Bedeutungsschwanger
AUGE IN AUGE -
EINE DEUTSCHE FILMGESCHICHTE
EINE DEUTSCHE FILMGESCHICHTE
„Dies ist nicht DIE deutsche Filmgeschichte, sondern nur EINE deutsche Filmgeschichte“, so erklären es die beiden Regisseure zu Beginn ihres Films aus dem Off, während sich die Kamera mit bedeutungsschwangerem Blick dem Delphi-Kino in Berlin nähert: AUGE IN AUGE.
Prinzler und Althen wagen einen Versuch, einen mutigen, gefährlichen, unwägbaren Versuch, dem Film aus Deutschland oder dem deutschen Film so etwas wie eine Geschichtsschreibung angedeihen zu lassen. Was insofern heikel ist, weil Fehlinterpretationen, falsche Gewichtung, und ungenügende Würdigung als Tretminen an jedem laufenden Archivmeter warten. Und weil die Deutschen üblicherweise empfindlich und überkritisch ihre Geschichte(n) schreiben und sehen. Hier ist der Film keine Ausnahme, denn er ist auch „unsere Geschichte“, wie sie anmerken. Doch das Duo findet einen erfreulich entspannten Ansatz: Sie lassen Filmschaffende des Heute ihre persönlichen Lieblingsfilme vorstellen; zumindest wird behauptet, es seien die Lieblingsfilme. Und da tauchen prominente Namen wie Tykwer, Wenders, Kohlhaase, Petzold, Dresen, Ballhaus, Dörrie oder Link auf. Tom Tykwer nennt NOSFERATU und bekennt, dass er den Film in Jugendzeiten vor lauter Schauder nie komplett anschauen konnte. Wolfgang Kohlhaase begeistert sich für Robert Siodmaks MENSCHEN AM SONNTAG von 1930 und hebt die wunderbare „Nähe von Poesie und Banalität“ hervor. Wim Wenders nennt M – EINE STADT SUCHT EINEN MÖRDER, schwärmt für eine zentrale Szene, in der in einer Parallelmontage Ordnungshüter und Verbrecher jeweils beraten, wie sie den Mörder dingfest machen könnten. Außerdem hebt er Fritz Langs chirurgischen Blick für gesellschaftliche Prozesse hervor und merkt eine bis dato im deutschen Film ungekannte Emotionalität an. So geht es munter weiter, jeder der Protagonisten vor der Leinwand weiß einiges über „seinen“ Film zu berichten und eine Schlüsselszene zu benennen, die sogleich gezeigt wird.
Doris Dörrie begeistert sich bspw. bei ihrem Filmfavoriten ALICE IN DEN STÄDTEN für eine Szene, in der sich die junge Protagonistin ins Klo einschließt und ihr Kutscher wider Willen davor sitzt und alle Städte aus einem Telefonbuch vorliest, in der Hoffnung, sie möge die Stadt auswählen, in welcher ihre gesuchte Oma lebt.
Alle diese Geschichten zusammen genommen, ergeben einen durchaus bemerkenswerten Querschnitt des Filmschaffens in Deutschland. Glücklicherweise beziehen Prinzler/Althen den DDR-Film mit ein, wenn auch nur Andreas Dresen die Chance bekommt, einen Film „Made in GDR“ vorzustellen. Er wählt ein Werk von Konrad Wolf.
Etwas unglücklich sind hingegen die Brücken oder Kurzessays geraten, die eine Auseinandersetzung mit weiteren Aspekten des deutschen Films versuchen: Vom Film zur Nazizeit und Harlans JUD SÜß, bis zu einer Liste mit verbotenen DDR-Filmen, die unter der Überschrift „Ein sauberer Staat“ stehen; wichtige Aspekte, die aber bei dieser Schnell-Durchdeklinierung mittels Off-Kommentare und Filmclips viel zu kurz kommen. Hier hätte man es bei den Kommentaren der zehn Filmpaten belassen können, die wesentlich mehr und tief greifenden Erkenntnisgewinn liefern. Bei der Frage nach dem „deutschen Blick“ in den Augen der Schauspieler, reicht diese Methode hingegen aus. Denn hier sind der Rezipient und seine eigene Art des Filmerlebens gefragt. Sofern der Rezipient noch bei der Stange geblieben ist und sich nicht von der schweren, pathetischen Musik oder den fortwährenden thematischen Schnelldurchläufen von Filmschnipseln hat verschrecken lassen.
AUGE IN AUGE, ein nicht immer ganz gelungener aber nichtsdestotrotz erkenntnisreicher Spaziergang durch die deutsche Filmgeschichte. Und – unbestreitbar - eine Liebeserklärung an das Kino aus Deutschland, das sich eigentlich nicht verstecken braucht; damals zumindest.
AUGE IN AUGE - EINE DEUTSCHE FILMGESCHICHTE
Deutschland 2007
99 min
Digital, Farbe & s/w
Regie: Michael Althen, Hans Helmut Prinzler