Pornfilmfestival Berlin 2022 als Dauerliveblog: How to unlearn the male gaze?

31. Oktober 2022, 19:00 Uhr, Stream

Das Pornfilmfestival Berlin 2022 in seiner Kinofassung ist vorbei, wenn auch das Kreuzberger Kino Moviemento ausgewählte Programme und Filme nocheinmal wiederholt. Ein Kind der Pandemie und wahrscheinlich gekommen und zu bleiben ist indes das digitale Pornfilmfestival im Stream.

Bis 14. November 2022 präsentiert das Festival große Teile seines Kurzfilmprogramms beim unabhängigen pornografischen Streaminganbieter Pink Label aus San Francisco (die restriktive Jugendschutzgesetzgebung hierzulande verunmöglicht dem Festival ein eigenständiges Streamingangebot).

Die Verbindung zu Pink Label ist keine Zufällige. Pink-Label-Gründerin Shine Louise Houston kam die Idee zur Plattform bei Besuchen auf dem Berliner Pornfilmfestival, wo sie selber Arbeiten präsentierte. 2012 ging die Seite online und ermöglicht seither unabhängigen, sexpositiven Filmemacher:innen ihre Arbeiten einem weltweiten Publikum zugänglich zu machen. Auch weil Pink Label den Großteil der Einnahmen direkt an die Filmemacher:innen weiterleitet. Fair Porn sozusagen.

Der Festivalpass für den digitalen Festivaljahrgang 2022 kostet umgerechnet rund 23 Euro: https://pffb.pinklabel.tv


30. Oktober 2022, 20:45 Uhr, How to unlearn the male gaze in Porn? 

Es mag sehr wahrscheinlich vor allem mit (absolut legitimen) festivalwirtschaftlichen Erwägungen zusammenhängen, dass Filme wie THE LISTENER als Abschlussfilm und damit in drei Kinosälen zugleich programmiert werden, auf dem Premiumspot sozusagen. Das Werk wurde unter dem Label LustCinema vom Porno-Studio Erika Lust (s. auch „Spermaabtropfbretter“) produziert. Das Studio co-sponserte die in diesem Jahr erstmals stattfindende Branchen-Veranstaltungsreihe „Adult Industrie Only“ des Pornfilmfestivals und Erika Lust selber gehörte in diesem Jahr der Jury des Kurzfilmwettbewerbs an. Mensch muss deshalb trotzdem kein gutes Haar an dieser Arbeit lassen.

THE LISTENER ist eine Art Grusel-Krimikomödie, bei der eine junge Frau in ein altes Haus zieht und rätselhafte Stimmen aus dem Haus hört sobald sich selber befriedigen will. Irgendwann wird sie dabei Ohrenzeugin eines Mordes. Eine Genre-Erzählung also, die tatsächlich gruselig ist, allerdings aus den falschen Gründen. Wie schon bei THE AFFAIRS OF LIDIA haben wir es hier mit vor allem visueller Regression zu tun. Gleichwohl gedreht von der Filmemacherin Lidia Ravviso, die damit ihr Langspieldebüt vorlegte, ist THE LISTENER tief verankert in den Topoi des patriarchalen Porno-Normcore. Kurz: des Male Gaze. Die Bilder in dieser Arbeit, sie installieren den weiblichen Körper als ausbeutbares Objekt. Selbst die diversen lesbischen Paarungen und die darin involvierten Körper werden defakto gänzlich für den Penis zurechtgemacht und inszeniert.

Still aus THE LISTENER | (c) Bild: Lidia Ravviso/Lust Cinema/Erika Lust
 
Aber niemand braucht einen „sexpositiven“ Porno, in welchem die visuelle Ausbeutung des weiblichen Körpers ungebrochen fortgeschrieben wird. Das Abreißen fest gefügter Porno-Produktionsstrukturen zugunsten einer inklusiveren und diverseren Industrie vor und hinter der Kamera, ist ohne Frage richtig und zentral für die Zukunft der Pornografie. Doch sie darf eben dort nicht stehen bleiben. Es muss auch darum gehen, den toxischen Male Gaze zu verlernen und eine neue, aber nichtsdestotrotz wirtschaftlich wirkmächtige Bildsprache auch und gerade im Hetero-Porno zu entwickeln. 

Labels wie „Premium“ oder „Cinema“ ändern nichts an der Tatsache, dass die Bilderprodukte auch aus dem Hause Erika Lust aktuell nichts weiter als Hochglanz-Reenactments des menschenfeindlichen Mülls sind, wie er auf den zahllosen Portalen der Porno-Krake MindGeek zu finden ist. Es ist einigermaßen deprimierend daran im 17. Jahr des Pornfilmfestivals noch einmal erinnern zu müssen. Die sexpositive(re) Community war schon mal weiter.


30. Oktober 2022, 18:04 Uhr, L.A. Plays Itself

Aus den Archiven des MoMA geborgen und frisch digital restauriert, sind die Arbeiten des legendären schwulen Pornografen Fred Halsted endlich wieder für die Öffentlichkeit zugänglich. Der Salzgeber Filmverleih hat hierzulande die Distributionsrechte für die restaurierten Werke erworben und somit konnte das Pornfilmfestival an die großartige Zeit seiner früheren Retrospektiven wenigstens erinnern und mit den Arbeiten SEX GARAGE und L.A. PLAYS ITSELF einen weiteren legendären Filmemacher des Golden Age of Gay Porn der 1970er zur Erkundung anbieten. 

Still aus L.A. PLAYS ITSELF | Still aus L.A. PLAYS ITSELF | (c) Bild: Anus Films/Altered Innocence

Man(n) muss den Titel wörtlich nehmen in Fred Halsteds pornografisch-experimenteller Arbeit L.A. PLAYS ITSELF (nicht zu verwechseln mit LOS ANGELES PLAYS ITSELF von Thom Andersen von 2003, auch wenn es da durchaus Verbindungen gibt). Wir sehen Straßenansichten der Stadt und Landschaftsaufnahmen der umgebenden Berge, wir hören Geschichten von schwulen Stadtbewohnern und von neu Hinzugezogenen. Es geht um das schwule Leben in dieser Stadt und weit darüber hinaus. Und natürlich geht es auch um schwulen Sex.

Der Film teilt sich recht grob in zwei Teile auf. Die erste Hälfte erkundet mit faszinierenden und nahezu einzigartigen Naturaufnahmen die Flora und Fauna der Berge rund um Los Angeles. Fred Halsted pflegte in seinen Arbeiten ein Faible für besonders intensive Nah- und Detailaufnahmen. Die Natur schenkte ihm hierfür reichlich Motive und er machte sattsam davon gebrauch.

So sehen wir hier phasenweise mehr eine Naturdoku von teils sprachlos machender Schönheit, denn eine Erzählung schwuler Pornografie. Aber natürlich gibt es auch Schwänze zu sehen. Und was für welche! In die Schönheit der Natur integriert Fred Halsted die ganze Schönheit von schwulem Sex. Ähnlich wie bei Wakefield Poole ein Jahr früher und an der Ostküste, gibt es bei Fred Halsted ein immenses Gespür für Ästhetik und den Willen, schwule Sexualität in ihrer ganzen Pracht und mit ausgesuchten Bildern zu feiern. 

Schwuler Sex und Umweltaktivismus 

Eine Form der Inszenierung, die heute weitgehend verloren ist. Genauso übrigens wie die Landschaften die Fred Halsted als Location dienten, wovon dieser aber bereits damals kündete, wenn er den Bulldozer wortwörtlich in sein filmisches Naturidyll einbrechen ließ und dokumentierte, wie die gefräßige Stadt sich allmählich ihre Umgebung Untertan machte und dafür defakto Berge versetze. Schwuler Sex mit Umweltaktivismus inklusive. 

Ähnlich brutal wie die Umweltzerstörung ist auch der Schnitt in die zweite Hälfte von L.A. PLAYS ITSELF, jedenfalls im Kontex der ansonsten sehr ausgeklügelten und gleichermaßen verspielten Montagetechnik, mit der Halsted für gewöhnlich operierte und die Handlung in Parallelmontagen von zwei und mehr Erzählsträngen auflöste. 

Diese Technik behält er auch in der zweiten Hälfte bei, doch der Weg dorthin ist ein harter Cut, der uns für einen Moment die Orientierung in diesem Film nimmt. Wir lernen jedoch schnell, auch dies hat Methode. Aus dem Off hören wir die Geschichte eines jungen Mannes aus Texas, der frisch angekommen und orientierungslos in der Stadt ist. Er trifft einen anderen Mann, der ihn vor anderen Männern warnt, welche ihn ganz schnell „über den Tisch ziehen“ würden. Er bietet dem Jungen seine Hilfe an, um einen Job zu finden, damit er sich ein Auto kaufen kann, denn ohne Auto ist man in Los Angeles verloren. 

Still aus L.A. PLAYS ITSELF | (c) Bild: Anus Films/Altered Innocence

Das Bild auf der Leinwand erzählt derweil eine andere Geschichte. Hier sehen wir zwar einen jungen Blondschopf vor der Kamera, doch der verstrickt sich Stück für Stück in eine heftige und reichlich abgründige BDSM-Erfahrung. Schwuler Sex in seinen rohen, im Grunde sadistischen Momenten. Die Verbindung zur Erzählung auf der Tonspur ist naheliegend, aber auch nicht mehr. Inexplizit. Was gehört hier wo hin, welcher Erzählung soll man folgen? Wie passen Bild und Ton zueinander?

Halsted spiel mit uns und unserer Erwartung an eine durchgehende und Bild-Ton-synchrone Narration. Er entzieht uns den Boden, fickt uns als Zuschauer. Genauso wie die Stadt Los Angeles ihre Bewohner fickt, bis heute. Und heute wie damals sind bedenkliches Risiko und verheißungsvolle Chance gleichermaßen 50/50, dass man(n) am Ende mit der Faust im Arsch endet. L.A. plays itself.

PS: Die frisch digital restaurierten Arbeiten von Fred Halsted aus dem Archiv des MoMA, werden vom nicht-heterosexuellen Filmverleih Altered Innocence aus L.A. unter dessen Sublabel Anus Films vertrieben. Dass die Wort- und Bildmarken von Anus Films frappierend der Marke von Janus Films gleichen, dürfte Absicht sein. Janus Films feiert sich dafür, seit Jahrzehnten Filme des Weltkino-Filmkanons für den US-amerikanischen Markt zu sichern, zu archivieren und zu restaurieren. Arbeiten von Antonioni, Bergman, Fellini, Kurosawa, Varda und auch Truffaut stehen im Katalog von Janus Films. Fred Halsted steht dort nicht drin. Ein Fehler. Mit Anus Films wurde er korrigiert, zum Glück.


30. Oktober 2022, 03:00 Uhr, Spermaabtropfbretter

Wenn das angeblich sexpositive Studio Erika Lust selbst Bruce La Bruce die Subversivität, Radikalität und Sexpositivität austreibt: Die pornografische Spielfilmklamotte THE AFFAIRS OF LIDIA ist pure Regression. Ist in den Bildern heteronormativer Pornorevanchismus. Die Frauen haben die Löcher, die unentwegt hinhalten, ihre Orgasmen wirken so unsäglich fake, ihre Körper sind kaum mehr als Spermaabtropfbretter für die großen Schwänze.

Still aus THE AFFAIRS OF LIDIA | (c) Bild: Bruce LaBruce/Lust Cinema

Derweil werden die Schwulen und die (Quoten-)Trans*Person zur Staffage und zum Running-Gag der Erzählung degradiert. Dazwischen das eitle Product-Placement von Bruce La Bruce' pseudopolitischen Handyhüllen und Nase-Mund-Masken.

THE AFFAIRS OF LIDIA ist ein Tiefpunkt im Werk von Bruce LaBruce. Und der finale Sargnagel für die seit langem schon fragwürdige Erzählung, dass Erika Lust ein sexpositives Pornostudio wäre.


29. Oktober 2022, 16:04 Uhr, Agency  

Es mutet erstaunlich an, dass die dokumentarische Arbeit RUA DOS ANJOS erst auf dem Pornfilmfestival Berlin 2022 ihre Deutschlandpremiere hatte. Eine Arbeit dieser Qualität hätte eigentlich schon in das Programm der diesjährigen Berlinale oder des Dok.Leipzig-Filmfestivals gehört. Schauspielerin und Filmemacherin Renata Ferraz erzählt hier gemeinsam mit der (inzwischen verstorbenen) Sexarbeiterin Maria Roxo von und über Roxos Leben. 

Ausgangspunkt ihrer Erzählung ist ein Plan: Maria bringt Renata bei wie Sexarbeit geht. Und Renata bringt Maria bei wie man Filme macht. RUA DOS ANJOS ist ihr kollaboratives Projekt. Ein Projekt auf Augenhöhe, das aber ausdrücklich auch interessengetrieben ist. Maria will ihre Geschichte dokumentiert wissen, eine Geschichte, die weit über Leben und Alltag einer Sexarbeiterin hinaus geht. Renata, die einst als Darstellerin eine Sexarbeiterin zu spielen hatte, sucht (wohl vor allem) nach Antworten für eine ehrliche und respektvolle Form der Repräsentation von Sexarbeiter:innen. 

Still aus RUA DOS ANJOS | (c) Bild: Maria Roxo, Renata Ferraz/Kintop

Es ist ein unkonventionelles Setting, welches wir in diesem Film vorfinden. Wir stehen in einem nahezu leergeräumten, dunklen Raum, scheinbar ein Film- oder TV-Studio. Die Beluchtung erfolgt nur punktuell und ausgerichtet auf die wenigen Requisiten in diesem Raum: Ein Bett mit Nachttisch, zwei Stühle und eine Art Netz-Tischdecke, die Bett und Stühle raumhoch voneinander trennt, auch wenn sie den Blick hindurch noch ermöglicht.

Wessen filmischen Blick sehen wir?

Wer steht hier wann auf welcher Seite dieses Raumtrenners, wieso – und mit welcher Absicht? Wessen filmischen Blick auf das Gegenüber sehen wir gerade? RUA DOS ANJOS hebt die gewöhnliche Ordnung dokumentarischen Filmemachens auf – hier  Filmemacher:in, dort Protagonist:in. Wer von den beiden Frauen gerade welche Rolle innehat verschwimmt mit der Zeit. Deutlich wird, Maria versteht das Filmhandwerk schneller als Renata die Arbeit mit der sexuellen Verführung. Aber um Schnelligkeit geht es hier nicht.  

Es geht um Menschen, um eine wahrhaftige Repräsentation dessen was sie sind, was sie zu der Person gemacht hat die sie sind. Und wie man dies für die Kamera umsetzt. Diese dokumentarische Arbeit ist daher auch ein Denkraum über das dokumentarische Arbeiten in sich, insbesondere wenn die Grenzen zwischen den Welten vor und hinter Kamera porös werden. Es wird intim in RUA DOS ANJOS, es wird schmerzhaft. Es wird extrem spannend für jene, die mit der portugiesischen (Kolonial-)Geschichte nicht vertraut sind. Denn die Sexarbeiterin Maria Roxo, das lernen wir – genauso unerwartet wie Filmemacherin Renata Ferraz es lernt – war Medizinstudentin, war gezwungene Kämpferin gegen die antikolonistische Befreiungsguerillia in der portugiesischen Kolonie Mozambik, war gebärende Mutter und zugleich Witwe wortwörtlich mitten im Wahnsinn des Krieges, war Flüchtling vor der portugiesischen Militärjunta, war Junkie, war ein Mensch mit HIV/AIDS – und eben, sie war bis zu ihrem Tod Sexarbeiterin.

Zuviel für ein Menschenleben? In jedem Fall. Zuviel für einen Dokumentarfilm? Sehr wahrscheinlich. Mensch muss RUA DOS ANJOS deshalb auch als ein Dokument des gelungenen Scheiterns betrachten. Gescheitert, leider, an der immensen Biografie der verstorbenen Maria Roxo, die nun selber nicht mehr Zeugnis ablegen kann obwohl es noch soviele Fragen gäbe. Gelungen, weil dieser Film Maria Roxos Erinnerung wachhält und dem Genre des Dokumentarfilms einen Spiegel vorhält. Weil er Frage nach der Position von Dokumentarfilmemacher:innen in ihren Arbeiten vor die Kamera zerrt – und zur Diskussion stellt, was Agency eigentlich wirklich bedeutet.

Wer behält das letzte Wort?

Dokumentarisches Arbeiten ist notwendigerweise daran interessiert auch jene Facetten einer Person wahrzunehmen und zu beleuchten, die diese vielleicht nicht ohne weiteres oder nur in einer bestimmten Weise präsentieren möchte. Es gibt einen genre-immanenten Konflikt zwischen der Person vor und der Person hinter der Kamera. Ein Konflikt, den man sehr vereinfacht auf eine Frage runterbrechen kann: Wer behält das letzte Wort? Protagonisten sind unzuverlässig und Dokumentarfilmemacher:innen kommen so gut wie immer mit einem vorgefertigten Gedanken und einer bestimmten Absicht zum Dreh. Wer bestimmt also, was letztendlich auf der Leinwand zu sehen ist? Wann hat ein:e Protagonist:in im Dokumentarfilm Agency über die eigene Erzählung? Und wann die Filmemacher:innen über die eigene Arbeit?

Zu keiner dieser Fragen wird RUA DOS ANJOS eine letztgültige Antwort liefern. Und doch ist die Arbeit von Renata Ferraz und Maria Roxo vielleicht einer der spannendsten Dokumentarfilme seit Jahren und ein Glücksfall für das Genre.


29. Oktober 2022, 13:12 Uhr, Fuck the Facism

Weder jetzt noch zukünftig auf Netflix, die „Political Docuporn Shortfim Series“ FUCK THE FACISM. Ein kollaboratives DYI-Projekt der pornografisch-dokumentarischen Aufarbeitung von und Abrechnung mit Europas Kolonlialverbrechen. Das Projekt ist seit einigen Jahren mit Folgen auf dem Pornfilmfestival vertreten. Darin ist jedoch soviel los, auch dieses Jahr wieder, dass es das Blog-Format sprengt. 

Insofern, machen Sie sich selber ein Bild: https://fuckthefascism.noblogs.org – O R G wie Orgy. Natürlich.


29. Oktober 2022, 00:43 Uhr, Sprache

Der Duden, das Standardwerk der deutschen Sprache, kennt den Begriff Pornfilmfestival nicht. Die Online-Textkontrolle, der Mentor, kann mit „Pornfilmfestival“ nichts anfangen.

Screenshot des Duden-Mentors – Bitte Schreibweise überprüfen

Dabei ist dieses Wort eigentlich eine besondere Truvalie: Ein Begriff aus dem englischen Sprachraum, eingebunden in einen Klassiker der deutschen Sprache, das zusammengesetzte Substantiv. Eine Wortorgie in drei Teilen und fünf Silben. Porn - Film - Fes - ti - val.

Gesellschaft prägt Sprache, Sprache prägt Gesellschaft. Wir leben in (westlichen) Gesellschaften, in denen digitale Fixpunkte unseres Alltags systematisch Sex und Pornographie verbannen. Für die „Content-Richtlinien“ und Algorithmen der Portale existiert menschlicher Sex nicht. Er ist verboten, selbst in schriftlicher Form. Eines der konstitutiven Elemente des Menschseins – ausradiert und unbekannt.


28. Oktober 2022, 16:43 Uhr, Der Terror gegen die Frauen

Es sind Kollisionen, wie sie nur ein Filmfestival zustande bringt, und mehr noch nur ein Festival wie das Pornfilmfestival Berlin mit seiner stets herausfordernden Kuratierung. Zwei dokumentarische Arbeiten waren am selben Tag im Programm zu sehen, deren zentrale Protagonistinnen beide an den Wunden zu tragen hatten und haben, die ihnen Missbrauch durch Männer riss.

In Beth B's Arbeit LYDIA LUNCH: THE WAR IS NEVER OVER begegnen wir der No-Wave-Ikone Lydia Lunch, die die Narben der Angriffe auf ihren Körper in Kindestagen bis heute wort- und stimmgewaltig auf die Bühne trägt. In MY NAME IS ANDREA von Pratibha Parmar tauchen wir ein in die Gedankenwelten der Feministin Andrea Dworkin, die über den Terror gegen ihren Körper zur Aktivistin wurde. Zwei Frauen, zwei Schicksale des Missbrauchs, zwei vollkommen unterschiedliche, ja geradezu entgegengesetzte Wege der Verarbeitung des Traumas. Wo Lydia Lunch, Jahrgang 1959, die Macht ihrer Gedanken, den Klang ihrer Stimme, die Energie ihres Körpers in der Musik als Instrument entdeckt, um daraus eine neue Form der Kunst zu schaffen, geht Andrea Dworkin, Jahrgang 1946, den Weg des unerbittlichen Aktivismus.

Lärm als Waffe

Laut – das sind beide Frauen. Lärm als Waffe gegen eine waffenstarrende Nation der Männer, in der kaum eine Minute vergeht, in welcher eine Frau nicht durch einen Mann misshandelt und/oder ermordet wird. Ihre Stimmen dröhnen auf den Bühnen, die sie sich nehmen. Sie ziehen die Publika in den Bann, die ihnen zuhören, die meisten freiwillig, nicht alle. Umso durchdringender ist dann ihr Vortrag. Zahlreiche Materialien in beiden dokumentarischen Arbeiten geben uns davon Zeugnis. Wohl dokumentiert sind diese Frauen auch, weil sie selber einen immensen Output produziert haben. Trotzdem war die Ausgangslage für die Filmemacherinnen völlig unterschiedlich. Pratibha Parmar konnte nur mit dem arbeiten, was Andrea Dworkin hinterlassen hat. Diese starb, mit nur 58 Jahren, bereits 2005.

Beth B. wiederum kann auf das Werk ihrer Protagonistin (und dessen Rezeption) zurückgreifen – und die Protagonistin direkt befragen, denn Lydia Lunch ist alive and kicking. Und sie gibt sich reichlich auskunftsfreudig vor der Kamera. Die Kamera von Beth B. scheint ihr nur eine weitere Bühne zu sein. Auf Bühnen zu sprechen, ist für die Spoken-Word-Königing deren Performances – das zeigen uns die Archivmaterialien in THE WAR IS NEVER OVER – selbst heute noch absolut frisch, antreibend und inhaltlich aktuell sind, ihr Element. Das Wort als Instrument, um Wut zu artikulieren, Protest zu üben, um die Gedanken der Zuschauenden anzureizen und die Gesellschaft in Schwingung zu bringen. Eine Gesellschaft der omnipräsenten Gewalt, wo der weibliche Körper unentwegt Gefahr läuft, angegriffen und versehrt zu werden. „Trauma is greedy“, sagt Lydia Lunch an einer Stelle. Traumatisierung amalgamiert das Leben umfassend.

Still aus KYDIA LUNCH: THE WAR IS NEVER OVER | (c) Bild: B Productions/Beth B.

Damit zurechtzukommen, eine Bewältigungsstrategie zu entwickeln, bleibt eine lebenslange Aufgabe, ein ewiger Krieg im Inneren, wie Lydia Lunch es beschreibt. THE WAR IS NEVER OVER gibt davon auf kluge Weise Auskunft. Beth B., wenn auch formal vielleicht etwas konventionell umgesetzt als schlichte Montage von Interviews und Archivalien, lässt ihrem Publikum Raum, um zu atmen und das Gehörte wie Gesehene im Kopf zu bearbeiten. Wir können Lydia Lunch und ihrem Krieg im Inneren wie im Außen näherkommen und eine Verbindung aufbauen. Respekt und Empathie für diese faszinierende und aber immer auch getrieben scheinende Frau entwickeln. Ganz anders MY NAME IS ANDREA von Pratibha Parmar.

Die Emotionen müssen sitzen

Pratibha Parmar scheint es hundertachtzigprozentig wissen zu wollen. Sie hat offenkundig eine eigene Mission. Und diese Mission scheint es zu sein, die Botschaften der Andrea Dworkin beinahe ungebrochen in die Jetztzeit hinein zu verstärken und Wirkung entfalten zu lassen. Ihre Wahl der Mittel gibt hiervon deutlich Auskunft. Nicht nur räumt sie dem vielgestaltigen Bewegt- und Audiomaterial über und mit Andrea Dworkin immens viel Raum ein, lässt also Andrea sprechen, denken – was bedeutet, ihrem oft appellativen und Prädigen-von-der-Kanzel-ähnlichen Vortrag ausgesetzt zu sein. 

Dieses Material steht dabei ohne eine irgendwie hinterfragende, wenigstens mit einer anderen Perspektive arbeitende Verortung. Zudem stellt Pratibha Parmar sicher, dass die Emotionen sitzen. Wo sie kein visuelles Material zur Verfügung hat, setzt sie auf Reenactment. Spielszenen bilden die Kindheit, die Jugendjahre und die schlimmsten Stunden von Andrea Dworkin nach. Als Mädchen wird sie im Kino angegriffen, als junge Erwachsene wird sie bei einer Demonstration verhaftet und anschließend im Polizeigewahrsam von Polizeiärzten schwer misshandelt. Später, in ihrer ersten Ehe, erfährt sie erneut heftige Gewalt durch ihren Ehemann. Die Bilder die uns dies näherbringen sollen, sind keine einfachen Skizzen, keine Abstraktionen. Es sind vollwertige Spielfilmszenen, die mit dem ausdrücklich breiten Pinsel auf die Leinwand kommen. Kurz: Es sind Bilder der Manipulation. Die Taten, welche Andrea Dworkin widerfuhren, so unerträglich sie es für eine Person allein schon sind, sie werden hier als Wirkmächtigskeitsverstärker visualisiert und vernutzt. Das Grauen, es soll im Kopf der Zuschauer einschlagen. Pratibha Parmar scheint Andrea Dworkins Worte allein nicht für ausreichend zu erachten. Sie will mehr.

Nur, wenn Dworkins mindestens fragwürdigen bis übergriffigen Positionen (bspw. zu Pornografie) etwas nicht gebraucht hätte, dann eine manipulative Verstärkung. Dabei sind Dworkins Gedankengänge an manchen Ecken nicht mal grundweg falsch, im Gegenteil. Dies schafft Pratibha Parmar durchaus herauszuarbeiten, es gibt in diesem Material mitunter tatsächlich Bedenkenswertes für heutige feministische Arbeit. Aber nicht durchgängig und umfassend. 

Still aus MY NAME IS ANDREA | (c) Bild:  Pratibha Parmar/Fork Films

Andrea Dworkins Thesen sind teilweise über 50 Jahre alt und entstammen einer schwerst traumatisierten und versehrten Person. Ihr Aktivismus war eine eigene Form der Bewältigung von Trauma. Ihr Weg, Agency über ihre Person zurückzuerlangen und den Einfluss der Täter auf ihr Leben und ihren Körper bestmöglich zu neutralisieren. Auch und gerade vor diesem Hintergrund benötigen ihre Ideen einer Auseinandersetzung mit Achtsamkeit und kritischer Reflexion. Respekt für die Position aus der sie sprach, aber nicht ungebrochenes Wiederkäuen des Gesprochenen. Achtsam und respektvoll ist Pratibha Parmars Arbeit weder gegenüber dem Publikum, noch gegenüber dem Schicksal von Andrea Dworkin. 

Sieht mensch LYDIA LUNCH: THE WAR IS NEVER OVER und MY NAME IS ANDREA im Vergleich wird exemplafrisch deutlich, wie Filmemacher:innen mit den Überlebenden von Angriffen auf die körperliche Unversehrtheit und deren Nachleben umgehen sollten – und wie nicht.


28. Oktober 2022, 11:23 Uhr, Puscle Mussy  

Wer ist Puscle Mussy? Nun, Puscle Mussy ist der Cum-Dump deiner Träume, der ultimative Arsch, voluminös, geschmeidig, wohltrainiert, es ist der Alpha unter den Ärschen, ein echter Alpha-Arsch, der dich und deinen Schwanz benutzen wird wie es ihm passt. Auf Twitter pflegt er seinen Harem an Männern, die sich ihm willig unterwerfen. (Hey Elon, wie wärs?) 

Wir lernen diesen Arsch und seinen Besitzer in der dokumentarisch-pornografisch-experimentellen Arbeit GODASSES (I) kennen. In drei Teilen porträtiert Filmemacher Emre Busse hier sehr unterschiedliche Sexarbeiter:innen, die Verbindung zu ihren Ärschen und in diesem Kontext vor allem die Verbindung zu schwulem Sex und schwuler Pornographie. 

Die Visualisität orientiert sich in allen drei Arbeiten an den Protagonisten. Im Fall des Alpha-Arschs Puscle Mussy sehen wir ihn vor schwarzem Hintergrund sitzen, im Zentrum des Bildes. Er trägt Leder-Korsagen, Lederarmbänder und Spitze, die obere Hälfte des Gesichts ist hinter einer Maske verborgen. Er trohnt – vor der Kamera, für die Kamera, vielleicht bedient die Kamera auch ihn und seinen Hunger nach Exhibitionierung. Er dominiert das Bild und den Blick.

Still aus PUSCLE MUSSY | (c) Bild: Emre Busse

Zwischen Puscle Mussys Ausführungen sind Sequenzen seiner pornographischen Arbeiten geschnitten – der Alpha-Arsch in freier Wildbahn. Diese Bilder strotzen vor Perfektionswillen und bedienen häufig die Ästhetik heterosexueller Hochglanz-Pornografie. Er ist damit sehr heutig. Schwule Pornografie, ja schwuler Sex als solcher, lebt in seinen Rollenaufstellungen und Bildern derzeit allerorten eine intensive Phase(?) der kommerziellen Mainstream-Heteroporno-Inszenierung. Dabei wird der Male-Gaze auf den weiblichen Körper, die Aufstellung der Frau als willige, alles machende Slut, als der Lust des Mannes ausschließlich dienendes Objekt übernommen, reinszeniert, nachgelebt. 

Je nach Standpunkt lässt sich diese Ästhetik als Highjacking und Queering von toxischer Hetenporno-Bildsprache lesen. Oder als Verlust. Ein Verlust eines originär schwulen Auges für die Inszenierung, für das Feiern des eigenen Sex, der eigenen Lust und wie sich sich in schwulen Körpern ausdrückt. Ein Verlust der Macht über das eigene Bild und die eigene Sprache. Stattdessen ein Abklatsch heteronormativer Toxizität. Puscle Mussy sind derlei Diskurse sehr wahrscheinlich sehr egal. Sein Arsch ist, was zählt. Sein Arsch ist das Zentrum, nichts weniger als das.


27. Oktober 2022, 15:27 Uhr, Pornographie
„Why should I have sex? I am sex! I'm walking pornography.“ 

– Lydia Lunch 

Aufgeschnappt in der dokumentarischen Arbeit LYDIA LUNCH: THE WAR IS NEVER über und mit der No-Wave-Ikone und Spoken-Word-Königin Lydia Lunch von Beth B..


27. Oktober, 11:14 Uhr, Erlösung

„Lobsinge, du Erde, überstrahlt vom Glanz aus der Höhe!
Licht des großen Königs umleuchtet dich.
Siehe, geschwunden ist allerorten das Dunkel.“
 

– aus dem Exsultet

Um es gleich vorwegzusagen, Matt Lamberts Werk spielt an keiner Stelle ernsthaft respektive explizit auf das Christentum und die Schriften des Christentums an, erwähnt sie nirgends und mit keiner Silbe. Und doch lässt sich nicht von der Hand weisen, dass seinen Bildern eine gewisse christliche Symbolik zu eigen ist. Die Rede ist vom Licht. Licht, Lichtfarbe, Lichtstimmung spielen in allen Arbeiten, die im Rahmen einer kleinen Werkschau mit Filmen aus den letzten sechs Jahren beim Pornfilmfestival 2022 zu sehen waren, eine zentrale Rolle.

Das Licht setzt hier die Stimmungen, es insinuiert Temperaturen und Atmosphären, es akzentuiert Körper. Das Licht führt das Bild. Matt Lamberts Bilder, um das zu vergegenwärtigen, sind im Regelfall hochprofessionell. DIY-Anmutungen, wie sie im unabhängigen Porno-Betrieb zum Alltag gehören, wird man bei ihm kaum finden. Sein Oeuvre changiert zwischen Werbung (Adidas, CK, Campari, Comme de Garcons, GMBH, Givenchy, Gucci, Instagram x Celine Dion), Musikvideo (Austra, Mykki Blanko, Anna Calvi, Westernhagen), Dokumentarischem und Pornografie. Die Ästhetiken, die Anforderungen an das Bild, wenn man so will der Production Value, sind zumeist von ausgesuchter Qualität. Und mit ihnen die Lichtsetzung.

Strahlkraft kommt angesichts von pornografischen Arbeiten wie FLOWER (2017) oder SUBSPACE (2021) in den Sinn. Häufig stehen die Körper hier gegen das Licht, werden ihre Umrisse umschlossen vom Licht, wie es etwa durch Fenster fällt. Auch bei SWEAT aus dem Jahr 2016, einer bildstarken Verhandlung des Schweißes als sexueller Trigger, werden die schweißtriefenden Körper vom Licht umschlossen. Dabei ist Licht nicht gleich Licht.

Nicht wandeln in Finsternis

Während in FLOWER die Anmutung von wärmsten Nachmittags- oder Frühmorgenlicht sich auf „einem spuckefeuchten, kondomfreien Penis bricht“ (filmanzeiger, 2017), eine Orgie bildschöner Twinks mit intensivster Wärme umspielt, jeden Winkel ihrer Körper erleuchtet, ist es in SUBSPACE phasenweise nur kühles Weiß. Ein Weiß der Strenge, der höchsten, unerbittlichen Mittagssonne, das den Körper umfließt. Der Leib im Licht. Ein Leib, eingezwängt in eine Latex-Zwangsjacke, die den Sub in dieser Szene beherrscht, peinigt und fesselt, während sein Dom draußen auf dem Balkon im selben Sonnenlicht eine Kippe raucht und drinnen den Sub zappeln lässt. Am Ende von SUBSPACE, einem Abtauchen in eine heftige BDSM-Session und gedreht übrigens auf in Sachen Lichtwiedergabe sehr interessantem 16mm-Film, werden Dom und Sub kuschelnd zusammensitzen, sich intensive menschliche Nähe, Liebe und Geborgenheit schenken. Über ihnen brennt eine Lampe, sie spendet warmes, behagliches Licht. Friedlich und intim ist diese Szenerie.

Still aus SUBSPACE von Matt Lambert | (c) Foto: Matt Lambert/Vitium/MEN

„Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben“, so soll es Jesus laut Johannesevangelium dereinst selbst verkündet haben. Das Licht des Lebens. In KLAPPE, der jüngsten Arbeit von Matt Lambert und gedreht für das Porno-Label Erika Lust, ist dieses Hell von zwielichtiger Gestalt – im besten Sinne. Wir befinden uns gefühlt in einem Club oder vielmehr in dessen Toilettentrakt. Genauer gesagt, beschräkt sich das Setting auf eine Kabine, gewisse Ähnlichkeiten zu den Klos des Berghains sind vielleicht nicht von der Hand zu weisen, wenn auch dies eine Studio-Produktion mit gebauten Sets ist. Heruntergedimmt, fast spärlich beleuchtet ist diese Kabine und doch von intensiver Farbtemperatur in Weiß-, Rot-, Orange-, Blau- und Magenta-Tönen. Diese kleine Kabine, dieser kleinen Tempel des Lichts in der wummernden Düsternis eines Clubs, wird  zum Ausgangsort für eine schwule Orgie quer durch die Pluralität der Körper – umschlossen von Licht. Wo das Licht ist, ist die Lust. Wo die Lust ist, ist Erlösung. Matt Lamberts Filme sind Filme der Erlösung.


26. Oktober 2022, 23:44 Uhr, Auf dem Spielplatz

Was ist die wahre Bestimmung eines Spielplatzes? Kann es denn wirklich die einzige Nutzungsart sein, die wir diesen Orten überall in unseren Städten zuschreiben, wenn Heteros dort ihre Nachkommen auslüften? Ben Berlin, Filmemacher:in aus Berlin, bietet in PLAYGROUND eine gänzlich andere und eigentlich viel überzeugendere Nutzbarmachung dieses Ortes an – als Bühne für eine lustvolle und mit allen Wassern gewaschene lesbische BDSM-Session.

Ein x-beliebiger Berliner Spielplatz wird in diesem Kurzfilm zum Freiluft-Refugium für zwei Dominatrixes und ihre Sub. Und dieser Spielplatz mit seinen zahllosen Aufbauten bietet genau die richtigen Settings, um mannigfaltige Pein ausleben zu können.

Die Schaukel,  tückisch

Die Schaukel wird zum tückischen Ding, wenn Klemmen den Rücken quälen und über Ketten mit der Hand der Dominatrix verbunden sind. Ein fester Zug im richtigen Moment und die Klemmen werden vom Rücken gerissen und eingetauscht für eine schwungvolle und zugleich noch intensivere Schmerzerfahrung.

Das Kletternetz aus dicken Seilen – wie geschaffen als Fundament für Bondage. Seil, auf Körper, auf Seil. Nichts liegt näher, frei hängend und doch bewegungslos in der Nachtluft. Und wenn die Sub schonmal fixiert ist, lässt sich ihr Körper auch gleich wunderbar mit Nadeln bearbeiten. Nadeln, die eine besondere Dekoration auf dem Nadelkopf tragen – kleine Kerzen, Kerzen wie auf der Torte beim Kindergeburtstag. Für die Nachbarn, die zu später Stunde ihre Hunde ausführen, ist nicht erkennbar, wer da auf dem Spielplatz spielt. Die Nacht schluckt die entscheidenden Details. Derweil tropft der Kerzenwachs auf die gequälte Haut.

In sinnlichen und hochkonzentrierten Bildern fängt Ben Berlin diesen Reigen lustvoll-verspielter Quälereien ein. Bilder, die den engen, fast knisternde Bund zwischen Mistresses und Sklavin für das Publikum beinahe körperlich spürbar machen. Und die den Ort Spielplatz in den Köpfen der Zuschauer:innen defakto umcodieren.

Dies wiederum ist nicht gänzlich neu im Schaffen von Ben Berlin, ziehen sich doch ausgefallene, seltsame, unwirtliche, verlassene Orte wie ein roter Faden durch das Oevre von Ben Berlin. Selten, vielleicht noch nie sind jedoch Ort, Handlung und Handelnde so sehr in Resonanz gekommen wie in PLAYGROUND. Eine faszinierende pornografische Arbeit, die mit geringsten Mitteln auskommt und doch außergewöhnliche Wirkmächtigkeit entfaltet. Der Spielplatz, er ist dem tristen Schicksal als heteronormativer Go-to-Place endlich entrissen. Geht spielen! 

PLAYGROUND, Ben Berlin, DE 2022, 17'


26. Oktober 2022, 18:25 Uhr, Vanilla hat ausgedient

Wenn André Antônio mit seinem VENUS IN NYKES etwas schafft, dann die intrinsische Motivation von Fuß-, Sneaker- und Sockenfetisch quasi im Kopf seines Publikums festzutackern.

Es braucht dafür nur ein paar Passagen frühester Fetisch-Erfahrungen, beinahe aber nicht gänzlich nüchtern vorgetragen von einem zuvor allerdings mehr als glaubwürdig installierten Charakter, um hier die Dinge zum Klingen zu bringen.

Die Nase fickt mit – André Antônio in seinem Film VENUS IN NYKES | (c) Bild: André Antônio/Open Reel

Der Rest ist nur noch Narration und Visualisierung. Beinahe unwichtig. Die kurzen Passagen eines Typs, der die Erweckungserlebnisse seines Fetischs seiner Therapeutin schildert, in der Schule meist, in einer für einen schwulen Jungen eigentlich feindlichen Umgebung, sind hochkonzentrierte Lust. Mindfuck im besten Sinne. Vanilla-Sex hat hiernach ausgedient.

26. Oktober 2022, 16:05 Uhr, Rosen

Die Rose, so schön, so anmutig – der unverfänglichste Frame aus Jan Soldats DIE ROSE | (c) Bild: Jan Soldat

Sieh, wie sie leuchtet,
Wie sie üppig steht,
Die Rose -

Welch satter Duft zu dir hinüberweht!
Doch lose Nur haftet ihre Pracht -
Streift deine Lust sie,
Hältst du über Nacht
Die welken Blätter in der heissen Hand ...

Sie hatte einst den jungen Mai gekannt
Und muss dem stillen Sommer nun gewähren -
Hörst du das Rauschen goldener Ähren?
Es geht der Sommer über's Land ...

– Thekla Lingen

Aufgeschnappt in Jan Soldats kurzer „Thrash Metal Montage“ DIE ROSE zum Prolaps/Rosebud Fetisch, zu sehen in den Gay Porn Shorts. Was ist ein Prolaps oder Rosebud? Google klärt auf. Nicht schüchtern sein.


26. Oktober 2022, 13:40 Uhr, Liebhaber

„Waiting for a lover is like waiting for an earthquake: catastrophe.“

Zitat aus dem griechischen Beitrag CABLES von Tomas Diafas. Eine durchaus bittere Abhandlung über und Abrechnung mit Einsamkeit in Zeiten des Internet, wo Körper im Netz zwar nur einen Klick weit entfernt scheinen, aber in der Realität unerreichbar sind. Vor allem, wenn der eigene Körper nicht den Normen sexueller Begehrensfähigkeit entspricht. Zu sehen in der Kurzfilmrolle Political Porn Shorts.


26. Oktober 2022, 13:20 Uhr, Verletzte Körper

Ein Mann rasiert sich, nicht nur im Gesicht, er rasiert seinen ganzen und stark behaarten Körper – unerbittlich kratzt die Klinge auf der Tonspur über die Haut, dröhnt fast in den Ohren, minutenlang. Hier und da schlägt der Rasierer kleine Wunden, Blut rinnt die offenen Stellen hinunter. Wir sehen Filmemacher:in Amina Maher in diesen Bildern. In LETTER TO MY MOTHER verhandelt Maher die eigene Missbrauchserfahrung als Kind durch einen Bekannten der Familie. 

Wir sehen Maher aber auch als Kind und zu ungefähr jener Zeit als die Vergewaltigungen stattfanden, denn Auszügen aus Abbas Kiarostamis Film TEN von 2002 sind in diesen Film eingearbeitet. Maher war Protagonist:in in diesem Film, der sich der Unterdrückung von Frauen im Iran widmete. Die Unterdrückung der Frauen ist im Iran Alltag, der Missbrauch und das Schweigen darüber ebenfalls, bis heute. Unzählige verletzte Körper, meistens unsichtbar. Maher hat wenigstens einen dieser Körper sichtbar gemacht. Das Pornfilmfestival erinnerte an diesen Kurzfilm, der bereits eine sehr erfolgreiche Festivalreise um die Welt hinter sich hat, in der Kurzfilmrolle Political Porn Shorts.


25. Oktober 2022, 00:10 Uhr, Wien trifft Berlin

Das Pornfilmfestival Wien wirbt beim Pornfilmfestival Berlin mit dieser Postkarte für sich:

Werbung für das Wiener Pornfilmfestival 2022 | Foto: filmanzeiger[/caption]

Das Berliner Pornfilmfestival ist derweil in seinen Marketingmaßnahmen eher schüchtern. Ehrlicherweise muss mensch aber konstatieren, dass sich das PFFB auch nicht über eine schlechte Auslastung seiner Screenings beklagen kann. Die Leute kommen auch ohne auffällige Werbung. Und zurecht!


25. Oktober 2022, 23:04 Uhr, Lesbische Sichtbarkeit

Das Pornfilmfestival 2022 programmierte NARCISSISM – THE AUTO-EROTIC IMAGES als Eröffnungsfilm des diesjährigen Jahrgangs. Man darf in derlei Programmierungen, egal welches Filmfestival, nie zuviel hinein interpretieren, gar Botschaften oder Wegweisungen der Kurator:innen zu lesen versuchen. Das wird meistens nirgendwohin führen. Die filmische Bilanz eines Festivals schreibt sich am Ende und zumindest für das Pornfilmfestival gilt, dass die Opener üblicherweise vernachlässigbar sind. Von NARCISSISM lässt sich das nicht automatisch sagen. Allein schon, weil die Kurator:innen den Film während der Eröffnungszeremonie gleichsam als eine Art filmische Zusammenkunft der Pornfilmfestival-Familie annoncierten, geradezu ein Pornfilmfestival-Weihnachten: „Wir kennen hier alle Leute im Publikum und alle Leute auf der Leinwand“, stellte Kuratorin Manuela Kay klar.

NARCISSISM ist mit 90 Minuten Spielzeit die erste abendfüllende Arbeit von Toni Karat, nach mehreren Kurzfilmen. Der dokumentarische Film, zu dem auch ein gleichnamiger Fotoband gehört, versammelt zahlreiche Protagonist:innen der sexpositiven (Porno-)Community Berlins und des Pornfilmfestivals. Es ist eine Tendenz seit mehreren (prä-pandemischen) Jahren, dass sich die Gemeinde rund um das Pornfilmfestival ein Stück weit gegenseitig selber filmt. Wollte man es positiv lesen, wäre von einem Festival der Kollaboration zu sprechen. Nur muss mensch das nicht notwendigerweise positiv lesen und lassen manche der Arbeiten der Berliner Porno-Community seit einiger (prä-pandemischer) Zeit und trotz all der Diversität, die diese Community auszeichnet, eine gewisse Frische durch neue Gedanken, Bilder und Köpfe vermissen.

Allumfassender Diskurs

Zumindest der Kopf bekommt in NARCISSISM einiges zu tun. Angestupst von Oscar Wildes Roman „Das Bildnis des Dorian Gray“, lässt Toni Karat etwa zehn Protagonist:innen über ihr Selbstbild, den eigenen Narzissmus und Fragen von Fremdwahrnehmung, von Geschlechter- und Rollenbildern und von gesellschaftlichen Zuschreibungen vor der Kamera reflektieren. Körperform, Geschlechtlichkeit, Sexualität, Frisur, Hautfarbe, Herkunft, Aufwachsen, Älterwerden – kaum ein Bereich bleibt hier unberührt. Nichts weniger als den allumfassenden Diskurs scheinen sich Protagonist:innen und Filmemacher:in vorgenommen zu haben. Die Sprechenden sitzen dabei in einem selbst gewählten Outfit und mal mehr, mal weniger bekleidet auf einem leeren Dachboden eines Berliner Altbaus. In der Nachbarschaft leuten die Glocken der katholischen St. Christopherus Kirche zu Neukölln, hin und wieder wagt die Kamera den Blick durch die Dachluken und auf die Dächer der Stadt.

Was ist das eigentlich, Narzissmus? Ist das gut, ist das schlecht, sind derlei Wertungen sowieso egal? Wo grenzt sich Narzissmus von Selbstliebe ab? Oder bedingen sich beide? Diese vordergründigen Fragen sind in NARCISSISM schnell beiseite geräumt. Stattdessen übernehmen identitätspolitische Fragestellungen, Suchbewegungen und Selbstverortungen das Regiment. Neben naheliegenden Positionen der Selbstermächtigung des (weiblichen) Subjekts über eine objektifizierende (patriarchale) Gesellschaft, gerät das lesbische Suchen nach (Selbst-)Wahrnehmung ins Zentrum. Dies auch, weil Toni Karat die zu Beginn des Films postulierte Selbstzurückhaltung zunehmend aufgibt und vorgeblich widerwillig die eigene Person und deren Verortung als lesbischen, aber nicht geschlechterbinär lebenden Menschen thematisiert.

Es ist ein gewagt weitschweifender und von ausdrücklich aktivistischen Motiven getränkter Reigen der Gedanken und Positionen, welcher dem Publikum in NARCISSISM Stück für Stück vorgelegt wird. Zugleich ist das alles hier aber auch: ermüdend. Die Ermüdung resultiert aus der Form. Wir sehen die immergleiche Abfolge von Talking Heads auf einem immergleich tristen Dachboden, dazwischen werden Fotos aus dem zum Projekt dazugehörigen Bildband montiert, – hinzu gesellen sich ein paar dekorative Archivmaterialien. Wo die Protagonist:innen nicht sprechen, liefert Toni Karat auf der Tonspur Kommentierungen in einem unangenehm deutsch-schulmeisterlichen Duktus.

Lesbischer Neid

Doch nicht nur die Form wird in NARCISSISM zum Problem. Es kommt der Moment, wo diese anfänglich faszinierende Arbeit auch inhaltlich Befremden auslöst. Da wird etwa lamentiert, dass lesbische Frauen im Patriarchat dermaßen unsichtbar gemacht wurden, dass man sie dereinst nicht mal beim Verfassen des berüchtigten und mörderischen §175 mitbedacht hat. Gefolgt von Austauschfantasien angesichts schwuler Bilderwelten (Was wäre, wenn man den Schwulen durch eine Lesbe ersetzte?) bis hin zu steilen Thesen über das Gedenken an lesbische Insass:innen im KZ Ravensbrück.

Lesbischer Neid auf die Schwulen, wie er sich in NARCISSISM Bahn bricht, ist indes ein altes Sujet. Und es mag natürlich auch einen wahren Kern haben, wenn kritisiert wird, dass es die schwulen Männer aufgrund ihres schieren Mannseins in kapitalistisch-durchwalkten Gesellschaften eventuell eine Nuance leichter hatten als die lesbischen Frauen, welche, so eine der zentralen Thesen in diesem Film, im kapitalistischen Patriarchat unsichtbar gemacht würden, da sie und ihre Körper für den Mann ökonomisch wertlos sind.

Doch mehr als eine Nuance ist es eben auch nicht. Und am Ende wurde die schwule Sichtbarkeit gegen das heteronormative Patriarchat erkämpft und nicht mit ihm. Schwule Freiheit und Safe Spaces gab es nicht als Geschenk von einem Penisträger zum nächsten – es braucht kein Studium der Rechtsgeschichte des § 175 zwischen 1872 und 1994, um dies zu begreifen.

Insofern verlässt mensch diese dokumentarische Arbeit mit einer gewissen Depression. Was als verheißungsvolle Erörterung des Narzissmus auch und gerade im Kontext von Selbstliebe/Masturbation beginnt, gerinnt zum kleinmütigen Traktat über lesbische Unsichtbarkeit, trotz faszinierender Protagonist:innen wie Autor:in Maja Buhmann, Filmemacher:in Marit Östberg, Künstler:in und Aktivisti:in Del LaGrace Volcano, Performer:in Lexi Dark oder Journalist:in Walter Crasshole. Wenn Lesben nichts Besseres mehr einfällt, als sich an den Schwulen (und natürlich am Kapitalismus) abzuarbeiten, dann steht es um die lesbische Bewegung reichlich düster.

Die Schwulen haben sich ihren Teil der Welt durch Selbstermächtigung und das Schaffen eigener Sprachen, eigener Kulturen und natürlich eigener Räume erobert. Niemand hat ihnen irgendetwas geschenkt. Schon gar nicht heterosexuelle Cis-Männer. Wenn NARCISSISM zu etwas gut ist, dann dazu zu studieren, wie eine lesbische Opfererzählung funktioniert. Eine Opfererzählung, welche „die“ Lesben aller Geschlechter dringend ablegen und durch eigene Erzählungen und unbedingt laut ersetzen sollten. Eine stolze, selbstbewusste, selbstliebende, sexpositive und dann gerne auch narzisstische lesbische Zukunft muss erst noch geschrieben werden, denn die lesbische Gegenwart, das belegt Toni Karat mit und durch NARCISSISM eindrücklich, ist mehr als beschissen. _

NARCISSISM – The Auto-Erotic Images, 90′, dokumentarische Form, DE 2022, Toni Karat


25. Oktober 2022, 14:45 Uhr, Suppe ist sexy

Zuhause des Pornfilmfestivals ist das Kino Moviemento in Berlin-Kreuzberg. Auch wenn das Festival in seinen „Jugendjahren“ die Charlottenburger Kant Kinos, das (inzwischen weggentrifizierte) Kreuzberger Eiszeit Kino und das legendäre Schöneberger Xenon Kino zu seinen Spielstätten zählte, im Moviemento schlägt das Herz. Und während die Berlinale über Jahre hinweg versuchte, dem lebensfeindlichen Potsdamer Platz mit Food Trucks eine Spur von Behaglichkeit und Aufenthaltsqualität einzuhauchen, braucht die Crew des Kino Moviementos für heimeliges Festivalfeeling nur ihre relativ spartanische Lounge – und Suppe. An jedem Festivaltag wird eine neue, frisch gekochte Suppe geboten, die ein magenschmeichelndes Labsal zwischen allzuviel Film darstellt. Suppe ist sexy. Pornfilmfestival ohne Suppe – unvorstellbar!


25. Oktober 2022, 12:31 Uhr, Akkreditierungstisch

2019 – 2019 war das letzte Jahr, in dem das Pornfilmfestival Berlin in voller Blüte und als waschechtes Filmfestival stattfinden konnte. Lange her. Seither allenfalls (gestreamter) Pandemie-Notbetrieb – bis 2022. Während das Festival als Solches den Notbetrieb nun offenbar endlich verlassen und wieder vor ausverkauftem Haus stattfinden kann, hat das Akkreditierungswesen des Pornfilmfestivals für Fachbesucher vom Notbetrieb in den Katastrophenbetrieb gewechselt. Jedenfalls hat sich die Festivalleitung für ihre Fachbesucher:innen aus Industrie und Presse dieses Jahr ein Gutscheinsystem mit Selbstbeteiligung ausgedacht. Mehr dazu vielleicht später. Auf jeden Fall begann das Festival vor dem Festival mit unschönen und teuren Überraschungen.