Forum 2013 - Merkwürdigkeiten & Erweckungserlebnisse

43. Internationales Forum des Jungen Films
8. Forum Expanded
Berlinale 2013

Nach einem sehr dürftigen Jahrgang 2012, gab es im Forum 2013 viele starke Momente. Doch es überwog der Eindruck einer zunehmenden Konformität bei den ausgewählten Filmen. Erweckungserlebnisse fanden einmal mehr im Forum Expanded statt. Dass das Forum Expanded immer mehr zur Spielstätte für jene Experimente und Außergewöhnlichkeiten wird, die vor ein paar Jahren noch selbstverständlich im Forum gelaufen wären, ist inzwischen evident. Im Folgenden einige Gedanken und Besprechungen zu den gesichteten Filmen der Sektion.

A Single Shot | (c) A SINGLE SHOT LLC.

Forum | Angesiedelt im urwüchsigen Nirgendwo zwischen den USA und Kanada, zeigt sich A SINGLE SHOT als visuell atemberaubender wie auch klaustrophobischer Film. David M. Rosenthal entwickelt die Geschichte eines verarmten, verlassenen Ex-Bauernsohns zu einem fiesen und beunruhigenden Thriller. Aufopfernd gespielt von einem überragenden Sam Rockwell. Was diesen Film speziell für das Forum qualifiziert, erschließt sich jedoch nicht.

Forum | Als eine Abhandlung über Existenzbedrohung auf allen Ebenen entfaltet sich CHAR… THE NO MAN'S ISLAND von Sourav Sarangi. Char ist eine kleine Insel im Grenzfluss zwischen Indien und Bangladesch. Die zumeist staatenlosen Bewohner dieses Eilands versuchen ihr karges Leben mit Schmuggel zu bestreiten. Doch neben der rigiden Grenzpolizei sehen sie sich vor allem von der konstanten Erosion der Insel bedroht, die der Fluss fortspült und anderer Stelle wieder freigibt. Eine chaotische Handkamera folgt dem harten Alltag der Bewohner, die Nachtkamera schaut den Grenzern bei ihrer Arbeit zu, während statische Aufnahmen ungläubig den stetigen Abbruch der Insel verfolgen. Eine verstörende Dokumentation.

DAS MERKWÜRDIGE KÄTZCHEN | (c) Alexander Haßkerl

Forum | Ein Nachmittag, eine Altbauwohnung, eine Familie, eine Katze, ein Hund - Ramon Zürcher braucht für seinen Film DAS MERKWÜRDIGE KÄTZCHEN nicht viel und doch ist dieses reizvolle Werk randvoll. Der Alltag - mit seinen unzähligen kleinen und größeren Vorkommnissen, Haupt- und Nebensächlichkeiten - wird zum fesselnden Narrativ. Das Drehbuch wagt hier und da den Einschub kleiner Manierismen. Die neugierige Kamera fängt mit Argusaugen jede Bewegung, jede Geste ein. Vielleicht einer der faszinierendsten Filme im diesjährigen Forum.

Forum | Verschlossen gibt sich ECHOLOT bis zum Schluss. Mit abrupten Rhythmuswechseln, und dramaturgischen Manierismen entzieht Athanasios Karanikolas seinen Film konsequent dem Bedürfnis des Zuschauers nach Zugang. So verschlossen und komplex, wie sich das abgebildete Gruppengefüge darstellt, läuft auch dieser Film ab. Der aber gerade in dieser konsequenten Verweigerung einen irritierenden Reiz entwickelt und länger nachwirkt.

Forum | За Маркса... - FOR MARX... -> Besprechung hier...

Forum | Was dabei herauskommt, wenn die Grundideen hinter der sog. "Berliner Schule" nicht weitergedacht werden und auf die saturierte Langeweile des Filmemachers stoßen, lässt sich an HALBSCHATTEN leider sehr exemplarisch studieren.


I USED TO BE DARKER | (c) Andrew Laumann/Image.net

Forum | I USED TO BE DARKER -> Besprechung hier...

Forum Expanded | Constanze Ruhms und Christine Langs Werk 
KALTE PROBE zeigt sich zunächst als irritierender Film, um sich alsbald zu etwas völlig unvorhersehbarem zu wandeln. Zahllose Zitate aus Werken der Philosophie, Psychologie und des Films durchdringen die Grundgeschichte wie auch die gezeigten Bilder und verdichten das Werk zu einer gleichzeitig wunderbar absurden wie faszinierend experimentellen filmischen Farce.

KALTE PROBE | (c) Constanze Ruhms & Christine Lang

Forum | Ein schwüler Sommer, drei Freunde, ein verschwundener Bruder - Keiko Tsuruoka versucht sich mit ihrer Erzählung KUJIRA NO MACHI an einer Variation der Ménage-à-trois. Ausgangspunkt ist die Suche nach einem verschwundenen Menschen im Tokioter Großstadtdickicht. Phasenweise wirkt das alles etwas zu bemüht und sieht zu stark nach Abschlussarbeit aus. Trotzdem entwickelt sich hier ein reizvoller kleiner Film, dessen Ruhe und Ausgeglichenheit länger nachwirken.

Forum | Ein kleiner Junge bricht aus der Tristess eines palästinensichen Flüchtlingslagers in Jordanien aus, um zu seinem Vater ins besetzte Westjordanland zurück zukehren. In der Hoffnung, bald Nachhause kommen zu können, schließt er sich einem Kommando der Fedayeen an. 
LAMMA SHOFTAK entpuppt sich - formal hochglänzend - als regressives Arthouse-Drama, dass sich an den Zuschauer ranschmeißt und aufsässig Anteilnahme einfordert. Was dieses Werk für die Sektion Forum qualifiziert, ist während des gesamten Films nicht ersichtlich. Nich nur ob seiner einseitig pro-palästinensichen Konnotation, wäre dieser Film im Panorama weitaus besser aufgehoben gewesen.


LEVIATHAN |  (c)  Lucien Castaing-Taylor & Véréna Paravel

Forum Expanded | Lucien Castaing-Taylor und Véréna Paravel begleiten in ihrem Werk LEVIATHAN die Crew eines Fisch-Trawlers bei ihrer Arbeit auf hoher See. Was nach einem klassischen dokumentarischen Werk klingt, entpuppt sich als kinematografisches Erweckungserlebnis. Der Einsatz kleinster Kameras ermöglicht eine unbeschreibliche Variabilität der Perspektiven. Durch den virtuosen Schnitt dieser schier unglaublichen Bilder werden dem Zuschauer schnell jegliche Orientierung in Zeit und Raum entrissen. Ein dämonisches Sounddesign verstärkt den Eindruck zusätzlich. LEVIATHAN formt sich zu einem gleichsam infernalischen, wie gespenstischen wie auch spirituellen Kino-Trip. Einzigartig! Wegweisend.

Forum | LE MÉTÉORE beginnt reizvoll. Die Montage aus scheinbar unbeteiligten Bildern und Stimmen aus dem Off, verschließt sich jedem einfachen Zugang zum Film. Man ist gezwungen, sich diesem Strom aus Ton und Bild auszuliefern. Doch kommt dann nichts weiter. Das Werk plätschert als maniriertes und sinnentleertes Konstrukt dahin, welches seinen selbstbehaupteten Tiefgang nicht einlösen kann.

Forum |  Seit fast 50 Jahre dient ein Gelände auf Sardinien den Raketen- und Munitionsversuchen des Militärs. Massimo D'Anolfi und Martina Parenti betreiben mit ihrer Kamera eine Archäologie der Folgeschäden für die Landschaft, die Natur und die Menschen. Sie verweigern dabei in ihrem Werk MATERIA OSCURA jegliche detailliertere Erläuterung. Stattdessen werden unzählige Archivaufnahmen von militärischen Testreihen mit dokumentarischen Beobachtungen zu einem bedrückenden Gesamtbild kompiliert, das eine durch und durch verseuchte Landschaft beschreibt.

SENZO NI NARU | (c) Hiroko Masuike

Forum | Naoshi ist fast 80 Jahre alt als Erdbeben & Tsunami seine Heimatstadt an der japanischen Pazifikküste in ein Trümmerfeld verwandeln und seinen Sohn umbringen. Nur Ehefrau und Schwiegertochter überleben. Doch der alte Mann zerbricht an diesem Unglück nicht. Er weigert sich, mit seiner Familie in eine Notunterkunft umzuziehen und sein Zuhause zu verlassen. Stattdessen setzt er alles daran, sein baufällig gewordenes Haus am selben Platz neu aufzubauen. Ganz egal, welche Zumutungen ihm durch die Behörden, seine Familie und nicht zuletzt seinen krebskranken Körper entstehen. Kaoru Ikeyas faszinierend ruhige und konzentrierte Dokumentation 
SENZO NI NARU porträtiert einen einfachen, aber altersweisen und bewundernswerten Mann. Der dem Elend und der Verzweiflung im Angesicht der Katastrophe stoisches Beharrungsvermögen, begeisternde Entschlossenheit und liebenswürdige Herzenswärme entgegensetzt. Das einzige was Naoshi stoppen könnte, ist der Tod. Doch selbst dem scheint er mit seiner aufopferungsvollen Hingabe Respekt eingeflößt zu haben. Einer der dokumentarischen Höhepunkte im diesjährigen Forum.

Forum | James Benning gehört zu den Legenden der Sektion Forum und fasziniert von Werk zu Werk aufs Neue. Sein Festivalbeitrag 
STEMPLE PASS konstituiert sich aus vier Einstellungen von jeweils 30 Minuten Länge, die ein malerisches Tal samt einer kleinen Hütte im Wandel der Jahreszeiten beobachten. Überlagert werden die meditativen Bilder durch eine Klangmontage aus Zivilisationslärm und Voice-Over, in welchem Benning aus Tagebüchern und Manifesten des Terroristen Ted Kaczynski liest. Kaczynski, der als "Unabomber" einen der blutigsten Bombenanschläge der US-Geschichte verübte, lebte bis zuletzt in einer kleinen Hütte in einem ähnlich entlegenen Tal, wie es uns Benning hier zeigt. STEMPLE PASS entwickelt sich durch diese Kombination von Bild und Ton zu einem irritierenden und herausfordernden Kinoerlebnis.


Stemple Pass - James Benning | (c) James Benning

Forum Expanded | Zutiefst faszinierend, im besten Sinne gespenstisch und schlicht wunderschön läuft das filmische Kleinod YUMEN über die Leinwand und erkundet mit ansteckender Freude die Ruinenlandschaft einer verlassenen chinesischen Öl-Arbeiterstadt.