Berlinale 2017: Bulletin (7) – Panorama-Mix 3: DENK ICH AN DEUTSCHLAND... | BONES OF CONTENTION | MEIN WUNDERBARES WEST-BERLIN
Ein kleiner Raum, zugestellt mit Tontechnik bis unter die Zimmerdecke, es mutet eher an wie eine wilde Ansammlung von Elektroschrott, denn wie ein Ort zum Arbeiten. Mitten in diesem Chaos sitzt der DJ Ricardo Villalobos. Für ihn ist es ein Refugium, in dem er neue Sounds entdeckt oder selber kreiert: DENK ICH AN DEUTSCHLAND IN DER NACHT – Heinrich Heine ist in seinem gleichnamigen Gedicht noch um den Schlaf gebracht, ob seines Sinnierens über Deutschland (und seine Mutter).
Die ProtagonistInnen in Romuald Karmakars Dokumentation arbeiten hingegen dafür, dass Menschen in Deutschland und weltweit möglichst überhaupt nicht müde werden, sondern ekstatisch die Nacht durchmachen. Karmakar präsentiert uns die DJs Ricardo Villalobos, Sonja Moonear, Roman Flügel, Ata und Move D. Vor seiner Kamera denken sie über ihre eigene Arbeit nach, über das Leben als DJ im Allgemeinen, über die Entwicklung und Bedeutung elektronischer Musik, über das Verhältnis von Religionen zu Ekstase und Musik – und über die Möglichkeiten und Grenzen von Klubkultur in Zeiten von Terror.
Gleichwohl elektronische Tanzmusik hier das Sujet ist, gestaltet Karmakar, der bereits 2003 eine Arbeit über die Berliner Love-Parade und 2009 ein Porträt über Ricardo Villalobos vorlegte, seine dokumentarische Arbeit auffallend ruhig und zurückgenommen – quasi im Kontrast zu jener aufgereizten Welt, in der sich seine ProtagonistInnen bewegen. DENK ICH AN DEUTSCHLAND IN DER NACHT entwickelt sich zu einer konzentrierten Meditation über die Kunst, eine Nacht lang Gefühle zu steuern.
Die Kunst dokumentarischen Erzählens liegt in der Reduktion – Reduktion der Story, die man erzählen will, auf ihren wirklichen Kern. Und Reduktion der erzählerischen Mittel. Das Gegenteil von Reduktion sehen wir in BONES OF CONTENTION. Erzählt werden hier eigentlich mehrere Geschichten zugleich: der Aufstieg und Fall des Franco-Regimes in Spanien, der Massenmord dieses Regimes an seinen Feinden, der Umgang mit Frauen und nicht-heterosexuellen Menschen im Franco-Faschismus, die Ermordung des Schriftstellers Gabriel Garcia Lorca durch das Regime und der Prozess der Aufarbeitung der Gräueltaten unter Franco. In diesem Film findet sich Stoff für ein Dutzend Filme. Leider kam die US-Filmemacherin Andrea Weiss auf die fatale Idee, all diese Aspekte in einer Dokumentation unterbringen zu wollen. Und scheitert damit kläglich. Keinem der Gesichtspunkte wird ihr Film BONES OF CONTENTION ansatzweise gerecht. Waren wir eben noch beim spanischen Bürgerkrieg sind wir plötzlich beim Liebesleben Federico García Lorcas. Im nächsten Moment berichtet ein Aktivist von der schwierigen Arbeit, die Massengräber der Franko-Opfer ausfindig zu machen und diese zu exhumieren. Dazwischen, irgendwo, kommen Schwule und Lesben zu Wort, die auf unterschiedlichste Weise durch die Faschisten gequält wurden. Und plötzlich befinden wir uns in einer Debatte über Erinnerungskultur und Aufarbeitung. Dazwischen liest eine erhabene Stimme Gedichte von Federico García Lorca vor, unterstützt von Texttafeln mit kitschiger Typografie. Es ist – leider – total absurd und BONES OF CONTENTION ein Paradebeispiel dafür, wie man eine dokumentarische Erzählung besser nicht vornehmen sollte.
Beschaut man sich den Zustand des Schöneberger Homo-Kiezes heutzutage, kommt einem nur ein Wort in den Sinn: Tristesse. Wie anders, wie toll muss es damals gewesen sein. Damals, das ist, wie wir in Jochen Hicks Dokumentation MEIN WUNDERBARES WEST-BERLIN lernen können, ein ziemlich ungenauer Begriff. Denn das nicht-heterosexuelle Westberlin kannte in keinem der Jahrzehnte nach dem Mauerbau Kontinuitäten. Waren die 1960er noch geprägt von Verstecken und Heimlichtuerei aus Angst vor staatliche Verfolgung (§ 175), wuchs in den 1970ern und mit atemberaubendem Tempo eine neue schwul-lesbische Welt zwischen Kreuzberg und Schöneberg heran, die gleichermaßen politisch, feierfreudig und latent aufgegeilt war. In den 80ern kollabierte jene Welt ob des Ausbruchs von AIDS. Sprichwörtliche Todesangst und Siechtum übernahmen das Regiment. Schließlich kam das Jahr 1989 und die Welt änderte sich für die kleine Homo-Insel Westberlin schon wieder grundlegend. MEIN WUNDERBARES WEST-BERLIN ist ein zwiespältiges Werk, wie eigentlich fast alle Filme von Jochen Hick. Einerseits zeigt sich dieser Film als ein Füllhorn von Geschichte und Geschichten, andererseits findet Hick auch diesmal keine überzeugende formale Entsprechung für sein Thema. Erneut werden Menschen, Bilder und Emotionen relativ uninspiriert zusammengeklebt. Im Jahr 2017 muss da mehr kommen, denn es besteht schließlich kein Zweifel daran, dass nicht-heterosexuelle Geschichte unbedingt erzählt gehört. Aber diese Erkenntnis allein ergibt noch lange keine dokumentarische Arbeit, die dem Ort Kino auch gerecht wird.
(c) Foto: Arden Film |
Die ProtagonistInnen in Romuald Karmakars Dokumentation arbeiten hingegen dafür, dass Menschen in Deutschland und weltweit möglichst überhaupt nicht müde werden, sondern ekstatisch die Nacht durchmachen. Karmakar präsentiert uns die DJs Ricardo Villalobos, Sonja Moonear, Roman Flügel, Ata und Move D. Vor seiner Kamera denken sie über ihre eigene Arbeit nach, über das Leben als DJ im Allgemeinen, über die Entwicklung und Bedeutung elektronischer Musik, über das Verhältnis von Religionen zu Ekstase und Musik – und über die Möglichkeiten und Grenzen von Klubkultur in Zeiten von Terror.
Gleichwohl elektronische Tanzmusik hier das Sujet ist, gestaltet Karmakar, der bereits 2003 eine Arbeit über die Berliner Love-Parade und 2009 ein Porträt über Ricardo Villalobos vorlegte, seine dokumentarische Arbeit auffallend ruhig und zurückgenommen – quasi im Kontrast zu jener aufgereizten Welt, in der sich seine ProtagonistInnen bewegen. DENK ICH AN DEUTSCHLAND IN DER NACHT entwickelt sich zu einer konzentrierten Meditation über die Kunst, eine Nacht lang Gefühle zu steuern.
Die Kunst dokumentarischen Erzählens liegt in der Reduktion – Reduktion der Story, die man erzählen will, auf ihren wirklichen Kern. Und Reduktion der erzählerischen Mittel. Das Gegenteil von Reduktion sehen wir in BONES OF CONTENTION. Erzählt werden hier eigentlich mehrere Geschichten zugleich: der Aufstieg und Fall des Franco-Regimes in Spanien, der Massenmord dieses Regimes an seinen Feinden, der Umgang mit Frauen und nicht-heterosexuellen Menschen im Franco-Faschismus, die Ermordung des Schriftstellers Gabriel Garcia Lorca durch das Regime und der Prozess der Aufarbeitung der Gräueltaten unter Franco. In diesem Film findet sich Stoff für ein Dutzend Filme. Leider kam die US-Filmemacherin Andrea Weiss auf die fatale Idee, all diese Aspekte in einer Dokumentation unterbringen zu wollen. Und scheitert damit kläglich. Keinem der Gesichtspunkte wird ihr Film BONES OF CONTENTION ansatzweise gerecht. Waren wir eben noch beim spanischen Bürgerkrieg sind wir plötzlich beim Liebesleben Federico García Lorcas. Im nächsten Moment berichtet ein Aktivist von der schwierigen Arbeit, die Massengräber der Franko-Opfer ausfindig zu machen und diese zu exhumieren. Dazwischen, irgendwo, kommen Schwule und Lesben zu Wort, die auf unterschiedlichste Weise durch die Faschisten gequält wurden. Und plötzlich befinden wir uns in einer Debatte über Erinnerungskultur und Aufarbeitung. Dazwischen liest eine erhabene Stimme Gedichte von Federico García Lorca vor, unterstützt von Texttafeln mit kitschiger Typografie. Es ist – leider – total absurd und BONES OF CONTENTION ein Paradebeispiel dafür, wie man eine dokumentarische Erzählung besser nicht vornehmen sollte.
Beschaut man sich den Zustand des Schöneberger Homo-Kiezes heutzutage, kommt einem nur ein Wort in den Sinn: Tristesse. Wie anders, wie toll muss es damals gewesen sein. Damals, das ist, wie wir in Jochen Hicks Dokumentation MEIN WUNDERBARES WEST-BERLIN lernen können, ein ziemlich ungenauer Begriff. Denn das nicht-heterosexuelle Westberlin kannte in keinem der Jahrzehnte nach dem Mauerbau Kontinuitäten. Waren die 1960er noch geprägt von Verstecken und Heimlichtuerei aus Angst vor staatliche Verfolgung (§ 175), wuchs in den 1970ern und mit atemberaubendem Tempo eine neue schwul-lesbische Welt zwischen Kreuzberg und Schöneberg heran, die gleichermaßen politisch, feierfreudig und latent aufgegeilt war. In den 80ern kollabierte jene Welt ob des Ausbruchs von AIDS. Sprichwörtliche Todesangst und Siechtum übernahmen das Regiment. Schließlich kam das Jahr 1989 und die Welt änderte sich für die kleine Homo-Insel Westberlin schon wieder grundlegend. MEIN WUNDERBARES WEST-BERLIN ist ein zwiespältiges Werk, wie eigentlich fast alle Filme von Jochen Hick. Einerseits zeigt sich dieser Film als ein Füllhorn von Geschichte und Geschichten, andererseits findet Hick auch diesmal keine überzeugende formale Entsprechung für sein Thema. Erneut werden Menschen, Bilder und Emotionen relativ uninspiriert zusammengeklebt. Im Jahr 2017 muss da mehr kommen, denn es besteht schließlich kein Zweifel daran, dass nicht-heterosexuelle Geschichte unbedingt erzählt gehört. Aber diese Erkenntnis allein ergibt noch lange keine dokumentarische Arbeit, die dem Ort Kino auch gerecht wird.