THE ADVANTAGE OF BEEING A WOMAN
CONCUSSION
Berlinale 2013_Panorama
"I don't want to clean-up two houses!" - faucht Abby ihren jungen Kompagnon Justin irgendwann im Film an. Abby, Anfang 40, lesbisch-verheiratet, Mutter zweier Kinder, Hausfrau. Sie und Justin bringen ein heruntergekommenes Loft auf Vordermann. Abby hat die Räume gekauft, um wieder etwas zu arbeiten. Justin lässt achtlos leere Pizza-Kartons liegen und raucht auf der Baustelle. Das kann Abby, die eine Art perfekte Haufrau abgibt, überhaupt nicht leiden. Zurück zum Anfang: Der Film beginnt mit einem akustischen Rauschen. Wortfetzen, Gespräche über Fitness, Familie, Frauenprobleme. Das Bild öffnet sich, wir sehen lauter Frauen jenseits der Mitte 30 auf Steppern und Laufbändern bei ihrem Work-Out. CONCUSSION.
Concussion, meint übersetzt eine Erschütterung bzw. Gehirnerschütterung. Die findet in diesem Film wortwörtlich statt, wenn Abby gleich zu Beginn von ihrem jungen Sohn ein Baseball an den Schädel geworfen wird. Stark blutend und wutentbrannt fluchend wird sie von ihrer Frau und den Kindern ins Krankenhaus gebracht: "I dont want this!" Die langjährige Ehe zwischen Abby und ihrer Frau Kate ist irgendwie in der Alltagsroutine ertrunken: Kate arbeitet als Anwältin, Abby kümmert sich um das Haus und die Kinder im Grundschulalter. Oder sie geht zum Fitnesstraining. Abends sitzt man bei Tisch, isst Bio-Abendessen und die Kinder fragen höflich, bevor sie den Tisch nach dem Essen wieder verlassen dürfen. Wohlsituiert ist das hier alles. Das Haus, das Auto, die Kinder, die Nachbarschaft. Wirkliche Probleme bereitet allenfalls eine aufgeschreckte Schullehrerin, die aus Angst vor dem Verklagtwerden, lieber erst fragt, ob die Familie denn auch solche Dinge wie Halloween feiert. Ja, tut sie.
Abbys Weg führt sie schließlich zur Sexarbeit. In ihrem durchgestylten Loft empfängt sie jüngere Frauen, die zwar viel Geld haben. Doch wenig erfüllende Sexualität. Stacie Passon lässt uns Zeuge einer interessanten Entwicklung werden. Die zurückhaltende, skeptische Abby, die als "Eleanor" auftritt, wandelt sich von Frau zu Frau in eine gleichzeitig professionellen wie Anteil nehmenden Sexworkerin, die dabei manches über sich selber lernt. Trotzdem holt sie nachmittags die Kinder von der Schule ab und macht die Wäsche. Pflichtgefühl ist Teil der Struktur dieser Figur. Die Sex-Szenen, von denen es viele gibt, bleiben dabei amerikatypisch über der Gürtellinie bzw. der Bettdecke. Das ist auch vollkommen o. k. so. Es passt zu einer durch und durch hochwertig gestalteten Produktion, deren Fragen an die Story andere sind, denn die nach der zeitgenössischen Darstellung von lesbischem Sex.
CONCUSSION
USA 2012
93 Minuten
HDCAM, Farbe
Regie, Buch: Stacie Passon
Kamera: David Kruta
Schnitt: Anthony Cupo
Musik: Barb Morrison
Produzenten: Rose Troche, Anthony Cupo
Darsteller: Robin Weigert, Julie Fain Lawrence, Maggie Siff, Jonathan Tchaikovksy
Festivals: Sundance 2013 - US Wettbewerb, Berlinale 2013 - Panorama
(c) Bildmaterial: David Kruta/image.net