Roter Schnee
DIE REGELN DER GEWALT - THE LOOKOUT; Sehr Sehenswert mit 85%!
Chris Pratt war einmal der Star des High-Shool-Eishockeyteams. Gutaussehend, erfolgreich, klug; der Star der Schule. In einer verhängnisvollen Nacht führen Übermut und Selbstüberschätzung zu einem tragischen Autounfall. Jahre später ist Chris noch immer vollkommen verwandelt, das Gedächtnis des jungen Mannes ist durch den Unfall nachwievor beeinträchtigt. Seinen Tagesablauf regelt ein Notizblock, in den er allerhand wichtige oder merkenswerte Dinge einträgt. Er lebt mit einem blinden Mann zusammen, der für ihn eine Art Ersatzvaterschaft übernommen hat; seine eigenen Eltern scheinen seit dem Unfall auf Distanz zu ihrem, ehemals mustergültigen, Sohn gegangen zu sein.
Der junge Sportstar ist jetzt ein gebrochener Mann, der des Nachts als Reinigungskraft in einer Bank arbeitet. Immer wieder, auf dem Weg zur Arbeit, fährt er an jener Stelle vorbei, an der sein Leben auf den Kopf gestellt wurde: Ein einzelnes Straßenschild im schneeverwehten Nirgendwo, irgendwo im ländlichen Amerika. Ein Landstrich, der von Landwirtschaft geprägt ist und der einmal im Jahr eine ganze Menge Geld sieht. Immer dann, wenn die Bauern von ihrer lokalen Bank die Jahresauszahlungen erhalten. Auch auf Chris‘ Bank kommt dieser wichtigste Tag im Jahr zu. Grund genug für eine Gruppe von Männern, sich an die Fersen von Chris zu heften und ihn für ihre Zwecke zu mißbrauchen. Zu ihrer Freude steigt der junge Kerl voll auf die Verführung zum Bankraub ein.
Joseph Gordon-Levitt ist gerade mal 26, aber seine Schauspielkarriere kann sich bereits sehen lassen, zählt sie doch bereits mehrere Dutzend Auftritte in Fernseh- und Kinofilmen. Schon als kleiner Junge stand er vor der Kamera. Das deutsche Publikum konnte ihm zuletzt in Rian Johnsons außergewöhnlichem Thriller-Drama BRICK begegnen. Ein kleiner Film-Noir im High Shool-Milieu, der vor Coolness und Egozentrik nur so platzte. Gordon-Levitt spielte darin die Hauptrolle, den Außenseiter Brendan, der den Tod an seiner Ex-Freundin zu klären versucht und dabei in einen Sumpf aus Drogen und Intrigen gerät. Die Rolle des Exoten steht ihm. Chris Pratt und Brendan verbindet einiges. Sie sind - mehr oder weniger notgedrungen - Einzelgänger. Smarte Köpfe, aber zu intelligent, um mit der Mehrheitsgesellschaft so einfach mitgehen zu können. Die Einsamkeit steht ihnen ins Gesicht geschrieben, doch ihrer Isolation können sie kaum entfliehen. Nur Außenseiter, wie sie es selber sind, taugen als Gefährten. In BRICK ist es "The Brain", ein hyperintelligenter Alleswisser mit Hornbrille. Hier, in THE LOOKOUT, ist es sein blinder Ersatzvater Lewis, der seine Blindheit gekonnt mit einem gerüttelt Maß an Alltagsweisheit und Humor zu überblenden versteht. Chris hört allerdings nicht auf seine Warnungen vor den neuen Freunden.
THE LOOKOUT ist ein kleiner, vom Stilwillen seines Regisseurs geprägter Streifen. Düster und matt sind die Bilder gehalten, es scheint fast, als ob sie Chris' Leben auf diese Art widerspiegeln sollen. Sieht sein Leben seit dem Unfall auch eher aus wie ein dauerhafter, wirrer Alptraum; komatös. Ein großes Stil-Vorbild kann dieser Film nicht verleugnen: FARGO, von den Coen-Brüdern. Geld, ein perfekter Plan um an das Geld zu kommen und der Winter in einer gottverlassenen Gegend. Aber wo die Coens die ihnen eigenen kauzig überdrehten Blüten tupfen, schlägt Scott Frank wesentlich nachdenklichere Töne an und erdet seinen Film als kleines Thriller-Drama um jugendliche Selbstüberschätzung, die Überwindung schwerer Traumata und das Leben mit entsetzlicher Schuld. Sehr Sehenswert.