Eskalationen

REVOLUTIONARY ROAD –
Zeiten des Aufruhrs 

Ein junger Mann kommt ins Haus - etwas unbeholfen. Er: Hochgewachsen, dünnes, nach hinten gekämmtes Haar, unsicherer und irgendwie unergründlicher Blick: John. John Givings, der Sohn von Helen Givings, der Immobilienmaklerin, die den Wheelers "das wunderschöne kleine Haus" in der Revolutionary Road verkauft hatte, welches "keck am Hang liegt" und so gut zu dem jungen Paar passt, wie sie meint. John war in der Psychiatrie, "ein wenig mit den Nerven runter" ist er, wie seine Mutter meint. Und noch etwas spricht sie aus, fast mit Scham: "Er ist wohl das, was man einen Intellektuellen nennt." Die schöne April Wheeler zeigt freundliches Verständnis, scheint aber eher überrascht über dieses "Outing". Sie lädt Familie Givings ein, und so taucht eines Nachmittags John im Haus der Wheelers auf. Und der schlägt ein wie eine Bombe.

Die Wheelers: April und Frank. Auf einer Party lernen sie sich kennen, erste Blicke, erste Bilder. USA, irgendwann Anfang der 50er, New York. April studiert Schauspiel, und Frank macht irgendwas, Hafenarbeiter oder Kassierer. Doch April will viel lieber wissen, was er "wirklich tut", was ihn “interessiert". Das zu erzählen würde eine halbe Stunde dauern und sie zu Tode langweilen, redet der sich raus. Der spröde Charme wirkt; nach dem Schnitt gemeinsamer Tanz. Wieder ein Schnitt: Franks Gesicht, leicht gequält sitzt er zwischen Zuschauern, hinter ihm Getuschel: "Sie ist eine große Enttäuschung!" Ein Theaterstück geht zu Ende, eine geschaffte April verharrt kurz hinter dem gefallenen Vorhang. Wenig später mault sie Frank in der Umkleide an. Schließlich gehen sie gemeinsam und doch getrennten Weges den Flur der Highschool entlang, in der das Stück gegeben wurde; wortlos und distanziert.

REVOLUTIONARY ROAD läuft zwar erst wenige Minuten, doch könnte diese Szene genauso gut am Ende stattfinden. Am Ende des Films und gleichsam am Ende der Ehe der Wheelers. Und sie nimmt viel vorweg von dem, was die Figuren April und Frank erst im Laufe der Zeit begreifen werden. Ihre Ehe, das ist ein Moloch, basierend auf Wunschträumen, Fantasien und "Versprechen, die nie gemacht wurden". Es folgt die Heimfahrt hinaus aus der Stadt, die im Streit eskaliert.

Eskalationen, der ganze Film ist wie die Anatomie einer fatalen Eskalation. Der Niedergang einer Ehe und ihrer Protagonisten. Woran sie und diese Ehe kaputt gehen, am Umfeld, an ihrer Situation, am Scheitern der eigenen Lebensentwürfe - Regisseur Sam Mendes und Drehbuchautor Justin Haythe lassen daran in ihrer Verfilmung von David Yates gleichnamigem Roman wenig Zweifel. Sie gehen hart ins Gericht mit einer Umwelt, die den Menschen, die sich darin nur schwer anpassen wollen oder können, keine Chance gibt. April und Frank, die intellektuell Angehauchten, können in diesem kleinbürgerlichen Vorort nur scheitern. Die gesellschaftlichen Konventionen der 50er-Jahre-USA sind die Fallstricke für das junge Paar, mitten in pittoreskem Grün und verschwenderisch-malerischen Straßenzügen: Hölle im Paradies - in betörendem Cinemascope festgehalten.

Doch ganz so ist es dann doch nicht, sind die beiden nicht nur die Opfer ihrer Umwelt, sondern auch ihrer selbst: Sie vernichten sich gegenseitig. Mit ihren überzogenen Wunschträumen, an denen sie beide scheitern. Und mit gegenseitigen Schuldzuweisungen für das Scheitern. So hochtrabend und mutig wie ihre Träume, so sind sie nicht. Vor allem Frank nicht, was April ihn unnachgiebig spüren lässt. Es wird schmutzig.
Selten zeigte Hollywood in den letzten Jahren derart harte Streitszenen auf der großen Leinwand: Sie brüllen sich die Seelen aus dem Leib - Kate Winslet und Leonardo DiCaprio. Nicht zuletzt auch, weil sie angestachelt werden durch einen furiosen Michael Shannon in der Nebenrolle des John. Das ist alles andere als Familiy-Value-Entertainment, hier werden menschliches Scheitern, Eitelkeit und Verletzlichkeit offen auf- und vorgeführt. Und das in ihrer ganzen Hässlichkeit und Tragik. Will man das sehen? Das muss jeder mit sich selbst ausmachen. Sam Mendes und seinem Team ist es aber nicht hoch genug anzurechnen, dass sie diesen unbequemen Stoff aufbereiten und großformatig und damit massentauglich ins Kino bringen. Zu sehr hat Hollywood in den letzten Jahren in einem gut menschelnden Schleim gebadet, in dem hohe Familienwerte noch höher gefeiert und krisensicher zum Happy End geprügelt wurden, unerträglich und falsch tropfte es von der Leinwand!

REVOLUTIONARY ROAD kommt deshalb wie ein Donnerschlag daher, der das bigotte Leben, nicht nur der 50er Jahre, sondern auch des Hollywood der letzten Jahre aufs Korn nimmt und rücksichtslos abrechnet. Doch Mendes wäre kein Hollywood-Regisseur, wenn er dies nicht in perfekten und betörenden Bildkompositionen festhalten würde. Und REVOLUTIONARY ROAD hat viele kunstfertige Augenschmeicheleien anzubieten. Das Heim der Wheelers, an dem sich die Kamera nicht sattzusehen können scheint und dem sie schließlich sogar einige kurze Bildstudien widmet. Aber auch Franks Büro, das für die 50er Jahre auffallend modern gestaltet ist und in dem sich die Protagonisten wie eine kleine Büroavantgarde umherbewegen. Was so gar nicht passen will zu den piefigen Leben, die sie jeden Tag massenhaft an den Bahnstationen der Vororte hinter sich lassen. Die Bahn und die Massen - Mendes und sein Kameramann Roger Deakins liefern auch hier eine Szene, die man getrost zu den besten Filmszenen Hollywoods der letzten Jahre zählen kann. Doch der schöne Bilderschein, er wird vollends konterkariert durch menschliche Abgründe, die schließlich im Fatalen und scheinbar Unausweichlichen münden.

"Die jungen Wheelers aus der Revolutionary Road, die jungen Revolutionäre aus der Wheeler Road", wie John seine Mutter mit einem spöttelnden und gleichsam ungläubigen Unterton zitiert, sie bleiben im Gedächtnis.


REVOLUTIONARY ROAD
Zeiten des Aufruhrs
USA 2008
119 Minuten
Regie: Sam Mendes