Berlinale 2024: „MIT EINEM TIGER SCHLAFEN“ | Kunst aus dem Körper
Maria Lassnig gehörte zu den einflussreichsten und prägendsten Künstler:innen Österreichs. Ihr Stil war dabei so einzigartig wie ihr Leben, kein Wunder, war Lassnigs Zugriff auf ihr künstlerische Schaffen tief verbunden mit dem Erspüren und Einfühlen in ihren Körper. Auf der Berlinale 2024 präsentierte die Filmemacherin Anja Salomonowitz nun eine zutiefst fesselnde, fast immerive Annäherung an diese außergewöhnliche Kunstschaffende: MIT EINEM TIGER SCHLAFEN
95 Jahre Künstlerinnenleben in einem Film – Filmemacherin Anja Salomonowitz und Darstellerin Birgit Minichmayr stellen in ihrem MIT EINEM TIGER SCHLAFEN etwas Beeindruckendes an: Sie ziehen gleich drei Bewegungen individueller Emanzipation parallel, um eine faszinierende Persönlichkeit für die Leinwand lebendig zu machen.
MIT EINEM TIGER SCHLAFEN erzählt vom Leben der österreichischen Malerin Maria Lassnig. Wenn man so will, ist es ein Biopic, aber doch dabei irgendwie auch mehr. Zum einen wären da Lassnigs Bilder (und nicht nur die), die in steter Abfolge die Leinwand übernehmen und uns einladen, ihr Werk auch vor der biografischen Folie zu lesen.
MIT EINEM TIGER SCHLAFEN: Vor der leeren Leinwand stehend – das gibt keine Kunst | Foto: Coop99 Filmproduktion/IFB 2024 |
Zum anderen schwenkt die filmische Erzählung wiederholt und mitten in einer Szene plötzlich ins Dokumentarische, und Zeitzeugen oder Nachfahren von Zeitzeugen übernehmen für einen Moment die Szenerie und die Erzählung dessen, was sich einst zugetragen hat. Salomonowitz und Minichmayr verdichten Lassnigs langes Leben (94 Jahre) und Schaffen dabei im Grunde zu drei zentralen Aspekten: das Patriarchat, das Matriarchat und das Ich.
Mann
„Eine Frau muss dreimal so hart arbeiten, nur weil sie eine Frau ist.“
Maria Lassnig war in Österreich in vielen künstlerischen Dingen die erste Frau, was umgekehrt bedeutet, dass die Männer beherrschend in der Kunstszene des Landes (und nicht nur dieses) waren.
Selbst in Paris und New York, wo Lassnig ab den 60ern einige Zeit lebte und arbeitete, verfolgte sie die Geringschätzung als weibliche Kunstschaffende. Sie wurde darüber zur Feministin. Salomonowitz stellt dieses Umzingeltsein vom Patriarchat in ihrer Erzählung unmissverständlich heraus, macht dabei aber ebenso deutlich, wie sehr Maria Lassnig dagegen anging und schlussendlich siegte – auch auf dem Kunstmarkt.
Mutter
Ob sie das Matriarchat der Mutter jemals wirklich abschütteln konnte, lässt MIT EINEM TIGER SCHLAFEN ein Stück weit offen. Geboren als uneheliches Kind 1919, wurde sie in den ersten Lebensjahren von ihrer Großmutter aufgezogen. Erst mit sechs nahm die Mutter Maria wieder zu sich, doch von einer aufrichtig liebevollen Beziehung scheint das Verhältnis, so arbeiten Salomonowitz und Minichmayr es heraus, weit entfernt gewesen zu sein. Vielmehr schon könnte man von einer psychischen Übergriffigkeit der Mutter sprechen.
Wiederholt taucht im Film der Moment auf, wo die Mutter Maria auffordert, sich doch eine andere Mutter zu suchen. Sie kündigt ihr in gewisser Weise die Mutterschaft, nur um ihre Tochter dann wieder in einer großen vorgeblichen Liebe an sich zu ziehen. Mutterliebe im On-Off-Modus.
Es muss eine albtraumhafte Situation für das junge Mädchen gewesen sein, aus der sich Maria auch als Erwachsene scheinbar nur bedingt freistrampeln konnte, zumal sie auf die finanzielle Unterstützung der Mutter wohl lange Zeit noch angewiesen war.
Ein schon früh sichtbares Talent ihrer Tochter, so lernen wir es in MIT EINEM TIGER SCHLAFEN, erkannte die Mutter zweifelsohne – aber sie betrachtete es eher als Mittel für ein paar schnelle Schillinge nebenbei – „Solange man jemanden abmalen kann, wird man net verhungern.“ Kunstgewerbe.
Dass Maria danach strebte, aus dem Talent ein Leben als Künstlerin zu machen, schien für diese Mutter keine Option, weder wirtschaftlich noch gesellschaftlich. Ihre Ansichten ließ sie ihre Tochter offenbar deutlich spüren. Erst mit dem Tod der Mutter, so lässt es uns der Film lesen, findet Maria eine gewisse Form von Freiheit und auch innerer Autonomie.
Maria
Wenige Minuten nach Beginn von MIT EINEM TIGER SCHLAFEN nagelt die Film-Maria ein Stück leere Leinwand an die Wand ihres Ateliers und setzt sich davor hin. Sie sitzt. Und sitzt. Das Künstler:innen-Ich hadert mit der leeren Leinwand – das ultimative Klischee. Aber dieses Filmbild ist eine Finte, ein Spiel mit Erwartungshaltungen und ein Verweis darauf, welch anderen Arbeitsstil Lassnig entwickelte.
Malerei war für Maria Lassnig ein Akt, der ihren ganzen Körper involvierte. Ein Bild war bei ihr nicht die Ausführung einer Idee im Kopf, sondern eher die Übersetzung eines Körpergefühls. Ein stetiges Untersuchen des Inneren und der Versuch, diese Art einer Analyse in Formen und vor allem Farben zu übersetzen. Aber wie macht man daraus eine Sprache, die im Kino verstanden werden kann? Man castet Birgit Minichmayr.
Filmemacherin Anja Salomonowitz nutzt einen Kunstgriff, der eigentlich nur im Genre der Biopics wirklich ein Kunstgriff ist: Sie lässt etwas weg. Es gibt keine besonderen Masken, keine Prothesen oder sonstige „Verkünstelungen“, die ein bestimmtes Lebensalter oder eine bestimmte Phase der portraitierten Person auf eine:n Darsteller:in pinseln. Ihre Minichmayr-Lassnig bleibt, wie sie ist. Ob junges Mädchen oder sterbensalte Frau, Minichmayr bleibt Minichmayr. Und trägt dabei meistens auch dasselbe Outfit.
Birgit Minichmayr in MIT EINEM TIGER SCHLAFEN | (c) Foto: Coop99 Filmproduktion/IFB 2024 |
Die Lassnig bringt Birgit Minichmayr allein aus ihrem Körper und ihrem Spiel heraus aufs Bild. Die kleinen Marotten und Manierismen, das Ringen der Arme und Beine, das faktische Raufrobben auf die Leinwand, um einen ersten Strich führen zu können – alles holt Minichmayr aus sich selbst.
Mehr noch, der Prozess der inneren Einkehr, dieses Reinarbeiten, ja Reinkriechen in die eigenen Gefühle, um das Bild zu finden – Minichmayr findet dafür eine fesselnde Form des Agierens. Körper in Bewegung, Weinen, Stöhnen, Schnäuzen, Sabbern. Es wirkt beinahe wie völlige Selbstvergessenheit im Moment. Wie ein Trip. Und wahrscheinlich war das Arbeiten für Maria Lassnig kaum weniger als das, ein Trip. Aber auch: Ein stetiger innerer Widerstreit um die Form und die richtigen Farben.
Markt
Schaut mensch sich im Frühjahr 2024 auf der Website der Maria-Lassnig-Stiftung um, findet sich dort ein interessanter Aufruf: Personen, die über Werke oder den Verbleib von Werken der Lassnig verfügen, sollen sich melden. Es geht darum, ein Werksverzeichnis aufzubauen, welches bis heute nicht vollständig vorhanden ist. Das passt ins Bild einer Künstlerin, die wohl bis zuletzt zerrissen war zwischen der Notwendigkeit, Bilder zu verkaufen, sie aber zugleich nicht hergeben zu wollen. Die Film-Maria bringt es auf den Punkt: „Die Bilder sind ihre Kinder“, klagt sie. Und Museen nichts weiter als Waisenhäuser. Was sie damit auch sagt: Das Vergessen ist der größte Feind der Kunst, zumal wenn Frauen sie erarbeitet haben.
Es ist der unschätzbare Verdienst von MIT EINEM TIGER SCHLAFEN, dass Lassnigs Bilder nicht mehr in „Waisenhäusern“ oder unbekannten Sammlungen vergessen werden können. Sie scheinen jetzt hell auf der Kinoleinwand und fordern uns auf, mit ihnen in Konversation zu treten.
Schließlich stecken hinter jedem dieser Bilder Erfahrungen und Emotionen. Gefühle, die die Frau, Tochter, Künstlerin Maria Lassnig nicht exklusiv durchlebt hat. Sie sind heute nicht weniger relevant, steht es doch um die Gleichberechtigung allenfalls geringfügig besser als zu Lassnigs Lebzeiten. Was für ein ungemein fesselnder, fast immersiver und humaner Film.
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