Variationen vom Western
Notizen zu
Arslans GOLD & Reichardts MEEK'S CUTOFF
Deutsche und amerikanische Autorenfilmer teilen seit einiger Zeit eine Neugierde für Genre-Filme. Krimis und Thriller werden probiert. Auch der Western rückt zunehmend in den Fokus. Obwohl gerade der Western in seinen Genrekonventionen häufig erstarrt und kaum innovativ wirkt, was das Genre für die Bearbeitung durch Autorenfilmer wenig geeignet erscheinen lässt. Denn selbst größere Hollywood-Produktionen wie DANCES WITH WOLVES oder THE ASSASSINATION OF JESSE JAMES BY THE COWARD ROBERT FORD ist es nicht gelungen, eine dauerhafte Weiterentwicklung des Western loszutreten. Sie blieben singuläre Erscheinungen und wurden im Fall von THE ASSASSINATION OF JESSE JAMES sogar zum veritablen Flop an den Kinokassen.
2010 drehte die US-Amerikanerin Kelly Reichardt, die mit ihren Werke OLD JOY und WENDY AND LUCY Aufsehen erregte, MEEK'S CUTOFF. In der Hauptrolle gespielt von Michelle Williams. Interessanterweise erschien das Werk im selben Jahr wie TRUE GRIT von den Gebrüder Coen, welche die Genrekonventionen defakto zum Kult erklärten und sie mit lustvollem Ernst auskosteten. Rückblickend betrachtet, wirkt Kelly Reichardts Film wie die Antithese zur Arbeit der Coen-Brüder. MEEK'S CUTOFF erzählt von Siedlern, die um 1845 westwärts nach Oregon ziehen, um neues Land zu erschließen. Doch ihr Trapper verirrt sich, sie landen orientierungslos im Nirgendwo, die Vorräte sind erschöpft. Plötzlich steht die Gruppe vor der Frage, ob sie ihrem Trapper noch vertrauen können, oder sich auf die Führung durch einen eigentlich zutiefst verhassten Indianer einlassen sollen? Reichardts Film bedient sich zunächst nicht nur im Erzählmodus an Erwartungshaltungen, sondern auch am optischen Vokabular des Genres: Fragile Planwagen quietschen, Pferde und Ochsen ächzen unter ihrer Last und die duldsamen Frauen tragen umständliche Kleider, während die kauzigen Männer in Filzhosen, Hosenträgern und verschwitzten Hemden gekleidet sind. Und auch die Indianer sind genregetreu stumm, dunkelhäutig und bemalt. Dabei liegen die Gewehre stets griffbereit und die Landschaft ist so karg wie sie endlos ist.
GOLD | (c) Schramm Film |
MEEK'S CUTOFF | (c) Peripher Film |
Kelly Reichardt hat ihre Geschichte anhand von Tagebüchern entwickelt, die die Frauen der vielen Siedler-Trecks schrieben. Reichardts Perspektive ist die der Frauen und ihrer schier endlosen, eintönigen Strapazen. Diesen tagtäglichen Qualen, die zunächst von Zuversicht ja sogar Vergnügen geprägt sind, folgt Reichardt mit disziplinierter Akribie. Fast nebenbei und nahezu still verdichtet sie die Konfliktlage, zieht eine Schlinge der Ausweglosigkeit um die Siedler. Solange, bis sich schließlich auch der Zuschauer der förmlich greifbaren Hoffnungslosigkeit ergibt, tief hinein gesogen in dieses dichte Kammerspiel vor immenser Naturkulissen. Verirrt und überfordert, enttäuscht und verzweifelt sind die Siedler, Skeptisch und misstrauisch begegnen sie dem vielleicht letzten Funken Hoffnung, der sie vor dem elenden Tod retten könnte. Dabei ist Reichardts weiblicher Blick eine gelungene Studie starker, greifbarer Charaktere, die zudem von einem herausragenden Ensemble mit intensiver Körperlichkeit ausgefüllt werden.
Der Deutsche Thomas Arslan erzählt mit GOLD hingegen einen nahezu klassischen Stoff: Nordwest-Kanada um 1898, der Goldrausch ist in vollem Gange. Zig Tausende nehmen den gefährlichen Weg zum Klondike-River auf sich, um ihren Traum vom goldenen Reichtum zu erfüllen. Auch ein kleiner Tross deutscher Einwanderer versucht sein Glück, darunter Emily Meyer (Nina Hoss). Eine gebürtige Bremerin, die Chicago ohne Arbeit und frisch geschieden verlassen hat. Schnell wird klar, dass es ein beschwerlicher Ritt durch dichte Wälder und über steile Pässe ist. Die versprochene angenehme Reise entpuppt sich als Tour de Force, der die Gruppe nicht gewachsen ist. Stück für Stück dekliniert das Drehbuch jede Zumutung durch und ist sich, mit dem Einsatz, der berüchtigte Bärenfalle, für keinen noch so trivialen Gemeinplatz zu schade. Menschen wie Pferde sterben gleichermaßen wie die Fliegen und ihr Tod scheint die Passage nur noch mehr in die Länge zu ziehen. Über all dem droht dem Tross noch eine weitere Gefahr verkörpert durch zwei namenlose Männer, die einen Mord rächen wollen.
GOLD | (c) Schramm Film |
GOLD wirkt wie eine endlose Kaffeefahrt, die routiniert an jeder (dramaturgischen) Sehenswürdigkeit stoppt und den Zuschauer kurz aufschreckt. Die Busfahrt selbst bleibt Langeweile. Jeder der Fahrgäste treibt etwas Anderes und ist mit sich selbst beschäftigt. Aus dem Fenster gucken, Mitreisende beobachten, etwas Lesen, teilnahmslos Warten bis die eigene dramatisch dramaturgische Haltestelle erreicht wird. Zu keinem Zeitpunkt erreicht dieses Werk eine Qualität, die eine mögliche Studie über gebrochene Träume auch nur erahnen ließe. Stattdessen werden uns sauertöpfisch dreinblickende, schmallippige und tumbe Deutsche vorgeführt, die duldsam und leidensfähig ihres Weges gehen – wohin genau wissen sie eigentlich nicht mehr. Derweil sucht die Kamera in wiederkehrenden Cinemascope-Panoramaaufnahmen verzweifelt nach Rettung, wie auch Thomas Arslan sein eigenes(!) Drehbuch einigermaßen ratlos zu befragen scheint. In der Hoffnung darin irgendetwas zu finden, das greifbar, beständig und glaubwürdig ist. Er bleibt genauso erfolglos wie seine Figuren. Denn dieses Drehbuch bringt nichts Anderes hervor als eine endlose Collage von Genre-Versatzstücken, nicht einmal Empathie.
MEEK'S CUTOFF | (c) Peripher Film |
Thomas Arslan scheitert furios und mit ihm seine Hauptdarstellerin. Nina Hoss mäandert mit versteinerter Miene durch dieses Werk, unschlüssig, was das alles mit ihr zu tun haben könnte. Unwillkürlich drängt sich da der bleibende Eindruck von Michelle Williams' „Emily Tetherow“ in MEEK'S CUTOFF in den Kopf. Auch sie startet zuversichtlich aber skeptisch in eine unbekannte Zukunft. Doch Stück für Stück zerbricht sie an der Realität, die in ihr die Zuversicht abtötet. Es bleiben unterdrückte Wut, Fassungslosigkeit und schiere Angst. Die weiblichen Charaktere in MEEK'S CUTOFF tragen stille Kämpfe gegen den Drang aus, der gescheiterten Führerschaft der Männer entgegen zu treten und auf ihre letzte Chance, die sie selbst wären, zu vertrauen. Regisseurin Kelly Reichardt bereicherte das Western-Genre um den feministischen Kampf des Subjekts und etablierte mit MEEK'S CUTOFF im Jahr 2010 einen Maßstab, hinter den zukünftige Genrewerke kaum zurückfallen können, wollen sie nicht als vergilbt und regressiv angesehen werden. Schaut man sich GOLD an, wird offensichtlich, dass Thomas Arslan und Nina Hoss MEEK'S CUTOFF wohl nie gesehen haben.
GOLD
D/CAN 2013
101 Min., Farbe, DCP/Cinemascope 1:2,35
Buch, Regie: Thomas Arslan
Kamera: Patrick Orth
Montage: Bettina Böhler
Musik: Dylan Carlson
Darsteller: Nina Hoss, Marko Mandić, Peter Kurth, Uwe Bohm
Verleih: Piffl Medien 2013
MEEK'S CUTOFF
USA 2010
102 Minuten, Farbe, 1:1,37
Regie: Kelly Reichardt
Buch: Jon Raymond
Kamera: Christopher Blauvelt
Schnitt: Kelly Reichardt
Musik: Jeff Grace
Darsteller: Michelle Williams, Bruce Greenwood, Will Patton, Zoe Kazan, Paul Dano
Verleih: Peripher Film 2011
Überarbeitung des Textes: Andreas Heimann, Manuel Schubert