Das Heute im Gestern

DIE LINCOLN VERSCHWÖRUNG

Abraham Lincoln war einer der Gründerväter der US-amerikanischen Nation. Die Erinnerung daran hat sich diese Nation gleich mehrfach in Stein bzw. ins visuelle Gedächtnis gehauen. Lincoln initiierte die Abschaffung der Sklaverei und zwang die abtrünnigen Südstaaten in einem blutigen Bürgerkrieg zurück in das amerikanische Staatenbündnis mit dem Norden. Neben Kennedy war er aber auch eines der spektakulärsten Attentatsopfer der US-Geschichte. Karfreitag 1865, kurz vor Kriegsende und dem Beginn seiner zweiten Amtsperiode als US-Präsident, schoss man ihm bei einer Theateraufführung in den Kopf.


Auf den ersten Blick irritiert dieser Film: DIE LINCOLN VERSCHWÖRUNG, im Originaltitel THE CONSPIRATOR, flittert als sattes Historiendrama über die Leinwand; formal gediegen und ohne erkennbaren Mehrwert für die Institution Kino. Dafür mit offenkundigen Ähnlichkeiten zu Doku-Fictions einschlägiger Fernsehkanäle. Unweigerlich drängt sich die Frage nach dem Warum auf. Warum soll man sich so etwas anschauen? Warum erzählt Robert Redford solch eine Geschichte?






Schnell ist klar, dass Lincolns Tod nur eine dramaturgische Wegmarke darstellt. Der Gerichtsprozess gegen die Verschwörer an Lincolns Ermordung scheint Robert Redford wesentlich stärker zu interessieren. Unter den Angeklagten war auch eine Frau, Mary Surratt (Robin Wright). Mary Surratt hat es wirklich gegeben, der Film basiert lose auf realen Begebenheiten. Sie wurde, so erfahren wir es aus dem Film, der Verschwörung genauso angeklagt wie ihr Sohn. Dem gelang es sich rechtzeitig abzusetzen, weshalb man seine Mutter offenkundig stellvertretend anklagte.

Die Anklage wird vor einem Militärgericht verhandelt, dessen Richter allesamt Vertraute des amtierenden Kriegsministers Stanton (Kevin Kline) sind. Eine unabhängige Urteilsfindung scheint also aussichtslos. Der alte Anwalt Reverdy Johnson (Tom Wilkinson) übernimmt die Verteidigung von Mary Surratt, fordert einen Prozess vor einem zivilen Geschworenengericht. Sein junger Kollege Frederick Aiken (James McAvoy) diente für die Nordstaaten im Bürgerkrieg und erwarb sich dabei einige Ehre. Umso verstörter ist er nun als sein Mentor ausgerechnet die Verteidigung von Mary Surratt übernimmt und allen Ernstes ein unabhängiges Gericht einfordert. Seine Verstörung soll sich steigern, denn unversehens muss er das Mandat für die Verteidigung der Frau übernehmen. Was den jungen Anwalt auf eine ernste Probe stellt. Soweit die Gemengelage.



DIE LINCOLN VERSCHWÖRUNG entpuppt sich als ein klassischer Gerichtsfilm. Dem historischen Hintergrund kommt dabei mehr als bloßes Kulissendasein zu. Robert Redford paraphrasiert vielmehr die Spaltung Amerikas im Heute. Lincolns Tod bei einem Mordkomplott trieb die tiefe Zerrissenheit der Amerikaner weiter voran. Nur die militärische Überlegenheit des Nordens zwang die Union der Südstaaten in die Kapitulation. Man blieb sich spinnefeind unter Brüdern mit schier unüberwindbaren Hürden. Nicht unähnlich den Konflikten dieser Tage, zwischen der amerikanischen Rechten und dem Rest der Nation.

Was beim Gerichtsprozess 1856 in den USA praktiziert wurde, entspricht heute dem sog. „Feindstraftrecht“. In Kurzform erklärt, entzieht man angeblichen Staatsfeinden bewusst ihr Recht auf einen Prozess nach Zivilstrafrecht, so wie es jedem Einbrecher oder Betrüger zustünde. Stattdessen wird eine fundamentale Bedrohung der staatlichen Integrität und Sicherheit durch den oder die Angeklagten entworfen. Womit die Exekutive bspw. ein besonderes Tribunal und die grobe Missachtung von fundamentalen Rechten aus einem angeblich höheren Grund heraus rechtfertigt. Im Fall von Lincolns Mördern, so versucht es uns Robert Redford zu erklären, sah sich der damalige Kriegsminister zu solchen Mitteln veranlasst, um die Nation und das Volk zu beruhigen.


In unserer Zeit gibt es die Menschenrechte und das Grundgesetz. Aber wir kennen auch Guantanamo, den „Patriot Act“ und die sog. Anti-Terror-Gesetze. Terror existierte damals wie heute. Und damals wie heute stellt sich die Frage, wer unsere Verfassung und die Basis unseres Zusammenlebens tatsächlich mehr bedroht? Terroristen oder wir selbst? Robert Redfords gediegen inszenierter Exkurs in die amerikanische Geschichte ist, und das sieht man eben erst auf den zweiten Blick, vor allem ein packender und lohnenswerter Diskurs über die unabdingbare Notwendigkeit unsere Grundrechte wahrzunehmen. Auch und gerade als Bürger gegenüber unserem Staat.


DIE LINCOLN VERSCHWÖRUNG - The Conspirator
USA 2010
120 Minuten
Format: 35mm, Cinemascope, Farbe
Regie: Robert Redford
Buch: James D. Solomon
Kamera: Newton Thomas Sigel
Schnitt: Craig McKay
Ton: Jonathan Gaynor
Musik: Mark Isham
Produktion: Robert Redford, Brian Peter Falk, Bill Holderman, Greg Shapiro, Robert Stone
Darsteller: James McAvoy, Robin Wright, Kevin Kline, Tom Wilkinson, Evan Rachel Wood, Justin Long

© Bilder: Tobis Filmverleih 2011