Von Augen und Musik

I USED TO BE DARKER
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Es beginnt mit dem Vorspann, schlichtes helles Blau, weiße Lettern, etwas Scoremusik - aufgeräumter Minimalismus. So minimal wie der Vorspann, so minimal ist auch der ganze Film gestaltet. Matt Porterfield braucht für seine Geschichten nicht viel. Die kleine Gruppe von Darstellern wirkt noch wie das Aufwendigste, das es zu beschaffen galt. Die Locations, meistens spielt dieser Film in Räumen, scheinen kurz vor Drehbeginn noch von den eigentlichen Bewohnern belegt gewesen zu sein. I USED TO BE DARKER wirkt, als ob die Geschichte nur mal kurz aus dem real existierenden Leben gegriffen wurde. Dabei ist er nicht mit dokumentarischem Film im weitesten Sinne zu verwechseln. Dokumentarisches findet nicht statt. Umso überzeugender ist dieser Film in der Realität, in der Geschichte die er erzählt.


Taryn, Tochter einer Amerikanerin, geboren in Nord-Irland, strubbeliges dauergewelltes, blondes Haar, hagere Figur. Sie ist ausgebrochen aus ihrem bisherigen Leben. Weg von Zuhause. Weg von ihrem Problem: Schwanger - mit 19. Der mutmaßliche Vater, offensichtlich ein Idiot, der außer Saufen und Rumhängen nicht viel im Sinn hat. Erst recht nicht, Vater zu werden. Taryn schlägt bei ihrer Tante Kim in Baltimore auf oder vielmehr ein. Kim, ihr Mann Bill, ihre Tochter Abby machen selber eine schlechte Phase durch. Das Musiker-Paar trennt sich gerade, Kim zieht bei ihrem Ex-Mann aus, der flüchtet sich in Alkohol und dem Nachweinen seiner verblichenen Karriere als Musiker: "I don't write Songs anymore, I pay bills!" Die gemeinsame Tochter Abby, Taryns Cousine, bezeichnet ihr Zuhause als "personal hell".




Größere Bewegungen finden in diesem Film fortan nicht mehr statt. Nicht im klassischen linearen Sinne. Matt Porterfield taucht I USED TO BE DARKER in einen Zustand der abwesenden Gegenwärtigkeit. Trotzdem oder gerade deshalb entwickelt sich ein Erzählraum, der den Figuren eine große Bühne für ihre Entwicklungen bereitstellt. Taryn, die ihre Angst überwinden muss mit Zuhause, mit ihren Eltern wieder Kontakt aufzunehmen. Kim und ihre Tochter, deren Verhältnis durch die Scheidung zerrüttet ist. Bill, dessen neu gewonnenes Junggesellendasein ihn mit einer schmerzhaften Leere konfrontiert. Es sind diese feinen Fäden, wie sie nur zwischen den Mitgliedern eine Familie bestehen, die Matthew Porterfield interessieren. Das war in seinen vorherigen Werken HAMILTON und PUTTI HILL nicht anders. Aus diesem feinen Geflecht, das aus fast unmerklichen wie auch sehr starken Verbindungen besteht, setzt sich eine kleine, aber sehr faszinierende Erzählung zusammen.


Familien im Angesicht unmittelbarer Herausforderungen scheinen Matt Porterfield zu faszinieren. Wie in einem kleinen manchmal anarchischen Laboratorium untersucht er die Reaktionsfähigkeiten der Protagonisten. Waffeleisen als Konfliktpotenzial. Dabei entwickeln seine Filme eine einnehmende Kraft, die uns als Zuschauer fesselt und unter der wir uns von Porterfields Faszination für das Familiäre anstecken lassen. I USED TO BE DARKER stellt hierbei vor allem die Frage der Mutterschaft in den Mittelpunkt. "Is it hard to be a mom?", fragt Taryn ihre Tante. Ja und nein, lautet ihre Antwort. In diesem Film möchte meinen, dass es für beide Seiten die Hölle sein kann. Hölle ist ein zu starkes Wort. Jedenfalls im Hinblick auf I USED TO BE DARKER. So viel Schärfe lässt Porterfield nicht zu. Dafür legt er seinen Film zu fragil und ziseliert an. Er vermittelt seine Botschaften subtiler, eingängiger. Musik ist der Schlüssel.


Kim Taylor (Kim) und Ned Oldham (Bill) sind gestandene Musiker und feste Größen in der amerikanischen Songer-Songwriter-Szene. I USED TO BE DARKER räumt ihnen mehrfach längere Sequenzen ein, die sie mit ihrer Musik ausfüllen. "Days like this." Mehr noch, sie bereichern diesen Streifen in ihren Rollen mit einer Präsenz, die den beiden Hauptdarstellerinnen manchmal etwas abgeht. Gerade Kim Taylor entwickelt einen unwiderstehlichen Sog auf der Leinwand. Als Musikerin, wie auch in ihrer Rolle. Wer möchte nicht solch eine Mutter haben? Warmherzig, klug, begabt, emphatisch, tough. Mit Augen, die ein unmittelbares Gefühl tiefer Geborgenheit vermitteln. Trotzdem glaub man Abby jede Sekunde der Wut, die sie für ihre Mutter seit dem Moment Trennung verspürt. I USED TO BE DARKER entwickelt einen immensen Sog, dem man sich weder entziehen kann noch will.

I USED TO BE DARKER
USA 2013
90 Minuten
HDCAM-QuickTime ProRes, Farbe, 16:9
Regie: Matt Porterfield
Buch: Amy Belk, Matt Porterfield
Kamera: Jeremy Saulnier
Schnitt: Marc Vives
Musik: Kim Taylor
Produzenten: Eric Bannat, Steve Holmgren, Ryan Zacarias
Darsteller: Deragh Campbell, Hannah Gross, Ned Oldham, Kim Taylor
Festivals: Sundance NEXT 2013, Berlinale Forum 2013
(c) Bildmaterial: Sundance 2013/Berlinale 2013/Eddie Winter/Josh Sisk/Joyce Kim/Andrew Laumann