Teenager contra Realität
THE BLING RING
Es gibt in THE BLING RING eine Schlüsselszene. Überhaupt besteht dieser Film aus einigen Schlüsselszenen und überraschend viel Rauschen dazwischen. Die Sequenz zeigt eine gläserne, mittelgroße Villa in den Hollywood Hills. Es ist Nacht, wir sehen das leere Haus und seinen leuchtenden Pool aus der Distanz. Im Hintergrund funkelt das nächtliche Los Angeles und macht aus dem Dunkel der Nacht dieses, für Großstädte so typische, dunkel-orange Geflimmer. Die Tonspur verzeichnet zirpende Grillen, in der Ferne heult eine Polizeisirene und knattert ein Hubschrauber. Zwei Gestalten betreten das Grundstück von links, suchen nach einer offenen Terrassentür, finden sie, gehen ins Haus. Die Gestalten eilen durch die Räume, Zimmerbeleuchtung geht an, Dinge werden gegriffen und in Taschen geschmissen, Zimmerbeleuchtung geht wieder aus. Die Gestalten verlassen das Anwesen. Diese ungeschnittene Szene dauert vielleicht zwei Minuten.
Die Täter: Ein Duo von Teenagern und deren Freunde. Rebecca interpretiert den Eigentumsbegriff eher vage und betrachtet nicht abgeschlossene Autos oder Häuser als Einladung. "Let's check some cars.", sagt sie zu Marc, kaum das Er dank ihr seine erste L.A.-Teenagerparty gemeistert hat. Marc ist neu an der Schule und Rebecca hilft dem eher unscheinbaren, schlaksigen Kerl, Anschluss an die It-Group der Schule zu finden. Dieses "Check some cars" geht ziemlich einfach. Das kann jeder, sofern man mutig genug ist. Einfach an geparkten Autos entlang gehen und testen, welcher Wagen nicht abgeschlossen ist. Findet sich ein offenes Auto, schaut man darin nach Wertgegenständen, Handtaschen, Geldbeuteln, Drogen usw. Das Glück ist mit dem tüchtigen Sucher und Rebecca ist tüchtig!
THE BLING RING ist vielleicht Sofia Coppolas am interessantesten gescheiterter Film. Ihre Geschichte baut auf Polizeiberichten und dem Recherchematerial einer Vanity Fair-Journalistin auf, die den sogenannten „The Bling Ring“ mit einem Artikel berühmt machte. Die „realen Ereignisse“ bleiben im Film relativ unkonkret. Deckungsgleich wird es allenfalls in der Wahl der „Opfer“. Hollywoodstars wie Paris Hilton oder Lindsay Lohan, wurden von einer Bande Wohlstandskids um beträchtliche Mengen an Luxusartikeln erleichtert. Die Kids mussten, so kolportiert es der Film, nicht viel mehr tun als die Adressen der Stars zu googeln und den Hausschlüssel unter der Fußmatte hervor zuholen. Bei Paris Hilton sollen sie auf diese Weise fast ein Dutzend Mal „zu Gast“ gewesen sein. Aber vielleicht war es auch ganz anders. Wirklich authentisch oder glaubwürdig geht es in diesem Streifen selten zu. Und wenn, dann nur derart das Paris Hilton ihr Haus für die Dreharbeiten zur Verfügung stellte. Coppola riskiert dabei den inneren Zusammenhalt ihres Films, was einkalkuliert zu sein scheint. THE BLING RING erreicht selten einen Zustand, in dem sich so etwas wie Emphase gegenüber den Figuren einstellen will. Sie kommen zu keinem Zeitpunkt über den Status eines Abziehbilds hinaus. Seltsamerweise sind einem auch die "Opfer" reichlich egal.
Realität als Konzept?
Hier wirkt alles eher wie ein Spektakel, wie eine „scripted Reality“; Pseudo-Realität. Laut. Rastlos. Dass hinter den Kids wohl auch irgendwo Tragödien lauern, bleibt vage angedeutet. Marc, ein mehrfacher Schulabbrecher. Rebecca, ein Scheidungskind mit Drogenproblem. Nicki, frühreif und ein Opfer der Gehirnwäsche der Wald & Wiesen-Religion ihrer Mutter. „Ich sehe das als wichtige Lektion, die mir helfen wird ein besserer Mensch zu werden. Ich möchte einmal eine Nation anführen.“ - plappert Nicky begeistert in die TV-Kameras, nachdem der „Bling Ring“ ausgehoben wurde. Kameras sind hier überall dabei. Die Web-Cams und Smartphones der Kids, die Überwachungskameras der überfallenen Häuser, die TV-Kameras der Medien, welche die Story begeistert fressen. Nicht zuletzt: Die Kameras des Drehteams (Sofia Coppola drehte zum ersten Mal mit digitaler Technik). Alles wird ständig durch diverse Medien und Aufnahmegeräte registriert, gefiltert und gespiegelt. Realität ist hier eine Frage der Definition. Realität wird zum Konzept, das die Teenager in THE BLING RING radikal zur Disposition stellen.
Unter normalen Umständen (Was sind normale Umstände?) hätte irgendetwas die Kids aufgehalten. Wenn schon nicht das Gefühl für richtig und falsch, dann doch wenigstens eine abgeschlossene Tür. Aber wie schon geschrieben: Paris Hilton lagerte einen Hausschlüssel unter der Fußmatte. Wer will von konsumhungrigen, missachteten, im Wortsinne medial verstrahlten Teenagern ernsthaft erwarten, das sie den Schlüssel brav zurücklegen und mit leeren Händen nach Hause gehen? Eben. Der Rest der Geschichte stand in einem People-Magazin.
Flüchtiges Glück
Vier Jahre Gefängnis lautete letztendlich das Urteil für die beiden Hauptverdächtigen des „Bling Ring“. Gefängnis ist eine ziemlich krasse Form von Realität. Sofia Coppola lässt daran keinen Zweifel. Sie postiert irgendwann im Film (wieder so ein Schlüsselmoment), wenn Marc in Gefängnis-Orange im Gefängnis-Bus sitzt, die Kamera vor seinem Gesicht. Wir sehen einen Jungen, noch keinen jungen Mann, der schier nicht zu begreifen scheint, was dort gerade passiert ist. Vielleicht wird er es auch nie verstehen. Viel früher in der Geschichte, wenn die Bande die neuesten Errungenschaften aus dem Kleiderschrank von Paris Hilton in der Disco vorführt, zeigt Coppola die Gruppe, wie sie sich leidenschaftlich in Pose setzt und mit ihren Smartphones fotografiert. Sie sind glücklich. Wir beobachten eine Generation, die jeden Moment der Freude zwanghaft festhalten muss. Ganz so, als ob ihre tristen Leben, ihre oberflächlichen Elternhäuser sie dazu treiben würden, jeden realen Moment des Glücks einzufangen.
THE BLING RING lässt einen ratlos zurück. Dieser Film ist furchtbar unausgewogen. Musikvideo-Ästhetik und hohe Dezibelstärken laufen zu einem audiovisuellen Geflitter zusammen, das nicht zu jenen Sequenzen passen will, in denen sich plötzlich Momente von Nähe und frappierender Nachdenklichkeit auf der Leinwand einstellen. Doch diese Momente sind eben auch nur das: Kurze Momente. Ansonsten schreit es einen hier allenthalben an, will einen überwältigen mit Coolness und Style, mit Schnelligkeit und Koketterie. Das bringt diesen Film zum Scheitern. Trotzdem bleibt etwas zurück, wenn man das Kino verlässt. Es ist nicht unbedingt der Film, sondern eher das Interesse für die wirklichen Protagonisten des „Bling Ring“. Man fragt sich, wer diese Teenager waren? Und was sie dazu getrieben hat, ihre eigene Zukunft für einen Bummel im Kleiderschrank von Paris Hilton aufs Spiel zu setzen? Sofia Coppolas THE BLING RING führt seine Zuschauer letztendlich auch nur zum Ausgangspunkt der Geschichte: The Suspects Wore Louboutins.
THE BLING RING
USA 2013
90 Minuten
Regie, Drehbuch: Sofia Coppola
Vorlage: Nancy Jo Sales
Produktion: Roman Coppola, Sofia Coppola, Youree Henley
Kamera: Harris Savides, Christopher Blauvelt
Schnitt: Sarah Flack
Musik: Brian Reitzell
Darsteller: Katie Chang, Israel Broussard, Emma Watson, Claire Julien
Verleih: Tobis
(c) Bildmaterial: Tobis Filmverleih 2013