KönigInnen von Moskau
VESELCHAKI
Berlinale 2010 - Panorama: Eröffnungsfilm
Rosa, Lusya, Gelya, Lara und Fira – fünf Transvestiten in Moskau. Fünf Männer, selbstbestimmt und ohne Not. Ihre Leben wirken ziemlich aufgeräumt, sie selbst zufrieden. Sie haben ihren eigenen Club und jeden Abend gibt es Shows. Das Leben scheint auf ihre Weise alltäglich zu sein: Kleine Zickereien, fantastische Fummel, jubelnde Zuschauer und nackte Männerkörper. Dabei könnten sie unterschiedlicher nicht sein:
Rosa als Beispiel, ist ein Mittvierziger, war mal beim Militär, leitet jetzt den Club und hat seine fast erwachsenen Tochter dort als Bühnenhilfe untergebracht. Rosa, der eigentlich auch Robert heißt, nahm sie elf Jahre zuvor zu sich, als die Mutter in eine psychiatrische Klinik gesperrt wurde. Jetzt steht die Mutter plötzlich in der Umkleide und will ihre Tochter sehen.
Lara trat schon in den kommunistischen 70ern im Fummel auf. Eigentlich hat ihn ein Parteifunktionär entdeckt, der sich als Gleichgesinnter entpuppte, was dem aber, wie der Film in Rückblende zeigt, schwer auf den Kreislauf geschlagen ist.
Der junge Gelya bzw. Gennady hatte es in seiner Jugend schwerer: Als Sohn einer Schneiderin und einerseits recht männlich aber doch feminin, war er der Punchingball der örtlichen Jugendgang. Irgendwann zog er sich die fantastischen Kleider aus der Hand seiner Mutter an, schminkte sich auf und rächte sich an den Peinigern auf seine Weise. Seit dem ist er dabei, nur seine Mutter weiß es noch nicht.
Und so geht es in der ersten Hälfte weiter, alle Jungs erzählen retrospektiv ihre Geschichte. Direkt in das Aufzeichnungsgerät einer Zeitungsjournalistin. Träume, Erinnerungen, das tägliche Leben. Ganz normal, ganz gewöhnlich.
Anfangs kommt einem das irritierend vor. Dass sich Regisseur Felix Mikhailov dabei bewusst für laute Töne und schrille Auftritte entscheidet, verstärkt den disparaten Eindruck. Allerdings fängt sich der Film, der reichlich „Priscilla – Königin der Wüste“ und „Hedwig and the Angry Inch“ getankt zu haben scheint, recht bald. Denn die Gewöhnlichkeit, mit der Mikhailov seine Figuren in einem immer noch streng homophoben Rußland inszeniert, schlägt in den Bann und nimmt für sich ein. Die Fünf strahlen eine mitreißende Energie und Lebensfreude aus, die unverzüglich mitreißt.
Gleichzeitig dirigiert Mikhailov geschickt die Dramaturgie, stellt dem lautstarken und schrillen Auftrumpfen, leise und intime Momente entgegen. Er gewichtet Laut und Leise geschickt und bereitet so den Platz, um allmählich die tatsächlichen Alltagsprobleme der Figuren durchscheinen zu lassen. Eine Transe in Moskau – das ist eben immer auch noch Gefahr für Leib und Leben. Schläger und Psychopathen sind dabei nur Einige unter Vielen. HIV ist eine andere und stets aktuelle Bedrohung.
Handwerklich angenehm solide inszeniert, liebevoll gezeichnet in den Figuren und wachsam gegenüber den Bedrohungen, denen ein selbstbestimmtes Leben außerhalb der Norm im heutigen Russland ausgesetzt ist, stellt VESELCHAKI einen würdigen und sehenswerten Start ins diesjährige Panorama dar.
VESELCHAKI
RUS 2010
35' Cinemascope
Regie, Buch: Felix Mikhailov
Kamera: Gleb Teleshov
Schnitt: Inna Tkachenko, Roman Ishkinin
Darsteller: (Rosa) Ville Haapasalo, (Lusya) Danila Kozlovskiy, (Gelya) Ivan Nikolaev, (Lara) Pavel Brun, (Fira) Alexey Klimushkin
(c) Bild: Berlinale 2010