Kraft des Bildes

DER GROSSE AUSVERKAUF
Vier Orte der Welt, viermal das gleiche Phänomen: Öffentliche Versorgung wurde privatisiert. Und viermal sind die einfachen Menschen die Verlierer. Philippinen, Bolivien, Südafrika und Großbritannien. Eine Mutter kämpft Tag für Tag um Geld, damit sie die lebensrettende Dialyse ihres Sohnes bezahlen kann. Eine ganze Stadt wehrt sich gegen die Privatisierung ihrer Wasserversorgung. Eine Gruppe mutiger Aktivisten verschafft den Bewohnern ihres Townships den Strom, den der privatisierte Stromversorger vorher abgestellt hat. Und ein Lokführer begegnet den marktwirtschaftlichen Kapriolen an seinem Arbeitsplatz nur noch mit unverhohlenem Zynismus. 

Florian Opitz bringt dem Zuschauer näher, was Privatisierung konkret bedeuten kann, vor allem in negativer Hinsicht. Episodisch behandelt er die Folgen für das Individuum. Gesamtwirtschaftliche, globale Zusammenhänge lässt er überwiegend außer Acht, er verengt den Blickwinkel und schafft so ein Bewusstsein für ein Thema, das abstrakter kaum sein könnte, unseren Alltag dafür umso heftiger dominiert. Opitz setzt dabei stets auf die subjektiven Blickwinkel seiner Protagonisten vor und "hinter dem Schreibtisch". Off-Kommentare werden so verzichtbar, das Gezeigte ist selbsterklärend. Lediglich vereinzelte Texttafeln geben eine kurze Einführung in die jeweilige Problematik. 

DER GROSSE AUSVERKAUF ist eine ebenso engagierte Dokumentation wie WE FEED THE WORLD. Beiden ist der unumstößliche Mißstand ihres Objekts gemein. Erwin Wagenhofers Film über die Umtriebe der globalisierten Nahrungsmittelproduktion, vom Österreichischen Acker bis zum Sojabohnenfeld in Brasilien, scheint Florian Opitz Pate gestanden zu haben. Formal sind sie so gut wie identisch: Dieselbe episodische Erzählstruktur, das Setzen auf die Kraft des Bildes (Wagenhofer filmt kilometerweite Gewächshausfelder ab, Opitz fängt den sprichwörtlichen Verfall des britischen Eisenbahnnetzes ein), die Kommentierung der Situation durch die Betroffenen. Opitz, wie Wagenhofer, lassen keinen Zweifel an ihren Standpunkten und ihrer Intention für diese Dokumentationen aufkommen. Die Sichtweise der Gegenseite, die beide eher pflichtschuldig denn wirklich gewollt in ihre Filme einbauen, kann diesem Bildersturm jedoch auch keinen Widerhaken entgegensetzen. Deren Kommentare sind nur Wasser auf die Mühlen der Regisseure. Selbstverständlich setzt die Montage hier alles in einen passenden Kontext. 

Wer sich daran nicht stört, dem sei Florian Opitz‘ DER GROSSE AUSVERKAUF ebenso für den nächsten Kinobesuch empfohlen, wie Erwin Wagenhofers WE FEED THE WORLD. Beide Streifen sind für unseren Alltag von akuter Aktualität und in ihrer kinematografischen Qualität jenseits aller Fernsehhaftigkeit herausragend.