BERLINALE '75 – Das Protokoll zum Festivaljahrgang 2025
20. Februar 2025, 13:45 Uhr: Clitopolis needs you
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Pinker Schleim: Saira hat wieder Ärger | Foto: We Made A Thing Studios |
Umgesetzt als schreiend bunter Animationsfilm, gelingt den australischen Filmemacherinnen Emma Hough Hobbs und Leela Varghese ein ungemein anspielungsreiches und vergnügliches lesbisches Coming-of-Age-Weltraummärchen, bei dem selbst Straight White Malians ihr toxisches Incel-Dasein vergessen. LESBIAN SPACE PRINCESS ist insofern auch eine furiose visuelle Übersetzung von RuPauls berühmtem Credo: „If you can't love yourself, how in the hell you gonna love somebody else?“ Amen!
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19. Februar 2025, 20:01 Uhr: (Keine) Angst vor dem Tod
Es gibt diese Projekte, die man im Kern nur alleine machen kann. Für Philipp Döring muss sein dokumentarischer Film PALLIATIVSTATION (zu sehen im Berlinale Forum) genau so ein Projekt gewesen sein: Regie, Kamera, Schnitt, Produktion – hinter allem steht sein Name. Diese intime Form des Filmemachens erweist sich im Verlauf der überraschend kurzweiligen 245 (!) Minuten als essentiell, ja nahezu unabdingbar. Döring begleitet einen Sommer lang das Arbeiten, Leben und auch Sterben auf der palliativmedizinischen Station des Berliner Franziskus-Krankenhauses.
Er beobachtet die Ärzt:innen, Pfleger:innen und Sozialarbeiter:innen in ihrem Alltag, in ihrem faszinierend einfühlsamen Umgang mit den Patient:innen wie auch mit deren Angehörigen. Und er dokumentiert ihr Ringen mit den Zwängen des deutschen Gesundheitssystems, das selbst einer palliativmedizinischen Station Kopfzerbrechen bereitet. Denn Menschen, für die das System keine Heilung mehr bereithält, werden offenbar nicht selten von eben diesem System im Stich gelassen – nachdem man sie zuvor aus therapeutischen Gründen nicht selten auf grausame Weise zugerichtet hat.Es sind Orte wie die Station 5 des Franziskus-Spitals und sein engagiertes Team, die diese Menschen auffangen. Obwohl – oder gerade weil – die Prognosen klar sind, versuchen sie, ihre Patient:innen zu stärken und zu stabilisieren, damit sie nicht in einem Krankenhaus sterben, sondern ihr Lebensende idealerweise in einem Hospiz oder gar Zuhause verbringen können. Und wenn das nicht mehr möglich ist, ihnen zumindest den konkreten Sterbeprozess so angenehm, würdevoll und leicht wie möglich zu gestalten.
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Der Wert des Berührens: PALLIATIVSTATION | Foto: Philipp Döring |
Philipp Döring stellt seinem Film ein Zitat von Simone de Beauvoir voran: „Alle Menschen müssen sterben; aber für jeden Menschen ist sein Tod ein Unfall und, selbst wenn er es weiß und ihm zustimmt, eine unverschuldete Gewalttat.“ Orte wie die Station 5 sind in diesem Kontext Refugien, die die Menschen vor der Gewalt des Todes zu schützen versuchen. Dank Philipp Dörings einzigartigem Film erhalten wir Einblick in diese oft angstbesetzten Orte, die im Kern aber vor allem eines sind: Inseln der Zärtlichkeit, Wärme und Liebe zum Menschen. PALLIATIVSTATION ist ein Glücksfall für das Kino.
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18. Februar 2025, 00:35 Uhr: Crazy people
Ein Regisseur verliest Zeilen eines Darstellers, der in seinem Film einen schwulen Perser spielt. Im Film macht dessen Figur klar, dass er als Männer fickender Mann wohl kaum aus dem Iran kommen kann. Und dann wird ein Text verlesen, den das Regime kaum besser schreiben kann? Ok ... WTF!
Hier der ntv-Beitrag: https://www.n-tv.de/leute/Regisseur-skandiert-umstrittene-Parole-auf-Berlinale-article25569650.html
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17. Februar 2025, 21:35 Uhr: Mad decisions to make
Das ganze Auswahlkomitee war sich sofort einig, dass dieser Film ins Festival muss, sagt die Moderatorin vor Beginn des (Sundance-)Beitrags MAD BILLS TO PAY. Das heißt also, dass man sich einig war, eine ernüchternd lauwarme Coming-of-Age-Story mit dysfunktionalem Cast ins Programm zu packen. Ja, nun ...
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17. Februar 2025, 10:52 Uhr: Eitles Kokettieren
Mit DIE SATANISCHE SAU – in gewisser Weise eine Art autobiografischer Nachruf auf sich selbst zu Lebzeiten – zeigt Rosa von Praunheim vor allem, dass sein kühler Intellekt und seine wunderbar schamlose wie messerscharfe Beobachtungsgabe für das (nicht nur eigene, sondern auch) schwule Ich im Gestern, Heute und Morgen verloren gegangen scheint.
Was bleibt, ist zermürbend eitles Kokettieren mit (Selbst-)Erkenntnissen auf Abrisskalenderphrasen-Niveau und eine erschreckend beliebige Verwursten des eigenen Œuvres. Praunheim führt uns damit vor allem vor, dass er als Nachlassverwalter in eigener Sache definitiv nicht taugt. Wenn alles nur noch überhöht, „satanisch“ und sowieso versaut ist – wird dann dieses Alles nicht völlig egal?
Der einzig wahrhaftige Moment im Angesicht von Tod findet in diesen 85 Minuten Film nicht im Hause Praunheim statt, sondern bei seinen schwulen* Nachbarn nebenan: Gerd & Conny, die nach 53 Jahren Partnerschaft vom Krebs auseinandergerissen wurden und die Praunheim mehrfach filmisch besuchte. Hier tobt das wahre Leben in all seinem Schmerz über schrecklichen Verlust. Während gegenüber, bei Praunheims, nur plattes Theater aufgeführt wird – Theater als Trauerspiel.
Ach, Rosa.
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16. Februar 2025, 23:55 Uhr: Film als Mission
Klar, irgendwie entzieht sich SHOAH einer filmkritischen Betrachtung. Zu singulär ist diese Arbeit auf allen Ebenen. Trotzdem sind Claude Lanzmanns inszenatorische Entscheidungen bemerkenswert, vor allem in der Begegnung mit den Tatorten Treblinka und Auschwitz. Er nimmt sie in stetig wiederkehrenden, sich wiederholenden Einstellungen ins Bild, brennt sie förmlich in das visuelle Gedächtnis seines Publikums ein.
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Tor zur Hölle | Foto: Les Films Aleph |
Aber auch sein im Grunde grenzwertiges Insistieren auf Zeugnis bei seinen Protagonisten sticht hervor – selbst wenn diese, wie etwa Jan Karski, wortwörtlich aus dem Bild gehen, weil sie die eigene Erinnerung kaum selbst ertragen, geschweige denn wiedergeben können.
Film als Mission, bei der Widerstände so weit wie möglich zurückgestellt werden müssen – dürfen doch die dunkelsten Stunden der modernen Menschheitsgeschichte, hervorgebracht durch das deutsche Tätervolk, nicht einfach der Verdrängung anheimfallen. Erinnerung als Waffe gegen das Schweigen, gegen das Vergessen. Denn dieses „Nie wieder“ ist ein arg fragiles Ding – dies war Lanzmann und seinem Team schon damals mit großer Sicherheit bewusst. Die Geschichte gab ihnen recht.
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16. Februar 2025, 09:52 Uhr: Claude
Dann gehen wir es mal an. 566 Minuten. Immerhin gibt es eine Pause.
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15. Februar 2025, 20:11 Uhr: Driften jenseits der Träume
Ein Mann will irgendwo im Nirgendwo einen Brunnen bohren, doch die Dörfler sehen in ihm einen Feind – und erschießen ihn. Um die gerade so erwachsene Tochter vor dem Schock zu schützen, schickt die Mutter sie mit einem wortkargen jungen Soldaten auf einen Roadtrip.
Die beiden haben sich wenig zu sagen, aber Begehren und Liebe brauchen hier nicht viele Worte, um zu wachsen. Nur: In diesem Land, in dieser Gesellschaft, in diesem Staat – Armenien nach dem Krieg – sind alle kaputt. Zukunft? Unklar. Wie eigentlich alles in diesem Film.
Es ist nicht wirklich eine durchgehende Handlung, die Christine Haroutounian in AFTER DREAMING entfaltet. Eher ein Driften, ein Taumeln durch Orte, Gefühle und Klänge. Getragen vor allem vom faszinierenden Hauptdarsteller Davit Beybutyan – und einer Kamera, die klar konturierte Kinobilder konsequent verweigert. Ein visuelles Spiegelbild einer Welt, in der alles haltlos ist, nichts zuverlässig, nichts sicher. Kinofilm als Bewusstseinszustand. Herausfordernd und visuell betörend zugleich.
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15. Februar 2025, 19:00 Uhr: Kopiermaschine
Die Erde im Jahr 2054: Verfolgt von einem mörderischen Kredithai, flüchtet Mickey mit seinem besten Freund und Kompagnon auf eine mehrjährige Raumfahrtmission zu einem neuen Planeten.
Für die Mission meldet er sich als „Expandable“ – als jemand, dessen Körper nach Bedarf für definitiv tödliche Aufgaben verbraucht und anschließend neu gedruckt werden kann, während seine Persönlichkeit und seine Erinnerungen gespeichert und stets in den neuen Körper übertragen werden.
Der Filmtitel MICKEY17 spielt auf diesen Umstand an, denn die 17. (!) Version von Mickey steht im Zentrum von Bong Joon Hos 137-minütiger, aber überaus kurzweiliger Sci-Fi-Geschichte. Was bleibt vom Menschsein, wenn der Körper nach Belieben reproduziert oder recycelt werden kann? Ist das noch ein Mensch – oder nur ein Wegwerfobjekt? Und kann man so etwas eigentlich lieben?
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Robert Pattinson als Mickey Nr. 17 und Mickey Nr. 18 | Bild: Warner Bros. Entertainment Inc. |
Ausgestattet mit allerlei virtuosen Plottwists und gespielt von einem bestens aufgelegten Ensemble (u. a. Robert Pattinson, Naomi Ackie, Mark Ruffalo), bietet Bong Joon Ho erstklassiges und de facto existenzialistisches Popcorn-Kino, das keine Wünsche offenlässt. Und uns außerdem lehrt, dass wir fremde Spezies niemals unterschätzen sollten – schon gar nicht in ihrer Fähigkeit zum Bluff. Was für ein Hit!
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15. Februar 2025, 11:53 Uhr: Klappe halten
Ich gucke jetzt MICKEY 17 von Bong Joon Ho, aber ich darf darüber bis heute 19 Uhr nichts sagen, ermahnt uns das Saalpersonal im Berlinale Palast. Embargo oder besser: Veröffentlichungssperre, der Fluch auf jedem Filmfestival.
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14. Februar 2025, 20:15 Uhr: Patriarchat 1978 & 2025
Eine junge Filmemacherin hält anderen Filmemacherinnen das Mikro vors Gesicht, stellt insistierend Fragen zu den Bedingungen ihres Arbeitens in einer männerdominierten Welt – Vibeke Løkkeberg auf dem ersten Frauenfilm-Seminar 1973 im Kino Arsenal in Westberlin. Die Filmbilder reißen immer wieder ab, denn die 16-mm-Schwarz-Weiß-Filmrollen sind kurz, aber der Ton läuft weiter. Wir hören die angeregten Diskussionen – heute, in Vibeke Løkkebergs THE LONG ROAD TO THE DIRECTOR'S CHAIR.
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1978: Vibeke Løkkeberg (mitte) und ihre Protagonistinnen |
Damals verschwanden diese Aufnahmen im Archiv, weil sich kein Sender fand, der das Material bringen wollte. Das Schicksal des Materials und vor allem die damaligen Debatten zeigen indes, wie wenig sich geändert hat – oder eher, wie viel längst wieder rückwärts läuft. Aber wo sind sie heute, die Frauen, die das patriarchale System und all seine toxischen Auswüchse aus den Angeln heben und überwinden wollen? Auf Instagram? Auf TikTok? Wohl kaum.
Die Trumps, Putins, Musks, Orbáns, Mileis und Merz’ unserer Zeit lassen sich nicht mit Hashtags und Videofiltern bekämpfen. Klartext, während dieser unbestritten instruktiven und auch kurzweiligen 70 Minuten des Eintauchens in eine allzu gegenwärtige Vergangenheit wird ein Gedanke immer lauter: dass hier eigentlich gerade die falsche Generation im Kino sitzt.
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14. Februar 2025, 23:22 Uhr: Wien // Berlin
Ich wage die These, dass Wien das neue Herz des deutschsprachigen Films ist. Vergesst Berlin, vergesst den Deutschen Film. Wobei, das mit dem Neu könnte man noch diskutieren. Eigentlich ist das eine schon länger andauernde Entwicklung.
tl;dr: Danke, Florian Pochlatko für HOW TO BE NORMAL AND THE ODDNESS OF THE OTHER WORLD
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14. Februar 2025, 15:16 Uhr: Behördenrassismus
Visuell und formal reichlich schlicht inszeniert, um nicht zu sagen so, dass sie den Kinoraum glattweg zu ignorieren scheint, reiht sich Martina Priessner mit ihrer dokumentarischen Arbeit DIE MÖLLNER BRIEFE in eine zum Glück wachsende Familie deutscher Filme ein, die den deutschen Rassismus ins grelle Scheinwerferlicht zerren und entblößen.
Aufgehängt an den hinterbliebenen türkischstämmigen Familien der tödlichen Brandanschläge von Mölln 1992, denen die Kommune über rund 30 Jahre die zahllosen im Stadtarchiv lagernden Beileidsbekundungen der damaligen Zeit vorenthielt, beleuchtet Priessner den individuellen Umgang mit Trauer und Trauma.
Folgerichtig lässt sie vor allem die Betroffenen sprechen und schafft damit nicht nur nebenbei einen Raum, der ihnen die Hoheit über ihr eigenes Narrativ ermöglicht. Nicht nur nebenbei dokumentiert sie, wie vollkommen blind deutsche Behörden für den Alltagsrassismus sind, den sie selber gegenüber nicht-weißen Deutschen ausüben.
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14. Februar 2025 um 12:22 Uhr: Neue Kinos bitte!
Wer glaubte, nach dem Berlinale Palast und der Konzerthalle im Gewerbegebiet am Ostbahnhof könnte es kinotechnisch nicht mehr schlimmer kommen – nun ja, wappnen Sie sich (und ihre Knie) für das „Stage Bluemax Theater“ im Gewerbegebiet Potsdamer Platz.
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14. Februar 2025, 07:42 Uhr: Storno bitte!
Storys vom fragilen Hetero-Mann mit der Klampfe um 09.30 Uhr? I'd rather not. Ticket storniert. Da leg ich mich lieber nochmal hin ...
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13. Februar 2025, 21:44 Uhr: Ruhe bitte!
Tag 1, vier von fünf Filmen sind durch, einmal Hit (wenn auch niederschmetternd in der Thematik), einmal faszinös (faszinierend & mysteriös), eine Niete, einmal leider verschenkt – solider Berlinale-Schnitt also. Wer und was kann ich dank Embargo-Regelung noch nicht schreiben.
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