Chronologie des Scheiterns

LA PIEL QUE HABITO
Die Haut in der ich wohne



Die Filme von Pedro Almodovar sind für mich stets aufs Neue ein qualitatives Wechselbad der Gefühle. Es gab großartige Kinomomente im jüngeren Schaffen Almodovars, vor allem sein gleichermaßen bittersüßer wie bebend wütender Film LA MALA EDUCATIÓN, der die Missbrauchsskandale der Kirche bereits vorwegnahm, lange bevor die Öffentlichkeit davon in Aufregung versetzt wurde. Zuletzt entwickelten sich seine Werke jedoch in Richtung eines enervierenden Ärgernisses. Sicherlich: Seine Filme sind im Wortsinn schön. Schönheit ist seit jeher eines der Grundprinzipien bei Almodovar. Doch auch das konnte den Eindruck nicht zerstreuen, dass sich die Bilderwelten des Pedro Almodovar formal festgefahren hatten. Er ist im negativen Sinne erwartbar.


Almodovar braucht für das Gelingen eines Films Themen, die ihn wirklich umtreiben. Daran schien es zuletzt zu mangeln. Die von ihm realisierten Geschichten wirkten jedenfalls allesamt arg konstruiert und von weit hergeholt. Das ist bei DIE HAUT IN DER ICH WOHNE nur unwesentlich anders. Wenn man die Story eines Arztes jenseits der ethischen Grenzen seines Berufsstands als halbwegs aktuellen Kinostoff ansehen will, dann wohnt „La piel que habito“ (so der Original-Titel) zumindest eine gewisse Note des Engagements inne.

Spanien im Jahr 2012: Dr. Robert Ledgard ist angesehener plastischer Chirurg. Er verfügt über ein stattliches Anwesen, in das er eine kleine Privatklinik integriert hat. Seine Kunden können auf Diskretion bauen, selbst wenn ihre Behandlungswünsche noch so merkwürdig sein sollten. Ledgard ist der Diskretion jedoch selbst am meisten bedürftig. Er forscht mit dubiosen Mitteln an einer Entwicklung, die bahnbrechend sein könnte: Menschliche Haut aus der Petrischale. Opfern schwerster Verbrennungen könnte damit ein menschliches Antlitz zurückgegeben werden. So auch der Frau des strebsamen Doktors, die er Jahre zuvor nach einem Autounfall noch erfolglos selbst operierte. Sie wählte ob ihres entstellten Äußeren jedoch den Freitod. Ein Trauma, an dem der Ehemann und die gemeinsame Tochter zerbrechen, wie uns Almodovar in den wenig kurzweiligen 121 Minuten seines Films unter anderem erzählt.



Die Figur des Robert Ledgard kanalisiert ihr Trauma in die Forschung und ein monströses Racheprojekt, dessen verschiedene Entwicklungen uns Stück für Stück in diesem Film offenbart werden. Der Fixstern, um welchen die Handlung hierbei kreist, ist die schöne Vera. Ein Charakter, dessen äußere Attribute sich einen indirekten Wettkampf mit der Abgründigkeit seiner Geschichte liefern. Man muss Almodovar einfach zugestehen, dass ihm in DIE HAUT IN DER ICH WOHNE, einer des atemberaubendsten Plot-Twists der jüngeren Kinogeschichte gelungen ist.

Es zeigt sich einmal mehr, dass Almodovars Filme immer noch am besten funktionieren, wenn sie in das nicht-heterosexuelle Spektrum abtauchen. Und wenn sie ihre Zuschauer dabei mit hineinziehen in Gedankenwelten, deren ganze Tiefe sich nur allmählich erschließt. Die äußere Schale dieses Films reicht aber aus, um nachhaltig zu enttäuschen. Da wäre die stellenweise hoch problematische Inszenierung, welche zwar durchaus eingängig die Grundthemen des Films aufgreift, sich aber auch für klassische Werbefilmästhetik nicht zu fein ist. Gegen die Perfektion der Produktmuster, die unzählige Sponsoren in diesem Film offenbar sehen wollten, kommt selbst Hauptdarsteller Antonio Banderas nicht mehr an.


Über drei Zeitebenen und diverse Rückblenden ist die Handlung des Films gestreckt. Und allen eindrucksvollen Wendungen zum Trotz schafft es die Dramaturgie nicht, daraus eine treibende Dynamik zu entwickeln. Die bräuchte es allerdings, um auch über zwei Stunden dauerhaft an die Leinwand zu fesseln. Deshalb kommt es zu einigen seltsamen Momenten, in denen scheinbar die eindrückliche Filmmusik von Alberto Iglesias die Geschichte vorantreibt, während der Regisseur noch mit sich ringt, wie es denn nun weiter gehen soll. Alberto Iglesias hat den Kern von DIE HAUT IN DER ICH WOHNE scheinbar besser verstanden als Regisseur Pedro Almodovar selbst. DIE HAUT IN DER ICH WOHNE ist, sofern man diese Kategorien anwenden will, zu schlecht, um ihn als guten Film zu bezeichnen. „La piel que habito“ ist vielmehr ein weiterer interessant misslungener Pedro Almodovar-Film. Warum man dafür 121 Minuten im Kino verbringen soll, erschließt sich jedoch nicht.

LA PIEL QUE HABITO
Die Haut in der ich wohne
ESP 2011
121 Minuten
Format: 35mm, Farbe
Regie, Buch: Pedro Almodóvar
Buchvorlage: Thierry Jonquet (Roman "Tarantula" / "Die Haut, in der ich wohne")
Kamera: José Luis Alcaine
Schnitt: José Salcedo
Ton: Iván Marín
Musik: Alberto Iglesias
Produktion: Agustín Almodóvar, Pedro Almodóvar
Darsteller: Antonio Banderas, Elena Anaya, Marisa Paredes, Blanca Suárez, Jan Cornet
Verleih: Tobis

© Bilder: Tobis Filmverleih 2011