Multiple Beunruhigung

UNTER DIR DIE STADT


Roland Cordes ist Banker. Nicht irgendein Banker, sondern der frisch gekürte Banker des Jahres. Er steht ganz oben in Frankfurt, an der Spitze einer einflussreichen, weltweit vernetzten Bank. Trotzdem wirkt er vollkommen ruhig, beinahe uneitel. Unnahbarkeit und natürliche Autorität strahlt er ebenso aus.

Die Bank fädelt einen neuen Deal ein, eine große Übernahme. Ein Team junger Talente wird dazu beauftragt; darunter Oliver. Vor Kurzem holte man ihn für besondere Aufgaben nach Frankfurt. Mit ihm kam seine Frau Svenja. Eine Fotojournalistin. Svenja und Roland Cordes sollen sich in UNTER DIR DIE STADT näher kommen, als es ihnen vielleicht zusteht. Doch zunächst bleibt es bei flüchtigen Begegnungen, die eine grundsätzliche Faszination füreinander aufflackern lassen. Mehr kann sich nicht entwickeln, denn Svenja macht einen Rückzieher.

Roland Cordes (Robert Hunger-Bühler) | (c) Bild: Piffl Medien

Der Banker hat andere Probleme: In Indonesien wurde ein Mitarbeiter bestialisch ermordet. Regisseur Christoph Hochhäusler streut solche Details wie nebenbei ein. In diesem Fall sind es Fotos des Opfers, die Cordes zu einem seltenen Moment der Aufgewühltheit zwingen. Aber nichts in diesem Film ist zufällig. Die Begegnung mit Svenja hat Cordes nachhaltig fasziniert. Auch sie selbst scheint ihn nicht mehr aus dem Kopf zu bekommen. Aber es ist in dieser Beziehung wie in der großen Wirtschaft: Die Braut ist nicht glücklich. Sie will überzeugt werden – oder vielmehr überlistet.

Roland Cordes (Robert Hunger-Bühler) & Svenja Steve (Nicolette Krebitz) | (c) Bild: Piffl Medien

Oberflächlich verfolgen wir in UNTER DIR DIE STADT die Geschichte einer Affäre im hermetischen Milieu. Ein Milieu, in das die Figur der Svenja genauso plötzlich einbricht und ihre Verheerungen hinterlässt, wie der Tod des Angestellten in Indonesien. Eine Welt, in der Macht, und das Machthaben zugleich auch den ersten Schritt bedeuten, zum Verlust der Macht über die Realität.

Darunter kann man eine lodernde Metapher über das gierige und trickreiche Gebaren großer Wirtschaftseinheiten lesen. Und natürlich bekommt dies in Zeiten der Krise eine besondere Brisanz. Doch diese Brisanz ist nicht der Kern des Films, es ist einfach nur eine Lesart, die durch das Zeitgeschehen während des Filmdrehs geschaffen wurde.

Hochhhäusler und sein Co-Autor Ulrich Peltzer knüpfen ein dichtes Netz aus Verweisen und Andeutungen. Mit kleinen Federstrichen skizzieren sie ihre Figuren, geben lose fiktiv biografische Schnipsel in die Handlung hinein, die ihre Wirkung nicht verfehlen. Selten in letzter Zeit, wurden Figuren so detailliert und tief greifend gezeichnet, ohne dass sie dabei überladen wirken. Oder zur Fratze mutieren.

Roland Cordes (Robert Hunger-Bühler) & Svenja Steve (Nicolette Krebitz) | (c) Bild: Piffl Medien

„Wer Wissen sammelt, der will es auch verwenden.“ – lässt das Drehbuch die Ehefrau von Cordes sagen. Sie meint damit ihren Ehemann. Der Ehefrau sitzt Svenja gegenüber, die Affäre hat bereits begonnen. Wissen ist Macht, zumindest glauben das einige.

So klar der Fortgang der Affäre zunächst sein mag, so grandios beunruhigend ist dieser Film trotzdem. Es schwingt in UNTER DIR DIE STADT stets auch etwas nicht Greifbares und Bedrohliches mit. Unter den multiplen Oberflächen dieser Welt aus Glas geht es etwas vor sich. Es ist sicherlich nicht nur der Faszination Christoph Hochhäuslers für Kinder vor der Kamera geschuldet, dass Svenja einmal plötzlich mitten in das Versteckspiel dreier Kinder rennt. Aber das ist nur die Möglichkeit einer Lesart. Am Ende steht Svenja in einem Hotelzimmer am Fenster, unter ihr die Stadt. Und nichts scheint mehr so, wie es war.

(c) Bild: Piffl Medien

Dieser Film entfaltet seine ganze Kraft und Dynamik noch Stunden und Tage später. Einmal mehr ist es Christoph Hochhäusler mit UNTER DIE STADT gelungen, die ganze einzigartige und erzählerische Kraft und Energie des Kinos auszuloten. Das Perfide daran, ja der unermessliche Verdienst dieses Films ist es, das er sein Publikum mitten hineinwirft in dieses waghalsige Spiel der Kräfte.


UNTER DIR DIE STADT
Deutschland 2010
110 Minuten
35 mm, Farbe

Regie: Christoph Hochhäusler
Buch: Ulrich Peltzer, Christoph Hochhäusler
Kamera: Bernhard Keller
Schnitt: Stephan Stabenow
Musik: Benedikt Schiefer
Darsteller: Nicolette Krebitz, Robert Hunger-Bühler, Mark Waschke, Corinna Kirchhoff, Wolfgang Böck
Verleih: Piffl Medien


(c) Bildmaterial: Piffl Medien