Intelektueller Bankrott
SCHWESTERHERZ
Was bei diesem Film zuerst ins Auge fällt, ist der Stilwillen. Ein ausgeprägtes Bewußtsein für Ästhetik, Atmosphäre und Licht durchzieht den kompletten Streifen. Ebenso ein Auge für Bilder, für Umgebungen; für Lebensräume, die eigentlich keine sein können: Es sind jene Räume, wie man sie zu kennen meint: Kühl und durchdacht eingerichtet, teuer ausgestattet. Räume, von denen man nicht glaubt, dass man darin auch leben kann. Die Klassiker für die Figur "gefallener Karrieremensch", der Typus Mensch, den die Arbeit zum intellektuellen Bankrott getrieben hat. Deren Familien, so sie überhaupt existierten, längt gegangen sind. Und deren Freundeskreis aus dem gleichen Menschenschlag besteht wie sie selbst. Erfolg war und ist die Premisse, nur zu bekommen für den Preis des Selbstverrats. Bemerken tun sie das meistens zu spät.
Anne (Heike Makatsch) ist so ein Mensch, Anfang 30 ist sie und hat als Musikmanagerin gerade einem furchtbaren Tanzsong zum Durchbruch verholfen. Einmal zu oft, wie sich zeigen wird. Die Beziehung zu ihrem Freund definiert sich fast ausschließlich über Meinungsverschiedenheiten und Wortgefechte. Wörter wie Liebe oder Geborgenheit verkommen in dieser Beziehung zu Worthülsen. Sie kann ihm nicht sagen, dass sie einen Termin für einen Schwangerschaftsabbruch hat, oder will es vielleicht auch nicht. Der Urlaub mit ihrer jüngeren Schwester kommt da als Fluchtweg gerade recht. Marie (Anna-Maria Mühe) ist gerade 18 geworden. Es ist der erste gemeinsame Urlaub der beiden Frauen, die sich als Geschwister kaum kennen. Anne zahlt alles, quasi als Geburtstagsgeschenk. Spanien ist das Ziel, ein schickes Appartment mit Blick aufs Meer ihre Bleibe. Anne gibt sich mustergültig als große, bewundernswerte Schwester, mit Erfolg und Geld hat sie sich gut in ihrem Leben eingerichtet. Marie will sie ein Vorbild sein, vor allem wegen der naiven Zukunftspläne als Ingenieurin für Brunnenbau in Afrika.
Heike Makatsch und Johanna Ardorján zeichnen die beiden Hauptfiguren ihrer Geschichte reichlich holzschnittartig: Selbstbelügende Karrierefrau trifft auf unschuldig-naives Pendant und gerät in eine Sinnkrise. So kann man den Plott dieses Films in einem Satz zusammenfassen und trifft damit den Kern. Regisseur Ed Herzog bastelt daraus ein visuell und schauspielerisch sehenswertes Drama, das allerdings erheblich unter seiner dünnen, vorhersehbaren Grundgeschichte leidet: Annes zunehmende Gereiztheit, die durch eine Urlaubsromanze Maries, sowie die langsam dämmernde Erkenntnis über die eigene, scheinbar ausweglose Lage ausgelöst wird, läßt das Verhältnis der beiden Geschwister schließlich erwartungsgemäß in einem Konflikt und dramatischen Höhepunkt kulminieren, der knapp am Tele-Novela-Niveau vorbeischrammt und die wenigstens ehrliche Geschichte beinahe zum Kippen bringt. Am Ende jedoch vermag das Drehbuch doch noch ein kleines Ausrufezeichen zu setzen, so dass man, wenn auch nicht vollends mit den Autorinnen versöhnt, zumindest besänftigt ist.