Berlinale 2017: Bulletin (1): DAYVEON
Alles ist blöd, der Himmel, die Sonne, die Bäume, die Straße, sein Fahrrad, die Straße, er. Dayveon ist wütend. Warum? Das wissen wir nicht. Wir folgen ihm nur auf seinem BMX-Fahrrad, wie er eine hügelige, verschlungene Straße entlang fährt, fluchend. An beiden Seiten wir die Straße dicht gesäumt von hohen Bäumen, nur ab und zu wechselt sich ein Grundstück mit einem unscheinbaren Haus drauf ab. Eine idyllische Gegend. Schnitt.
„Day Day“ – Dayveons Spitzname – „Day Day, dein Bruder wurde erschossen. “ Dayveon erinnert sich an jenen Moment als ihn die Nachricht erreichte. Dayveon war fast noch ein Kind, jetzt ist er ein junger Teenager. Das nicht genug, er ist auch noch schwarz und lebt in einem gottverlassenen, ländlichen Flecken von Arkansas, USA. Es ist Sommer, das üppige Grün der Umgebung dominiert alles, viel zu tun gibt es für Dayveon nicht – außer vielleicht seinen noch unförmigen Teenager-Körper irgendwie in Form zu bringen. Und den Rasen mähen, Fahrrad fahren, Müll raus bringen.
Dayveon lebt zusammen mit seiner großen Schwester, deren Kind und Freund in einem ärmlichen und kleinen Haus. Wo die Eltern sind, bleibt irgendwie unklar. Aber immerhin, ein Zuhause. Mit dem Freund seiner Schwester kommt er gut klar. Sehr gut sogar. Sie haben gemeinsame Geheimnisse, Dinge, von denen Dayveons Schwester besser nichts erfahren soll – „Don’t tell Kim.“
Im Wohnzimmer des Hauses hängt ein Plakat, darauf eine kitschige stilisierte Abbildung von Dayveons Bruder – zur Erinnerung. Day Day steht oft davor. Oder er guckt sich die Fotos seines Bruders auf dessen altem Facebook-Account an. Der Schmerz dieses Kerls scheint endlos. Sein Bruder war Mitglied der „Bloods“, einer örtlichen Jugendgang. Als solches Gangmitglied wurde er auch erschossen. Ein weiteres, ungezähltes Opfer von Gangkriminalität in den USA. Aber soweit denken nur wir als Zuschauer, Dayveon selbst will seinem Bruder nacheifern und in die Gang aufgenommen werden. Oder will er seinem Bruder bloß näher sein – irgendwie?
Bis auf die Unterhose
Die „Bloods“, sie würden ihn tatsächlich aufnehmen, ihn, der soviel jünger ist – 13, kein Alter, um in einer Gang abzuhängen. Eigentlich. Vor der Aufnahme muss sich Day Day erst verprügeln und bis auf die Unterhose ausziehen lassen, als Ritual sozusagen. Er lässt es über sich ergehen, Hauptsache, dabei.
Als Dayveon dem Freund seiner Mutter auch dieses Geheimnis anvertraut, rastet der aus. Die „Bloods“ – ausgerechnet jene Gang, in der sein Bruder umgekommen ist. Die Kamera klebt dabei förmlich an den Köpfen der beiden, wie sie da in der schäbigen Küche an einem wackeligen Tisch hocken, Dayveon, der die Aufregung des Erwachsenen nicht verstehen will.
Überhaupt weilt die Kamera nur allzugern auf den Gesichtern der Figuren, studiert sie, beobachtet sie, wie sie im Moment des Geschehens sich selbst erst einmal einen Reim darauf machen müssen, was gerade passiert. Nie sind wir gedanklich schon weiter als die Protagonisten selbst. Wir bleiben an ihre Wahrnehmung gefesselt, unsere Erwartungshaltungen als Zuschauer laufen ins Leere. Meistens.
In einer abgegriffenen Schuhschachtel unter dem Bett bewahrt Day Day Erinnerungen an seinen Bruder auf – und dessen Schußwaffe. Er ist Dreizehn, er hat eine Waffe, ist Mitglied einer Gang und ist nur allzu sehr verführbar durch die Ansage der Gangmitglieder, die sich nun um ihn kümmern und ihm alles beibringen wollen.
Bienen überall
Kim, seine Schwester, die dem ganzen Spuk ein Ende bereiten könnte, sie weiß von all dem nichts. Sie ist derweil froh, endlich einen neuen Job ergattern zu können. Denn, auch das gehört zur Realität in dieser Gegend: eine ehrliche Arbeit ist nur den Wenigsten vergönnt.
„Wir haben kein süßes Leben, wir kämpfen.“ – dies sagt einer der „Bloods“ in einem gleichermaßen niedergeschlagenen wie zugekifften Moment. Was für diesen Typen gilt, gilt für Dayveon sowieso. Weniger, weil er ein dreizehnjähriger Teenager ist, sondern weil ihn Albträume von seinem toten Bruder heimsuchen.
Filmemacher Amman Abbasi fesselt mit nahezu spielerischer Leichtigkeit unsere Aufmerksamkeit an diesen jungen Kerl. Was passiert mit ihm, kann er sich den sich dem Griff der Gang wieder entwinden? Kann Kim im letzten Moment doch noch alles zum Guten wenden? Oder geht alles schief? Und was haben eigentlich die Bienen die ganze Zeit im Bild zu suchen?
Kameramann Dustin Lane findet für diese Erzählung farbgesättigte und atmosphärisch dichte Bilder. Ohne sich dabei in pathetischen Posen zu verfangen, die die wachsende Dramatik der Geschichte nahelegen könnte. Ganz im Gegenteil, diese Bildwelten strahlen Wärme und Initimtät aus, manchmal driften sie ab ins Traumwandlerische – oder, so könnte man es auch lesen, in eine vorweggenommene Erinnerung an einen Dreizehnjährigen, der seinem Bruder darin nachfolgte ein weiteres Opfer sinnloser Gewalt zu werden. Doch da gibt es ja noch Kims Freund, der Dayveons Geheimnisse kennt. Ein Glück, so wie dieser Film.
DAYVEON | USA 2017 | Amman Abbasi | 75' | FORUM
Dayveon ( Devin Blackmon) / (c) Berlinale 2017 |
Dayveon lebt zusammen mit seiner großen Schwester, deren Kind und Freund in einem ärmlichen und kleinen Haus. Wo die Eltern sind, bleibt irgendwie unklar. Aber immerhin, ein Zuhause. Mit dem Freund seiner Schwester kommt er gut klar. Sehr gut sogar. Sie haben gemeinsame Geheimnisse, Dinge, von denen Dayveons Schwester besser nichts erfahren soll – „Don’t tell Kim.“
Im Wohnzimmer des Hauses hängt ein Plakat, darauf eine kitschige stilisierte Abbildung von Dayveons Bruder – zur Erinnerung. Day Day steht oft davor. Oder er guckt sich die Fotos seines Bruders auf dessen altem Facebook-Account an. Der Schmerz dieses Kerls scheint endlos. Sein Bruder war Mitglied der „Bloods“, einer örtlichen Jugendgang. Als solches Gangmitglied wurde er auch erschossen. Ein weiteres, ungezähltes Opfer von Gangkriminalität in den USA. Aber soweit denken nur wir als Zuschauer, Dayveon selbst will seinem Bruder nacheifern und in die Gang aufgenommen werden. Oder will er seinem Bruder bloß näher sein – irgendwie?
Bis auf die Unterhose
Die „Bloods“, sie würden ihn tatsächlich aufnehmen, ihn, der soviel jünger ist – 13, kein Alter, um in einer Gang abzuhängen. Eigentlich. Vor der Aufnahme muss sich Day Day erst verprügeln und bis auf die Unterhose ausziehen lassen, als Ritual sozusagen. Er lässt es über sich ergehen, Hauptsache, dabei.
Als Dayveon dem Freund seiner Mutter auch dieses Geheimnis anvertraut, rastet der aus. Die „Bloods“ – ausgerechnet jene Gang, in der sein Bruder umgekommen ist. Die Kamera klebt dabei förmlich an den Köpfen der beiden, wie sie da in der schäbigen Küche an einem wackeligen Tisch hocken, Dayveon, der die Aufregung des Erwachsenen nicht verstehen will.
Überhaupt weilt die Kamera nur allzugern auf den Gesichtern der Figuren, studiert sie, beobachtet sie, wie sie im Moment des Geschehens sich selbst erst einmal einen Reim darauf machen müssen, was gerade passiert. Nie sind wir gedanklich schon weiter als die Protagonisten selbst. Wir bleiben an ihre Wahrnehmung gefesselt, unsere Erwartungshaltungen als Zuschauer laufen ins Leere. Meistens.
In einer abgegriffenen Schuhschachtel unter dem Bett bewahrt Day Day Erinnerungen an seinen Bruder auf – und dessen Schußwaffe. Er ist Dreizehn, er hat eine Waffe, ist Mitglied einer Gang und ist nur allzu sehr verführbar durch die Ansage der Gangmitglieder, die sich nun um ihn kümmern und ihm alles beibringen wollen.
Bienen überall
Kim, seine Schwester, die dem ganzen Spuk ein Ende bereiten könnte, sie weiß von all dem nichts. Sie ist derweil froh, endlich einen neuen Job ergattern zu können. Denn, auch das gehört zur Realität in dieser Gegend: eine ehrliche Arbeit ist nur den Wenigsten vergönnt.
„Wir haben kein süßes Leben, wir kämpfen.“ – dies sagt einer der „Bloods“ in einem gleichermaßen niedergeschlagenen wie zugekifften Moment. Was für diesen Typen gilt, gilt für Dayveon sowieso. Weniger, weil er ein dreizehnjähriger Teenager ist, sondern weil ihn Albträume von seinem toten Bruder heimsuchen.
Filmemacher Amman Abbasi fesselt mit nahezu spielerischer Leichtigkeit unsere Aufmerksamkeit an diesen jungen Kerl. Was passiert mit ihm, kann er sich den sich dem Griff der Gang wieder entwinden? Kann Kim im letzten Moment doch noch alles zum Guten wenden? Oder geht alles schief? Und was haben eigentlich die Bienen die ganze Zeit im Bild zu suchen?
Kameramann Dustin Lane findet für diese Erzählung farbgesättigte und atmosphärisch dichte Bilder. Ohne sich dabei in pathetischen Posen zu verfangen, die die wachsende Dramatik der Geschichte nahelegen könnte. Ganz im Gegenteil, diese Bildwelten strahlen Wärme und Initimtät aus, manchmal driften sie ab ins Traumwandlerische – oder, so könnte man es auch lesen, in eine vorweggenommene Erinnerung an einen Dreizehnjährigen, der seinem Bruder darin nachfolgte ein weiteres Opfer sinnloser Gewalt zu werden. Doch da gibt es ja noch Kims Freund, der Dayveons Geheimnisse kennt. Ein Glück, so wie dieser Film.
DAYVEON | USA 2017 | Amman Abbasi | 75' | FORUM