virginia, USA. Filmemacher Jamie Sisley stellt
uns Ethan und Derek, seine beiden Hauptfiguren in STAY AWAKE, als enorm
sympathische, kluge, sehr gut aussehende und verdammt selbstständige Typen
vor. Junge Männer, denen man auf den ersten Blick kaum anmerken würde, was sie
durchmachen.<br />
</p>
<p style="text-align: left;">
<i><b>„We need to do something“</b></i><br /><br />Die Opioid-Krise wird oft als verdeckte Epidemie bezeichnet, weil
sie nicht in jenem Maße explizit sichtbar ist wie andere Drogenkrisen. Die
Menschen liegen, vereinfacht gesagt, nicht regungslos mit der Nadel im Arm in
der Ecke. Dabei zieht diese Seuche seit Jahren quer durch die US-amerikanische
Bevölkerung, hat längst sämtliche Schichten und Milieus durchdrungen, tausende
Leben gekostet und noch mehr Familien zerstört hat. Filmemacher Jamie Sisley
ist selber einer jener Söhne, die mit schmerzmittelsüchtigen Eltern zu kämpfen
hatten. Dieser Film, sein Spielfilmdebüt, beruht lose auf seinen eigenen
Erfahrungen. <br /><br />Es gibt in STAY AWAKE eine Sequenz, die Ethans
Zusammenbruch in einem Krankenhausfahrstuhl zeigt. Er kommt aus der
Pathologie, wo er eine tote Frau identifizieren musste. Sie war nicht seine
Mutter. Doch von Erleichterung ist Ethan weit entfernt. Er ist – ist es
Verzweiflung, die ihn da wie eine Naturgewalt überkommt? Die Erkenntnis, es
geht weiter? Sie müssen die Suche nach ihrer Mutter fortsetzen, die wider
aller Hoffnung erneut verschwunden ist und von der sie nicht wissen, wie es
ihr geht. Und sie stecken weiterhin fest in diesem Albtraum aus Abhängigkeit.
</p>
<table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: left; text-align: left;">
<tbody>
<tr>
<td style="text-align: center;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEhGjSsuYfrgzSlSsFbmIkLAMQigR_XvVQ6TAwMgQzmTcQ0lIPNzln3su_c-0SfHKtvMgXXLa8bbMm8PaOJ75Eq2wg41WGjlUHrWfKwOAl95B7-10eF48OyjvcOBO8qa3ZBTxIbulrzLdvyrl-q3KaGsST4VIBz0MROzJcw5a6-9YKoSevKUFA=s1280" style="clear: left; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEhGjSsuYfrgzSlSsFbmIkLAMQigR_XvVQ6TAwMgQzmTcQ0lIPNzln3su_c-0SfHKtvMgXXLa8bbMm8PaOJ75Eq2wg41WGjlUHrWfKwOAl95B7-10eF48OyjvcOBO8qa3ZBTxIbulrzLdvyrl-q3KaGsST4VIBz0MROzJcw5a6-9YKoSevKUFA=s16000" /></a>
</td>
</tr>
<tr>
<td class="tr-caption" style="text-align: center;">
Wyatt Oleff in STAY AWAKE | Foto: Stay Awake LLC/IFB 2022<br /><br />
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<br />
<p style="text-align: left;">
„We need to do something, or we'll get stuck here.“ – Ethan hätte ein
Stipendium weit weg an der Ostküste in der Tasche, Derek könnte Karriere
machen als Schauspieler. Sollen sie all das beiseiteschieben? Aber sie können
doch ihre Mutter nicht einfach im Stich lassen. Oder doch? Schert sie sich
denn überhaupt noch darum, wie es ihnen geht und was sie ihnen antut? Es gibt
zwischen den Jungs darüber einen Konflikt. Was tun? Dahinter steckt mehr,
stecken auch die Schmerzen und Unsicherheiten des Erwachsenwerdens, die für
sich genommen einen Menschen schon genug beschäftigen.<br />
</p>
<p style="text-align: left;">
<b><i>Es könnte alles so schön sein</i></b>
</p>
<p style="text-align: left;">
Aus diesem Konflikt baut Jamie Sisley mit seinen beiden herausragenden
Hauptdarstellern Fin Argus (Derek) und Wyatt Oleff (Ethan) ein facettenreiches
und spannendes, weil ständig im Wandel begriffenes Kräfteverhältnis zwischen
den Brüdern. Ethan, der Druck macht, voran geht, Hoffnung aufbaut, Lösungen
sucht, der raus will. Derek, der sich verantwortlich fühlt, sich kümmert, aber
auch resigniert scheint und vor der Konfrontation der Mutter ausweicht. Der
aber vor allem immer wieder Ethan auffängt und als großer Bruder einfach da
ist, wenn sich der aktuelle Hoffnungsschimmer schon wieder in Pillen aufgelöst
hat. Diese beiden Jungs brauchen sich gegenseitig als Lotsen wie als Anker,
damit sie nicht völlig verzweifeln.
</p>
<p style="text-align: left;">
Blendet man allerdings für einen Moment die Katastrophe aus, die ihre Mutter
umfasst hat, stehen beide eigentlich an verheißungsvollen Punkten in ihren
Leben. Derek wird zu wichtigen Castings eingeladen, Ethan hat das
College-Stipendium sicher – und beide haben Freundinnen. Es könnte alles so
schön sein, so gut, so normal und bilderbuchmäßig und kleinstadtidyllisch.
Könnte.
</p>
<p style="text-align: left;"></p>
<table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: left; text-align: left;">
<tbody>
<tr>
<td style="text-align: center;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEgmWIOjvWePk6B3qaEh94qG8QZE1FpRPWkKPHt_uzgSaocldtuGkrwv8WDn21tuVsFE63evJ0SYw05o-Vt0dMqWwPGrsN2wjW7fCYCN58uj4TejolKLnXUQzm4S1JhQ3AFSDuQRah2Q9oKkHhMbMecoVUWQOyUmtSSKFsfIeZPOTHYjE8QbMA=s1280" style="clear: left; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEgmWIOjvWePk6B3qaEh94qG8QZE1FpRPWkKPHt_uzgSaocldtuGkrwv8WDn21tuVsFE63evJ0SYw05o-Vt0dMqWwPGrsN2wjW7fCYCN58uj4TejolKLnXUQzm4S1JhQ3AFSDuQRah2Q9oKkHhMbMecoVUWQOyUmtSSKFsfIeZPOTHYjE8QbMA=s16000" /></a>
</td>
</tr>
<tr>
<td class="tr-caption" style="text-align: center;">
Fin Argus und Wyatt Oleff in STAY AWAKE | Foto: Stay Awake LLC/IFB
2022<br /><br />
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
In Ethans Fall geht auch noch die Freundin irgendwann verloren, weil er ihr
nichts von seiner Bewerbung fürs College weit weit weg erzählt hat. Als sie mit
ihm Schluss macht, bricht einiges an Wut über ihn aus ihr heraus. Sortiert man
ihre Anwürfe auseinander, schnurrt das mit dem College schnell zur
Nebensächlichkeit zusammen. Ihr geht es um Vertrauen. Doch wie soll ein Mensch
vertrauen können, der bei jedem Nachhausekommen fürchten muss, dass seine Mutter
sich schon wieder ein neues Rezept von dubiosen Ärzten besorgt und sich
abgeschossen hat?<br />
<p style="text-align: left;"></p>
<p style="text-align: left;">
<b><i>Die Zeichen lesen</i></b><br /><br />Aber in der Schimpftirade steckt noch mehr: Wer die Zeichen zu
lesen versteht, erkennt in Ethan plötzlich einen jungen Mann, der seine
sexuelle Identität noch nicht gefunden hat. Das mit den Frauen scheint
jedenfalls nicht so zu funktionieren. Dafür halten sich seine Augen immer
stärker an einem Mitschüler fest. Jamie Sisley belässt es bei diesen
implizit-expliziten Hinweisen. Sie helfen uns, Ethan als Figur besser zu
verstehen, aber eine imp ist STAY AWAKE deshalb nicht. Zum Glück. Das hätte
diese psychologisch klug gebaute und dramaturgisch beeindruckend treffsicher
ausbalancierte Story wohl überfrachtet.<br /><br />STAY AWAKE zeichnet eine
wundersame Schönheit aus. Wir sehen faszinierend durchkomponierte Bilder, die,
würden sie nicht perfekt auf den Moment passen, zur Düsternis der Erzählebene
in unangenehm scharfen Kontrast stünden. Die Lichtstimmung ist beinahe eine
eigene Darstellerin, welche den Räumen eine süffige Haptik verleiht. Es sind
Kinobilder, ausdrücklich Bilder für die große Leinwand, wie sie wohl nur der
US-amerikanische Film zustande bringt. Perfekt kadriert, rundheraus
ikonografisch, nicht selten flirrend und von superdicht gewobener
Atmosphäre.
</p>
<p style="text-align: left;"></p>
<table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: left; text-align: left;">
<tbody>
<tr>
<td style="text-align: center;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEg8cBtuA4P06QLgF-g2XVFT3FP_lyo-ybDC96N88FotPLxXtK5fqD2wSl8a7dqlRbEy3RLEYt0YeVFbB5w0wWh_Z_ywZ4hzyw8z1jbT4YPunJ55ElaqiSOKr3Z5e6XQ2AF9LqWK4cKRRZ-gsv-na5nZLQEEQbiPkKHBs3k_PJn34KxcJpLOdg=s1280" style="clear: left; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEg8cBtuA4P06QLgF-g2XVFT3FP_lyo-ybDC96N88FotPLxXtK5fqD2wSl8a7dqlRbEy3RLEYt0YeVFbB5w0wWh_Z_ywZ4hzyw8z1jbT4YPunJ55ElaqiSOKr3Z5e6XQ2AF9LqWK4cKRRZ-gsv-na5nZLQEEQbiPkKHBs3k_PJn34KxcJpLOdg=s16000" /></a>
</td>
</tr>
<tr>
<td class="tr-caption" style="text-align: center;">
Maskottchen, Glücksbringer oder nur Amaturenbrettdekoration? | Foto:
Stay Awake LLC/IFB 2022<br /><br />
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<p style="text-align: left;">
<br /><br />Ethan wird irgendwann eine Verzweiflungstat begehen, die ihre
Familie de facto zerstört. Er ist am Ende, er erträgt es nicht mehr, er will
nur noch, dass die Last von seinen Schultern genommen wird. Zu lange war er
stark, hat sich nicht entmutigen lassen, trotz aller Rückschläge. Ethans Tat
ist eine Grenzüberschreitung, trotz allem. Im Grunde unentschuldbar. Doch die
Verbindung zwischen diesen beiden Jungs ist nicht kaputt zu kriegen. Derek
fängt seinen kleinen Bruder auf, wie er es schon so oft tun musste. Gibt ihm
Halt, wo die Welt um sie herum wieder einmal kollabiert. Keine Wertung, keine
Vorwürfe, dafür stilles Einverständnis, denn Derek weiß, dass sie nun endlich
frei sind.
</p>
<p style="text-align: left;"><b>PS:</b></p>
<p style="text-align: left;">
Was in diesem Text leider keine Erwähnung finden kann ist der fantastische
Soundtrack des Films. Aber das hätte das Format dann gänzlich gesprengt.
Vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt nach der Berlinale dazu noch ein paar
Zeilen mehr als Textauskopplung. <br />
</p>
<hr style="text-align: left;" />
<h2 style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">14. Februar 2022, 23:50 Uhr, Vergessen</span>
</h2>
<div style="text-align: left;">
<p>
<span style="font-weight: normal;"></span>
</p>
<table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: left;">
<tbody>
<tr>
<td style="text-align: center;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEhN2yQmYLVkxOs07Q2aHIE9r03xAdBS0A298zszdH8HT4l6hCAvFRb6pTFiGf1HNg4bDdLF3RMqcvvDOxafPlZIjlL8wrlqVLntH42qP3DDDPXw-IV32ida25VWpP1_CqL0kuAnz8XywCm9Jis1_z9GVe3LMGqAdn5mh7AV2AlRnQwFJHhLIg=s1280" style="clear: left; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEhN2yQmYLVkxOs07Q2aHIE9r03xAdBS0A298zszdH8HT4l6hCAvFRb6pTFiGf1HNg4bDdLF3RMqcvvDOxafPlZIjlL8wrlqVLntH42qP3DDDPXw-IV32ida25VWpP1_CqL0kuAnz8XywCm9Jis1_z9GVe3LMGqAdn5mh7AV2AlRnQwFJHhLIg=s16000" /></a>
</td>
</tr>
<tr>
<td class="tr-caption" style="text-align: center;">
Isabella Pereira, Pedro Ribeiro, Jonata Vieira in TRÊS TIGRES TRISTE |
Foto: Cris Lyra/IFB 2022<br /><br />
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<p></p>
<p>
<span style="font-weight: normal;">In TRÊS TIGRES TRISTE hat der Virus keinen Namen, aber sein Symptom ist
klar: Vergessen. Sao Paulo in einer Gegenwart, die der unsrigen nahezu
identisch ist. Eine Pandemie hat die Menschheit befallen, alles einstmals
Gekannte ist dadurch in eine neue Realität katapultiert, 1,5 Millionen
Menschen sind tot und wenn die Menschen nicht sterben, so wird ihr
Gedächtnis zumindest weitestgehend ausgelöscht. Erst fehlen nur ein paar
Worte, dann geht der eigene Name verloren, schließlich alles Andere.</span>
</p>
</div>
<div style="text-align: left;">
<p>
<span style="font-weight: normal;">Die Regierung, angeführt von einem proto-faschistischen Präsidenten,
verkündet nun, dass in der Pandemiebekämpfung die Goldene Phase starten
wird, aber sie unterschlägt, was das genau bedeutet. Derweil versuchen
eine junge Transfrau, ein junger schwuler Künstler/Sexarbeiter und dessen
gleichaltriger Neffe (fragen Sie nicht), ihre Leben irgendwie
weiterzuleben. </span>
</p>
<p>
<span style="font-weight: normal;"><i><b>Sex im Netz</b></i><br /></span>
</p>
</div>
<div style="text-align: left;">
<p>
<span style="font-weight: normal;">Küssen ist verboten, Sex(-arbeit) ins Internet ausgelagert, Jobs sind
nicht zu bekommen, die Miete bleibt aber weiterhin hoch. Menschen
vergessen alles, nur der Kapitalismus vergisst nichts. Nebenbei bleiben
die „alten“ Viren bestehen: Malaria, Dengue, Hepatitis, Masern, Mumps,
Röteln, – HIV. Für unsere Hauptfiguren in TRÊS TIGRES TRISTE ist HIV kein
Problem mehr, dank ihrer Medikamente. Der Neue, der Vergesslichkeitsvirus
zwingt derweil zu Abstand, Maske und Desinfektion.</span><span style="font-weight: normal;"> <br /></span>
</p>
</div>
<div style="text-align: left;">
<p>
<span style="font-weight: normal;">Das ist so in etwa die Ausgangslage dieser Geschichte und schon ein
Stückchen mehr. Konkreter wird es in Gustavo Vinaigres drei müden Tigern
eigentlich kaum. Dieser Film mäandert herum, verschwatzt sich munter,
obwohl doch eigentlich Maskenpflicht herrscht und niemand das Genuschel
des Gegenübers versteht. Irrlichtern wäre ein zu scharfes Wort für die
Geschichte in TRÊS TIGRES TRISTE. Es gibt schon auch eine Continuity in
diesem Streifen, aber die ist eher rudimentärer Natur.</span><span style="font-weight: normal;"></span>
</p>
</div>
<div style="text-align: left;">
<p>
<span style="font-weight: normal;">Vielleicht ist das auch das Problem mit diesem Film – jedenfalls wenn man
ihm im Kontext der früheren Arbeiten von Gustavo Vinaigre betrachtet,
allen voran dem herausragenden A ROSA AZUL DE NOVALIS (Forum 2019). Dessen
intellektuelle Schärfe und dramaturgische Präzision erreichen die drei
müden Tiger leider nie. Die Pandemie, sie verzehrt auch von den Besten das
Beste. </span>
</p>
<p><b>PS:</b></p>
<p>
<span style="font-weight: normal;">Mubi hat immer wieder
<a href="https://mubi.com/cast/gustavo-vinagre" target="_blank">Filme von Gustavo Vinaigre im Angebot</a>, aktuell etwa seinen Beitrag zur Berlinale 2020, VILMA – DIVINELY
EVIL.</span>
</p>
</div>
<hr style="text-align: left;" />
<h2 style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">14. Februar 2022, 19:31 Uhr, Liebespaket<br /></span>
</h2>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Möchte man über A LITTLE LOVE PACKAGE etwas Gutes sagen, dann muss man von
der Patina mancher der Drehorte schwärmen. Diese alten Wiener Kaffeehäuser,
Geschäfte, Keller und Wohnungen in denen Generationen von Menschen Zeit
verbracht haben, lebten, aßen, stritten, rauchten und dabei immer auch etwas
von sich zurückließen an diesen Orten. Gelebtes Leben, manifestiert für die
Ewigkeit.<br /></span>
</p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Will man Negatives über A LITTLE LOVE PACKAGE sagen, bleibt festzustellen,
dass dieser Film eine vollkommen sinnentleerten, lärmende, montagetechnisch
schreckliche und darstellerisch unsympathische Lebenszeitverschwendung
ist.<br /></span>
</p>
<hr style="text-align: left;" />
<h2 style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">14. Februar 2022, 16:43 Uhr, Pudern, Ficken, Remmeln, Bimsen, Petschieren,
Stemmen</span><br />
</h2>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Keine Heimlichkeiten, keine Scham, der Prozess des Drehens in all seinen
Tücken ist Teil des Bildes – fast wie ein Antidot scheinen Ruth Beckermann
und ihr Team die Transparentmachung ihrer Arbeit dem Stoff, genauer dem Buch
entgegen zu halten, um das es in MUTZENBACHER geht: „Josefine Mutzenbacher
oder Die Lebensgeschichte einer Wienerischen Dirne von ihr selbst erzählt“.
Ein im selben Moment abstoßendes wie faszinierendes Werk aus dem frühen 20.
Jahrhundert, dessen Inhalt, dessen Sound und Schreibweise Männer des 21.
Jahrhunderts nachhaltig ins Grübeln stürzt. </span>
</p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Beckermann gelingt dabei mit ihrer dokumentarischen Arbeit das furiose
Kunststück, die Transformationen von Männlichkeit, männlichen
Rollenverständnissen und männlicher (Hetero-)Sexualität durch die Jahrzehnte
hindurch und in all ihren mehr oder minder dunklen Schattierungen sichtbar
zu machen. Im Grunde eine Dekonstruktion von Männlichkeit (durch Männer),
die vielleicht aber, möchte mensch fast meinen, schon in jenem
skandalumwitterten Buch (das mutmaßlich von einem Mann geschrieben wurde)
selbst angelegt war. </span>
</p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Selten so einen im besten Sinne verstörenden Film erlebt. </span>
</p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;"><b>PS:</b> </span>
</p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Im Internet Archive ist das Mutzenbacher-Buch kostenlos
<a href="https://archive.org/stream/josefinemutzenba31284gut/pg31284.txt" target="_blank">online nachlesbar</a>.<br /></span>
</p>
<hr style="text-align: left;" />
<h2 style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">14. Februar 2022, 14:15 Uhr, Liebe <br /></span>
</h2>
<p style="text-align: left;">„Wir sind das Volk“</p>
<p style="text-align: left;">„Wir sind ein Volk“ </p>
<p style="text-align: left;">„Wir sind ein blödes Volk“</p>
<p style="text-align: left;"><i>– Schlesinger</i></p>
<p style="text-align: left;">
Aufgeschnappt in Lutz Pehnerts Doku-Porträt-„Liebesliedfilm“ über Bettina
Wegner.
</p>
<hr style="text-align: left;" />
<h2 style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">13. Februar 2022, 23:31 Uhr, Besitz ergreifen </span>
</h2>
<div style="text-align: left;">
<p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"></span></p>
<table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: left;">
<tbody>
<tr>
<td style="text-align: center;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEg1MU3meZgfGCeOfXZm6LCD1hieqVmNYHGNSJn3lTRwN6RhVgqaIwJFeaa7IcyRaojaL1imSO7carHLqgabRwNq1A4ORpLmQBuYHoqyME2cdL3EwzTmp5M3cUvfzQHMFoP_5nHm2lnzNOL7msqIoqGM7ipPzbc5oXMmXTz__9ZqugmcgZGmcQ=s1280" style="clear: left; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEg1MU3meZgfGCeOfXZm6LCD1hieqVmNYHGNSJn3lTRwN6RhVgqaIwJFeaa7IcyRaojaL1imSO7carHLqgabRwNq1A4ORpLmQBuYHoqyME2cdL3EwzTmp5M3cUvfzQHMFoP_5nHm2lnzNOL7msqIoqGM7ipPzbc5oXMmXTz__9ZqugmcgZGmcQ=s16000" /></a>
</td>
</tr>
<tr>
<td class="tr-caption" style="text-align: center;">
<span style="font-weight: normal;">Geographies of Solitude: </span>Zoe Lucas auf Sable Island, man beachte das Pferd | Foto: Jacquelyn
Mills/IFB 2022<br /><br />
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<span style="font-weight: normal;">Jacques Cousteau steht am Strand, ihm gegenüber eine junge Frau. Er fragt
sie: „Do you love this Island?“ Sie antwortet: „Certainly, it's home I
suppose.“ – 1981 entstand diese Aufnahme am Strand von Sable Island, einem
Eiland hundert Kilometer vor der Küste Nova Scotias im Atlantik. Wir sehen
dieses Archivmaterial irgendwann im Verlauf von GEOGRAPHIES OF SOLITUDE.
Einer, in Ermangelung passenderer Worte, Dokumentation über die Insel und
ihre einzige menschliche Bewohnerin. 32 Kilometer lang, nur 1,6 Kilometer
breit, ist Sable Island eine sturmzerzauste Ansammlung von Sanddünen, hohem
Gras, kleinen Teichen, zahllosen Seehunden – und Pferden. Zwischen all dem:
Zoe Lucas, die Frau aus der Jacques-Cousteau-Doku.</span>
<p></p>
</div>
<p style="text-align: left;">
Die Story von GEOGRAPHIES OF SOLITUDE ist schnell umrissen: eine einsame
Insel, eine Wissenschaftlerin und ihr Leben miteinander. Aber hier passiert
natürlich wesentlich mehr und es drängen sich ob dieser kuriosen Paarung
Fragen auf. Wie kommt die Frau zu dieser Insel? Warum lebt sie dort seit über
30 Jahren und allein? Und wie füllt sie ihren Tag?
</p>
<p style="text-align: left;">
<b><i>Besitz ergreifen</i></b><br />
</p>
<p style="text-align: left;">
Als Kunststudentin, die bei einem Naturschutzprojekt aushelfen wollte, landete
Zoe Lucas Anfang der 1970er an diesen Ort – und blieb. Bis heute. Das hatte
sie nicht geplant, es, wie sie es sagt, passierte einfach. Diese biografischen
Dinge finden in GEOGRAPHIES OF SOLITUDE Erwähnung, sie sind aber nicht der
Kern der Sache. Oder anders gesagt: Es geht hier nicht um Menschen allgemein
und auch nicht um einen Menschen im Speziellen. Sollte der Begriff Biopic
Anwendung finden, so beträfe er eher Sable Island, denn Zoe Lucas.<br />
</p>
<p style="text-align: left;">
Man müsste dann konstatieren, dass die Insel irgendwie Besitz ergriffen hat
von ihr. Was die Insel mit Zoe Lucas schaffte, gelingt allerdings auch diesem
Film mit seinem Publikum. GEOGRAPHIES OF SOLITUDE ist eine die Zeit vergessen
machende und immersive Erfahrung, wie es sie selten als Bewegtbild zu sehen
gibt. Es kratz, knackt, knirscht, gluckst, tropft, raschelt und rauscht in
diesem Film. Filmemacherin Jacquelyn Mills erkundet Sable Island nicht nur mit
ihrer 16-mm-Filmkamera, sie hört ihr zu. Mittels spezieller Mikrofone gräbt
sie sich förmlich ein in diesen gefühlt lebensfeindlichen Flecken Erde, der
sich erstaunlich voll von Leben zeigt.<br /><br />Dieses Leben einfach bloß
abzubilden ist Jacquelyn Mills Vorgehen dabei nicht. Sie holt es wortwörtlich
in und auf den Film, erkundet Sand, Gräser und Pflanzen en détail, folgt
Insekten in Supernahaufnahmen, arbeitet Kieselsteinchen, Pflanzenteile oder
kleinste Wassertierchen in das 16-mm-Filmaterial ein und vergrößert es somit
um ein Vielfaches. Sie entwickelt den Film in Seegras oder Pferdemist, sie
übersetzt das Gekrabbel von Ameisen in Musik, sodass die Insekten ihre eigene
Filmmusik komponieren.
</p>
<p style="text-align: left;"></p>
<table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: left; text-align: left;">
<tbody>
<tr>
<td style="text-align: center;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEiUBsTtnQb5AHUdObNMftb8Bjxl3QxICkyrt3UMOY_4v2U90M8uKvmKx-v_WciinFHOaIIJX5ZjPR3GcRJ6VPMyWCLpNv9l4G4hTYz2A8z_nkL-mV10fLe3fUSBIZpdzB6ixPJ_3NBr47IHy2QTn3ztVIwjcOfjsAYGq14nUONJI3H1iAXCuw=s1280" style="clear: left; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEiUBsTtnQb5AHUdObNMftb8Bjxl3QxICkyrt3UMOY_4v2U90M8uKvmKx-v_WciinFHOaIIJX5ZjPR3GcRJ6VPMyWCLpNv9l4G4hTYz2A8z_nkL-mV10fLe3fUSBIZpdzB6ixPJ_3NBr47IHy2QTn3ztVIwjcOfjsAYGq14nUONJI3H1iAXCuw=s16000" /></a>
</td>
</tr>
<tr>
<td class="tr-caption" style="text-align: center;">
Plastik von Sable Island – wortwörtlich festgehalten auf 16-mm-Film |
Foto: Jacquelyn Mills/IFB 2022<br /><br />
</td>
<td class="tr-caption" style="text-align: center;"> </td>
</tr>
</tbody>
</table>
<p style="text-align: left;">
Und sie arbeitet mit dem Licht, wie es auf der Insel vorhanden ist. Mal
strahlende Sonne, die mit der Kameralinse und den Möglichkeiten der
Farbwiedergabe von 16-mm-Film spielt, mal Sturm, der Sand wie Schnee
aufscheucht und die Sicht verdeckt. Nachts dann in ultraklaren Sternennächten,
scheint der Mond so hell, dass Jacquelyn Mills damit den Film belichten kann,
was faszinierend surreale Bilder erzeugt. Das sind alles keine Spielereien, es
sind notwendige Schritte, um die Insel als eigenen Organismus zu verstehen.
</p>
<p style="text-align: left;">
<i><b>Der Feind</b></i>
</p>
<p style="text-align: left;">
Zoe Lucas ist eine äußerst akribische Sammlerin und Chronistin dieses
Organismus. Mit GPS-Gerät bewaffnet und unter Zuhilfenahme riesiger
Excel-Tabellen registriert sie penibel seit gefühlter Ewigkeit jede
Entwicklung an diesem Ort. Ob Parasitenbestand im Pferdemist oder
ausschließlich auf der Insel vorkommende Insektenarten, ihr entgeht nichts.
Auch nicht ein schier endlos auf Stable Island einwirkender Feind:
Plastik.
</p>
<p style="text-align: left;">
Genau hier wird dieser Film beklemmend und düster. Zoe Lucas sammelt jeden Tag
angeschwemmten Plastikmüll ein. Sie sortiert ihn, wäscht ihn, katalogisiert
und archiviert ihn. Säckeweise Plasteschnüre, eimerweise Überreste von
Luftballons, Tüten, Kabel, Shampooflaschen, Etiketten, Mikroplastik – akkurat
nach Größe und Farbe auseinanderdividiert. Und mehr noch, sie kartografiert
anhand der Etiketten und Aufdrucke, woher ein Plastikteil stammt, wie weit es
durch den Ozean getrieben sein muss. Dann schreibt sie den Absendern.
Informiert sie darüber, dass ihr Müll, ihre
Halloween-Weihnachts-Valtentinstag-Hochzeits-Wahlkampf-Luftballons in 2000
Kilometer Entfernung an einer nahezu unberührten Insel anlandeten und klärt
sie darüber auf, dass es ihr Plastikmüll ist, der Vögel und Fische umbringt.
Denn die unerbittliche Archivarin des Lebens und Sterbens auf Sable Island
weiß auch, was sich in den Mägen von über 70 Prozent aller toten Vögel findet,
die auf der Insel ankommen. Es ist Plastikmüll. GEOGRAPHIES OF SOLITUDE ist so
gesehen auch eine berückende Anklage der Umweltzerstörung durch den Menschen.
</p>
<p style="text-align: left;"><b>PS:</b></p>
<p style="text-align: left;">
Sable Island auf Google Maps:
<a href="https://goo.gl/maps/tRUDjtWu4hxL9vHi9">https://goo.gl/maps/tRUDjtWu4hxL9vHi9</a>
<br />
</p>
<hr style="text-align: left;" />
<h2 style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">13. Februar 2022, 20:01 Uhr, andere Realität</span><br />
</h2>
<p style="text-align: left;">
Auf
<a href="https://twitter.com/filmanzeiger/status/1492936963518783501" target="_blank">Twitter</a>* ... <br />
</p>
<p style="text-align: left;">
<i>#EUROPE im @BerlinaleForum. Großartig verwirrt, dabei irgendwie total
hoffnungsfroh und super dankbar (für die Möglichkeit einer anderen
Realität), verlässt man diesen Film. Noch dazu selten so ein im besten Sinne
unaufgeregtes, in sich ruhendes Erzähltempo erlebt. Einfach toll! </i>
</p>
<p style="text-align: left;"><b>PS</b>:</p>
<p style="text-align: left;">
*Mehr über diesen Film in den kommenden Tagen an dieser Stelle – wenn ich es
zeitlich schaffe.
</p>
<hr style="text-align: left;" />
<h2 style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">13. Februar 2022, 13:49 Uhr, Chatrian hat recht</span>
</h2>
<p style="text-align: left;">
Sinngemäß wiedergegeben, was Filmemacherin Alice Agneskirchner vor Beginn der
Weltpremiere ihrer Dokumentation KOMM MIT MIR IN DAS CINEMA – DIE GREGORS
sagte, findet Carlo Chatrian diesen Film zu lang – 155 Minuten
Lauflänge. <br />
</p>
<p style="text-align: left;">
Nach diesen 155 Minuten muss man sagen, er hat recht. Anzufügen wäre, dass der
Film einen außerdem auch noch mit dem Gefühl entlässt, dass vielzuviel fehlt.
Und das die Gregors solch einen Film nicht verdient haben.
</p>
<p style="text-align: left;"></p>
<table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: left; text-align: left;">
<tbody>
<tr>
<td style="text-align: center;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEiW5ZIE_TIrWRS4ItpvDmTY1BPjlP54Rilbuivp2sxZfhRHzzAfyUEEC6egXYgSP5fM5lCxszPCOsxhZ3wZbv6HvnDkkuz8SpRISQcRkZ-PG2xWnjc63VlmegZBmE0uB6OGtVJM-dALSL8Nx4oi_4xASroZqsze5CDW5rAbrLckyRp9JnIROQ=s1280" style="clear: left; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEiW5ZIE_TIrWRS4ItpvDmTY1BPjlP54Rilbuivp2sxZfhRHzzAfyUEEC6egXYgSP5fM5lCxszPCOsxhZ3wZbv6HvnDkkuz8SpRISQcRkZ-PG2xWnjc63VlmegZBmE0uB6OGtVJM-dALSL8Nx4oi_4xASroZqsze5CDW5rAbrLckyRp9JnIROQ=s16000" /></a>
</td>
</tr>
<tr>
<td class="tr-caption" style="text-align: center;">
Die Gregors bei den Dreharbeiten im Archiv des Kino Arsenal | Foto:
Thomas Ernst/IFB 2022<br /><br />
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<br /><br />
<p style="text-align: left;"></p>
<p style="text-align: left;"></p>
<p style="text-align: left;">
KOMM MIT MIR IN DAS CINEMA will die Geschichte des (legendären) Forums- und
Kino-Arsenal-Gründerehepaars Erika und Ulrich Gregor erzählen. Wenn man
ehrlich ist, misslingt Filmemacherin Alice Agneskirchner das. Oder
funktioniert nur insofern, dass Alice Agneskirchner Glück gehabt hat mit ihren
beiden Protagonist:innen. Denn die Gregors, längst hochbetagt, strahlen Film
und Kino förmlich aus. Ihre Erinnerungen, aber vor allem die Fähigkeit das
alles auch noch abzurufen, sind atemberaubend. Dieser Film lebt einzig vom
Gedächtnis der Gregors und ihrer durch und durch sympathischen Aura – wir
erleben zwei spleenige Nerds, im allerbesten Sinne zelluloidvergiftet bis in
die Haarspitzen. Erste Botschafter des Kinos und seiner ihm eigenen Kraft.<br />
</p>
<p style="text-align: left;">
Das Drumherum dieses Films ist zu vergessen. Aus mehr oder minder wichtigen
Gründen honoriges Personal der (deutschen) Filmgeschichte spricht Oneliner in
die Kamera über ihre Beeinflussung durch die Arbeit der Gregors, dazwischen
filmgeschichtliche Wichtigkeit insinnuierende Filmschnipsel. Und gelegentlich
darf Senta Berger als Erzählstimme zeithistorische Informationshäppchen ins
Mikrofon raunen. Das ist alle so erkenntnisarm, wie es irrelevant und filmisch
schrecklich langweilig ist.
</p>
<p style="text-align: left;">
Jenseits der Gregors ist KOMM MIT MIR IN DAS CINEMA so unbeschreiblich weit
weg vom Kino, stinkt so sehr nach den miefigen Büroetagen deutscher
Fernsehanstalten, dass er den Gregors in ihrer aktiven Zeit wohl nicht in ihr
Cinema, ins Arsenal gekommen wäre. Und wie gesagt, Chatrian hat recht.
</p>
<hr style="text-align: left;" />
<h2 style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">13. Februar 2022, 10:41 Uhr, Neues Zeitalter</span>
</h2>
<p style="text-align: left;">
Ich covere die Berlinale mit diesem Blog seit ... lange. Ich verfolge die
Berlinale noch länger, Kosslicks erstes Jahr als Chef war auch mein erstes
Jahr als Zuschauer. In all den Kosslick-Jahren habe ich es nie erlebt, dass
die Forums-Leitung und die Berlinale-Leitung zusammen auf der Bühne standen,
um einen Film zu präsentieren. Und ich habe auf der Berlinale wirklich sehr
viele Vorführungen erlebt. <br />
</p>
<table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: left; text-align: left;">
<tbody>
<tr>
<td style="text-align: center;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEjSZcLYiY-ZgNE_nN0PR65cjy26m-4XPuu2hvmLzVtrdtTXafhJOi-runoJmmH4fY9EAvPOlnaTduEguzD_1T4TKsYTMf27VvCLhMU3KPW3lbtfoaIyrgeqcQI_14W8dkvy-nt2LcysvtneZNfhyAlkHVXu3tl0MK3LAeuaxmrfxHEs_6sJ0A=s1024" style="clear: left; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="512" data-original-width="1024" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEjSZcLYiY-ZgNE_nN0PR65cjy26m-4XPuu2hvmLzVtrdtTXafhJOi-runoJmmH4fY9EAvPOlnaTduEguzD_1T4TKsYTMf27VvCLhMU3KPW3lbtfoaIyrgeqcQI_14W8dkvy-nt2LcysvtneZNfhyAlkHVXu3tl0MK3LAeuaxmrfxHEs_6sJ0A=s16000" /></a>
</td>
</tr>
<tr>
<td class="tr-caption" style="text-align: center;">
Schnappschuss: Christina Nord, Leiterin des Forums und Carlo Chatrian,
Künstlerischer Direktor der Berlinale am 13. Februar 2022 gemeinsam auf
der Bühne zur Vorstellung eines Films | Foto: filmanzeiger<br /><br />
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<br />
<p style="text-align: left;"><br /></p>
<p style="text-align: left;">
Mit dem Wechsel in den Leitungspositionen der Berlinale und der Forums-Sektion
haben sich die Dinge spürbar verändert. Nun passiert es, dass Christina Nord
als Forums-Leiterin und Carlo Chatrian als künstlerischer Direktor der
Berlinale gemeinsam Filme präsentieren. Mensch muss dies im historischen
Kontext betrachten, denn das Forum, obwohl seit 1971 Teil des Festivals, stand
und steht im Grunde bis heute in (filmischer) Abgrenzung zur Berlinale als
Wettbewerbsfestival. Und unter Kosslick schien diese Abgrenzung zur Kluft zu
werden. <br />
</p>
<p style="text-align: left;">
Umso wohltuender, diese beiden Filmnerds nun gemeinsam da vorne stehen zu
sehen. <br />
</p>
<hr style="text-align: left;" />
<h2 style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">12. Februar 2022, 22:15 Uhr, Boys don't cry<br /></span>
</h2>
<p style="text-align: left;"></p>
<a href="https://www.blogger.com/#"></a>
<p style="text-align: left;"></p>
<p style="text-align: left;"></p>
<table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: left; text-align: left;">
<tbody>
<tr>
<td style="text-align: center;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEiV5FcT9siSTt40ZAVh_WbGhQZbdJPf2916n2YF5Pbc3sWCqo0-faIu4iDeTSRZ-r_wdJ9cXIvvsO6W__8q-c1xV-IBQXP5iRoTfU9qJTHil9S8gyjSAe3g93SBPXBspaSVTcFwlT_cA1l_7jW_FRzeSMoq5tU5HxCdOAfexdEC_y_rKHdOYw=s1280" style="clear: left; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="1280" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEiV5FcT9siSTt40ZAVh_WbGhQZbdJPf2916n2YF5Pbc3sWCqo0-faIu4iDeTSRZ-r_wdJ9cXIvvsO6W__8q-c1xV-IBQXP5iRoTfU9qJTHil9S8gyjSAe3g93SBPXBspaSVTcFwlT_cA1l_7jW_FRzeSMoq5tU5HxCdOAfexdEC_y_rKHdOYw=w640-h320" width="640" /></a>
</td>
</tr>
<tr>
<td class="tr-caption" style="text-align: center;">
Martín Miller in SUBLIME | Foto: Tarea Fina/IFB 2022<br /><br />
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<br />Zwei Teenager, beste Freunde seit Kindertagen, geraten in emotionalen
Trouble miteinander, als der eine sich in den anderen verliebt. Frage: Siegt die
Liebe, oder stirbt die Freundschaft? Für einen Coming-of-Age-Film ist das eine
recht klassische Geschichte, nein, eigentlich ist es schon ein meterdick mit
Staub bedecktes Topoi des Queer Cinema. Unglücklicherweise findet der
argentinische Filmemacher Mariano Biasin in seinem Film SUBLIME auch keine
irgendwie neuen, wenigsten spannenden oder sonst wie zum Affizieren einladenden
Anknüpfungspunkte. Dafür lässt er sich mit 100 Minuten Spielzeit erdrückend
lange Zeit, um die Geschichte von Manu und Felipe zur erwartbaren Klimax zu
führen.
<p style="text-align: left;"></p>
<p style="text-align: left;">
Auch die eigentlich spannende Idee über das Spielen und Schreiben von Musik,
beide Jungs sind die Gitarristen in einer Schülerband, einen erzählerischen
Zugang zu bauen, will nicht zünden. Dafür wird das Einstiegsriff von „Boys
don't cry“ von The Cure ausdauernd und bis zur Unkenntlichkeit gequält. Einer
der wenigen Lichtblicke in SUBLIME ist noch Hauptdarsteller Martín Miller, der
sich als bildhübscher Wuschelkopf beachtlich tapfer durch die emotionalen
Zumutungen durchagiert, die das Drehbuch für seinen Manu vorsieht.<br />
</p>
<p style="text-align: left;">
Defekto ein prototypischer Fall für die Sektion Panorama, ist Mariano Biasins
Arbeit aber Teil der Auswahl für die Jugendfilmsektion Generation. Wie
allerdings heutige Vertreter:innen der Generation Z diesen verstockten und aus
der Zeit gefallenen Streifen durchhalten sollen, bleibt das Geheimnis des
Auswahlteams. Aber im Grunde ist das auch egal. SUBLIME wird in Deutschland
vom Salzgeber Filmverleih herausgebracht und in dessen Programmreihe
Queerfilmnacht findet der Film sicherlich ein dankbares (etwas älteres)
Publikum, welches die elegische Ausbreitung von Gefühlswallungen junger
Schwuler noch zu goutieren weiß.
</p>
<p style="text-align: left;"><b>PS:</b> </p>
<p style="text-align: left;">
<iframe allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture" allowfullscreen="" frameborder="0" height="320" src="https://www.youtube-nocookie.com/embed/9GkVhgIeGJQ" title="YouTube video player" width="640"></iframe>
</p>
<hr style="text-align: left;" />
<h2 style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">12. Februar 2022, 13:45 Uhr, Schnulzenalarm </span>
</h2>
<p style="text-align: left;">
Auf
<a href="https://twitter.com/filmanzeiger" target="_blank">Twitter</a>
...<br />
</p>
<p style="text-align: left;">
<i>Man kann über die Verwundungen und die Heilungsprozesse der KZ-Überlebenden
eine zurückgenommene und trotzdem empathische Dokumentation machen. Oder
eine Schnulze. Magnus Gertten entschied sich für Letzteres – und natürlich
läuft das im #Panorama.</i>
</p>
<hr style="text-align: left;" />
<h2 style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">12. Februar 2022, 09:35 Uhr, Zweiundfünfzig mal USA</span>
</h2>
<p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"></span></p>
<table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: left; text-align: left;">
<tbody>
<tr>
<td style="text-align: center;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEj0LPoZFJSAXyvVav4vrKXrX-YGIDQS-V7ZC7F2UZpRk10xDwhXz3-bBmBohTCgl8mSrjNydjK7MHPriyJCtH2KvsnM1DnsDLLV1C-FFfq-K3ofFUf5NjkXV62jgeQFJRLY3aZlnzN6RAfxL41LjpbA57SS_LxDjsyQtgbRWFbvfuYUlWcdNg=s1280" style="clear: left; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="1280" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEj0LPoZFJSAXyvVav4vrKXrX-YGIDQS-V7ZC7F2UZpRk10xDwhXz3-bBmBohTCgl8mSrjNydjK7MHPriyJCtH2KvsnM1DnsDLLV1C-FFfq-K3ofFUf5NjkXV62jgeQFJRLY3aZlnzN6RAfxL41LjpbA57SS_LxDjsyQtgbRWFbvfuYUlWcdNg=w640-h320" width="640" /></a>
</td>
</tr>
<tr>
<td class="tr-caption" style="text-align: center;">
United States of America | Foto:James Benning/IFB 2022<br /><br />
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<span style="font-weight: normal;"><br /> </span>
<p style="text-align: left;"></p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">52 Bundesstaaten oder staatenähnliche Gebietskörperschaften haben die USA,
52 statische Einstellungen hat Jamens Bennings neuester Streich UNITED
STATES OF AMERICA. Jede dieser Einstellungen ist in etwa 1 Minute 55
Sekunden lang oder kurz. Jede diese Einstellungen wirkt auf den ersten
Blick, als ob die Kamera wahllos in die Landschaft gehalten wurde. Nicht
jede dieser Einstellungen zeigt den Ort, den der Prätext verheißt.</span>
</p>
<p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"></span></p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Doch beim (in Ermangelung einer treffenderen Beschreibung, der Mann ist
soviel mehr als das) experimentellen Dokumentarfilmemacher James Benning ist
nie etwas wahllos und jedes Bild genau ausgewählt. So auch hier. Da die
wenigsten Menschen außerhalb der USA wirklich en détail mit den USA vertraut
sind, erschließt sich UNITED STATES OF AMERICA nicht unbedingt und schon gar
nicht schnell. Umso mehr ist man darauf zurückgeworfen, sich aus den
Sequenzen und dem Gezeigten selber einen Reim zu machen.</span>
</p>
<p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"></span></p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Wir sehen also schier unendlich viele Landschaften, nicht wenige davon
erstaunlich verdorrt und leblos. Wir sehen Industriekomplexe, Hafenanlagen,
von der Kamera aus dem urbanen Zusammenhang herausgelöste Gewerbegebäude,
Vorort-Villen, Windräder, Kühltürme, Tagebaue, endlos lange Güterzüge (James
Benning ist ein Eisenbahn-Nerd und hat über Güterzüge einen eigenen, sehr
empfehlenswerten Film gemacht), Küstenstreifen, Brücken, tote Tankstellen,
Kriegsschiffe, Kakteen, Radaranlagen, den Himmel, den Mond,
Sonnenblumen.</span>
</p>
<p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"></span></p>
<p style="text-align: left;">
<b><i>Die eigene Geschichte der Tonspur</i></b>
</p>
<p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"></span></p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Die visuelle Ebene ist bei James Benning aber niemals der alleinige
Erzähler, die Tonspur hat mitunter ihre eigene Geschichte beizusteuern.
Zumeist ist es On-Location-Sound der uns verrät, was sich hinter der Kamera
abspielt. Etwa, dass das vermeintliche Naturidyll vor der Kamera neben einer
Schnellstraße oder in Nachbarschaft an einer Munitionstestanlage liegt. Wir
sehen die Klangquellen dabei nie, die Kamera bleibt, wo sie ist. Unser Kopf
muss Klang und Bild zusammenbauen, um sich verorten zu können.</span>
</p>
<p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"></span></p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Hin und wieder übernimmt auch Foundfootage die Tonspur. In UNITED STATES OF
AMERICA hören wir Politiker, die über den militärisch-industriellen Komplex
sprechen, wir hören schwarze Bürgerrechtsaktivisten, die über die
Notwendigkeit der Selbstverteidigung mit einem Journalisten diskutieren, wir
hören einen Native, der vom Zwang zur Assimilation der Native Americans
durch die Weißen berichtet. Und wir hören Musik, Musik aus dem Radio, mal
alte Schlager, mal aktuelle Popsongs. Zur Erinnerung in James Bennings
Filmen passiert nie etwas zufällig oder zur Dekoration.</span>
</p>
<p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"></span></p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Bennings Filme sind Puzzel, UNITED STATES OF AMERICA, der eine Art Update
oder Remake eines gleichnamigen Films von Benning aus 1975 ist, darf
diesbezüglich als exemplarisch gesehen werden. Seine Filme werfen uns auf
unsere eigene Beobachtungsgabe und unsere Erinnerung zurück. Sie sind
insofern auch – im besten Sinne – Schulen der Wahrnehmung. Eine Erzählung
nach herkömmlicher Lesart, gar einen gestaltlichen Erzähler gibt es nicht.
Es braucht ihn auch nicht. James Bennign vertraut seinem Publikum in seiner
Fähigkeit, sich schon irgendwie einen Reim auf die Sache zu machen und das
zurecht. Selbst wenn man nicht weiß, dass Sequenz Nummer 38 die Kühltürme
eines ehemaligen und umstrittenen AKWs zeigt, so weiß zumindest der mit der
kollektiven deutschen Erinnerung vertraute Kopf, dass derartige Kühltürme
für etwas stehen, was mit gesellschaftlicher Veränderung zu tun hat, die
nicht ohne Widerstand errungen wurde. Im Heute der Klimakrise erst
recht.</span>
</p>
<p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"></span></p>
<p style="text-align: left;">
<b><i>Kartografen des Anthropozäns</i></b>
</p>
<p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"></span></p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Und im Grunde ist dies die auf die Schnelle und Kürze des Blog-Formats
heruntergebrochene Quintessenz von James-Benning-Filmen, zumindest von
UNITED STATES OF AMERICA: Menschen mache sich Landschaft untertan. Sie
besetzen (nicht nur) ihre Lebensräume vollumfänglich, sie prägen und
codieren diese mit Menscheitsgeschichte in all ihren uferlosen Exzessen, bis
auch das unscheinbarste und Schneeumwehteste Tal seine Unschuld verloren
hat, weil es einst Versteck für einen Terroristen war.</span>
</p>
<p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"></span></p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Mensch könnte James Benning also vielleicht als Kartografen des
Anthropozäns bezeichnen und Dabei seine Filme uns das Hinsehen und Lesen.
Aber was wir dabei Entdecken in der ungestörten Friedlichkeit von einer
Minute und 55 Sekunden pro Einstellung, gibt vor allem Zeugnis davon, wo
Menschen untereinander und gegenüber der Natur mehr als nur übergriffig
wurden. James Benning ist dabei kein filmischer Ankläger, kein Kämpfer für
die Entrechteten. Derlei aktivistische Aufgeregtheit ist ihm fremd (was ihn
im Herzen des aktivistischen Films, der Berlinale, zu einem Novum macht). Er
dokumentiert was er sieht, keine Deutung, keine Erklärung. Nichts. Bild und
Ton sprechen für sich. Es ist an uns, hinzuschauen. Wir tragen die
Verantwortung. James Benning ist vielleicht einer der Letzten der
Revolutionär:innen des Weltkinos.</span>
</p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;"><b>PS:</b> Eine Liste mit den Namen aller 52 Frames folgt später noch, wenn
ich mein Gekritzel entziffert habe. Die „Playlist“ mit den Reden und Songs
aus UNITED STATES OF AMERICA hat das Kino Arsenal
<a href="https://www.youtube.com/playlist?list=PL7kqa9hujO6fCTk0FUt_ZPTzpOzZ9bB7U" target="_blank">h</a><a href="https://www.youtube.com/playlist?list=PL7kqa9hujO6fCTk0FUt_ZPTzpOzZ9bB7U" target="_blank">ier zusammengestellt</a>.</span>
</p>
<hr style="text-align: left;" />
<h2 style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">11. Februar 2022, 16:55 Uhr, Juwelendiebe <br /></span>
</h2>
<p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;"></span></p>
<table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: left; margin-left: 1em; text-align: left;">
<tbody>
<tr>
<td style="text-align: center;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEjwiQVrvVyqN1NnCAsYmpLl32hgG8iorw70A5ydNacHFm4JKIY6Qxj8HZ9owt9E--6EYj3BKXhAugxEr9ydxjpR8xDYNfZZaXv05rsFh_Ud-GXeVE5j_3EGW-td29x1yr1aPdxoOV98RBc41pq11YcAc8HlFq89yDHhB8CKOtjn6NPC2dIXxw=s1280" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="1280" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEjwiQVrvVyqN1NnCAsYmpLl32hgG8iorw70A5ydNacHFm4JKIY6Qxj8HZ9owt9E--6EYj3BKXhAugxEr9ydxjpR8xDYNfZZaXv05rsFh_Ud-GXeVE5j_3EGW-td29x1yr1aPdxoOV98RBc41pq11YcAc8HlFq89yDHhB8CKOtjn6NPC2dIXxw=w640-h320" width="640" /></a>
</td>
</tr>
<tr>
<td class="tr-caption" style="text-align: center;">
Hübsch. Aber ist der echt? – Was meint das, „echt“? | Foto: © Showtime
Documentary/Kilo Films/IFB 2022<br /><br />
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<span style="font-weight: normal;"><br /></span>
<p style="text-align: left;"></p>
<p style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Die Diamantenindustrie, die sicherer Quelle für ungezählte Streitigkeiten
über Vermögenaufteilungen im Scheidungsfall, sie ist am Ende. Nicht weniger
arbeitet Filmemacher Jason Kohn in seiner Dokumentation
<a href="https://www.berlinale.de/de/programm/programm/detail.html?film_id=202214062" target="_blank">NOTHING LASTS FOREVER</a>
(Berlinale Special) heraus. In schnellen Schnittfolge und prägnanten Sätzen
seiner irgendwie immer auch etwas sinistren aber durchweg spannenden
Protagonist:innen, zeichnet er das Bild einer Industrie, die mit
erstaunlicher Hybris davon überzeugt war ihren Markt und die Köpfe der
Konsument:innen komplett unter Kontrollen zu haben. Nur um plötzlich
schmerzlich zu realisieren, dass die Produktion synthetischer Diamanten ihre
über ein Jahrhundert alte und mächtige Industrie unaufhaltsam zerstören
wird. Kohn lässt dabei aber durchscheinen, wie wenig Schade es um den
Untergang dieser Industrie wäre.</span>
</p>
<p style="text-align: left;">
Kinematografisch auf der unauffälligen Seite, filmmusikalisch
überambitioniert, in jedem Fall snackable und unbedingt streamingfreundlich
bereitet Jason Kohn sein Recherchewerk von 10 Jahren hier dokumentarisch auf.
Man könnte sagen, typisch amerikanisch. Das ist kein Vorwurf, schließlich
sichert er sich sehr effektiv die Gefolgschaft seines Publikums. Und das ist
etwas, das sich nicht wenige Dokumentarfilmemacher:innen (nicht nur) in Europa
ebenfalls zum Ziel machen sollten.
</p>
<p style="text-align: left;">
Gleichwohl lässt einen dieser Film irgendwie ratlos zurück. Vielleicht, weil
gerade aus den USA inzwischen zu viele ähnlich gestrickte Arbeiten erschienen
sind, die sich an irgendeinem in jeder Hinsicht fragwürdigen Protagonisten des
kapitalistischen Systems abarbeiten. So unterhaltsam NOTHING LASTS FOREVER
auch ist, nach Ende des Films bleibt es einem auch reichlich egal, ob die
Diamantenindustrie nun überlebt. Oder von schlauen wie verbissenen Geeks
plattgemacht und für das nächste Geschäftsmodell aus dem Weg geräumt wird. Das
Grundproblem heißt Kapitalismus und es ist weiterhin unangetastet.
</p>
<hr style="text-align: left;" />
<h2 style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">11. Februar 2022, 14:23 Uhr, Krieg</span>
</h2>
<p style="text-align: left;"></p>
<blockquote style="text-align: left;">
<blockquote>
<i>„Kriege gebildeter Völker sind weniger grausam.“</i>
</blockquote>
</blockquote>
— Clausewitz #Ukraine #Russland #USA<br />
<p style="text-align: left;"></p>
<p style="text-align: left;">
Aufgeschnappt in Raoul Pecks
<a href="https://www.berlinale.de/de/programm/programm/detail.html?film_id=202213941" target="_blank">MERRY CHRISTMAS DEUTSCHLAND ODER VORLESUNG ZUR GESCHICHTSTHEORIE II</a>, zu sehen im herausragenden Forum-Sonderprogramm „Fiktionsbescheinigungen“.
Unterlegt hatte Raoul Peck seine kleine, aber spannende Fingerübung von 1984
über Deutschland und den Krieg mit diesem Stück von Vivaldi: „Juditha
triumphans“ ...
</p>
<iframe allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture" allowfullscreen="" frameborder="0" height="325" src="https://www.youtube-nocookie.com/embed/dd_2D9Rg_Tk" title="YouTube video player" width="640"></iframe>
<hr style="text-align: left;" />
<h2 style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">11. Februar 2022, 10:25 Uhr, Kinopriester</span>
</h2>
<table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: left; margin-left: 1em; text-align: left;">
<tbody>
<tr>
<td style="text-align: center;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEi7qGu9nOS5D_YqtZ1a1BN3mS5lZ9z3728psKFNO_ukGYGRpBfVetaFh2jKmfFKtZx6Ez3y1HVj-xCXt-MxBkRU5-o7oNqDY5f8I52ZFbHvbZrd-Rb65HlXj8fHTEi7n1yW8z1PbVf3vSBrYO6mfVA7LlJFmoNlzqiZunqZ8jzEhwZ2OHqZGA=s1280" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="1280" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEi7qGu9nOS5D_YqtZ1a1BN3mS5lZ9z3728psKFNO_ukGYGRpBfVetaFh2jKmfFKtZx6Ez3y1HVj-xCXt-MxBkRU5-o7oNqDY5f8I52ZFbHvbZrd-Rb65HlXj8fHTEi7n1yW8z1PbVf3vSBrYO6mfVA7LlJFmoNlzqiZunqZ8jzEhwZ2OHqZGA=w640-h320" width="640" /></a>
</td>
</tr>
<tr>
<td class="tr-caption" style="text-align: center;">
Filmriss digital | (c) Foto: Michael Dziedzic/Unsplash<br />
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<br />
<h2 style="text-align: left;"><br /></h2>
<p style="text-align: left;">
Wer sich dieser Tage kritisch zu den Omicron-Festspielen positioniert, macht
sich nicht unbedingt Freunde. So gerieten etwa die Filmjournalistinnen
<a href="https://www.rbb24.de/kultur/berlinale/beitraege/2022/berlinale-kommentar-absagen-corona.html" target="_blank">Anna Wollner</a>
und
<a href="https://www.zeit.de/kultur/film/2022-01/berlinale-programm-corona-kommentar" target="_blank">Wenke Husmann</a>
für ihre Argumentation gegen die Ausführung der Berlinale 2022 in Präsenz
unter Feuer, auch und gerade durch manche
<a href="https://www.artechock.de/film/text/interview/f/frehse_2022.html" target="_blank">Teile der Filmwirtschaft</a>
und der cinephilen Community in sozialen Netzwerken.
</p>
<p style="text-align: left;">
Es müsse doch jetzt endlich mal Schluss sein mit der Panikmache und Angst,
krawehlte es da. Und die Normalität müsse wieder zurückkehren. Film bräuchte
das Kino, die Menschen bräuchten das Kino. Was erdreisten sich die
Streaming-Banausen, die ja sowieso am liebsten alles nur noch von Zuhause
gucken wollen, Forderungen nach Absage eines Kinofestivals zu stellen? Dazu
ein paar Gedanken.<br />
</p>
<p style="text-align: left;">
Fakt ist: Niemand braucht das Kino, nichtmal der Film. Kino als Ort
funktioniert für Menschen dann, wenn es ein Safe Space ist, der rein physisch,
aber auch seelisch und gedanklich für ein paar wenige Stunden eine Form von
Sicherheit und Geborgenheit vermittelt und einlädt, der Realität zu
entfleuchen. Wie das mitten in einer Infektionswelle mit einer
hochansteckenden Virusvariante gelingen soll, zumal bei einer Bevölkerung, die
alles andere als psychisch stabil auf die Pandemie reagiert hat, bleibt das
Geheimnis der Kinofreunde. Von der simplen Tatsache abgesehen, dass 120
Minuten Film plus FFP2-Maske auf der Nase und hinter den Ohren kurz vor Folter
anzusiedeln sind.<br />
</p>
<p style="text-align: left;">
<b><i>Kino-Einheitsfront</i></b>
</p>
<p style="text-align: left;">
Vielleicht wähnen sich die Kinofreunde als stählerne Elite, die sich von einem
„Schnupfen“ (der binnen zwei Jahren 119.679 Menschen in diesem Land umbrachte)
doch die geliebte Blackbox nicht nehmen lässt? Gerne wird beim Versuch der
Fürsprache einer Berlinale in Präsenz auch noch auf die Verordnungslage
verwiesen und Karl Lauterbach zitiert, der das Kino als sicher befand. Was bei
dieser Verantwortungsverlagerung dann noch unterschlagen wird, Lauterbach
attestierte die relative Sicherheit des Kinos im Sommer 2020 – da war
Lauterbach noch einfacher MdB mit drohendem Mandatsverlust und von Delta wie
Omicron keine Spur.<br /><br />Das virologische Argument schreckt unsere liebe
Kino-Einheitsfront also kaum, dafür treibt sie der Glaube umso mehr. Und
Gläubige scheinen die Kinofreunde und Cinephilen zu sein. Sie sind vom Glauben
getragen, dass Film nur im Kino wirklich rein und wahr sein kann. Sie
verteidigen die Erzählung vom magischen Kulturort mit Zähen und Klauen. Sie
sprechen direkt oder indirekt jeder filmischen Seherfahrung schonmal die
Gültigkeit ab, wenn sie nicht im Kino stattgefunden hat. Diese Gläubigen sind
derzeit an vielen Ecken im und rund um das Festival zu finden, sie scharen
sich ums Kino wie Priester ums Gotteshaus.
</p>
<p style="text-align: left;">
Aber sie sind eine Kirche ohne Kirchenvolk.
</p>
<p style="text-align: left;">
Das Kirchenvolk, die Zuschauer:innen, kaufen die eine Predigt vom Kino schon
längst nicht mehr. Sie bedienen sich dort, wo es ihnen passt. Sie patchworken
ihre Seherfahrungen nach Belieben, nicht erst die Pandemie hat sie dazu
veranlasst. TikTok und Youtube auf dem Smartphone, Lieblingsserien per
Großstreamer auf dem Smart-TV und eben auch, wenn man Lust drauf hat, einen
mehr oder minder „großen“/„spannenden“/„interessanten“ Film im Kino. Alles
bunt durcheinander, alles auch mit großer unideologischer
Selbstverständlichkeit nebeneinander.
</p>
<p style="text-align: left;">
Wenn die sog. Filmkultur bei diesen Menschen ankommen möchte (das „Wenn“ ist
hier ein eigener Problembereich), muss sie sich in ihren Sehgewohnheiten
öffnen, anstatt im elitären Elfenbeinturm Kino vor sich hin zu grummeln. Die
ist das Letzte, was der einstigen Jahrmarktattraktion Kino passieren sollte –
ein Elfenbeinturmdasein. Damit wird sich das Kino als Kulturtechnik irgendwann
in Luft auflösen, wenn nur die letzten Boomer und cinephilen Millennials
endlich ins Gras gebissen haben.<br />
</p>
<p style="text-align: left;">
<b><i>Exklusion</i></b>
</p>
<p style="text-align: left;">
Die Krux ist, mit ihrem Beharren auf Präsenz-Berlinale, mit dem Ausschließen
von allem Digitalen zimmern Chatrian, Rissenbeek und Roth gerade fleißig mit
an jenem Elfenbeinturm. Ein Elfenbeinturm, der ausschließt. Menschen
ausschließt, die nicht in Berlin wohnen und sich die Reise hierher auch nicht
leisten können. Menschen, für die die angebliche Barrierefreiheit moderner
Kinoorte dann doch eine Welt voller Hürden ist. Menschen, die gerade mit ihren
Kindern wieder einmal in Quarantäne hocken, weil die halbe Schule
corona-positiv ist (und die den Stream der Generation Kplus gerade sehr gut
gebrauchen könnten).
</p>
<p style="text-align: left;">
Menschen, die ob ihres Jobs einfach nicht die Zeit haben, sich zu einem
exakten Zeitpunkt vor den Rechner zu setzen und in Sekundenbruchteilen zu
versuchen, eine Berlinale-Karte zu kaufen (oder, stundenlang Schlange an
analogen Kassenhäusern zu stehen). Menschen, die Schwellenängste gegenüber
allem haben, was sie als elitär lesen und die lieber erst einmal im Privaten
für sich ausprobieren würden, ob so etwas wie ein Filmfestival auch etwas ist,
das sie meint.
</p>
<p style="text-align: left;">
Die Berlinale war schon vor der Pandemie ein exkludierendes Festival. Nach
zwei Jahren Pandemie hätte man hoffen können, dass die filmkulturelle Elite
der Republik endlich die Lektion gemeistert hat und Film als Geschichten
erzählendes, als die Realität untersuchendes und durchdenkendes Medium
begreift, welches den Menschen dort zugänglich gemacht werden muss, wo sie
zuhause sind. Das Gegenteil ist der Fall. Das Festival, das sich auch und
gerade dadurch zu unterscheiden versucht, ein dezidiertes Publikumsfestival zu
sein, verschließt sich und baut durch die halbierte Saalbelegung noch eine
weitere Hürde ein. Dabei hätte die Berlinale das Standing und die
Anziehungskraft durchaus (gehabt), um den Kultuort Kino mit den digitalen
Screens in Harmonie zu bringen – dauerhaft. Denn nichts anderes machen
Menschen jenseits der cinephilen Elfenbeintürme jeden Tag – sie sehen Film wie
und wo es ihnen passt. Dafür braucht es jetzt am (hoffentlich) Ende der
Pandemie Angebote, doch die Berlinale steht mit leeren Händen da – und mit ihr
nicht wenige Teile der Filmwirtschaft und der cinephilen Community.
</p>
<p style="text-align: left;"><b>PS:</b></p>
<p style="text-align: left;">
Ja, ich versuche mich hier ab jetzt kürzer zu fassen.
</p>
<hr style="text-align: left;" />
<h2 style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">10. Februar 2022, 22:55 Uhr, Panorama-Traditionspflege mit VIENS JE
T'EMMÈNE</span><br />
</h2>
<p style="text-align: left;"></p>
<p style="text-align: left;"></p>
<table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: left; text-align: left;">
<tbody>
<tr>
<td style="text-align: center;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEjw-vjww5sxf0esT91bGFHQHAiSjvq1PRX6xN1f0RaTefusRtroSvj4x-LsEwEdQcQcjH_PKF_YSKdUiEumdv7uUzogJsniUk_JWIbZCTcGEcjVumn3DDB8tEGEY__v-raIey_1-jkv6XEviwBb5VoWWOfS1jw9xDFmK30MctGQWOxv2kWmNQ=s1280" style="clear: left; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="1280" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEjw-vjww5sxf0esT91bGFHQHAiSjvq1PRX6xN1f0RaTefusRtroSvj4x-LsEwEdQcQcjH_PKF_YSKdUiEumdv7uUzogJsniUk_JWIbZCTcGEcjVumn3DDB8tEGEY__v-raIey_1-jkv6XEviwBb5VoWWOfS1jw9xDFmK30MctGQWOxv2kWmNQ=w640-h320" width="640" /></a>
</td>
</tr>
<tr>
<td class="tr-caption" style="text-align: center;">
Jean-Charles Clichet, Noémie Lvovsky in „Viens je t’emmène“ | Foto: CG
Cinema/IFB 2022
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<p style="text-align: left;"></p>
<p style="text-align: left;">
Es gibt sie noch, die guten Nachrichten von der Berlinale: Die Sektion
Panorama pflegt ihre Traditionen. Wie in vielen Jahren zuvor präsentiert die
Sektion auch 2022 wieder ein Werk als Eröffnungsfilm, von dem mensch sich
wünscht, es schnell wieder zu vergessen. Alain Guiraudie erzählt in
<a href="https://www.berlinale.de/de/programm/programm/detail.html?film_id=202214183" target="_blank">VIENS JE T'EMMÈNE</a>
von einem unscheinbaren Mann in den 30ern, der einfach nur eine Sexarbeiterin
aufsuchen will, aber weil er gegen Prostitution ist, diese lieber zum privaten
Treffen bittet.
</p>
<p style="text-align: left;">
Die Frau geht auf das Angebot ein und in der Folge lernen wir ihren akut
eifersüchtigen Ehemann, einen jungen obdachlosen Araber und rauflustige alte
Nachbarn kennen, die es liebend gerne mit einer gewalttätigen Jugendgang
aufnehmen würde – neben diversen anderen Figuren. Angetrieben wird die
Erzählung von einem Terroranschlag zu Beginn, dessen Ausläufer auf große Teile
des Figurenensembles ausstrahlen – und sei es „nur“ in Form aufgestachelter
Vorurteile biofranzösischer alter weißer Männer gegenüber jungen
Arabern.
</p>
<p style="text-align: left;">
Alain Guiraudies Versuchsanordnung über die unkalkulierbaren Querschläger, die
Vorurteile von Menschen mitunter produzieren, gerinnt recht schnell zu einer
halbgaren Groteske, der es an Timing, Intelligenz und schauspielerischer
Anziehungskraft mangelt. Zwar im Kern durchaus mit ein paar treffenden
Beobachtungen, vermag es Guiraudie nicht, aus den Abgründen der heutigen
französischen Gesellschaft irgendwie satirisches Potenzial zu schlagen und
gewinnbringend aufzuarbeiten. Vielmehr wirkt das alles hier irgendwann sehr
bemitleidenswert und könnte so auch in einem deutschen Fernsehkrimi
stattfinden. Obwohl, nein, im deutschen Fernsehen sind Versuche von subtilem
Humor verboten.
</p>
<p style="text-align: left;">
Aufhorchen ließen zu Beginn der Vorführung die einführenden Worte von
Sektionsleiter Michael Stütz. Sinngemäß wiedergegeben, erklärte Stütz, er und
der künstlerische Direktor der Berlinale, Carlo Chatrian, hätten den Film
erstmals im Sommer 2021 sichten können und wären schnell einer Meinung
gewesen, dass dieser Film unbedingt auf die Berlinale gehöre. Sollte Chatrian
VIENS JE T'EMMÈNE tatsächlich für Berlinale-tauglich befunden haben, steht es
um das Festival weitaus schlimmer als gedacht.
</p>
<p style="text-align: left;"><b>PS:</b> </p>
<p style="text-align: left;">
Das Festivalwetter zeigte sich zum Eröffnungstag standesgemäß schrecklich und
die unterschiedlichen Corona-Einlassregeln für akkreditierte und
nicht-akkreditierte Besucher:innen führen bei Servicemitarbeitern am Einlass
des Berliner CinemaxX zu Denkblockaden. Man kann es ihnen nicht verübeln.<br />
</p>
<hr style="text-align: left;" />
<h2 style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">10. Februar 2022, 17.30 Uhr, Zuhause, #mütend</span>
</h2>
<p style="text-align: left;"></p>
<table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: left; margin-left: 1em; text-align: left;">
<tbody>
<tr>
<td style="text-align: center;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEidomh2mdYCe4E5yyua1tmaOcOOFtxpvB6AGvSJ7t5BKTPiQkwgvmWXNDI3XMI9mR6Zt9k2OwS-YZoo2v3-c6lLLQpruROqCq2EKVR5mu9D5IABVSy6iboVpqjc-XhHJSD37OVFrhEdwM-c05ocrJx4x6O81sWjzlLHZJ3km5Gq4_r7wmjkDw=s1280" style="clear: left; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="1280" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEidomh2mdYCe4E5yyua1tmaOcOOFtxpvB6AGvSJ7t5BKTPiQkwgvmWXNDI3XMI9mR6Zt9k2OwS-YZoo2v3-c6lLLQpruROqCq2EKVR5mu9D5IABVSy6iboVpqjc-XhHJSD37OVFrhEdwM-c05ocrJx4x6O81sWjzlLHZJ3km5Gq4_r7wmjkDw=w640-h320" width="640" /></a>
</td>
</tr>
<tr>
<td class="tr-caption" style="text-align: center;">
Internationale Jury der Berlinale 2022: Tsitsi Dangarembga, Karim
Aïnouz, Ryusuke Hamaguchi, Said Ben Saïd, M. Night Shyamalan, Anne Zohra
Berrached, Connie Nielsen | Foto: Sandra Weller/IFB 2022 <br />
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<p style="text-align: left;"></p>
<p style="text-align: left;"></p>
<p style="text-align: left;">
Sie tun es also wirklich, die bundeseigene Kulturveranstaltungen des Bundes in
Berlin GmbH (KBB), die Trägerin der Internationalen Filmfestspiele, lässt das
Festival starten.
</p>
<p style="text-align: left;">
Zur Vergegenwärtigung der Situation ein paar Zahlen – zusammengetragen
<a href="https://twitter.com/gereonas/status/1491683572025016321" target="_blank">von meinem taz-Kollegen Gereon Asmuth</a>: der Tageswert an/mit Corona-Verstorbenen i. H.v. 238 lässt den
7-Tage-Mittelwert um rund 10 auf 159,9 hochspringen. Das sind 9,7 % mehr als
vor 1 Woche. Der Tageswert an Neuinfektionen i.H.v. 247.862 Menschen lässt den
7-Tage-Mittelwert auf 192.397 steigen, was ein neuer Höchststand ist.
Allerdings taugen die Infektionszahlen ob der Überlastung der Labore schon
seit einigen Wochen nur noch als Gradmesser mit hoher Dunkelziffer. Die
Hospitalisierunsgrate ist laut RKI am Donnerstag auf 6,23 gestiegen. Die
Kliniken registrieren damit 24,6 % mehr corona-positive Patient:innen bei den
Neuaufnahmen als eine Woche zuvor. Inklusive der fehlenden Nachmeldungen liegt
die tatsächliche Rate bei über 11.
</p>
<p style="text-align: left;">
Die oberste Kulturpolitikerin des Landes, Kulturstaatsministerin Claudia Roth
(B'90/Grüne), und Mariette Rissenbeek, kaufmännische Geschäftsführerin der
Berlinale, tingeln seit Tagen durch die Medien, um das physische Stattfinden
des Festivals genau in dieser Zeit zu rechtfertigen. Von der Wichtigkeit des
gemeinschaftlichen Filmerlebnisses wird fabuliert, von unverzichtbaren
Kinomomenten für die Filmteams und vom Stellenwert der Berlinale für die
deutsche Filmwirtschaft, ja die Kulturnation Deutschland. Man brüstet sich mit
einem angeblich ausgefeilten Sicherheitskonzept und gibt jedem willigen
Mikrofon zu Protokoll, was wegen der Corona-Prävention alles weggelassen
wird.<br />
</p>
<h3 style="text-align: left;">Die Werte der Berlinale<br /></h3>
<p style="text-align: left;">
Doch einen entscheidenden Punkt umschiffen Roth und Rissenbeek dabei
kontinuierlich: Die Werte, für die die Berlinale angeblich steht. Solidarität,
Diversität, Nachhaltigkeit. Wie eine Monstranz trägt das Festival seit Jahren
diese Werte vor sich her, wirft die filmkünstlerische Relevanz schon mal unter
den Bus, wenn nur die insinuierte Wichtigkeit eines Films stimmt und fleißig
Foto-Call-Momente produziert. Alles für die gute Sache. Die Berlinale 2022 ist
keine gute Sache.
</p>
<p style="text-align: left;">
Die Klinikpersonale sind schon wieder und immer noch am Limit, die Betriebe
der Daseinsvorsorge und kritischen Infrastruktur stecken ob der vielen
Mitarbeiter:innen mit Corona arg in der Bredouille, Kitas und Schulen stehen
genauso unter Druck – und die Berlinale rollt den roten Teppich aus. Die
Belastungen der Mitarbeiter:innen der kritischen Infrastruktur und/oder die
Zumutungen für Kinder und Eltern anzuerkennen, Selbstbeschränkung (als
Festival und als Filmmenschen) zu üben und die Berlinale folgerichtig auf
einen anderen Termin im Frühling zu verschieben, wäre ein Akt gelebter
Solidarität gewesen.<br />
</p>
<h3 style="text-align: left;">
<span style="font-weight: normal;">Gescheitert bevor es beginnt</span><br />
</h3>
<p style="text-align: left;">
Stattdessen nun eine Filmparty als ob (fast) nichts wäre. Und eine
Materialschlacht für die Herstellung einer Illusion von Sicherheit, – über die
die hochstansteckende Omicron-Variante wohl nur müde lächeln dürfte. Den Müll
für unzählige zusätzliche Tests und Masken für einen Moment beiseitegeschoben,
was vom Klimaschutzversprechen der Berlinale noch übrig ist, wenn das
Abstandsgebot dazu zwingt, die Pressevorführung eines Wettbewerbsfilms auf
gleich sechs(!) Kinosäle aufzuteilen, bleibt das Geheimnis der Festivalmacher.
Da dürfte auch der rote Teppich aus recycelten Fischernetzen nichts mehr
retten. Die Berlinale auf einen Zeitpunkt zu legen, welcher weniger Aufwand
für die Corona-Prävention erfordert, wäre aktiver Klimaschutz gewesen.
</p>
<p style="text-align: left;">
Das Präsenz-Festival Berlinale 2022 darf bereits als gescheitertes Festival
betrachtet werden, noch bevor der rote Teppich überhaupt eröffnet ist.
Gescheitert ist die Berlinale an ihren eigenen Werten, die sie mitten in der
Omicron-Wand für fragwürdige kinematografische Gefühligkeit in die Tonne
wirft. Gescheitert ist sie aber auch im harten Konkurrenzkampf der
A-Festivals. Wie Kulturstaatsministerin Claudia Roth, vermutlich unfreiwillig,
in ihren Statements vor der Presse zugab, hätte Deutschland wichtigstes
Kulturfestival bei einer Verschiebung Richtung Frühling oder Sommer
Filmproduktionen an Cannes oder Venedig verloren.
</p>
<p style="text-align: left;">
Der filmkünstlerische Ruf der Berlinale ist mies, dafür hat der frühere
Festivaldirektor Dieter Kosslick nachhaltig gesorgt. Und er wird nicht mehr
nur filmkünstlerisch mies bleiben, dafür sorgen nun Roth und Rissenbeek mit
ihren Corona-Festspielen. Es gibt kein richtiges Festival im falschen Moment.
#mütend
</p>
<p style="text-align: left;"><b>PS:</b><br /></p>
<p style="text-align: left;">
Die Kritiker-Kolleg:innen wühlen sich derweil bereits durch die ersten
Wettbewerbsfilme, was vom Eröffnungsfilm zu halten ist, darf ab 20.40 Uhr
verlautbart werden. Bis dahin gilt eine Embargo-Regel für Besprechungen zu
François Ozons Interpretation von Fassbinders DIE BITTEREN TRÄNEN DER PETRA
VON KANT. Mein Festival beginnt, wie immer, mit dem Eröffnungsfilm der Sektion
Panorama: VIENS JE T'EMMÈNE.<br />
</p>
<p></p>
<p></p><div class="blogger-post-footer">| filmanzeiger.de |</div>filmanzeigerhttp://www.blogger.com/profile/07608769428649714067noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-32184591.post-33425252243470216292021-02-10T01:03:00.013+01:002021-11-23T19:59:04.687+01:00 Berlinale 2020: „MINJAN“ | In den Augen Davids<p>
<b>
Wie kann scheinbar Unaussprechliches doch sagbar gemacht werden? Wie findet
man als junger schwuler Jude seinen Weg ins Erwachsensein? Und was haben
Holocaust und Aids-Epedemie gemeinsam? Eric Steel skizziert in MINJAN einige
Antworten.</b>
</p>
<p></p>
<blockquote>
<blockquote>
<blockquote>
<div style="text-align: right;">
<blockquote>
<h4>
„Ist er ein guter Jeschiwa-Schüler?“ – „Er ist ein guter Mensch.“
</h4>
</blockquote>
</div>
</blockquote>
</blockquote>
</blockquote>
<p></p>
<p>
Es braucht zehn Juden, um einen Minjan zu bilden. Ohne Minjan kein
Gottesdienst. Der Minjan ist eine Art heiliges Mindestmaß an Betenden. Eine
uralte Regel aus einer uralten Schrift, der Tora.
</p>
<p>
</p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;">
<tbody>
<tr>
<td style="text-align: center;">
<a href="https://1.bp.blogspot.com/-d3vQlqOqxTs/YCLzHVMIUVI/AAAAAAAADvQ/HsK3QoEoZdUaf-Zhg2Uv_Lul5Q7f0nXVQCPcBGAYYCw/s1260/Minjan-Movie-Film-EricSteelDirector-SamuelHLevine-Actor--EasyTigerThere-AgX-CaiolaProductions.jpg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="527" data-original-width="1260" height="268" src="https://1.bp.blogspot.com/-d3vQlqOqxTs/YCLzHVMIUVI/AAAAAAAADvQ/HsK3QoEoZdUaf-Zhg2Uv_Lul5Q7f0nXVQCPcBGAYYCw/w640-h268/Minjan-Movie-Film-EricSteelDirector-SamuelHLevine-Actor--EasyTigerThere-AgX-CaiolaProductions.jpg" width="640" /></a>
</td>
</tr>
<tr>
<td class="tr-caption" style="text-align: center;">
Zane Pais, Samuel. H. Levine | (c) Bild: Easy Tiger There/AgX/Caiol
Productions
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<p></p><p>
</p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto; text-align: center;">
<tbody>
<tr>
<td style="text-align: center;">
<a href="https://1.bp.blogspot.com/-uD_hw8avQAA/YCLzH_f00gI/AAAAAAAADvY/dGvMw577pSkNuRNqCTAxDcYuaUfLtiDtgCPcBGAYYCw/s1260/Minjan-Movie-SamuelHLevine-Actor-Tora-TheBook--EasyTigerThere-AgX-CaiolaProductions.jpg" style="clear: left; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="527" data-original-width="1260" height="268" src="https://1.bp.blogspot.com/-uD_hw8avQAA/YCLzH_f00gI/AAAAAAAADvY/dGvMw577pSkNuRNqCTAxDcYuaUfLtiDtgCPcBGAYYCw/w640-h268/Minjan-Movie-SamuelHLevine-Actor-Tora-TheBook--EasyTigerThere-AgX-CaiolaProductions.jpg" width="640" /></a>
</td>
</tr>
<tr>
<td class="tr-caption" style="text-align: center;">
Samuel H. Levine | (c) Bild: Easy Tiger There/AgX/Caiol Productions
</td>
</tr>
</tbody>
</table><p></p>
<p>
David ist ein Teenager, gerade noch so, das Erwachsensein scheint nicht mehr
fern. Er lebt mit seinen Eltern in Brighton Beach. Ein Stadtteil mit der
Metropole New York im Rücken, der lärmenden Hochbahn mittendurch und dem
Atlantikstrand nach vorne raus. Ein urbanes Paradies. Zeitlos fotogen, die
magische Aura New Yorks mühelos und in einem Maße auf die Leinwand
transportierend, wie es das glatt gentrifizierte Manhattan schon lange nicht
mehr vermag. Erst recht, wenn die filmische Erzählung an der Zeit dreht und
uns in eine längst vergangene Epoche transportiert: New York, 1986/87.
</p>
<p>
David lernt die Bedeutung des Minjan in der Jeschiwa, der jüdischen
Religionsschule in seinem Viertel. Doch statt die Tora zu studieren, ist er
eher damit beschäftigt, seinen Klassenkameraden anzuhimmeln. Ausgerechnet
dort.
</p>
<p>
In den Augen von Davids Mutter ist die Jeschiwa ein Safe Space für ihren
jüdischen Sohn, denn dort kann er als Jude nicht dafür verprügelt werden, dass
er Jude ist. Ja, als Jude mag man in der Jeschiwa tatsächlich sicher sein –
doch als Schwuchtel nicht so sehr. Brighton Beach.
</p>
<p></p>
<table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto; text-align: center;">
<tbody>
<tr>
<td style="text-align: center;">
<a href="https://1.bp.blogspot.com/-XZHaEuJgKOY/YCLzEj2cGNI/AAAAAAAADvY/H6885KeonWQFhCPDWQJnS8v-JYw-cZV5ACPcBGAYYCw/s1260/Minjan-EricSteel-Director-Producer-BrightonBeachStation--EasyTigerThere-AgX-CaiolaProductions.jpg" style="clear: left; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="527" data-original-width="1260" height="268" src="https://1.bp.blogspot.com/-XZHaEuJgKOY/YCLzEj2cGNI/AAAAAAAADvY/H6885KeonWQFhCPDWQJnS8v-JYw-cZV5ACPcBGAYYCw/w640-h268/Minjan-EricSteel-Director-Producer-BrightonBeachStation--EasyTigerThere-AgX-CaiolaProductions.jpg" width="640" /></a>
</td>
</tr>
<tr>
<td class="tr-caption" style="text-align: center;">
(c) Bild: Easy Tiger There/AgX/Caiol Productions
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<p></p>
<p>
Diese Zeit, 1986/87, zwar schon fast Ende der 80er, aber doch noch in sicherer
Entfernung zum Epochenwechsel 89/90, spiegelt Filmemacher Eric Steel in seinem
Spielfilmdebüt MINJAN in vielerlei Hinsicht. Da wäre besagter David, der erste
Sohn jüdischer Emigrant:innen, die, wie so viele andere Juden auch, in den
1970ern aus der Sowjetunion nach Brighton Beach kamen.
</p>
<p>
Da wäre der Autor James Baldwin, der am 1. Dezember 1987 verstarb und dessen
Bücher hier einen wichtigen Platz einnehmen. Wie überhaupt Bücher in MINJAN
eine Art Hauptrolle haben, allen voran die Tora.
</p>
<p>
Nicht zuletzt markiert diese Zeit die Hochphase der AIDS-Epidemie – mit New
York als Epizentrum einer Katastrophe, die ganze Generationen schwuler Männer
auslöschte. David steht für eine neue Generation. Eine neue Generation
schwuler Männer, aber vor allem: Juden. Juden, die fernab jener mit den
Schrecken des Holocaust gefüllten Orte Osteuropas aufwachsen. Und die doch für
das allgegenwärtige Klammern der vorherigen Generationen an den Traditionen
des Glaubens und den Erinnerungen an Heimat und Holocaust einen Umgang finden
müssen. Erwachsenwerden als schier unlösbare Aufgabe.
</p>
<p></p>
<table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto; text-align: center;">
<tbody>
<tr>
<td style="text-align: center;">
<a href="https://1.bp.blogspot.com/-JTlGhYfX-Po/YCLzEiPRAUI/AAAAAAAADvE/8k8_al0oaioR21ulDKpi-2IT3-7RCvc2gCPcBGAYYCw/s1260/Minjan-EricSteel-Director-Producer--EasyTigerThere-AgX-CaiolaProductions.jpg" style="clear: left; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="527" data-original-width="1260" height="268" src="https://1.bp.blogspot.com/-JTlGhYfX-Po/YCLzEiPRAUI/AAAAAAAADvE/8k8_al0oaioR21ulDKpi-2IT3-7RCvc2gCPcBGAYYCw/w640-h268/Minjan-EricSteel-Director-Producer--EasyTigerThere-AgX-CaiolaProductions.jpg" width="640" /></a>
</td>
</tr>
<tr>
<td class="tr-caption" style="text-align: center;">
(c) Bild: Easy Tiger There/AgX/Caiol Productions
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<p></p>
<p>
Was ist dieser Film? Coming-Out-Film? Drama? Dramödie? Milieustudie?
Kammerspiel? Gängige Genrezuschreibungen, die ja immer auch eine
Marktkonformität implizieren, lassen sich nur schwer vornehmen. Und von den
vermarktungsfreundlichen 90 Minuten ist MINJAN mit 118 Minuten Laufzeit auch
eher weit weg. Die formale Uneindeutigkeit des Werks korrespondiert mit dem
uneindeutigen Herumtasten von David, der Hauptfigur. Wohin will er in seinem
Leben, wohin in seinem Glauben und was soll er mit seinem Begehren anstellen?
</p>
<p>
Doch zunächst beginnt alles mit dem Tod. Die erste Sequenz zeigt uns eine eher
schmucklose Trauerzeremonie in einer genauso schmucklosen Wohnung. Hässlicher
Teppich, hässliche Couch, hässliche Tapete. Davor die Trauergemeinde in
Schwarz und auf Socken.
</p>
<p>
Davids Großmutter ist verstorben, die hinterbliebenen Familienmitglieder
stehen zusammen. Der Großvater, Josef, spricht das Kaddisch, das jüdische
Totengebet. Kaum ist er verstummt, löst sich die Gruppe auch schon auf. Davids
Mutter stürzt sich unverhohlen auf Papiere. Die Wohnung ist zu teuer murrt
sie, Josefs Rente allein reicht nicht für die Miete. „Hör nicht auf sie“,
versucht David seinem Großvater beizustehen. „Ich hab schon vor langer Zeit
aufgehört, auf sie zu hören“, entgegnet der lapidar.
</p>
<p></p>
<table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto; text-align: center;">
<tbody>
<tr>
<td style="text-align: center;">
<a href="https://1.bp.blogspot.com/-h0HShtl0IEs/YCLzEjkLoJI/AAAAAAAADvY/HRzyx8YojHAgXa19MLO0CsOVRR5nN_5_ACPcBGAYYCw/s1260/Minjan-EricSteel-RonRifkin-SamuelHLevine--EasyTigerThere-AgX-CaiolaProductions.jpg" style="clear: left; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="527" data-original-width="1260" height="268" src="https://1.bp.blogspot.com/-h0HShtl0IEs/YCLzEjkLoJI/AAAAAAAADvY/HRzyx8YojHAgXa19MLO0CsOVRR5nN_5_ACPcBGAYYCw/w640-h268/Minjan-EricSteel-RonRifkin-SamuelHLevine--EasyTigerThere-AgX-CaiolaProductions.jpg" width="640" /></a>
</td>
</tr>
<tr>
<td class="tr-caption" style="text-align: center;">
Samuel H. Levine, Ron Rifkin | (c) Bild: Easy Tiger There/AgX/Caiol
Productions
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<p></p>
<p>
Wir merken schnell, Großvater und Enkel sind sich eng verbunden, was
insbesondere durch die faszinierende Performance von Samuel H. Levine (David)
und Ron Rifkin (Josef) vermittelt wird. Es braucht auch nicht lange, um zu
lernen, weshalb die Verbindungen zur Generation dazwischen, zu Davids Eltern,
schwierig sind. Auswanderer wie sie haben in einer neuen Heimat eigene Kämpfe
auszufechten, denn oft lassen sie in der alten Heimat mehr zurück als geplant.
Wenig verwunderlich also, dass David Konflikte mitunter versucht durch Wodka
zu beruhigen. Wodka, der zwischenmenschliche Schmierstoff für jede
Gelegenheit. Klappt, nicht immer.
</p>
<p>
Dass Josef den umkämpften Platz in einem jüdischen Altersruhesitz ergattert,
hat nichts mit Hochprozentigem zu tun. Josef und David erfüllen zusammen
schlicht jenes Quorum, damit der Leiter und Rabbi des Seniorenheims
Gottesdienste zum Schabbat anbieten und damit die Erwartungen seiner
Bewohner:innen befriedigen kann. Geben und Nehmen.
</p>
<p>
Für David wird die Seniorenresidenz indes zum Fluchtpunkt. Hier bei seinem
Großvater scheint für ihn eine Geborgenheit vorhanden zu sein, die Zuhause
fehlt. Zuhause wartet nur seine überfürsorgliche Mutter – eine verhinderte
Zahnärztin, die nicht sehen will, dass ihr Mann, der Ex-Boxer, heimlich andere
Frauen vögelt.
</p>
<p></p>
<table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto; text-align: center;">
<tbody>
<tr>
<td style="text-align: center;">
<a href="https://1.bp.blogspot.com/-I0EYpdEYyjw/YCLzFALtcMI/AAAAAAAADvU/IzNvIXjP6CcQ1Plho4bgXgsc14G_NlS0wCPcBGAYYCw/s1260/Minjan-EricSteel-SamuelHLevine-BrookeBloom%2B--EasyTigerThere-AgX-CaiolaProductions.jpg" style="clear: left; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="527" data-original-width="1260" height="268" src="https://1.bp.blogspot.com/-I0EYpdEYyjw/YCLzFALtcMI/AAAAAAAADvU/IzNvIXjP6CcQ1Plho4bgXgsc14G_NlS0wCPcBGAYYCw/w640-h268/Minjan-EricSteel-SamuelHLevine-BrookeBloom%2B--EasyTigerThere-AgX-CaiolaProductions.jpg" width="640" /></a>
</td>
</tr>
<tr>
<td class="tr-caption" style="text-align: center;">
Brooke Bloom, Samuel H. Levine | (c) Bild: Easy Tiger There/AgX/Caiol
Productions
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<p></p>
<p>
Dabei könnte das Altersheim, dieser bizarre Mikrokosmos voller lebender aber
deshalb nicht unbedingt ausgesprochener Erinnerungen an Krieg und Holocaust,
für junge Typen wie David kaum unvorstellbarer sein. Aber David tickt anders
als seine Altersgenossen. Seltsam abgekoppelt scheint er von seiner eigenen
Generation, von Klassenkameraden, die sich Abends in ersten körperlichen
Annäherungen ans andere Geschlecht probieren. David beobachtet es und wir
spüren, wie wenig das alles mit ihm zu tun hat und wie sehr ihn selbst das zu
einem rast- und ratlos Suchenden werden lässt.
</p>
<p>
Nur, was ist das Ziel dieser Suche? Lässt sich das überhaupt formulieren? Und
wenn ja, lässt es sich auch aussprechen? Manche Dinge bleiben an einem
bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit vielleicht einfach unsagbar. So
wie die Beziehung, die die freundlichen Nachbarn von Davids Großvater pflegen:
Itzik und Herschel. Alle im Heim sagen, es sind nur zwei alte Witwer die sich
eine Wohnung teilen. Doch mit Zahnbürsten im selben Zahnputzbecher und nur
einem Ehebett im Schlafzimmer, wirkt das auf David eher nicht wie eine
Wohngemeinschaft. Unausgesprochen erkennen sich hier drei Männer in dem was
sie wirklich sind.
</p>
<p>
MINJAN kann als filmisches Nachdenken über die Dinge gelesen werden, die aus
unterschiedlichsten Gründen nicht gesagt oder nur zwischen den Zeilen
formuliert werden können. Eric Steel skizziert mit großer Empathie, wie eine
Alltagskultur aussieht, die von schmerzhaften Erinnerungen, von Tabus,
Traumata und unheilbaren Narben dominiert ist. Wo Menschen allenthalben
versuchen, mit dem Unbegreiflichen des Holocuast irgendwie zu leben. Eine
Katastrophe, die sie nur durch genauso unbegreifliche Fügungen des Schicksals
überlebt haben, während ihre Familien ermordet wurden.
</p>
<p style="text-align: left;"></p>
<table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto; text-align: center;">
<tbody>
<tr>
<td style="text-align: center;">
<a href="https://1.bp.blogspot.com/---CK_xcnEYA/YCLzFo3esFI/AAAAAAAADvM/eKiRPHuq9Zg8-T8onUJrg6iaXtpJynAmgCPcBGAYYCw/s1260/Minjan-Film-SamuelHLevine--EasyTigerThere-AgX-CaiolaProductions.jpg" style="clear: left; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="527" data-original-width="1260" height="268" src="https://1.bp.blogspot.com/---CK_xcnEYA/YCLzFo3esFI/AAAAAAAADvM/eKiRPHuq9Zg8-T8onUJrg6iaXtpJynAmgCPcBGAYYCw/w640-h268/Minjan-Film-SamuelHLevine--EasyTigerThere-AgX-CaiolaProductions.jpg" width="640" /></a>
</td>
</tr>
<tr>
<td class="tr-caption" style="text-align: center;">
Samuel H. Levine | (c) Bild: Easy Tiger There/AgX/Caiol Productions
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<p></p>
<p>
Eric Steel versteht es dabei sehr klug, die großen Gesten zu vermeiden. Es
sind die kleinen Details, die in diesem zuweilen hypnotischen Film ganze
Welten zeichnen. Jede Figur hat eine eigene Geschichte, oft nur durch eine
Nuance angetippt und doch in vielerlei Hinsicht tiefgreifend. Der bis in die
Nebenrollen hinein herausragende Cast leistet seinen Teil, damit diese
Geschichten nachhaltig in Erinnerung bleiben. MINJAN als großes und elegantes
Schauspieler-Kino schafft, was nur wenige Filme fertig bringen – der Streifen
verlässt einen nicht. Monate, oder, wie im Fall des Autors dieses Textes, fast
ein Jahr später, sind die Bilder, die Gesichter, die Storys dahinter noch
immer im Kopf. Ein Film wie ein Gefährte.
</p>
<p>
Wo Worte nicht taugen, dringen andere Kommunikationsformen nach vorne. In
MINJAN erzählen uns die Augen was los ist. Wir sehen Blicke, mal abschätzend,
mal prüfend, mal nach Sicherheit tastend, manchmal auch einfach nur den
Versuch einer Selbstvergewisserung unternehmend – mit ungewissem Ausgang.
Häufig blicken die Augen in Spiegel, manchmal auf die halb entblößte Hüfte
eines jungen Männerkörpers oder einen nackten Po auf der Couch.
</p>
<p>
Manchmal blicken die Augen ins nur scheinbar Leere. In diesen stillen Momenten
tastet sich die Kamera sachte an die Gesichter heran, versucht das
Unaussprechliche doch irgendwie verständlich zu machen. Versucht in den
Menschen zu lesen; Menschen wie Bücher.
</p>
<p></p>
<p>
Es gibt in diesem Film eine nicht zufällige Irritation. Eric Steel hat seine
Erzählung auf einer Kurzgeschichte des kanadischen Autors David Bezmozgis
aufgebaut – dort ist diese Irritation bereits angelegt – und mit seinen
eigenen Lebenserfahrungen als junger schwuler Jude im New York der 80er
angereichert. Es geht um die emotionalen Erfahrungen von
Holocaust-Überlebenden und Überlebenden der AIDS-Epedemie. Eric Steel (und
David Bezmozgis) erkennen hierin eine Ähnlichkeit.
</p>
<table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto; text-align: center;">
<tbody>
<tr>
<td style="text-align: center;">
<a href="https://1.bp.blogspot.com/-EBVKrwGS3t4/YCLzFh70pfI/AAAAAAAADvM/ssW_87Uy_80E8DeSJVBB2RDadIVLcUKIACPcBGAYYCw/s1260/Minjan-Film-EricSteel-SamuelHLevine-ZanePais--EasyTigerThere-AgX-CaiolaProductions.jpg" style="clear: left; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="527" data-original-width="1260" height="269" src="https://1.bp.blogspot.com/-EBVKrwGS3t4/YCLzFh70pfI/AAAAAAAADvM/ssW_87Uy_80E8DeSJVBB2RDadIVLcUKIACPcBGAYYCw/w640-h269/Minjan-Film-EricSteel-SamuelHLevine-ZanePais--EasyTigerThere-AgX-CaiolaProductions.jpg" width="640" /></a>
</td>
</tr>
<tr>
<td class="tr-caption" style="text-align: center;">
Zane Pais, Samuel. H. Levine | (c) Bild: Easy Tiger There/AgX/Caiol
Productions <br />
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<p>
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Es geht nicht um eine
Gleichsetzung. Weder im Subtext des Films noch in diesem Text. Es gibt zum
Holocaust keine Entsprechung, jeder Vergleich verbietet sich.
</p>
<p>
Und doch plädiert Eric Steel dafür, dass die Verheerungen, die zigfaches und
willkürliches Sterben in den Seelen jener anrichtet, die zurückbleiben, eine
unleugbare Wesensverwandtschaft aufweisen. Nicht zuletzt in der Weise, wie die
Überlebenden versuchen, einen Umgang mit den Erinnerungen zu finden. Ein
streitbarer Standpunkt? Vielleicht. Doch darüber zu streiten ist zweifelsohne
legitim.
</p>
<p></p>
<p>
An einer Stelle in MINJAN wird David von Bruno, Davids erstem und viel älteren
Lover, wütend gefragt, ob er denn überhaupt nichts wüsste. David hatte darauf
insistiert zu erfahren, was die Namensliste in Brunos Küche bedeutet. Und
nein, von AIDS weiß dieser David nichts – noch nicht.
</p>
<p>
Dafür weiß er um andere Schrecknisse, überschatten sie sein Leben doch seit
seiner Geburt. Aber er weißund wir wissen es am Ende dieses faszinierenden und
leisen Films ebenso, wie wenig es bringt zu schweigen. Und wie wichtig es ist,
sich offen auszutauschen und ehrlich für den eigenen Standpunkt einzustehen.
</p>
<p>
Ein Coming-Out-Film ist MINJAN nicht. Zum Glück. Es ist ein Plädoyer für die
Macht der Empathie.
</p>
<p>MINJAN | USA 2020 | Eric Steel | 118 Min | Panorama</p>
<hr />
<p>
<i>Tipp: MINJAN wird im Februar 2021 im Programm der Queer Film Nacht der
Edition Salzgeber im Stream präsentiert. Alle Details dazu auf
<a href="http://queerfilmnacht.de">queerfilmnacht.de</a>. Eine komprimierte
Version dieses Textes ist
<a href="https://www.sissymag.de/minjan/" target="_blank">am 01. Februar 2021 in der Sissy erschienen</a>.</i>
</p>
<table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: left;">
<tbody>
<tr>
<td style="text-align: center;">
<a href="https://1.bp.blogspot.com/-j-vuAdY-BRU/YCLzGHpZVxI/AAAAAAAADvI/Olh5-FkM1aIKSxfN0YJsXBVEv_F35Xd-QCPcBGAYYCw/s1260/Minjan-Movie-EricSteel-BrightonBeach-NewYork--EasyTigerThere-AgX-CaiolaProductions.jpg" style="clear: left; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="527" data-original-width="1260" height="268" src="https://1.bp.blogspot.com/-j-vuAdY-BRU/YCLzGHpZVxI/AAAAAAAADvI/Olh5-FkM1aIKSxfN0YJsXBVEv_F35Xd-QCPcBGAYYCw/w640-h268/Minjan-Movie-EricSteel-BrightonBeach-NewYork--EasyTigerThere-AgX-CaiolaProductions.jpg" title="(c) Bild: Easy Tiger There/AgX/CaiolaProductions" width="640" /></a>
</td>
</tr>
<tr>
<td class="tr-caption" style="text-align: center;">
(c) Bild: Easy Tiger There/AgX/Caiol Productions
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<p></p>
<div class="blogger-post-footer">| filmanzeiger.de |</div>filmanzeigerhttp://www.blogger.com/profile/07608769428649714067noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-32184591.post-75490702158205776302020-02-25T12:09:00.001+01:002020-02-25T13:14:17.188+01:00Berlinale 2020: „SHIRLEY“ | Wollust, Wahn, Tod<b>Getragen von begnadeten Darsteller:innen und einer tückischen Dramaturgie, gelingt Josephine Decker mit SHIRLEY eine meisterhafte und zugleich völlig irre Exploration von Verführung und feministischer Selbstbefreiung. </b><br>
<br>
<blockquote class="tr_bq">
<div style="text-align: right;">
„I like your Rosie, why would I harm you? <br>
You could run from me, you don't. <br>
Why do you stay?“</div>
</blockquote>
<br>
Shirley Jackson war eine US-amerikanische Autorin, die in den USA der 1950er und 60er Berühmtheit durch ihre Horror- und Psychothriller erlangte, allen voran die Kurzgeschichte „The Lottery“. Sie starb, übergewichtig und psychisch angeschlagen, bereits 1965 im Alter von nur 48 Jahren an Herzversagen. Sie hatte sich – zwischen ihrem Dasein als Starautorin und zugleich Hausfrau mit vier Kindern – schlicht kaputt gearbeitet.<br>
<br>
<table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto; text-align: center;"><tbody>
<tr><td style="text-align: center;"><a href="https://1.bp.blogspot.com/-KJfpDdOOhAc/XlT8mpAD7LI/AAAAAAAADmM/211xmJvqOEomh2-XH62dYtjyq3be1gw9QCLcBGAsYHQ/s1600/202011904_2_SHIRLEY_c-Bild-LAMF-ShirleyInc-IFB2020_2-1.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="1280" height="320" src="https://1.bp.blogspot.com/-KJfpDdOOhAc/XlT8mpAD7LI/AAAAAAAADmM/211xmJvqOEomh2-XH62dYtjyq3be1gw9QCLcBGAsYHQ/s640/202011904_2_SHIRLEY_c-Bild-LAMF-ShirleyInc-IFB2020_2-1.jpg" width="640"></a></td></tr>
<tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Shirley (Elisabeth Moss) und Stanley (Michael Stuhlbarg) | (c) Bild: LAMF Shirley Inc./IFB 2020</td></tr>
</tbody></table>
<br>
„The Lottery“ – die fiktive Geschichte eines kleinen Dorfs im heutigen Amerika, in dem alljährlich ein:e Bewohner:in ausgelost wird, um als Opfergabe für das Wohlergehen der Gemeinschaft zu Tode gesteinigt zu werden – markiert den Einstieg in die Erzählung von SHIRLEY: Die USA Ende der 40er, ein junges Paar, Rose und Fred, reisen im Zug. Rose liest „The Lottery“ und berichtet ihrem Mann davon. <i>„Is it scary?“ – „No. It's terrific.“</i> Sie drückt dabei ihre Hand in seinen Schritt. Es folgt Sex auf der Zugtoilette.<br>
<a href="https://filmanzeiger.blogspot.com/2020/02/berlinale-2020-shirley-wollust-wahn-tod.html#more">...Weiterlesen »</a><div class="blogger-post-footer">| filmanzeiger.de |</div>filmanzeigerhttp://www.blogger.com/profile/07608769428649714067noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-32184591.post-13012411845367721252020-02-23T00:26:00.001+01:002020-02-23T00:26:30.661+01:00Berlinale 2020: „NACKTE TIERE“ | Schmerzen aushalten können<div style="text-align: right;">
<b>In der neuen kompetitiven Berlinale-Sektion „Encounters“, setzt die Filmemacherin Melanie Waelde ein erstes Ausrufezeichen. Ihr beeindruckendes und faszinierend kratzbürstiges Langfilmdebüt NACKTE TIERE, erzählt uns von fünf jungen Charakteren im Nirgendwo zwischen Teenager-Tagen und Erwachsenwerden. </b></div>
<br>
<br>
<blockquote class="tr_bq">
„Hast Du Angst vor mir?“ – „Klar. Wir haben alle Angst vor dir.“</blockquote>
<br>
Katja. Katja steht kurz vor dem Abi. Danach dann Bundeswehr, das steht für sie fest. Sie lebt in einem namenlosen Irgendwo in Deutschland, keine Stadt, kein Dorf, was Anderes. Landschaft, Gebäude, Straßenlaternen, Autokennzeichen lassen vermuten, dass wir uns im Südwesten Brandenburgs befinden, die große Stadt ist hier weit weg.<br>
<br>
<table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto; text-align: center;"><tbody>
<tr><td style="text-align: center;"><a href="https://1.bp.blogspot.com/-y4bDFo1HSQw/XlG1NhHeigI/AAAAAAAADl4/gNi_8fIoCB41Q7jAvj-AKIkSs2g9rApbgCLcBGAsYHQ/s1600/202003777_1_NackteTiere_CzarFilm-IFB2020_2-1.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="1280" height="320" src="https://1.bp.blogspot.com/-y4bDFo1HSQw/XlG1NhHeigI/AAAAAAAADl4/gNi_8fIoCB41Q7jAvj-AKIkSs2g9rApbgCLcBGAsYHQ/s640/202003777_1_NackteTiere_CzarFilm-IFB2020_2-1.jpg" width="640"></a></td></tr>
<tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Katja (Marie Tragousti) | © Czar Film/IFB 2020</td></tr>
</tbody></table>
<br>
Was anderes. Die örtliche Indifferenz spiegelt sich in den Persönlichkeiten Katjas und ihrer Freunde. Sie sind keine Teenager mehr, aber auch noch einen letzten Meter vom Erwachsensein entfernt. Dazwischen halt. Dazu verdonnert, plötzlich haufenweise Entscheidungen für sich und ihr Leben zu treffen und doch noch nicht ganz die Kontrolle zu haben. Zaungäste und Hauptdarsteller zugleich.<br>
<a href="https://filmanzeiger.blogspot.com/2020/02/berlinale-2020-nackte-tiere-schmerzen.html#more">...Weiterlesen »</a><div class="blogger-post-footer">| filmanzeiger.de |</div>filmanzeigerhttp://www.blogger.com/profile/07608769428649714067noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-32184591.post-140377072581079992019-03-04T21:58:00.000+01:002019-08-05T22:50:20.621+02:00Berlinale 2019: 25 Filme, 25 Texte | Glücksfälle und Gardinenpredigten<div dir="ltr" style="text-align: left;" trbidi="on">
<br />
<div style="text-align: right;">
<b>51 Filme zwischen 4 und 218 Minuten Länge konnten während des Festivals 2019 gesichtet werden. Darunter waren 10 Produktionen aus dem Programm der Retrospektive und den Sonderprogramme „Panorama 40“ und „Archival Constellations“ (Forum). Die folgenden 25 Miniaturen konzentrieren sich auf Filme des Programms 2019, also mit den Produktionsjahren 2018 und 2019. </b></div>
<br />
Angelehnt an Elfride Jelineks „Die Kinder der Toten“ und produziert vom österreichischen Filmemacher Ulrich Seidel, präsentiert das US-Performanceduo The Nature Theater of Oklahoma in seinem Debütfilm <b><u><span style="font-size: x-large;">DIE KINDER DER TOTEN</span></u></b> eine gleichermaßen kluge wie aberwitzige Meditation über den Albtraum des Lebens und des Totseins in der steirischen Provinz. Die Farce aus Zombie- und Heimatfilm zeigt sich dabei als 90 minütiger cinephiler Wahnsinn, der in keinem Leben fehlen sollten. Im Nachleben ebensowenig. _ DIE KINDER DER TOTEN; The Nature Theater of Oklahoma; AT 2019, 90’; Forum<i> </i>_ <i>siehe auch: <a href="https://filmanzeiger.blogspot.com/2019/02/berlinale-2019-die-kinder-der-toten-von.html" rel="nofollow" target="_blank">„Karin, die Zombies und rosa Flamingos“</a></i><br />
<br /></div>
<div dir="ltr" style="text-align: left;" trbidi="on">
<div class="separator" style="clear: both; text-align: center;">
</div>
<table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto; text-align: center;"><tbody>
<tr><td style="text-align: center;"><a href="https://1.bp.blogspot.com/-jmsJA19Vvgs/XUiQLxIdgVI/AAAAAAAADjM/f6efUrRyhFY88Aa5ie1w62Hq3_XeolqvgCLcBGAs/s1600/IFB2019_FOURTEEN_ChristopherMessina-IFB2019_1-1.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="1600" data-original-width="1600" height="400" src="https://1.bp.blogspot.com/-jmsJA19Vvgs/XUiQLxIdgVI/AAAAAAAADjM/f6efUrRyhFY88Aa5ie1w62Hq3_XeolqvgCLcBGAs/s400/IFB2019_FOURTEEN_ChristopherMessina-IFB2019_1-1.jpg" width="400" /></a></td></tr>
<tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">FOURTEEN | (c) Bild: Christopher Messina/IFB 2019 </td></tr>
</tbody></table>
<div class="separator" style="clear: both; text-align: center;">
</div>
<br />
Seit der Schulzeit sind Jo und Mara Freundinnen. Obwohl die Charaktere der jungen Frauen kaum unterschiedlicher sein könnten und Jo's alles verzehrende Lebenskrisen in immer schnellerer Taktung folgen, scheint ihr Band der Freundschaft unkaputtbar. Filmemacher <span class="film-meta staff">Dan Sallitt untersucht in <b><u><span style="font-size: x-large;">FOURTEEN</span></u></b> die Architektur einer Freundschaft und wie diese allmählich irreperable Schäden erleidet. FOURTEEN wandelt sich in 94 Minuten zu einer hochkonzentrierten, dröhnend stillen und schmerzhaften Erzählung über eine völlige Entfremdung. Ein Film, der lange nachwirkt. <i>_ </i>FOURTEEN; Dan Sallitt; USA 2019, 94’; Forum</span><br />
<br />
Was ist Familiengeschichte, wie konstituiert sie sich, wovon wird sie beeinflusst, wo beginnt, wo endet sie und wann werden Menschen zu Spielfiguren des Schicksals? Fragen, welche die dokumentarischen Arbeit <b><u><span style="font-size: x-large;">HEIMAT IST EIN RAUM AUS ZEIT</span></u></b> aufwirbelt. Der Filmemacher Thomas Heise gräbt sich in 218 Minuten durch die Geschichte seiner eigenen Familie, angefangen im Jahr 1912 und zumindest filmisch endend 2014. Die historischen Wegmarken dieses Zeitraums sind klar, doch wie wirken gesellschaftliche Normen, Weltkriege, Kämpfe politischer Systeme und ja, auch die Liebe auf und in den Lebenswegen einzelner Menschen? Thomas Heise legt mit HEIMAT IST EIN RAUM AUS ZEIT eine vielschichtige Kontemplation über die Macht und Ohnmacht des Individuums in den Zeitläuften vor. Die extrem minimalistische Erzählweise und strenge visuelle Form des Films erweisen sich dabei jedoch als eine erhebliche Herausforderung für die Konzentrationsfähigkeit. Gleichwohl ist es lohnenswert, sich in diesen Film einzugraben und HEIMAT IST EIN RAUM AUS ZEIT als Denkraum zu erobern, der zum Entdecken der eigenen (Familien-)Geschichte anstiftet. _ HEIMAT IST EIN RAUM AUS ZEIT; Thomas Heise; DEU 2019, 218’, Dok.; Forum<br />
<br />
<table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto; text-align: center;"><tbody>
<tr><td style="text-align: center;"><a href="https://1.bp.blogspot.com/--2obPgj655o/XUh_6zQDi2I/AAAAAAAADhc/BWXJKI0iB6MBrROW2qdWn_xs4LqNBCeqACLcBGAs/s1600/IFB2019_HeimatIstEinRaumAusZeit_MaJaDe-IFB2019_2-1.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="512" data-original-width="1024" height="320" src="https://1.bp.blogspot.com/--2obPgj655o/XUh_6zQDi2I/AAAAAAAADhc/BWXJKI0iB6MBrROW2qdWn_xs4LqNBCeqACLcBGAs/s640/IFB2019_HeimatIstEinRaumAusZeit_MaJaDe-IFB2019_2-1.jpg" width="640" /></a></td></tr>
<tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">HEIMAT IST EIN RAUM AUS ZEIT | (c) Foto: Ma.Ja.De/IFB 2019</td></tr>
</tbody></table>
<br />
Pablo ist ein attraktiver Mann Anfang 40 und steckt in Schwierigkeiten. Auf der einen Seite steht sein Wunsch endlich als schwuler Mann leben zu können. Auf der anderen Seite die Liebe zu seinen Kindern, welche ihm von seiner evangelikale Ehefrau und Familie weggenommen werden, weil Pablo sein Schwulsein leben möchte. Er wird gezwungen, sich zu entscheiden. Filmemacher Jayro Bustamante präsentiert uns in <b><u><span style="font-size: x-large;">TEMBLORES</span></u></b> einen Mann in einer unmöglichen Zwickmühle. Anfänglich visuell und atmosphärisch durchaus gelungen, nimmt TEMBLORES zunehmend groteske wie auch agitatorische Züge an. Denn Jayro Bustamante misstraut uns, den Zuschauenden, unserem
Einfühlungsvermögen, unserer Fähigkeit zur Erkenntnis. Er predigt lieber
und wir haben gefälligst zu empfangen. _ TEMBLORES; Jayro Bustamante; GTM/FRA/LUX 2019, 107’; Panorama<i> _ siehe auch: „<a href="https://filmanzeiger.blogspot.com/2019/02/berlinale-2019-bait-temblores-betreutes.html" target="_blank">Betreutes Filmegucken</a>“ </i><br />
<br />
Deutschland, 2017/18: Geflüchtete aus Syrien stoßen auf frühere Arbeiter des VEB Kombinats „Fortschritt“ im sächsischen Neustadt. Der junge Filmmacher Florian Kunert setzt uns diese etwas gewollt anmutende Ausgangssituation in seiner dokumentarischen Arbeit <b><u><span style="font-size: x-large;">FORTSCHRITT IM TAL DER AHNNUNGSLOSEN</span></u></b> vor. Vom ehemaligen Vorzeigebetrieb der DDR für Landmaschinen sind nur noch
Ruinen übrig. Für viele Biografien der Arbeiter*innen im VEB „Fortschritt“ gilt
dies seit der Wende genauso. Auch die Leben syrischer Geflüchteter
haben durch den Krieg einen fundamentalen Bruch erlitten, nicht zuletzt weil sie nun im sächsischen Nirgendwo festsitzen. Trotzdem scheinen junge Syrer und alternde Ossis anfänglich Galaxien zu trennen, wenn die alten Männer den jungen irgendwie versuchen Deutsch beizubringen. Filmemacher Florian Kunert präsentiert uns ein durchaus gewagtes soziales Experiment, dessen Verlauf sich jedoch als überraschend komplex und erkenntnisreich erweist. Zum Glück, denn die inszenatorischen Eingriffe des Filmemachers wirken mitunter arg überambitioniert. _ FORTSCHRITT IM TAL DER AHNNUNGSLOSEN; Florian Kunert; DEU 2019, 67’, Dok.; Forum<br />
<br />
<table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto; text-align: center;"><tbody>
<tr><td style="text-align: center;"><a href="https://1.bp.blogspot.com/-VAwYWXpgei0/XUiCLQKbXrI/AAAAAAAADhw/XF_hVForTNcmDfkcQh_Axkvf6druAsr7ACLcBGAs/s1600/IFB2019_FortschrittImTalDerAhnungslosen_tsb-JoannaPiechotta-IFB2019_2-1.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="512" data-original-width="1024" height="320" src="https://1.bp.blogspot.com/-VAwYWXpgei0/XUiCLQKbXrI/AAAAAAAADhw/XF_hVForTNcmDfkcQh_Axkvf6druAsr7ACLcBGAs/s640/IFB2019_FortschrittImTalDerAhnungslosen_tsb-JoannaPiechotta-IFB2019_2-1.jpg" width="640" /></a></td></tr>
<tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">FORTSCHRITT IM TAL DER AHNNUNGSLOSEN | (c) Bild: tsb/Joanna Piechotta/IFB 2019 </td></tr>
</tbody></table>
<br />
Was haben französische Agitprop-Filme der 1960er und 70er mit den Lebenswelten junger Menschen heute gemeinsam? In rund 89 der 94 Minuten von <b><u><span style="font-size: x-large;">NOS DÈFAITES</span></u></b> ist diese Frage einfach zu beantworten: Gar nichts. Jean-Gabriel Périot lässt im Sommer 2018 Schüler*innen eines Pariser Gymnasiums Werke von Alain Tanner, Jean-Luc Godard u.a. reinszenieren. Die Filme verhandelten damals, in der Hochzeit der 68er, Fragen des Widerstands gegen politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Ungerechtigkeiten. Heute sollen die Schüler*innen jene Werke zu neuem Leben erwecken. Zugleich befragt der Filmemacher die Schüler*innen zu den Themen der Filme. NOS DÈFAITES krankt an dieser Ausgangssituation bis zum Schluß. Denn hier werden Teenager in einer oberlehrerhaften Weise mit Problemstellungen und Fragen konfrontiert, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt ihres Lebens für sie null Relevanz besitzen. Ihrer Antworten fallen entsprechend verschult und leblos aus. Die Diskrepanz zwischen den Gedankenwelten der Teenager und denen des Regisseurs tritt unerbittlich zutage, was den Teenagern nicht anzulasten ist. Jean-Gabriel Périot hat eine rundheraus abstoßend bildungsbürgerliches Werk geschaffen, welches nur durch einen unkalkulierbaren Zufall der Geschichte gerettet wird: Einige Monate nach Ende der Dreharbeiten geraten die Schüler*innen in einen Konflikt mit ihrer Schule und den Behörden. Sie erfahren staatliche Repression, womit die Frage nach der Notwendigkeit von Widerstand für sie akute Dringlichkeit erfährt. Erst hier, in den letzten kaum fünf Minuten, erlangt schließlich auch Jean-Gabriel Périots Film eine Berechtigung. _ NOS DÈFAITES; Jean-Gabriel Périot; FRA 2019, 94’, Dok.; Forum<br />
<br />
In einem pittoresken Küstenkaff in Cornwall kämpft der Fischer Martin gegen die Verdrängung seines Gewerbes durch reiche Städter und den Tourismus. Gedreht auf grobkörnigem, von Hand entwickeltem 16mm-Film und in
Schwarz-Weiß, ist <b><u><span style="font-size: x-large;">BAIT</span></u></b> ob der Materialität der Kinobilder ein besonderes
visuelles Ereignis. Regisseur Mark Jenkin versetzt sein Publikum zurück in eine
Epoche des Filmemachens und -erlebens, die nicht erst gestern
untergegangen ist. Auch die Gestaltung der Tonspur, der Schnitt, die
Dramaturgie, die Rahmung der Filmbilder, all das setzt Rückverweise auf
vom Fortschritt längst verschlucktes Filmhandwerk. Reenactment hinter
der Kamera und am Produktionstisch – während sich vor der Kamera Heute
und Gestern zoffen als ginge es um Leben und Tod. Letztendlich geht es darum dann auch – in diesem unterkomplexen Kampf
zwischen dem im Dialekt nuschelnden Mar, der für das authentische, das
ehrliche, das redliche Handwerk steht. Und den Oxfordenglisch
sprechenden Touristen aus der Großstadt, die im Oberklasse-SUV anreisen,
mit Biolebensmitteln, Champagner und ihren verzogenen Nachkommen im
Gepäck. Wem als Publikum unsere Sympathien gelten sollen, steht außer frage. Gebrochen wird diese Anordnung an keiner Stelle, vielmehr treibt Mark
Jenkin seine Geschichte zu einem todbringenden Finale. Als Zuschauer
dieser schlechten Kopie einer antiken Tragödie fühlt man sich irgendwann
genauso mies behandelt wie die Figuren dieses Films. _ BAIT; Mark Jenkin; GBR 2019, 88’; Forum<i> </i>_<i> siehe auch: „<a href="https://filmanzeiger.blogspot.com/2019/02/berlinale-2019-bait-temblores-betreutes.html" target="_blank">Betreutes Filmegucken</a>“</i><br />
<br /></div>
<div dir="ltr" style="text-align: left;" trbidi="on">
<div class="separator" style="clear: both; text-align: center;">
</div>
<table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto; text-align: center;"><tbody>
<tr><td style="text-align: center;"><a href="https://1.bp.blogspot.com/-jo6xp9yzim0/XUiDm4A3niI/AAAAAAAADh8/gMJcg_7m3D4qECaCzQpQNHEPdhs34RKhgCLcBGAs/s1600/IFB2019_BAIT_EarlyDayFilmsLimited-IFB2019_2-1.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="512" data-original-width="1024" height="320" src="https://1.bp.blogspot.com/-jo6xp9yzim0/XUiDm4A3niI/AAAAAAAADh8/gMJcg_7m3D4qECaCzQpQNHEPdhs34RKhgCLcBGAs/s640/IFB2019_BAIT_EarlyDayFilmsLimited-IFB2019_2-1.jpg" width="640" /></a></td></tr>
<tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">BAIT | (c) Bild: Early Day Films Limited/IFB2019</td></tr>
</tbody></table>
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„Wir sind große Fans seiner Arbeit“, sagte Forum-Kuratorin Birgit Kohler zur Begrüßung von Nikolaus Geyrhalter im Anschluss an eine Vorstellung seiner neuen dokumentarischen Arbeit <b><u><span style="font-size: x-large;">ERDE</span></u></b>. Das sind keine guten Nachrichten fürs Forum der Berlinale. Geyrhalter zeigt uns 115 Minuten lang und in Ehrfurcht heischenden Einstellungen wie der Mensch sich durch die Erdoberfläche pflügt, sprengt und gräbt. Neue Tunnel, neue Wohngebiete und frische Rohstoffe müssen der Erdkruste mit einem gewaltigen Maschinenpark abgetrotzt werden. Die daraus resultierenden Mondlandschaften werden mittels modernster Dronentechnik von Geyrhalter opulent zur Geltung gebracht und erweisen sich als ausgesprochen fotogen. Und ERDE erweist sich als ein zutiefst „anständiger“ Film, der alles richtig macht. Eindrucksvolle Bilder, spannende Protagonisten, die richtigen
Themen. Alles so überwältigend richtig. Man will sich richtig schön
schlecht fühlen ob des Unheils, welches wir Menschen anrichten. Als ob man
Sonntags aus der Messe kommt und eine Gardinenpredigt von der Kanzel
empfangen hat. Schrecklich. _ ERDE; Nikolaus Geyrhalter; AT 2019, 115’, Dok.; Forum<br />
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Der Cowboy Marcelo verliert den Halt in seinem Leben, nachdem er hilflos mit ansehen muss, wie ein groß angelegter Viehdiebstahl seine Arbeitsgrundlage zerstört. Marcelos Weg zurück in die Normalität und die Eroberung einer neuen Passion als Präsentator von Rodeoshows bilden den Kern der Erzählung in Helvécio Marins Jr. zweitem Langspielfilm <b><u><span style="font-size: x-large;">QUERÊNCIA</span></u></b>. Angesiedelt im landwirtschaftlich geprägten brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais, erzählt Helvécio Marins Jr. allerdings noch weitaus mehr als nur die Geschichte seines gebrochenen Helden. Er porträtiert einen Landstrich, der von den brasilianischen Metropolen ignoriert wird und dessen Bewohner*innen sich selbst überlassen sind. Dokumentarisches und fiktionales Erzählen überlagern sich in QUERÊNCIA. Still, dramaturgisch angenehm zurückgenommenen und manchmal mit gar sphärischer Rätselhaftigkeit berichtet er uns von der Lebenswirklichkeit in einer Welt, die von der Moderne nichts zu erwarten hat. _ QUERÊNCIA; Helvécio Marins Jr.; BRA 2019, 90’; Forum<br />
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„I am my asshole and god is my asshole“ – Irgendwann in <b><u><span style="font-size: x-large;">A ROSA AZUL DE NOVALIS</span></u></b> werden wir die vielleicht pornografischste und zugleich introspektivste Kamerabewegung erleben, die die Berlinale je gesehen hat. Überhaupt zeigt sich das Porträt des schwulen, mittelalten Marcelo aus Sao Paulo alles andere als schüchtern. Explizit dargestellte Sexualität ist Teil dieses Films, weil Sex ein extrem wichtiger Bestandteil in Marcelos Leben zu sein scheint – neben seinem Faible für die Handlesekunst und seiner mannigfaltigen literarischen Besessenheit. Die Filmemacher Gustavo Vinagre und Rodrigo Carneiro stellen uns diesen irritierenden und zugleich durchaus sympathischen Charakter vor. Wir kommen Marcelo wortwörtlich nahe, wenn er uns scheinbar genüsslich an seinen schmerzhaftesten und intimsten Erlebnissen teilhaben lässt. Intimität ist in A ROSA AZUL DE NOVALIS eine Währung, mit der verschwenderisch umgegangen wird. Auch die Kamera der Filmemacher lässt Marcelo zu keinem Zeitpunkt aus dem Blick, verlässt seine Wohnung niemals. Das Äußere, die Welt jenseits dieses lockenköpfigen, etwas abgelebten Typen existiert visuell nicht. Dafür ist sie in seinen Anekdoten, Deklamierungen und Erinnerungen umso lebendiger. So lebendig, dass sich schnell Zweifel einschleichen. Wo verläuft hier eigentlich die Grenze zwischen Dokumentation und Fiktion? Was ist Fantasie, was ist Erinnerung und wem gehört diese Erinnerung? Wann räumt hier irgendeine Form von Realität die Bühne für die Performance? Und was hat das alles mit Novalis zu tun? A ROSA AZUL DE NOVALIS ist ein in jeder Hinsicht anarchischer Film, der mit offenkundig frivolem Vergnügen dazu einlädt ihm zu misstrauen und sich einen eigenen Reim auf all das zu machen. Ein Glücksfall für das Kino und für das Forum der Berlinale sowieso. _ A ROSA AZUL DE NOVALIS; Gustavo Vinagre, Rodrigo Carneiro; BRA 2019, 70’; Forum<br />
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<table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto; text-align: center;"><tbody>
<tr><td style="text-align: center;"><a href="https://1.bp.blogspot.com/-iK6N_q99aaI/XUiDzj7yGxI/AAAAAAAADiA/vDhWRcy47A8331MDUeoRe4kwGDuvl_GrgCLcBGAs/s1600/IFB2019_ARosaAzulDeNovalis_CarneiroVerde-IFB2019_2-1.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="512" data-original-width="1024" height="320" src="https://1.bp.blogspot.com/-iK6N_q99aaI/XUiDzj7yGxI/AAAAAAAADiA/vDhWRcy47A8331MDUeoRe4kwGDuvl_GrgCLcBGAs/s640/IFB2019_ARosaAzulDeNovalis_CarneiroVerde-IFB2019_2-1.jpg" width="640" /></a></td></tr>
<tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">A ROSA AZUL DE NOVALIS | (c) Bild: Carneiro Verde/IFB 2019 </td></tr>
</tbody></table>
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Der verarmte Stadtteil Traiano in Neapel gilt als Mafiahochburg, 2014 wurde hier der unbewaffnete Teenager Davide Bifolco von der Polizei erschossen. Ein Fall, der bis heute für Sprengstoff in der Stadt sorgt. Filmemacher Agostino Ferrent recherchierte über den Fall, als er auf die Teenager Pietro und Allessandro stieß. Auch sie wachsen in Traiano auf und sie waren Freunde Davide Bifolcos. Der Filmemacher drückte den Jungs Smartphone und Mikro in
die Hand und in der Folge nahmen sie scheinbar ihre eigene Schilderung vom Leben
und Sterben in Traiano vor<span style="font-size: small;">: </span><b><u><span style="font-size: x-large;">SELFIE</span></u></b> zeigt sich als knapp 80 minütige First-Person-Erzählung über das Aufwachsen in einer Welt voller Gewalt und ohne Chancen auf eine glückliche Zukunft. In der Theorie reizvoll, krankt dieses dokumentarische Experiment jedoch an der nicht zweifelsfrei identifizierbaren Position des Filmemachers. Ist er Beobachter oder inszenatorisches Korrektiv? Wie selbstbestimmt und glaubhaft sind die Bilder, die Pietro und Allessandro mit ihrem Smartphone aufzeichnen? _ SELFIE; Agostino Ferrent; ITA/FRA 2019, 77’, Dok.; Panorama Dokumente<br />
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40 Jahre arbeitete Letizia Battaglia in Palermo als Pressefotografin. Sie war dort die erste Frau im Gewerbe und zudem Pionierin in der Dokumentation des alltäglichen Gemetzels durch die Mafia, genauzer die Cosa Nostra. Filmemacherin Kim Longinotto stellt uns diese engagierte Frau in ihrer Dokumentation <b><u><span style="font-size: x-large;">SHOOTING THE MAFIA</span></u></b> vor. Ihr gelingt zunächst ein durchaus eingängiges Porträt Letizia Battaglias, die trotz ihrer Energie die Schatten des Grauens nicht mehr lozuwerden scheint. Die Doku lebt dabei vor allem von Battaglias fotografischem Werk und ihrer Gesprächigkeit, hat filmsich jedoch sonst nur wenig vorzuweisen. Und so gerinnt SHOOTING THE MAFIA leider zum schaurig-schönen Gruseln, das betregten Schweigen macht aber inszenatorisch völlig verschenkt ist. _ SHOOTING THE MAFIA; Kim Longinotto; IRL/USA 2019, 94’, Dok.; Panorama Dokumente<br />
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Man kann es sich einfach machen mit diesem Film: Junger,
hübscher Schnupsi wandert durch endlose und leere afrikanische
Landschaften, auf der Suche nach irgendetwas, angeblich seine Mutter,
oder einem Papagei, oder beidem. Diese Lesart ist absolut legitim und
gibt den Inhalt von <b><u><span style="font-size: x-large;">SERPENTÁRIO</span></u></b><i><span style="font-size: x-large;"> </span></i>durchaus
auch treffend wieder. Natürlich ist die Sache mit Carlos Conceiçãos
dokumentarischer Arbeit komplexer. Was ist Heimat für Menschen, deren
Vorfahren als Siedler einer Kolonialmacht in einem afrikanischen Land
ihr Zuhause fanden? Die mehrere Generationen später, während der
afrikanischen Befreiungskriege, aus ihrem Zuhause rausgeworfen wurden
und „zurückkehren“ mussten in Land, welches für sie niemals Heimat war
und ihr Zuhause schon gar nicht. Die schließlich dorthin zurückkehrten
wo sie ihr Zuhause hatten, das aber ihre Heimat nicht mehr sein konnte
und durfte. Was kann man als Nachkomme dieser Menschen finden, wenn man
sich heute auf die Suche nach einer Antwort zur Frage der Heimat begibt?
Und nach was sucht man dann eigentlich genau? Im Vordergrund von
SERPENTÁRIO steht die Suche eines jungen Mannes nach seiner Mutter, die
irgendwo im Nirgendwo zu finden sein soll. Doch das Vordergründige ist
nicht der Kern dessen, was diesen rätselhaften und zugleich
atmosphärischen wie betörenden Film bestimmt, der enorm lange nachwirkt.
Hier geht es um das Überwinden einer Entwurzelung und das Finden eines
Zuhauses für die eigene Identität. _ SERPENTÁRIO; Carlos Conceição; AGO/PRT 2019, 83’, Dok.; Forum <br />
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<table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto; text-align: center;"><tbody>
<tr><td style="text-align: center;"><a href="https://1.bp.blogspot.com/-XqhezA7mn78/XUiERwaMiLI/AAAAAAAADiM/g-EtP-xD_nUrLDXhy849vN6grCYutI0GQCLcBGAs/s1600/IFB2019_Serpentario_Mirabilis-IFB2019_2-1.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="512" data-original-width="1024" height="320" src="https://1.bp.blogspot.com/-XqhezA7mn78/XUiERwaMiLI/AAAAAAAADiM/g-EtP-xD_nUrLDXhy849vN6grCYutI0GQCLcBGAs/s640/IFB2019_Serpentario_Mirabilis-IFB2019_2-1.jpg" width="640" /></a></td></tr>
<tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">SERPENTÁRIO | (c) Bild: Mirabilis/IFB 2019</td></tr>
</tbody></table>
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In den USA war Pauline Kael über Jahrzehnte eine der einflussreichsten Filmjournalist*innen überhaupt. Zahlreiche Filmemacher*innen haben ihren Plädoyers für deren Filme ihre Karrieren zu verdanken. Zugleich entrümpelte Kael die Filmkritik von akademischem Dünkel und setzte mit ihren subjektiven, an ein allgemeines Publikum addressierten Texten neue Maßstäbe. Für ihre vernichtenden Verisse war sie gefürchtet und deshalb nicht unumstritten. Filmemacher Rob Garver widmet der zeitlebens umtriebigen Frau nun mit <b><u><span style="font-size: x-large;">WHAT SHE SAID: THE ART OF PAULINE KAEL</span></u></b> ein Porträt und eine dokumentarische Arbeit, die Pauline Kael wohl mit einem Verriss bedacht hätte. Gleichwohl nicht uninformativ, zeigt sich Rob Garvers Film als zutiefst uninspirierte, visuell vollkommen langweile Aneinanderreihung von Themen, sprechenden Köpfen, abgefilmten Fotos und Schnipseln aus dem Kanon der Filmgeschichte Hollywoods. WHAT SHE SAID... ist ein Paradebeispiel für den erbarmungswürdigen Zustand des dokumenatrischen Erzählens in den USA. _ WHAT SHE SAID: THE ART OF PAULINE KAEL; Rob Garver; USA 2019, 95’; Panorama Dokumente<br />
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Kommunikation gehört zu unserem Menschsein. Doch wenn uns eine Demenzerkrankung zunehmend unserer kommunikativen Fähigkeiten beraubt, wie machen wir uns dann noch verständlich? Und umgekehrt, wie erreichen wir Menschen mit Demenz? In seinem Debütfilm <b><u><span style="font-size: x-large;">DAS INNERE LEUCHTEN</span></u></b> erkundet Stefan Sick die kommunikativen Welten von Menschen in einem Pflegeheim für Demenzerkrankte. Zurückgenommen und fast schon diskret beobachtet er mit seiner Kamera den Alltag der Bewohner*innen. Wir erleben Menschen, deren erratische Handlungsmotive aus einer Zwischenwelt des Erinnerns, des Vergessens und des bloßen Instinkst zu entspringen scheinen. Welche auf uns Zuschauende völlig irrational und befremdlich wirken, die allen anderen im Raum, die Pflegekräfte eingeschlossen, jedoch völlig normal erscheinen. Sofern Normalität in diesem Kontext überhaupt noch eine brauchbare Vokabel ist. Stefan Sick gelingt es, die Menschen in ihrem ganzen Gepräge aufzunehmen, ohne sie dabei jedoch aus- oder bloßzustellen. Es ist auch kein sezierend menschenkundlicher Blick. Es sind ehrliche aber ausbalancierte Neugierde und ja, auch Zärtlichkeit die uns ermöglichen diesen Menschen und ihren ephemeren Welten näher zu kommen. _ DAS INNERE LEUCHTEN; Stefan Sick; DEU 2019, 95’, Dok.; Perspektive Deutsches Kino<br />
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Mit David Dietls Arbeit <b><u><span style="font-size: x-large;">BERLIN BOUNCER</span></u></b> bekommt Berlins Clubkultur ihre erste(?) Veteranen-Dokumentation. Drei legendäre und gealterte Türsteher legendärer Clubs (darunter Fotograf und Berghain-Original Sven Marquardt) erzählen von ihren Anfängen und ihrer Arbeit, dürfen dabei aber vor allem erinnerungsseelig über eine Zeit berichten, als Berlin noch frisch und aufregend war und Renditeinteressen nicht das alleinige Normativ der Stadtentwicklungspolitik bildeten. Für 45 Minuten im Dritten Programm wäre das ok. Für 95 Minuten Kino ist das hier alles ziemlich dürftig. Zumal auch visuell nicht vielmehr als eine durchschnittliche TV-Doku stattfindet. Verschenkt. _ BERLIN BOUNCER; David Dietl; DEU 2019, 95’, Dok.; Perspektive Deutsches Kino<br />
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Die Kunsthalle Mannheim versucht eine Neuerfindung und lässt einen
störrischen doch spannenden Mitzlaff-Bau von 1983 für einen
austauschbaren Whitecube-Crowdpleaser von Gerkan, Marg & Partner
(gmp) schleifen. Heinz Emigholz beobachtet in <b><u><span style="font-size: x-large;">YEARS OF CONSTRUCTION</span></u></b>
Schließung, Abriss, Neubau und Eröffnung in schneller Taktung und wohl
etwas gelangweilt. Nebenbei entlarven seine Bilder aber genau, dass das
Problem in Mannheim nicht das 80er-Jahre-Gebäude war, sondern die
ramschige Skulpturensammlung. Die ist geblieben. _ YEARS OF CONSTRUCTION; Heinz Emigholz; DEU 2019, 93’, Dok.; Forum<br />
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<table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto; text-align: center;"><tbody>
<tr><td style="text-align: center;"><a href="https://1.bp.blogspot.com/-3YOeVgF5R-Q/XUiGNt8J5FI/AAAAAAAADig/m5aTafOGG0801v0a9LPyXymcqVHbd9WbgCLcBGAs/s1600/IFB2019_YearsOfConstruction_HeinzEmigholzFilmproduktionFilmgalerie451-IFB2019_2-1.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="512" data-original-width="1024" height="320" src="https://1.bp.blogspot.com/-3YOeVgF5R-Q/XUiGNt8J5FI/AAAAAAAADig/m5aTafOGG0801v0a9LPyXymcqVHbd9WbgCLcBGAs/s640/IFB2019_YearsOfConstruction_HeinzEmigholzFilmproduktionFilmgalerie451-IFB2019_2-1.jpg" width="640" /></a></td></tr>
<tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">YEARS OF CONSTRUCTION | (c) Bild: Heinz Emigholz Filmproduktion/Filmgalerie 451/IFB 2019</td></tr>
</tbody></table>
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Die Eine sucht Wörter, der Andere sucht Bilder. Afghanistan, Jugoslawien, Washington D.C. und ein Interims-Aufnahmestudio in London sind die Stationen ihrer gemeinsamen Reise. Das Ziel ist Kunst, wobei der Weg Teil des Werks wird: <b><u><span style="font-size: x-large;">A DOG CALLED MONEY</span></u> </b>Der Popküstlerin PJ Harvey und dem Filmemacher Seamus Murphy beim Suchen zuzugucken, birgt keinen Erkenntnisgewinn. Ist aber auf schöne Weise nett anzusehen beziehungsweise anzuhören. PJ Harveys zuletzt erschienendes Album „<a href="http://pjharvey.net/music/the-hope-six-demolition-project/" target="_blank">The Hope Six Demolition Project</a>“ ist übrigens ein Resultat der gemeinsamen Reise. _ A DOG CALLED MONEY; Seamus Murphy; IRL/GBR 2019, 90’, Dok.; Panorama Dokumente<br />
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<b><u><span style="font-size: x-large;">SO PRETTY</span></u></b><br />
Ronald M. Schernikaus „So schön“ als Kompass für eine komplexe Suche nach einem Platz zwischen den Geschlechtern. Nachdenken über den großartigen Coming-Out-Film der Trans*-Frau Jessie Jeffrey Dunn Rovinelli – <i>siehe ausführliche Besprechung: „<a href="https://filmanzeiger.blogspot.com/2019/02/berlinale-2019-so-pretty-identitaten.html" target="_blank">Identitäten sind Kriegsgebiete</a>“</i> _ SO PRETTY; Jessie Jeffrey Dunn Rovinelli; USA 2019, 83’; Forum<br />
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<b><u><span style="font-size: x-large;">O BEAUTIFUL NIGHT</span></u></b><br />
Mit dem Tod unterwegs und mit dem undeutschesten deutschen Film seit Ewigkeiten – <i>siehe ausführliche Besprechung: „<a href="https://filmanzeiger.blogspot.com/2019/02/berlinale-2019-o-beautiful-night-der.html" target="_blank">Los, bring mich nicht um</a>“</i> _<i> </i>O BEAUTIFUL NIGHT; Xaver Böhm; DEU 2019, 89’; Panorama<br />
<br />
Es gibt Filme, die scheinen nur zu existieren, um eine zentrale Figur lebendig werden zu lassen und zu beobachten, wie sie auf die Zumutungen des Drehbuchs reagiert. Armando Praças Debütfilm <b><u><span style="font-size: x-large;">GRETA</span></u></b> ist so ein Fall. Hier steht der 70-jährige Krankenpfleger Pedro im Fokus, ein Kraftzentrum, welches mit frappierend störrischer Ruhe allerlei große und kleine Katastrophen meistern muss. Pedro ist als Gast der örtlichen Schwulensauna inzwischen der Älteste, was seine Aussichten auf penile Aufmerksamkeit gegen Null gehen lässt. Seine schwerkranke Transgender-Freundin Daniela raubt ihm den letzten Nerv. Und dann ist da noch der junge Jean, den Pedro zu nachts schwer verletzt aus dem überfüllten Krankenhaus zu sich nachhause schmuggelt, um ein Bett für Daniela frei zu bekommen – und Jean dem Zugriff der Polizei zu entziehen. Soweit das Tableau in GRETA. Das Drehbuch hat für die Figur des Pedro noch einiges mehr vorgesehen, was letztendlich auch das Problem an diesem Film ist: er will viel zuviel. Es gibt Filmemacher, die wissen wann sie sich selbst bremsen müssen, um ihr Projekt nicht zum scheitern zu bringen. Armando Praça ist keiner von ihnen. Trotzdem hat es durchaus seinen Reiz dem Schauspieler Marco Nanini als Pedro dabei zuzuschauen, wie er sich mit voller Körperlichkeit durch diese überbordende Erzählung durchkämpft. _ GRETA; Armando Praça; BRA 2019, 97’; Panorama<br />
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Es mutet wie ein kleines Paradies an: Zwischen einer Küstenstraße und der Wasserlinie der bulgarischen Goldküste befindet sich ein kleines, schmuckloses Schwimmbecken. Kein Zaun, kein Dach, kein Windschutz, der Blick geht direkt auf die offene See. JedeR kann zu jederzeit ein Bad nehmen. Durch einen improvisierten Zulauf strömt unablässlich warmes Thermalwasser ins Becken. Die meist älteren Badegäste genießen das Wasser und die Aussicht, auch wenn die Dampfschwaden von Lufttemperaturen knapp über Null Grad künden. „Die Grube“ nennen die Besucher*innen diesen irgendwie aus der Zeit gefallenen Ort. <b><u><span style="font-size: x-large;">DIE GRUBE</span></u></b> hat Filmemacherin Hristiana Raykova ihre dokumentarische Annäherung an diesen Ort betitelt. Für 73 kurzweilige aber intensive Minuten lässt sie uns eintauchen in diesen Mikrokosmos. Folgt den Menschen die hier baden, lässt sie von ihrem Alltag, ihren Geschichten und ihren Schicksalen berichten. Nach und nach puzzelt sich ein Eindruck von ihrer Lebenssituation im heutigen Bulgarien zusammen. Ein Land, deren Gesellschaft orientierungslos zwischen einer neuen Moderne, die vor allem Profitstreben bedeutet, und den Trümmern des Sozialismus umher zu dümpeln scheint. Halt finden die Menschen im Miteinander, das sich in Refugien wie der Grube konsituiert. Und doch geht es hier, wie Hristiana Raykova klug zu beobachten weiß, nicht ohne Spannungen untereinander ab. Denn längst ist dieser kleine Flecken, ist dieses Paradies in den Fokus der Politik und damit vor allem des Geldes geraten. DIE GRUBE ist ein beeindruckendes, mit großer Sympathie und Warmherzigkeit gefertigtes Porträt einer Welt, die (aus westlicher Perspektive) wie eine Utopie erscheint und die damit unrettbar zum Untergang verurteilt ist. _ DIE GRUBE; Hristiana Raykova; DEU 2019, 73’, Dok.; Perspektive Deutsches Kino<br />
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<table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto; text-align: center;"><tbody>
<tr><td style="text-align: center;"><a href="https://1.bp.blogspot.com/-iVXWBA0apCc/XUiF6fsdyCI/AAAAAAAADic/3ZnjX-pt5yo7SGFDBAfC1-rkfGJNOD24QCEwYBhgL/s1600/IFB2019_DieGrube_JohannesGreisle-Filmuniversita%25CC%2588tBabelsberg-IFB2019_2-1.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="293" data-original-width="586" height="320" src="https://1.bp.blogspot.com/-iVXWBA0apCc/XUiF6fsdyCI/AAAAAAAADic/3ZnjX-pt5yo7SGFDBAfC1-rkfGJNOD24QCEwYBhgL/s640/IFB2019_DieGrube_JohannesGreisle-Filmuniversita%25CC%2588tBabelsberg-IFB2019_2-1.jpg" width="640" /></a></td></tr>
<tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">DIE GRUBE | (c) Bild: Johannes Greisle/Filmuniversität Babelsberg/IFB 2019</td></tr>
</tbody></table>
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Die Filmauswahl des Berlinale Panoramas ist hin un wieder ein großes
Glück, wenn sie uns Kinonationen näher bringt, von deren Existenz wir
hier im Westen kaum bis keinerlei Ahnung haben, den Sudan
beispielsweise. Die dokumentarische Arbeit <b><u><span style="font-size: x-large;">TALKING ABOUT TREES</span></u></b>
stellt uns vier Herren fortgeschrittenen Alters vor, die zusammen den
Sudanesischen Filmclub in Khartoum betreiben. Einstmals haben sie selber
das Filmhandwerk im Exil im Westen erlernt und eigene Filme gedreht.
Heute bleibt ihnen nicht mehr viel übrig als das längst vergessene
Filmerbe des Sudans so gut es geht vor dem Verrotten zu schützen. Sie
versuchen der inzwischen Jahrzehnte wehrenden politische Achterbahnfahrt
des Sudans zu trotzen und wagen in Suhaib Gasmelbaris dokumentarischer
Erzählung den Versuch, ein verfallendes altes Kino zu reaktivieren, um
ihre Schätze präsentieren zu können. Der Filmemacher konzentriert seine
visuell reichlich schlichte Erzählung dabei ganz auf die Protagonisten
und ihre Geschichten. Die Männer werden sichtlich am Leben gehalten vom
Verantwortungsgefühl für die Filme, die in ihrem Archiv lagern. Doch ihr
eigentlicher Antrieb ist das Streben nach einem eigenen Kino. Doch bei
aller spürbaren Liebe für seine Protagonisten, arbeitet Filmemacher
Suhaib Gasmelbari deutlich heraus, dass dieser Traum im wirtschaftlich
und politisch desolaten Sudan vielleicht auf ewig eine Illusion bleiben
muss. _ TALKING ABOUT TREES; Suhaib Gasmelbari; FRA/SDN/DEU/TCD/QAT
2019; 93'; Dok.; <span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff">Panorama Dokumente</span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span><br />
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Einmal mehr untersucht die Dokumentarfilmerin <span class="film-meta staff">Annekatrin Hendel wie DDR-Geschichte, Wendezeit und Gegenwart in der Bundesrepublik auf individuelle Schicksale einwirken. In <b><u><span style="font-size: x-large;">SCHÖNHEIT & VERGÄNGLICHKEIT</span></u></b> nähert sie sich dem Fotografen Sven Marquardt und dessen früheren Modellen Dominique (Dome) Hollenstein und Robert Paris an. Alle drei erfuhren ihre Sozialisation im Osten und begannen im Ostberlin der späten DDR nach künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten zu suchen. Mit der Wende verfielfältigten sich zwar die Möglichkeiten des künsterlischen Ausdrucks, doch zugleich waren sie gezwungen für sich selbst einen neuen Platz in dem zu finden was Marktwirtschaft genannt wurde. </span><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff">Annekatrin Hendels große Kunst als Filmemacherin besteht darin, ihre Protagonist*innen darüber im besten Sinne zum reden zu bringen. </span>Wie schon in ihren vorherigen Arbeiten, so lässt sich auch in SCHÖNHEIT & VERGÄNGLICHKEIT </span><span class="film-meta staff">ein immenses Vertrauen zwischen Filmemacherin und Protagonist*innen wahrnehmen. Phasenweise gleicht diese dokumentarische Arbeit eher einem launigen aber immer auch instruktiven Gespräch unter alten Freunden. Hendel verliert ihr erzählerisches Anliegen dabei zu keinem Zeitpunkt aus dem Blick, schließlich lässt sich an Dominique (Dome) Hollenstein, Robert Paris und </span><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff">Sven Marquardt auch ablesen, wie Individuen Auswege aus den Umwälzungen der Wende finden ohne sich dabei selbst zu verlieren und in Resignation oder Kränkung zu verfallen. 30 Jahre nach dem Mauerfall und mit einer neofaschistischen Partei in (ostdeutschen) Parlamenten die im Wahlkampf „Wende 2.0“ plakatiert, kommt SCHÖNHEIT & VERGÄNGLICHKEIT damit auch eine ungemein politische Relevanz zu. </span></span><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff">Hollenstein, </span></span></span><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff">Paris und </span></span></span></span><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff">Marquardt, dies fördert </span></span></span></span></span></span><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff">Annekatrin Hendel deutlich zutage, </span>sind nicht verbittert über das was verloren ging, sind nicht klebengeblieben in den Erinnerungen an ihre zerstörten DDR-Identitäten. Sie haben für sich ein neues Zuhause in ihrem Leben aufgebaut. Zugleich registrieren sie mit kritischer Distanz welcher Preis dafür individuell wie auch kollektiv zu bezahlen war. _ SCHÖNHEIT & VERGÄNGLICHKEIT; </span></span></span></span></span></span><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff">Annekatrin Hendel; DEU 2019; 79’; Dok.; Panorama Dokumente</span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span><br />
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<table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto; text-align: center;"><tbody>
<tr><td style="text-align: center;"><a href="https://1.bp.blogspot.com/-xhBoX3dyuPk/XUiIqGazE7I/AAAAAAAADis/HLe9LIBiSwAToP41S-Jwn9PGH2eLBP-dQCLcBGAs/s1600/IFB2019_SchoenheitUndVergaenglichkeit_itworks-IFB2019_2-1.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="333" data-original-width="666" height="320" src="https://1.bp.blogspot.com/-xhBoX3dyuPk/XUiIqGazE7I/AAAAAAAADis/HLe9LIBiSwAToP41S-Jwn9PGH2eLBP-dQCLcBGAs/s640/IFB2019_SchoenheitUndVergaenglichkeit_itworks-IFB2019_2-1.jpg" width="640" /></a></td></tr>
<tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">SCHÖNHEIT & VERGÄNGLICHKEIT | (c) Bild: It Works/IFB 2019</td></tr>
</tbody></table>
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<span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff">Welche Zukunft hat das Kino, der Kinofilm und der Deutsche Film? Fragestellungen, die angesichts mieserabler Kinobesuchszahlen in Deutschland und kaum mehr wahrnehmbarer internationaler Relevanz deutschen Filmschaffens die Branche hierzulande umtreiben. Vom Streaming-Boom ganz zu schweigen. Die dokumentarische Arbeit <b><u><span style="font-size: x-large;">6MINUTEN66</span></u></b> stiftet 15 jüngere deutsche Filmemacher*innen dazu an, über Auswege aus der Misere nachzudenken. Allein in einem Hotelzimmer sitzend und beobachtet von zwei Kameras, haben sie jeweils rund sechs Minuten Zeit, ihre Gedanken zur Zukunft zu formulieren, sofern ihnen welche einfallen. Die Filmemacher*innen </span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff">Katja und </span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span>Julius Feldmeier stecken hinter diesem filmischen Experiment, dessen Grundidee sie vom längst zur Ikone erklärten deutschen Filmemacher Wim Wenders und dessen Film CHAMBRE 666 übernahmen. Böse Zungen könnten meinen, dass sich allein damait schon einige Grundprobleme des Deutschen Films markieren: mangelnde Innovationskraft und die unentwegte Orientierung an alternden deutschen Regiemännern, welche den Zenit ihrer Relevanz schon lange hinter sich haben. Zum Glück beweisen die Protagonist*innen in 6MINUTEN66 wesentlich mehr Einfallsreichtum. Und es bleibt zu hoffen, dass diese Arbeit erst der Anfang des filmischen Nachdenkens über Film und Kino in Deutschland ist. Dann keiner der 15 in 6MINUTEN66 stellt wirklich die Systemfrage: wie kann man das deutsche Filmförderunwesen reformieren – oder loswerden? _ </span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff">6MINUTEN66; </span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff">Katja & </span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span>Julius Feldmeier; DEU 2019; Dok.; Gast der Perspektive Deutsches Kino</span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span><i><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"><span class="film-meta staff"> </span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></span></i></div>
<div class="blogger-post-footer">| filmanzeiger.de |</div>fiazhttp://www.blogger.com/profile/10883933885316784768noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-32184591.post-90284103220899621692019-02-16T18:33:00.001+01:002019-02-16T18:35:07.519+01:00Berlinale 2019: „So Pretty“ | Identitäten sind Kriegsgebiete<div dir="ltr" style="text-align: left;" trbidi="on">
<div style="text-align: right;">
<b>Ronald M. Schernikaus „So schön“ als Kompass für eine </b></div>
<div style="text-align: right;">
<b>komplexe Suche nach einem Platz zwischen den Geschlechtern. <br />Nachdenken über den großartigen Coming-Out-Film der <br />Trans*-Frau </b><b>Jessie Jeffrey Dunn Rovinelli.</b></div>
<br />
<b>Sprechen</b> wir zunächst über Körper auf der Leinwand: Schauen Sie sich einen Kinofilm manchmal nur wegen der Körper an? Was sind das dann für Körper, die Sie gerne sehen? Welches Geschlecht? Welche Physiognomie? Welches Alter? Sind Ihnen Augen wichtig? Bestimmt. Augen sind uns allen wichtig.<br />
<br />
Ist die Statur eines Körpers für Sie wichtig? Meistens schauen wir doch alle lieber den weniger beleibten Körpern, den drahtigen, sportlichen, virilen Körpern zu. Zu dick. Zu dürr. Zu klein. Zu alt. Zu haarig. Deformiert. Unsere Augen mögen diese speziellen Körper im Kino nicht. Wir haben alle einen normierten Blick.<br />
<br />
<table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto; text-align: center;"><tbody>
<tr><td style="text-align: center;"><a href="https://1.bp.blogspot.com/-XSnVEPNe1Ss/XGhGS1g0XwI/AAAAAAAABLA/G3XI1yQquRwzn5__q6wsrJbBFIrNRHK7gCLcBGAs/s1600/IFB2019_SoPretty1_%2528c%2529-100YearFilm_2-1.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="641" data-original-width="1280" height="320" src="https://1.bp.blogspot.com/-XSnVEPNe1Ss/XGhGS1g0XwI/AAAAAAAABLA/G3XI1yQquRwzn5__q6wsrJbBFIrNRHK7gCLcBGAs/s640/IFB2019_SoPretty1_%2528c%2529-100YearFilm_2-1.jpg" width="640" /></a></td></tr>
<tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Verschlungene Körper, verschlungene Beziehungsgeflechte | (c) Bild: 100 Year Film/IFB 2019</td></tr>
</tbody></table>
<br />
Der unmittelbarste Kommunikator im Film ist ein Körper. Wörter, Text, Gedanken, das kommt alles danach. Der Ausstellung des Körpers wohnt eine eigene erzählerische Kraft inne. Nur was sichtbar ist, existiert auch. Sichtbarkeit im Film kann Realität kreieren. Doch die Sichtbarkeit ist das Problem.<br />
<b><br /></b>
<b>Fantasien heterosexueller Penisträger</b><br />
<br />
Bis zum heutigen Tag dominiert der heteromaskulinistische Blick die Körper im Film. Was Heteromänner nicht mögen, kommt nicht vor. Oder wird derart ausgestaltet, dass es abstößt. Solange das Kino noch als allein gültiges visuelles Massenmedium fungierte, ging damit die Prägung ganzer Gesellschaften einher. Das Fernsehen übernahm die Funktion als Massenmedium – und die Fähigkeit zur normativen Setzung gleich mit.<br />
<br />
Egal wo das Bewegtbild stattfand, der weibliche Körper war jahrzehntelang nur als Projektionsfläche für die Moralvorstellungen und Fantasien heterosexueller Penisträger in Gebrauch. Frauen waren, vereinfacht gesagt, hysterisch, schmachtend oder haben geputzt. Schwule Männerkörper kamen, wenn überhaupt, als Freaks im Fummel vor. Oder als verhärmte Gestalten. Bemitleidenswert. Abstoßend. Lesbische und Trans*-Körper existierten im Kinofilm überhaupt nicht. Wenn es Trans*-Figuren gab, handelt es sich dabei zumeist um Imitate – Männer in Frauenklamotten.<br />
<br />
Die Frauen-, Schwulen- und Lesbenbewegungen der letzten Jahrzehnte mussten sich ihre Repräsentanzen im Film selber erkämpfen. Selber Filme drehen und jene (ihre) Körper dafür besetzen und von ihnen erzählen, die bis dahin auf Leinwänden und Bildschirmen nicht existierten.<br />
<br />
<b>Geldwerte Körper</b><br />
<br />
In der jüngsten Vergangenheit hat die Diversität der Körper im Film jedoch zugenommen: Die Streamingplattformen aus den USA sind die neuen Player im Markt und schaffen neue Möglichkeitsräume, indem sie mit der Körpervielfalt in ihren Film- und Serienprodukten kalkulieren. „Starke“ Frauen, „glückliche“ Schwule und „selbstbewusste“ Trans*-Personen – sie rennen durch diese Bewegtbilder, weil es sich derzeit gut verkauft. Ausstattungsmerkmale. Keine politische Agenda, keine „corporate responsibility“, kein aktivistischer Bezug. Diese Körper sind Geldwert. Man könnte das als Fortschritt bezeichnen. Ob er von Dauer sein wird – zweifelhaft.<br />
<br />
Die Notwendigkeit, Sichtbarkeit marginalisierter Körper selber herzustellen besteht unverändert. Doch am Ende geht es beim Film immer um mehr als bloßes anwesend sein. Resonanz kann in Zuschauenden nur durch die Erzählung erzeugt werden. Ohne Resonanz keine Nachhaltigkeit. Resonanz entsteht durch Identifikation. Wir suchen in den Geschichten und Figuren eines Films nach Anknüpfungspunkten – unbewusst, bewusst, immer. Identitätsfragen kommen ins Spiel. Und damit fangen die Probleme an. Identitäten sind Kriegsgebiete, um die gegenwärtig auf allen Ebenen erbittert gekämpft wird.<br />
<div style="text-align: right;">
<blockquote class="tr_bq">
<i><b>Identitäten sind Kriegsgebiete, um die gegenwärtig auf allen Ebenen erbittert gekämpft wird</b></i></blockquote>
</div>
Jessie Jeffrey Dunn Rovinellis Film <span style="font-size: x-large;">SO PRETTY</span> beginnt im Auto. Der Blick geht aus dem Seitenfenster der Beifahrerseite heraus. Wir befinden uns auf einer Autobahn, Stadtlandschaft fliegt an uns vorbei, bis der Wagen vor einem Flughafenterminal zum Stehen kommt: Abholbereich. Eine Aufseherin weist die im Auto sitzenden an, mit dem Wagen noch einige Meter vorzufahren. Mit wem die Aufseherin im Auto spricht, wissen wir nicht.<br />
<br />
Eine junge Person kommt dem Auto entgegen. Hochgewachsen, lange blonde Haare, markantes Gesicht, weiße Hose, dass bauchfreie Oberteil verdeckt die kleine Oberweite des hageren Körpers. Eine Person steigt aus dem Auto aus, Küsse, Umarmung. Die zweite Person ist ebenfalls sehr dünn, lange schwarze Haare, ebenfalls ein markantes Gesicht. In ihrer Geschlechtlichkeit sind sie nicht einzuordnen. Ein alter Mann beobachtet die beiden irritiert. Und wir als Zuschauende ebenfalls. Schnitt.<br />
<br />
<b>Traumwandlerische Bilder</b><br />
<br />
Filmemacher*in Jessie Jeffrey Dunn Rovinelli erzählt in SO PRETTY eine Art Ménage à quatre, basierend auf der Erzählung „So schön“ von Ronald M. Schernikau. Die Geschichte beginnt mit Tonia (in Schernikaus Vorlage trägt die Figur den Namen Tonio) und Franz. Sie sind ein Paar, haben sich jedoch längere Zeit nicht gesehen. Nun treffen sie in einer Großstadt
(hier New York, im Buch Berlin) für eine kurze Zeit wieder zusammen.<br />
<br />
<table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto; text-align: center;"><tbody>
<tr><td style="text-align: center;"><a href="https://2.bp.blogspot.com/-iyqB2r2qBKA/XGhGxQaWstI/AAAAAAAABLI/reqMay-b5psagAPcw1DCkS1pETSYjdlqACLcBGAs/s1600/IFB2019_SoPretty2_%2528c%2529-100YearFilm_2-1.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="641" data-original-width="1280" height="320" src="https://2.bp.blogspot.com/-iyqB2r2qBKA/XGhGxQaWstI/AAAAAAAABLI/reqMay-b5psagAPcw1DCkS1pETSYjdlqACLcBGAs/s640/IFB2019_SoPretty2_%2528c%2529-100YearFilm_2-1.jpg" width="640" /></a></td></tr>
<tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Paul in den Armen von Franz – ohne Tonia | (c) Bild: 100 Year Film/IFB 2019</td></tr>
</tbody></table>
<br />
Franz teilt eine Wohnung mit Paul, der eine Beziehung mit Helmut hat. Sie quatschen, essen, tanzen, spazieren zusammen, haben Sex miteinander. Zärtliche Momente des Alltags – für die Kameramann Bill Kirstein nicht minder zärtliche und traumwandlerische Bilder findet – werden durch Einstellungen gerahmt, in denen der Film Schernikaus Text mittels Lesungen ins Zentrum rückt. Plansequenzen und langsame Schwenks prägen die Erzählung.<br />
<br />
Wo sich das Beziehungsgeflecht zu sehr zu verknoten scheint, sorgt die Kamera mit viel Einfühlungsvermögen für Transparenz und verortet die Figuren an ihrem jeweiligen Entwicklungsschritt neu. SO PRETTY darf ausdrücklich als für das Kino gemacht verstanden werden.<br />
<br />
<b>Friss oder stirb?</b><br />
<br />
Und trotzdem ist dies ein irritierendes, vielleicht sogar widerborstiges Werk. Gleichwohl die Figuren bis auf Tonia Männernamen tragen, sind an ihren Darsteller*innen binäre Geschlechterordnungen nicht ablesbar. Mann oder Frau, Penis oder Vulva? Schwul, lesbisch, trans*, hetero? Niemand ist in SO PRETTY einfach in eine Schublade zu packen.<br />
<br />
Mensch könnte sagen, Jessie Jeffrey Dunn Rovinelli, die die Figur der Tonia selber spielt, und ihr Ensemble verweigern sich mit ihren Körpern unserer Suche nach Projektionsflächen und Anknüpfungspunkten. Friss oder stirb. Doch dies stimmt nicht. Identifikationsangebote gibt es hier reichlich, nur sind es eben nicht jene, die unsere normierten Sichtweisen als klassisches homo- oder heterosexuelles Publikum erwarten. <br />
<div style="text-align: right;">
<blockquote class="tr_bq">
<b>Es liegt an uns, diese Einladung anzunehmen oder in unserer abwehrenden Haltung zu verbleiben und den Film zu verlassen</b> </blockquote>
</div>
Jessie Jeffrey Dunn Rovinelli hält ihren Film von jeglichem dogmatischen und denunziatorischen Furor frei, wie er im Kontext der Trans*-Bewegung(-en) allzu üblich ist. An den Identitäts-Kriegen beteiligt sie sich nicht. Ein Glücksfall. Sie setzt auf Dialog, Verständigung und Erkenntnis. Ihr Film bietet uns an, in ihre Welt und ihre Wahrnehmung von Körper(n) einzutreten. Es liegt an uns, diese Einladung anzunehmen oder in unserer abwehrenden Haltung zu verbleiben und den Film zu verlassen.<br />
<br />
Mit SO PRETTY nimmt die Regisseur*in ihr Coming Out als Trans*-Frau vor. Es ist also eine Welt, in der sie sich mitunter genauso unbehaust fühlt wie wir als Publikum. In der sie tastend und erkundend voran geht und uns mit großer Warmherzigkeit auffordert, ihr zu folgen. Gemeinsam erobern wir dieses noch neue Leben – und Schernikaus Geschichte, die dank der Magie des Kinos, an einigen sommerlichen Tagen in New York zum Leben erwacht. Die neben all der Poesie aber auch einiges an Schmerz enthält.<br />
<br />
<table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto; text-align: center;"><tbody>
<tr><td style="text-align: center;"><a href="https://2.bp.blogspot.com/-RpKs2RyaTZA/XGhHK_MFdYI/AAAAAAAABLQ/XmDgC2lEYFktwQfWfZdfEKUhDCFiyDkOwCLcBGAs/s1600/IFB2019_SoPretty3_%2528c%2529-100YearFilm_2-1.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="641" data-original-width="1280" height="320" src="https://2.bp.blogspot.com/-RpKs2RyaTZA/XGhHK_MFdYI/AAAAAAAABLQ/XmDgC2lEYFktwQfWfZdfEKUhDCFiyDkOwCLcBGAs/s640/IFB2019_SoPretty3_%2528c%2529-100YearFilm_2-1.jpg" width="640" /></a></td></tr>
<tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Hans und Tonia – Gefährt*innenschaft | (c) Bild: 100 Year Film/IFB 2019</td></tr>
</tbody></table>
<br />
Schmerz, bei dem es keine Rolle spielt, welches Geschlecht ein Mensch hat und zu welchem sie*er sich hingezogen fühlt: Liebe und deren Ende ist ein Resonanzraum, den jede*r von uns versteht. Das Gefühl des Verlassenwerdens ist für uns alle gleich. Wir spüren Tonias Schmerz, weil es auch unserer wäre.<br />
<br />
Schernikaus Text will es so, dass sich die Wege von Tonia und Franz am Ende trennen. Wie ihre Zukunft aussehen könnte, bleibt unserer Vorstellung überlassen. Jessie Jeffrey Dunn Rovinelli markiert in SO PRETTY allerdings deutlich, dass unsere Zukunft in einer gesellschaftlich und politisch unruhigen Zeit stattfinden wird. <br />
<br />
Wir können dem zuversichtlich entgegen gehen, wenn wir Gefährt*innen wie Paul, Helmut, Franz und Tonia an unserer Seite haben und sie uns. SO PRETTY ist auch ein Appell an die Überwindung des Trennenden und ein Aufruf, neue Gemeinschaften und Bündnisse zu wagen. Allein schon, weil wir dann viel besser darüber diskutieren können, ob „Zweisamkeit“ nun besser mit „coupledom“ oder „togetherness“ übersetzt wird.<br />
<br />
SO PRETTY | USA 2019 | 83' | Jessie Jeffrey Dunn Rovinelli | Forum</div>
<div class="blogger-post-footer">| filmanzeiger.de |</div>fiazhttp://www.blogger.com/profile/10883933885316784768noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-32184591.post-82742608017355811402019-02-13T12:21:00.000+01:002019-02-13T14:57:24.783+01:00Berlinale 2019: „O Beautiful Night“ | Los, bring mich nicht um<div dir="ltr" style="text-align: left;" trbidi="on">
<div style="text-align: right;">
<b>Mit dem Tod unterwegs und mit dem undeutschesten deutschen Film seit Ewigkeiten. </b></div>
<br />
<b>Haben</b> Sie über einen Zeitraum von fünf oder mehr Minuten starke Schmerzen im Brustkorb, die bisweilen ausstrahlen? Fühlen Sie sich, als ob ein Elefant auf Ihrer Brust stehen würde? Verspüren Sie ein heftiges Brennen in der Brust? Ist Ihnen in einem bisher nicht gekannten Ausmaß und schmerzhaft übel? Müssen Sie sich erbrechen und bekommen kaum Luft? Schwitzen Sie vor Angst, ist Ihre Haut kalt und fahl? Dann rufen Sie sich sofort einen Notarzt, Sie haben einen Herzinfarkt.<br />
<br />
Juri erwacht schweißgebadet aus einem Albtraum. Er fasst sich an die Brust, Schmerzen. Eben noch träumte er, dass er einem Raben auf seiner Brust dabei zuschaute, wie der mit seinem Schnabel an Juris Herz knabberte. Der junge Mann, mit wuscheligem schwarzen Haar sitzt in seiner düsteren Wohnung. Er steht auf, liest panisch die Symptombeschreibung eines Herzinfarkts im Internet nach. Vielleicht muss er sterben? Ist es jetzt soweit? Holt ihn nun der Tod? Nein.<br />
<br />
<table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto; text-align: center;"><tbody>
<tr><td style="text-align: center;"><a href="https://2.bp.blogspot.com/-ld14QxOpT6M/XGPqBlt6pPI/AAAAAAAABKY/BNHeIGvOFz071b69hef6V3ncHp1ev-0DgCLcBGAs/s1600/IFB2019_OBeautifulNight_%2528c%2529-JieunYi-KomplizenFilm_2_1%2B.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="641" data-original-width="1280" height="320" src="https://2.bp.blogspot.com/-ld14QxOpT6M/XGPqBlt6pPI/AAAAAAAABKY/BNHeIGvOFz071b69hef6V3ncHp1ev-0DgCLcBGAs/s640/IFB2019_OBeautifulNight_%2528c%2529-JieunYi-KomplizenFilm_2_1%2B.jpg" width="640" /></a></td></tr>
<tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Juri, hübsch und ängstlich | (c) Bild: JieunYi/Komplizen Film/IFB 2019</td></tr>
</tbody></table>
<br />
Er geht Wäschewaschen. Im Waschkeller trifft er auf einen alten Nachbarn. Der wartet auf die Waschmaschine und zündet sich derweil eine Kippe an. Juri blickt irritiert auf den Zigarettenqualm. Rauchen verursacht Krebs, Rauchen führt zum Tod, mahnt sein Gesichtsausdruck. Der Alte registriert es und gibt sich lakonisch: „Werd bloß nicht so alt wie ich.“ Darmspiegelung und überhaupt. Doch Juri kann kontern, denn er hatte auch schon eine Darmspiegelung. Die Männer kommen ins Plaudern: erst dieser Roboterarm, der in einen einfährt, und dann dieses Ziepen im Bauch, wenn der Roboter eine Gewebeprobe nimmt.<br />
<br />
<b>Wiener Würstchen mit Akzent</b><br />
<br />
Zurück in Juris Wohnung, er versucht auf seinem Horn zu üben. Er scheint Musiker zu sein. Er macht sich eine Kassette an. Inspiration. Dann Bandsalat. Plötzlich ein Geräusch in der Ecke, Juri guckt, ein Rabe stürzt sich ihm entgegen, wirft eine Lampe um, Dunkelheit, Juri panisch, er verlässt das Haus, rennt in die Nacht.<br />
<br />
In einer abgewrackten Kneipe bestellt er einen Schnaps, doch es gibt hier keinen Alkohol. Nur Spielautomaten. Also Spielautomat, um die Nerven zu beruhigen. Ein komischer Typ im schwarzen Jackett und mit russischem Akzent sprechend, stellt sich zu ihm, an einem Wiener Würstchen knabbernd. Wenige Augenblicken später wird dieser Typ Juri zu Boden geworfen haben, ihn mit dem Tode bedrohen und ihn fragen, ob Juri auf diesem hässlichen Teppichboden wirklich sterben möchte. Er möchte nicht.<br />
<br />
Doch nun hat Juri diesen sinisteren Fremden, der sich höflich per (Tarot-)Karte als Tod vorstellte, im Nacken. Er wird ihn nicht mehr los, egal was er tut. Genauso wie den Raben. Und wir befinden uns als Zuschauende bereits mitten in O BEAUTIFUL NIGHT, das Spielfilmdebüt des Zeichners Xaver Böhm, geschrieben zusammen mit der Autorin Ariana Berndl und produziert unter anderem durch Maren Ade (ALLE ANDEREN, TONI ERDMANN).<br />
<br />
<b>Kernland sozialpädagogischer Erziehungsunterhaltung</b><br />
<br />
Bei diesem Film drängeln sich gewisse Adjektive auf: rasant, verrückt, anarchisch, düster, lakonisch, melancholisch. Alles richtig. Wirklich treffend umschrieben ist O BEAUTIFUL NIGHT allerdings mit: überraschend.<br />
<br />
Wenn sich Filmemacher*innen hierzulande an Genres versuchen, deren Heimat die Filmnationen USA und Frankreich sind, entsteht selten etwas Sehenswertes. Besonders schlimm wird es beim Film Noir. Münchens Maximilianstraße ist kein Ort für rasante Verfolgungsjagden im Zwielicht und bei Regen. Kein todgeweihtes Liebespaar wird sich ein letztes Mal innig küssen, wenn im Hintergrund der Kölner Dom rumsteht. Hamburg ist nur als Zuhause für verhärmte Alkoholkranke und Serienmörder wirklich glaubwürdig. Dem subtilen Glam eines doppelbödigen Charakters, die/der im Dreck wühlen muss, um etwas Gutes zu finden (oder daran zu scheitern), bietet die Hansestadt keine Bühne. Und die Trinkhallen des Ruhrgebiets sind selbst den ganz kleinen Fischen zu ranzig für ihre Schiebereien.<br />
<br />
<table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto; text-align: center;"><tbody>
<tr><td style="text-align: center;"><a href="https://3.bp.blogspot.com/-w0cGVgRoM5U/XGPuGv_VrPI/AAAAAAAABKw/jPK__7X_oxYiKG3uHIeq9zc4vpktPOzYQCLcBGAs/s1600/IFB2019_OBeautifulNight-3_%2528c%2529-JieunYi-KomplizenFilm_IFB%2B2019_2-1.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="1280" height="320" src="https://3.bp.blogspot.com/-w0cGVgRoM5U/XGPuGv_VrPI/AAAAAAAABKw/jPK__7X_oxYiKG3uHIeq9zc4vpktPOzYQCLcBGAs/s640/IFB2019_OBeautifulNight-3_%2528c%2529-JieunYi-KomplizenFilm_IFB%2B2019_2-1.jpg" width="640" /></a></td></tr>
<tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Mich wirst Du nicht mehr los, sagt der Tod | (c) Bild. © JieunYi/Komplizen Film/IFB 2019 </td></tr>
</tbody></table>
<br />
Nein, im Kernland der sozialpädagogischen Erziehungsunterhaltung, wo der Schulmeister Dominik Graf als Kulturgut verehrt wird und Fernsehen a la <i>Der Kommissar</i>, <i>Derrick</i>, <i>SOKO Dingsbums</i> und <i>Tatort</i> das Sehen normiert, da klappt man dem Publikum bei Einbruch der Dunkelheit lieber habituell die Bürgersteige vor dem Fernseher und im Kino hoch. Das Filmschaffen in Deutschland hat im Allgemeinen kein Gefühl für die Schönheit der Nacht. Ist zu trivial gestrickt für die schwer auflösbare Komplexität des Zwielichts. Und zu klein- bis bildungsbürgerlich für die erratische Lebensgestaltung von Charakteren abseits der Norm, die jeden Film Noir bevölkern.<br />
<br />
Anders formuliert: Die Nacht ist niemals so dunkel wie die Farbe Schwarz. Und Licht wird immer Schatten werfen, egal wie hell und weiß es strahlt. Die Nacht ist Grau. Doch mit Grauschattierungen mag man in Deutschland lieber weniger zu tun haben. Grau bedeutet Komplexität und Unordnung. Unordnung ist verhasst. Dieser Film ist auf überraschende Weise unordentlich und wunderbar undeutsch.<br />
<br />
<b>Boy meets Girl </b><br />
<br />
Unordnung – die eigentliche Herrin in O BEAUTIFUL NIGHT. Juris Wohnung ist ein Saustall, genauso wie die vielen anderen vermüllten, ungepflegten, schäbigen Ecken, in denen sich Juri, der Tod und bald auch ein drittes Kraftzentrum dieses Films herumtreiben: Nina. Sie, die rätselhafte Stripperin, die plötzlich einfach da ist, wie Juri und der Tod auch einfach da sind. Wo kommen sie her? Wer sind sie? Egal. Wen interessiert das? Wofür muss man das wissen?<br />
<br />
Was interessiert, ist dieser Boy-meets-Girl-Aspekt. Ziemlich hübscher, aber verkorkster Boy rennt diesem einen schönen Girl über den Weg beziehungsweise umgekehrt. Sie, Nina, rätselhaft, sexy, begehrenswert, aber keine Schönheit. Nicht makellos, nicht aufgebrezelt wie ein Pudel in der Hundeshow. Nina strahlt, so hell, dass Juri sie nicht mehr aus dem Kopf kriegt. Und doch ist in ihr etwas zerbrochen, ist da irgendwo ein Schatten in ihrer Seele – und Opium. Der Tod weiß, was dieser Schatten bedeutet. Logisch. Der Tod weiß alles, wie er nicht müde wird zu erinnern.<br />
<br />
Boy meets Girl – das klingt wieder furchtbar nach geordneter (deutscher) Heteronormativität. Keine Sorge, die Unordnung behält noch eine Weile die Kontrolle. So leicht bekommt hier niemand, was sie oder er will. Außer vielleicht der Tod.<br />
<br />
<b>Reduktion wäre die bessere Idee gewesen </b><br />
<br />
Juri, der Tod und Nina – für eine viel zu kurze Weile dürfen wir dieses kuriose und faszinierende Trio begleiten. Ihnen zuzuschauen ist große Freude. Xaver Böhm lässt fantastischen seine Darsteller – Noah Saavedra, Marko Mandic ́ und Vanessa Loibl – machen. Kein wohltemperiertes, geordnetes Gespiele, dafür lustvolles bis exzessives Ausagieren.<br />
<br />
<table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto; text-align: center;"><tbody>
<tr><td style="text-align: center;"><a href="https://3.bp.blogspot.com/-ggMZgtrZ27o/XGPrzvK0enI/AAAAAAAABKk/AQnE-mGw8bkioizD1AKBMJP3cV0dbCYJgCLcBGAs/s1600/IFB2019_OBEautifulNight-2_JieunYi-KomplizenFilm_IFB%2B2019_2-1.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="1280" height="320" src="https://3.bp.blogspot.com/-ggMZgtrZ27o/XGPrzvK0enI/AAAAAAAABKk/AQnE-mGw8bkioizD1AKBMJP3cV0dbCYJgCLcBGAs/s640/IFB2019_OBEautifulNight-2_JieunYi-KomplizenFilm_IFB%2B2019_2-1.jpg" width="640" /></a></td></tr>
<tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Nina, Juri und der Tod | (c) Bild: JieunYi/Komplizen Film/IFB 2019 </td></tr>
</tbody></table>
<br />
Manchmal wollen Filmemacher Xaver Böhm und die Co-Autorin Ariana Berndl aber dann doch zuviel in O BEAUTIFUL NIGHT. Stellenweise wirkt das hier etwas zu sehr auserzählt. Wo Reduktion die bessere Idee wäre, grätscht der deutsche Ordnungssinn in die Story rein und kaut dem Publikum vor, wo es auch selber den Kopf benutzen könnte. Doch schaut man sich die Credits an, wird deutlich, woher das idiotensichere Erzählen kommt: ZDF, Arte, Deutscher Filmförderfonds, Filmförderungsanstalt, Medienboard Berlin-Brandenburg, Film- und Medienstiftung NRW. Die Geißel des Deutschen Films ist das TV- und Förderwesen. Statt Respekt für das Publikum wird dessen Entmündigung verlangt. Diesen Mist wird nichtmal der Sensenmann los.<br />
<br />
Xaver Böhm berichtet im Begleitmaterial zum Film von seinen Vorbildern, darunter: Jim Jarmusch. Bis er mit einem Jarmusch gleichziehen wird, ist es noch ein Stück des Weges und einiges an Kampf mit dem Förder(un-)wesen. Aber eigentlich brauchen wir auch keinen zweiten Jarmusch. Der eine Böhm würde schon vollauf reichen. Aber da dies erst das Spielfilmdebüt ist, bleibt auch noch viel Zeit. Der Anfang ist gemacht und wie!<br />
<br />
Zu Beginn des Films lernten wir Juri als großen Schisser kennen, der alles vermeidet, was nach Lebensgefährdung auch nur riecht. Mit einem Lehrmeister wie dem Tod an seiner Seite und einer Frau wie Nina im Kopf hat sich das irgendwann erledigt. Natürlich. Und wenn sich die Morgendämmerung ankündigt, scheint eine Zukunft ohne Angst, dafür aber voller Leben greifbar. Happy End? Das ordentlichste aller ordentlichen Filmenden? Nun ja, der Tod ist bei aller Freundschaft dann doch eher von der ergebnisorientierten Sorte. Er möchte nicht mit leeren Händen nachhause gehen.<br />
<br />
O BEAUTIFUL NIGHT | DEU 2019 | 89' | Xaver Böhm | Panorama<br />
<br />
<i>PS: Eigentlich müsste man noch einen eigenen Text über den Style und die Bilder dieses Films machen. Und über Berlin als vierte Hauptdarstellerin. O BEAUTIFUL NIGHT ist auf visuell frappierende Weise (k)ein Berlin-Film. </i></div>
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<div style="text-align: left;">
<div style="text-align: right;">
<b>Zwei höchst unterschiedliche Berlinale-Filme illustrieren, warum das Kino keine Prediger im Regiestuhl braucht.</b></div>
<br>
<b>In</b> der deutschen (Feuilleton-)Sprache gibt es das schöne und gleichsam staubige Wort „holzschnittartig“. Der Duden findet für diesen Begriff die Synonyme grob, rudimentär, undifferenziert und ungefähr. Adjektive, die im Bezug auf Film von Geschichten und Charakteren ohne Lebendigkeit, ohne Komplexität berichten.</div>
<br>
Man könnte auch von zweckdienlichen Funktionselementen sprechen, in Filmen, deren Macher*innen wenig Interesse daran zu haben scheinen, dass wir als Zuschauende eigenständige Gedanken entwickeln. Die Filmemacher*innen sind die Sender, wir haben zu empfangen, was uns gesendet wird. Oder auch: Betreutes Filmegucken.<br>
<br>
<table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto; text-align: center;"><tbody>
<tr><td style="text-align: center;"><a href="https://1.bp.blogspot.com/-aWMkDq-ceMg/XGHAHEEPpjI/AAAAAAAADfY/WSoSnzZXU4YUW4rc4prIL40hPiBnRALJwCLcBGAs/s1600/IFB2019_BAIT2_%2528c%2529EarlyDayFilmsLimited_2-1.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="1280" height="320" src="https://1.bp.blogspot.com/-aWMkDq-ceMg/XGHAHEEPpjI/AAAAAAAADfY/WSoSnzZXU4YUW4rc4prIL40hPiBnRALJwCLcBGAs/s640/IFB2019_BAIT2_%2528c%2529EarlyDayFilmsLimited_2-1.jpg" width="640"></a></td></tr>
<tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Machen Probleme: reiche Städter | (c) Bild: Early Day Films Limited/IFB2019</td></tr>
</tbody></table>
<br>
BAIT von Mark Jenkin und TEMBLORES von Jayro Bustamante sind zwei Spielfilmen im Berlinale-Programm, die sich prinzipiell zwar fundamental voneinander unterscheiden, dabei jedoch eine Gemeinsamkeit teilen: sie sind ziemlich holzschnittartig.<br>
</div><a href="https://filmanzeiger.blogspot.com/2019/02/berlinale-2019-bait-temblores-betreutes.html#more">...Weiterlesen »</a><div class="blogger-post-footer">| filmanzeiger.de |</div>fiazhttp://www.blogger.com/profile/10883933885316784768noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-32184591.post-37643810260691324922019-02-08T20:51:00.000+01:002019-02-11T18:13:57.330+01:00Berlinale 2019: „Die Kinder der Toten“ | Karin, die Zombies und rosa Flamingos <div dir="ltr" style="text-align: left;" trbidi="on">
<br>
<blockquote class="tr_bq">
„Ich kann dich nicht ausstehen, aber das hat nichts mit dir zu tun. Du bist einfach nicht mein Typ von Tochter. Du bist unliebbar.“</blockquote>
<br>
<b>Österreich</b>, Steiermark: Die mittelalte Karin und ihre alte Mutter sind zu Gast im Restaurant der Pension Alpenrose. Der Name ist stilprägend für das Interieur, spießig und trutschig geht es hier zu. Nebeneinander bei Tisch sitzend, fummelt Mutter an ihrem zähen Schnitzel herum, Karin trinkt eine „Limo“. Sie sprechen miteinander, genau genommen redet Mutter auf Karin ein.<br>
<br>
<table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto; text-align: center;"><tbody>
<tr><td style="text-align: center;"><a href="https://3.bp.blogspot.com/-A9vLocJnPSg/XF2Xkx600dI/AAAAAAAADfM/zQBtOUO48ow_IOLIJjKkv5n7BIXFfy5qwCLcBGAs/s1600/IFB2019_DieKinderDerToten_%2528c%2529-UlrichSeidelFilmproduktion_2-1.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="1280" height="320" src="https://3.bp.blogspot.com/-A9vLocJnPSg/XF2Xkx600dI/AAAAAAAADfM/zQBtOUO48ow_IOLIJjKkv5n7BIXFfy5qwCLcBGAs/s640/IFB2019_DieKinderDerToten_%2528c%2529-UlrichSeidelFilmproduktion_2-1.jpg" width="640"></a></td></tr>
<tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Die Kinder der Toten | (c) Ulrich Seidel Filmproduktion</td></tr>
</tbody></table>
<br>
Was Mutter sagt, erfahren wir aus den Zwischentiteln, welche die Sequenz strukturieren und ihr eine eigene Dramatik verleihen. Auf Super-8-Film ohne Ton gedreht, kommt <span style="font-size: x-large;">DIE KINDER DER TOTEN</span> komplett ohne gesprochenes Wort auf der Tonspur daher.<br>
<br>
Karin und die Mutter sind von allerlei komische Gestalten umgeben, etwa von einem alten Ehepaar in sehr offenkundiger Wollust füreinander. Ein anderes, sehr junges Paar drückt die gegenseitige Zuneigung durch unablässiges Filmen mit einer kleinen Handkamera aus. Sie posiert verführerisch, er filmt begeistert.<br>
</div><a href="https://filmanzeiger.blogspot.com/2019/02/berlinale-2019-die-kinder-der-toten-von.html#more">...Weiterlesen »</a><div class="blogger-post-footer">| filmanzeiger.de |</div>fiazhttp://www.blogger.com/profile/10883933885316784768noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-32184591.post-10846378953631806152018-02-24T22:07:00.000+01:002019-08-05T22:16:35.893+02:00Berlinale 2018: Bulletin (7): Mixtape - 6 Filme, 6 Texte<span style="font-size: large;"><b>RIVER'S EDGE</b></span> zeigt sich als abgründige Erzählung über eine Gruppe Teenager in den 90ern in einer japanischen Großstadt, welche binnen 118 Minuten zahllose Zumutungen, aber auch Solidarität untereinander erfahren. Filmemacher Isao Yukisada gelingt es dabei jedoch nur selten, die Vielzahl der Erzählstränge überzeugend in den Griff zu bekommen und den Figurenkonstellationen Tiefe und emotionale Glaubwürdigkeit zu verleihen. Sein Porträt einer selbstzerstörerischen Generation, welche die Zumutungen der Gesellschaft internalisiert, gerinnt zur Behauptung. Garniert mit bedeutungsschwangeren Bildern, verendet River’s Edge als überlange Telenovela.<br />
<b>River’s Edge | 118' | Isao Yukisada | Panorama</b><br />
<br />
<table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto; text-align: center;"><tbody>
<tr><td style="text-align: center;"><a href="https://1.bp.blogspot.com/-qptHgIuSqF4/XUiORNpZzWI/AAAAAAAADi4/-69m6AEbqccWfD9rc5_7PqiriYEij12yACLcBGAs/s1600/IFB2018_THF_JuanSarmientoG_IFB2018_2-1.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="800" data-original-width="1600" height="320" src="https://1.bp.blogspot.com/-qptHgIuSqF4/XUiORNpZzWI/AAAAAAAADi4/-69m6AEbqccWfD9rc5_7PqiriYEij12yACLcBGAs/s640/IFB2018_THF_JuanSarmientoG_IFB2018_2-1.jpg" width="640" /></a></td></tr>
<tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">ZENTRALFLUGHAFEN THF | (c) Bild: Juan Sarmiento G. </td></tr>
</tbody></table>
<br />
Nach dem problematischen Spielfilm PRAIA DO FUTURO (Wettbewerb 2014),
kehrt Filmemacher Karim Aïnouz zur Berlinale zurück und präsentiert die
dokumentarische Arbeit <b><span style="font-size: large;">ZENTRALFLUGHAFEN THF</span></b>.
Darin porträtiert er Bewohner*innen der Flüchtlingsnotunterkunft in den
Hangars des früheren Flughafens Berlin-Tempelhof. Rund ein Jahr lang
begleitet er den Alltag seiner Protagonist*innen in der Unterkunft, die
eher einer Kleinstadt unter meterhohen Hallen gleichkommt – mit
„Einfamilienhäusern“ aus Stellwänden. Karim Aïnouz gelingen in diesem
kuriosen wie auch bedrückenden Mikrokosmos kleine Erzählungen über zum
Stillstand gekommene Leben zwischen Resignation, schmerzhaften
Erinnerungen und doch auch Hoffnung auf eine bessere Zukunft . Dabei
gucken die Bewohner*innen stets auf jenen Ort, der makabererweise als
„Tempelhofer Freiheit“ bezeichnet wird. Das Schicksal der Menschen im
ehemaligen Zentralflughafen hängt von der Arbeitsgeschwindigkeit und dem
Gutdünken der deutschen Bürokratie ab. Wie einen der höchsten Feiertage
begehen dann auch jene den Moment, wenn die Ausländerbehörde ihnen
endlich einen vollwertigen Asylstatus zuerkennt und sie aus dem Hangar
ausziehen dürfen. Während andere an Silvester, und unter
ohrenbetäubendem Dröhnen der Böller rings um das Flugfeld, sarkastisch
die Erkenntnis „feiern“, dass sie bereits ihr zweites Jahr im Hangar
verbringen. Diese Dokumentation zeugt von immensem Vertrauen zwischen
Filmemachern und Protagonisten, welches die intimen Einblicke in dieses
der Öffentlichkeit unzugängliche Paralleluniversum mitten in Berlin
überhaupt erst ermöglicht. ZENTRALFLUGHAFEN THF entwickelt sich zu einer
erkenntnisreichen Meditation über Existenzen im Wartezustand. Dabei
finden Karim Aïnouz und sein Kameramann Juan Sarmiento G. eindringliche
Bilder, die unbedingt auf der großen Leinwand zu betrachten sind.<br />
<b>Zentralflughafen THF | 97' | Karim Aïnouz | Panorama Dokumente</b><br />
<br />
Nach Exkursen in Dokumente und Dokumentationen über die schwarze US-Bürgerrechtsbewegung, sondiert Filmemacher Göran Hugo Olsson mit <span style="font-size: large;"><b>THAT SUMMER</b></span> diesmal Material, welches die Filmemacherin Lee Radziwill, Jacqueline Kennedy Onassis jüngere Schwester, zusammen mit dem Fotografen Peter Beard 1972 anfertigte. Ursprünglich als Dokumentation über ihre Kindheit auf Long Island angelegt, nahm Radziwill zusammen mit Beard für ihr Projekt auch vier Rollen 16mm-Film im Zuhause ihrer Tante und Cousine Edith Ewing Bouvier und Edith Bouvier Beale auf. Die Frauen lebten auf einem heruntergekommenen und zugewuchterten Anwesen in den East Hamptons an der US-Atlantikküste. Im Zuge der beabsichtigten Aufwertung der Hamptons zum Luxus-Rückzugsort durch die Behörden („Cash Hamptons“), drohte den Bouvier-Frauen die Zwangsräumung. Radziwill und Beard finden zwei verwahrlost wirkende Menschen vor, welche sich auch aufgrund der Schikanen durch die Behörden tief in eine eigene Fantasiewelt geflüchtet haben. Die Ursprungsidee der Filmemacherin gerät aufgrund der akuten Hilfebedürftigkeit von Tante und Cousine in den Hintergrund. Stattdessen fängt Peter Beards Kamera ein, wie Radziwill mit viel Liebe und Zuneigung den beiden Frauen aus ihrer misslichen Lage heraushilft und die Behörden in ihre Schranken weist. Lee Radziwills Film sollte nie fertigwerden, die vier Rollen Film gingen verloren. Filmemacher Göran Hugo Olsson bereitet das wiedergefundene Material nun auf und lässt es für sich selbst sprechen. Zusätzlich arrangiert er Material aus dem Umfeld Andy Warhols, welcher mit seinen Gefolgsleuten zur selben Zeit Gäste von Peter Beard in dessen Strandhaus in Montauk waren. Aus dieser Kombination erwächst einmal mehr ein faszinierender und auch melancholischer Ausflug in eine untergangenen Epoche. Gleichwohl: Eine Kenntlichmachung der Umstände, unter denen die vier Filmrollen wieder aufgetaucht sind, fehlt und stört den positiven Gesamteindruck dieser dokumentarischen Arbeit.<br />
<b>That Summer | 80' | Göran Hugo Olsson | Panorama Dokumente</b><br />
<br />
Kaiserbad, Berliner Badewanne, NS-Rüstungsstandort, Ferienmekka, Symbol deutsch-polnischer Annäherung, Investmentparadies, Massentourismus: In den 95 Minuten seiner Arbeit <span style="font-size: large;"><b>USEDOM - DER FREIE BLICK AUFS MEER</b></span> durchschreitet Dokumentarfilmemacher Heinz Brinkmann Geschichte und Gegenwart der Insel Usedom. Investoren, Gewerbetreibende, Kellner, Fischer, Ortschronisten, Lokalpolitiker – mit jeder Person vor der Kamera rollt Brinkmann eine weitere Perspektive auf die Lebenswirklichkeit der Ostseeinsel aus und verknüpft diese zugleich mit der Vergangenheit. So reizvoll und informativ dieser Reigen anfänglich ist, treten in Brinksmanns dokumentarischer Arbeit alsbald die fehlende kritische Distanz und insbesondere die Abwesenheit jeglicher Erörterung der politische Lage auf der Insel unübersehbar zutage. Warum die AfD auf Usedom Rekordwerte verbucht, kein Wort darüber. Dass die Verkehrsinfrastruktur während der Urlaubssaison völlig überlastet ist und die Politik seit Jahren keine Lösung für dieses Problem findet, nichts dazu. Auch bleibt ausgespart, welche Folgen die wirtschaftliche Monokultur (Tourismus) auf die Inselbevölkerung eigentlich hat. Doch eine Erzählung über Usedom kann ohne diese Aspekte nicht vollständig sein. Umso ärgerlicher, wenn dann auch die visuelle Umsetzung in Form einer nachmittäglichen TV-Reportage vorgenommen wird. Der freie Blick, zumindest für diese dokumentarischen Arbeit, ist nur eine Behauptung.<br />
<b>Usedom – Der freie Blick aufs Meer | 95' | Heinz Brinkmann | Berlinale Special </b><br />
<br />
Es wird wenig gesprochen in <span style="font-size: large;"><b>LOS DEBILES</b></span> und wenn gesprochen wird, dann eher in Rätseln und seltsam geheimnisvollen Andeutungen. Einzig aus dem Autoradio plappert es munter, werden die jüngsten Entführungen und Ermordungen durch die Drogenkartelle mitgeteilt, und Baseball-Ergebnisse. Victor, ein völlig wortkarger Typ sucht die Mörder seiner Hunde. Mutmaßlich war es eine dieser Drogengangs vor der alle in diesem Film Angst zu haben scheinen. Sein Weg führt von Hinweis zu Hinweis zu Hinweis. Auf der Ladefläche seines Pick-up modern derweil die Leichen seiner Hunde in der heißen Sonne. Raúl Rico und Eduardo Giralt Brun inszenieren vordergründig eine Fabel über Rache. Im Subtext dieses wunderbar lakonischen wie auch schrägen Films unternehmen die Filmemacher hingegen erfolgreich den Versuch, die alltäglichen Gewaltexzesse im nördlichen Mexiko begreifbar zu machen. Dabei arbeiten sie klug heraus, was ein Leben in konstanter Bedrohung in Individuen anrichtet, wenn selbst Teenager insgeheim Killer sein könnten. Oder eben nur Kids die Baseball spielen.<br />
<b>Los débiles-The Weak Ones | 65' | Raúl Rico, Eduardo Giralt Brun | Forum</b><br />
<br />
Die Aufarbeiten oder vielmehr die nicht-Aufarbeitung der Gräueltaten des Franco-Faschismus in Spanien, waren mehrfach Thema dokumentarischer Arbeiten im Panorama der Berlinale. <span style="font-size: large;"><b>THE SILENCE OF THE OTHERS</b></span> von Almudena Carracedo und Robert Bahar bringt zu diesem Thema einen neuen Aspekt auf die Leinwand, den Versuch der juristischen Aufarbeitung der Verbrechen. Diese ist jedoch fast unmöglich, denn, wie wir lernen, beschloß das spanische Parlament 1977 ein Amnestygesetz, welches nicht nur Gefangenen des Franco-Regimes die Freiheit zurückgab, sondern auch die Täter vor Verfolgung schützt, bis heute. Die Filmemacher veranschaulichen dabei sehr eindringlich, welche unsäglichen Folgen dies hat. Etwa wenn ein ehemaliger politischer Gefangener nicht nur in einer Straße wohnt die den Namen eines Verbrechers trägt, sondern sein Folterer bis heute unbehelligt in der Nachbarschaft lebt. Anhand der Verfolgung der Arbeit von Menschenrechtsanwälten und den Erzählungen von Opfern, entwickeln Almudena Carracedo und Robert Bahar ihre dokumentarische Erzählung über den Versuch, die Täter von einst doch noch vor Gericht zu bringen. Selbst wenn dies bedeutet bis nach Argentinien reisen zu müssen, weil Spaniens Gerichte die Arbeit verweigern. Wünschenswert wäre es gewesen, die Filmemacher*innen hätten sich bei der visuellen und dramaturgischen Umsetzung ihres Stoffs mehr emotionale Zurückhaltung auferlegt. Vermitteln die geschilderten Geschehnisse und die Geschichten der Protagonisten doch bereits einen intensiven Eindruck davon, welch skandalöse Ungerechtigkeit den Opfern des Franko-Faschismus tagtäglich widerfährt. So gerinnt THE SILENCE OF THE OTHER phasenweise zu einer geradezu boulevardesken TV-Reportage, die ihrem Anliegen keine Gefallen tut. Gleichwohl gibt diese dokumentarische Arbeit in vielerlei Hinsicht Auskunft darüber, welch eklatante Defizite beim spanischen Staat und in der Zivilgesellschaft in punkto Bewältigung des Faschismus immer noch vorherrschen. Nebenbei wird deutlich, welch Schatz die Mahn- und Gedenkkultur in Deutschland eigentlich darstellt. <br />
<b>The Silence of Others | 95' | Almudena Carracedo, Robert Bahar | Panorama Dokumente</b> <div class="blogger-post-footer">| filmanzeiger.de |</div>filmanzeigerhttp://www.blogger.com/profile/07608769428649714067noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-32184591.post-34468872937440295632018-02-22T18:24:00.001+01:002018-02-23T00:34:29.360+01:00Berlinale 2018: Bulletin (6) - Der Krieg und die Männer: TEATRO DE GUERRA & Až PřIJDE VÁLKA<b>E</b>ine Gruppe junger Soldaten liegt im Wald. Sie halten Rast, sitzen um ein Lagerfeuer herum, reinigen ihre Waffen, singen anzügliche Lieder über ihren Penis und eine Frau. Gelächter. Schnitt.<br>
<br>
Mehrere alte Männer spielen im Wald eine Gefechtsszene nach: einer der Männer gestikuliert den Gebrauch seiner MP, zwei Männer gehen zu Boden. Der Schütze kniet sich zu den am Boden liegenden Körpern. Einer tot, der andere noch lebend. Er nimmt den Oberkörper des Verletzten in seinen Schoß, versucht seine Wunde zu versorgen, doch dieser Mensch stirbt. Der Schütze schließt ihm die Augen und legt ihn zurück auf den Boden. Junge Männer betrachten das Schauspiel der Alten. Dann stehen sie nach und nach auf und tauschen mit den alten Männern die Rollen. Schließlich liegen zwei tote Männer, die kaum aus dem Teenager-Alter raus sind, am Boden und ein junger Schütze steht neben seinen Opfern. Schnitt.<br>
<br>
<table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto; text-align: center;"><tbody>
<tr><td style="text-align: center;"><a href="https://4.bp.blogspot.com/-UMUSP2rt1L4/Wo772gehdRI/AAAAAAAADbs/DH2wqKT85_AFH1KHBFwI6zpUhHBEKt7agCLcBGAs/s1600/WhenTheWarComes-01_StanislavKrupa%25C5%2599_IFB2018%2B.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="1280" height="200" src="https://4.bp.blogspot.com/-UMUSP2rt1L4/Wo772gehdRI/AAAAAAAADbs/DH2wqKT85_AFH1KHBFwI6zpUhHBEKt7agCLcBGAs/s400/WhenTheWarComes-01_StanislavKrupa%25C5%2599_IFB2018%2B.jpg" width="400"></a></td></tr>
<tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">(c) Bild: Stanislav Krupař /IFB 2018</td></tr>
</tbody></table>
<br>
Zwei Sequenzen aus zwei höchst unterschiedlichen Dokumentationen, die doch auf irritierende Weise miteinander in Kommunikation treten. Die Filmemacherin Lola Arias stellt uns in ihrem <b>TEATRO DE GUERRA</b> (Theatre of War) Veteranen des Krieges um die Falkland-Inseln vor. Ehemalige britische und argentinische Soldaten, welche durch den 72 Tägigen Krieg um die Inselgruppe nachhaltig geprägt wurde, treten dabei in Dialog miteinander. Der Filmemacher Jan Gebert verfolgt in seiner Arbeit <b>Až PřIJDE VÁLKA</b> (When the War Comes) das Treiben slowakische Paramilitärs, den „Slovenskí Branci“ (slowakische Rekruten).<br>
<br>
<a href="https://filmanzeiger.blogspot.com/2018/02/berlinale-2018-bulletin-6-der-krieg-und.html#more">...Weiterlesen »</a><div class="blogger-post-footer">| filmanzeiger.de |</div>filmanzeigerhttp://www.blogger.com/profile/07608769428649714067noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-32184591.post-44195002403370913872018-02-21T18:36:00.000+01:002018-02-23T00:34:13.716+01:00Berlinale 2018: Bulletin (5) - Doku-Mixtape: AL GAMI'YA, INTERCHANGE, MINATOMACHIEs ist eng, sehr eng, in dem Haus von Um Ghareeb irgendwo im Stadtteil Rod El Farag, einem der ärmsten Viertel Kairos. Die Enge im inneren setzt sich draußen mit schmalen Gassen, und Treppen fort. Mittendurch führt eine vermüllte Eisenbahnstrecke die von hohen Mauern ebenfalls eng eingerahmt ist. Schäbig wirkt hier alles, doch Um Ghareeb sagt, es sei ein schöner Ort mit vielen Qualitäten, denn die Nachbarn helfen sich. In Reem Salehs dokumenatrischem Film <b><span style="font-size: x-large;">AL GAMI'YA (What Comes Around)</span></b> lernen wir schnell, dass die resolute Um Ghareeb nicht nur von einfacher Nachbarschaftshilfe im Alltag spricht. Die Bewohner*innen des Viertels helfen sich auch finanziell, sie betreiben eine solidarische Kreditgemeinschaft. Jedes Mitglied dieser sogenannten „al Gami’ya“ zahlt regelmäßig einen kleinen Beitrag ein.<br>
<br>
<table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto; text-align: center;"><tbody>
<tr><td style="text-align: center;"><a href="https://4.bp.blogspot.com/-lLJqxS1FS8w/Wo2spPOuLWI/AAAAAAAADbU/HWz1LTRiTvIa03hPiK74xzyZmay-oQWMQCLcBGAs/s1600/WhatComesAround_ReemSaleh_IFB2018.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="1280" height="200" src="https://4.bp.blogspot.com/-lLJqxS1FS8w/Wo2spPOuLWI/AAAAAAAADbU/HWz1LTRiTvIa03hPiK74xzyZmay-oQWMQCLcBGAs/s400/WhatComesAround_ReemSaleh_IFB2018.jpg" width="400"></a></td></tr>
<tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">AL GAMI'YA | (c) Bild: Reem Saleh/IFB 2018</td></tr>
</tbody></table>
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Wöchentlich trifft sich die Gemeinschaft und berät, wem aus dem gemeinsamen Topf ein größerer Geldbetrag zur Verfügung gestellt werden muss, sei es um Waren für ein Geschäft zu kaufen, für Medikamente, für Hochzeitsvorbereitungen, Möbel usw. Reem Saleh folgt verschieden Mitgliedern der „al Gami’ya“ durch ihre Leben und ihr Überleben. Deutlich wird, die Bewohner*innen von Rod El Farag mögen zwar materiell arm sein, doch dafür sind sie reich an Lebenskraft, Stolz, Glauben und solidarischem Miteinander.<br>
<a href="https://filmanzeiger.blogspot.com/2018/02/berlinale-2018-bulletin-5-doku-mixtape.html#more">...Weiterlesen »</a><div class="blogger-post-footer">| filmanzeiger.de |</div>filmanzeigerhttp://www.blogger.com/profile/07608769428649714067noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-32184591.post-27625555183364625792018-02-20T11:30:00.000+01:002018-02-21T18:40:50.522+01:00Berlinale 2018: Bulletin (4): CLASSICAL PERIOD<b>N</b>erds diskutieren, nein, eher monologisieren sie im Angesicht der Anderen. Es geht um Dante und um die Frage, ob dieser vielleicht ein schlechter Kletterer war. Schnitt. Wir folgen einem der Nerds auf seinen Wegen, mit seiner Kassengestellbrille und seinem kastanienbraunen Sweater könnte er kaum unscheinbarer sein. Langweilig, dröge, das Gegenteil eines die Leinwand ausfüllenden Charakters: Cal. Das Leben dieses Typs, es scheint aus einer Abfolge von schier endlos mäandernden und fürchterlich elaborierte, gestelzten Diskussion und Gesprächen zu bestehen. Dante, Architektur, Geschichte, Literatur, Musik. <br>
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<table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto; text-align: center;"><tbody>
<tr><td style="text-align: center;"><a href="https://3.bp.blogspot.com/-sM3kOSlF67U/Wov3b08btxI/AAAAAAAADbE/yVyBDqQSth4fntW1bePDDj2IkzkNJvHtQCLcBGAs/s1600/ClassicalPeriod_TedFendt_IFB2018.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="640" data-original-width="1280" height="200" src="https://3.bp.blogspot.com/-sM3kOSlF67U/Wov3b08btxI/AAAAAAAADbE/yVyBDqQSth4fntW1bePDDj2IkzkNJvHtQCLcBGAs/s400/ClassicalPeriod_TedFendt_IFB2018.jpg" width="400"></a></td></tr>
<tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">(c) Bild: Ted Fendt/IFB 2018</td></tr>
</tbody></table>
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Die Charaktere in CLASSICAL PERIOD verkriechen sich förmlich in ihren akademisch hochgejazzten Diskursen. Das Leben um sie herum, auch wie es ihnen geht, wie sie sich fühlen - es wird ausgeblendet. Selbst die Bekundung von Schlafproblemen führt ruckzuck wieder in ein Exkurs über irgend etwas Lebensfernes. Und dabei reden vor allem Männer.<br>
<a href="https://filmanzeiger.blogspot.com/2018/02/berlinale-2018-bulletin-4-classical.html#more">...Weiterlesen »</a><div class="blogger-post-footer">| filmanzeiger.de |</div>filmanzeigerhttp://www.blogger.com/profile/07608769428649714067noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-32184591.post-80695910692108662472018-02-19T00:33:00.002+01:002018-02-19T00:42:32.779+01:00Berlinale 2018: Bulletin (3): FAMILIENLEBEN<b>I</b>rgendwo im sachsen-anhaltinischen Nirgendwo steht die Kamera der Filmemacherin Rosa Hannah Ziegler im Inneren eines verfallenden Vierseithofs und lässt uns Zeuge eines lautstarken, beinahe handgreiflichen Streits zwischen zwei Frauen und einem Mann werden – die Einstiegsequenz von FAMILIENLEBEN. Insgesamt Vier Menschen, ein Rudel Hunde und vier Pferde leben auf diesem Hof. Um sie herum das weite Flachland der Altmark und seine im Dunkeln blinkenden Windräder.<br>
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<table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto; text-align: center;"><tbody>
<tr><td style="text-align: center;"><a href="https://1.bp.blogspot.com/-ApUqm7dhc2s/WooNDUo-Z-I/AAAAAAAADa0/XWiZQXHEzKcqAcqqX_uiR5yGBth3j6s6QCLcBGAs/s1600/201815214_3%2BCropped%2B2.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="800" data-original-width="1600" height="200" src="https://1.bp.blogspot.com/-ApUqm7dhc2s/WooNDUo-Z-I/AAAAAAAADa0/XWiZQXHEzKcqAcqqX_uiR5yGBth3j6s6QCLcBGAs/s400/201815214_3%2BCropped%2B2.jpg" width="400"></a></td></tr>
<tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">(c) Bild: Matteo Cocco </td></tr>
</tbody></table>
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Die Hunde sind omnipräsent in dieser dokumentarischen Arbeit, ebenso wie der problematische Alltag der Menschen. Biggi und Alfred waren einmal ein Paar, jetzt teilen sie sich als mehr oder weniger unfreiwillige Lebensgemeinschaft den Hof, zusammen mit Biggis pubertierenden Töchtern. Das Leben dieser Vier ist sichtlich von erheblicher Armut geprägt, für die Realisierung von Träumen und Zukunftsideen fehlt das Geld. Mehr und mehr lernen wir aus den Erzählungen und Gesprächen, dass verschlungenen, mitunter traumatischen Lebenswege der Erwachsenen für das prekäre Existieren des Quartetts verantwortlich sind.<br>
<a href="https://filmanzeiger.blogspot.com/2018/02/berlinale-2018-bulletin-3-familienleben.html#more">...Weiterlesen »</a><div class="blogger-post-footer">| filmanzeiger.de |</div>filmanzeigerhttp://www.blogger.com/profile/07608769428649714067noreply@blogger.com