Der Faschismus der Makellosigkeit
Interview mit Bruce LaBruce
Anlässlich seines kommenden Kinofilms GERONTOPHILIA, sprach ich für das "DE:BUG"-Magazin mit dem kanadischen Filmemacher und Künstler Bruce LaBruce über die Natur des Fetisch, den Faschismus digitaler Bilder, den Zombie als Vorkämpfer gegen eine intollerante Gesellschaft, die Lust am Sex im Alter und die neue Spießigkeit der Schwulen.
Jey Crisfar als Zombi in OTTO; OR, UP WITH DEAD PEOPLE | (c) GMfilms Filmverleih |
[filmanzeiger] Bruce, Du wirst heute vor allem über deine beiden schwulen Zombie-Filme OTTO; OR, UP WITH DEAD PEOPLE sowie L.A. ZOMBIE wahrgenommen. Was interessierte dich daran, schwule Charaktere durch Zombies zu erzählen?
[Bruce LaBruce] Mein Eindruck war, daß schwule Lebensweisen in ihrer bisherigen Form ausstarben. Unzählige Cruisingclubs und Saunas machten dicht, öffentlicher Sex verschwand. Die Schwulen suchten den Weg in die Assimilation mit dem Hetero-Mainstream. Die früher vielfältige und radikale schwule Kultur wurde zu einem Zombie. Und Sex in Cruisingareas hat etwas Zombihaftes, Körper und Körperteile wimmeln im dunklen Zwielicht umher. Es versprüht eine Aura des Horroresken und Gefährlichen. Das ist nichts Schlechtes, im Gegenteil. Es ist sehr Aufregend, hat fast filmische Qualitäten. Ich wollte die letzten Reste dessen festhalten, bevor sie vollständig verschwinden.
Außerdem habe ich vor Kurzem meinen Ehemann geheiratet. Als Asylsuchender aus Kuba, durfte er hier in Kanada nicht richtig leben. Konnte aber auch nicht nach Kuba zurück. Alles war in der Schwebe. Er war wie ein Alien, wie ein Zombie, nirgendwo willkommen. Der Zombie ist der neue Aussätzige. Dieses Paradigma wollte ich umkehren, ihn zum subversiven Akteur machen. Er ist derjenige, der sich dagegen wehrt, von der Gesellschaft zum Aussätzigen gemacht zu werden.
OTTO und L.A. ZOMBIE, zelebrieren Blut in mehreren Sequenzen. Innerhalb der schwulen Matrix und seit dem Aufkommen von HIV, gilt Blut als gefährliche Bedrohung, genauso wie Sperma und kondomfreier Sex. Wie liest Du diese Blutbäder, im Kontext von HIV?
In der Hardcore-Version von L.A. ZOMBIE kann man erkennen, wie der Hauptdarsteller Francois Sagant ein Kondom trägt. So wie er es bei seiner Arbeit immer tut. Aber das ist nicht der Punkt. Im Kontext von HIV/AIDS, gerade zu Beginn der Epidemie, wurde schwuler Sex zu etwas Bedrohlichem. Und damit auch die HIV-Positiven. In meinen Filmen geht es ja nicht um Sperma als bedrohliche Flüssigkeit, es ist das Blut selbst. Wenn man so will, ist es der Versuch diese Idee des giftigen schwulen Sex mit Unmengen an Blut zu überfluten.
In Bezug auf die Gewalt in Filmen ist es genau andersrum. In beiden Filmen gibt's kaum Gewaltdarstellungen. Man kann es vielleicht so lesen, daß die Gewalt ausschließlich in den vermutlich geisteskranken Köpfen der Hauptfiguren stattfindet. Ich wollte da auch eine Distanz zum Gewaltfetisch der großen Hollywoodproduktionen herstellen. Ein Fetisch, der vom Publikum geteilt wird. Genau deshalb tue ich mich seit Längerem mit der Idee schwer, einen Film mit einem schwulen Serienkiller zu drehen.
Filmplakat zu L.A. Zombie | (c) Wurstfilm/Bruce LaBruce |
Das wäre einfach zu sehr nach dem Geschmack und den Vorstellungen des Publikums?
Absolut! Es ist eine Frage des Vergnügens. Ich schaue mir häufig Hollywood-Produktionen an, auch jene, die sich um Gore, also Kannibalismus drehen. In den 70ern war das spaßiger, unterhaltsamer. Diese Low-Budget-Exploitation-Produktionen mit billigen analogen Spezialeffekten. Das war verspielt, fast wie im Theater. Die digitalen Effekte veränderten dies radikal. Es sieht heute alles extrem real aus. Zusätzlich stellt sich die Frage nach dem Kontext der Gewaltdarstellung. Bei den Folter-Pornos stehen fast immer Frauen im Mittelpunkt, gegen die dann ausschließlich sexualisierte Gewalt ausgeübt wird. Ich hasse sowas!
Langweilt dich dein Status als ewiges Entfant terrible?
Ich würde es nicht Langeweile nennen. Mein neuer Film GERONTOPHILIA richtet sich an ein größeres Publikum. Deswegen gibt es auch keine expliziten Sexszenen mehr und das Budget ist größer als bei früheren Projekten. Trotzdem verhandelt die Geschichte etwas, das sonst niemand im Mainstream-Kino erzählt. Es geht mir darum, Neues auszuprobieren und die Dinge auf eine andere Art zu erzählen.
Wer ist Bruce LaBruce heute als Künstler?
Keine Ahnung. (Überlegt länger) Als Künstler bin ich in den 80ern und als Punk sozialisiert worden. Wir wollten unangepasst sein, eine Gegenkultur zum kapitalistischen System aufbauen. Ich glaube, ich habe mir diese Einstellung bewahrt. Vor allem, wenn ich mir die nachfolgenden Künstlergenerationen anschaue, die viel eher bereit sind innerhalb des Systems zu arbeiten, anstatt dagegen.
Selbst diese Kultur des Dagenseins kann doch heute als Produkt gelabelt und vermarktet werden. Wie verhindert man, selbst zur Ware zu werden?
Technisch gesehen ist das problemlos möglich. Gutes Equipment ist heutzutage so klein und erschwinglich, daß man als Künstler qualitativ hochwertige Werke erzeugen kann, ohne dafür die eigene Unabhängigkeit aufgeben zu müssen. Viel verstörender finde ich die sehr weitverbreitete unpolitische Grundhaltung. Alles wird rational und pragmatisch gedacht, ganz egal wie korrupt die Umstände sind. Damit kann ich überhaupt nichts anfangen.
Sarkasmus ist angesagt, oder?
Ich bin ein sehr sarkastischer Mensch. Aber Sarkasmus ist ok, wenn er intelligent eingesetzt wird. Was mich stört, ist diese neue Form politischer Inkorrektheit. Insbesondere, wenn sie von Menschen aus der Konzernwelt kommt. Schauen wir uns diesen grotesken Moderator der diesjährigen Oscar-Verleihung an, Seth McFarlane. Der Typ ist einer der reichsten Männer Hollywoods. Der steht da auf der Bühne und reißt angeblich politisch inkorrekte Witze über jenes Establishment, dem er ja selber angehört. Er ist in keiner angreifbaren Position, "too big to fail". Was er da vorbrachte, war peinlich, aber keinesfalls mutig. Damit ist nichts erreicht.
Deinem neuen Film GERONTOPHILIA ging eine Crowdfunding-Aktion voraus. Crowdfunding scheint der letzte Strohhalm der unabhängigen Filmemacher zu sein.
Beim Crowdfunding für GERONTOPHILIA ging es nur um Unterstützung für die Post-Produktion. Mir erscheint es unvorstellbar, eine Million über öffentliches Betteln einzunehmen, was Crowdfunding ja im Prinzip ist. Die Filmförderung hat diesen Film finanziert, deshalb gibt es auch keine expliziten Sexszenen. Finanzierung ist für Filmprojekte dieser Größe, GERONTOPHILIA kostet etwa 1 Million Dollar, ein erhebliches Problem. Für alles zwischen einer Halben und zehn Millionen Dollar, ist die Finanzierung heute ein Albtraum. Es ist nicht unmöglich, aber es verlangt einem enorm viel ab. Das ist im Grunde wie bei der Mittelschicht, die verschwindet ja auch zusehends.
Finales Blutbad in L.A. ZOMBIE | (c) Wurstfilm/Bruce LaBruce |
Du bist kein Fan der Homo-Ehe, gleichzeitig hast Du vor Kurzem deinen Partner geheiratet. Wie sieht Gleichstellung bei Bruce LaBruce aus?
Wenn schon Gleichstellung vor dem Gesetz, dann doch bitte für alle Formen des Zusammenlebens. Es ist einfach lächerlich, den Bund zwischen Mann und Frau zu privilegieren. Und da jetzt die Schwulen und Lesben irgendwie notdürftig mit einzubeziehen.
Was die Assimilierung der schwulen Bewegung betrifft, liegt für mich das Hauptproblem in dem Ziel, genauso zu sein wollen wir die Heteropaare. Und das geht überhaupt nicht. Es fördert nur verkommene Vorstellungen des Zusammenlebens. Ich weiß nicht, ob man sich das in Deutschland überhaupt vorstellen kann, aber hier in den USA & Kanada führen Schwule einen regelrechten Krieg der Moral gegen die schwule Promiskuität und gegen das freie Ausleben schwuler Sexualität in ihrer bisherigen Form.
Bitte was?!
Das Netz ist voll davon! Du kannst das überall lesen. Die Unterdrückten werden zu Unterdrückern. Aber das geht noch weiter, Stichwort Gentrifizierung. In den eher schwulen Stadtteilen von Toronto kam es schon vor, daß Schwule Bürgerwehren an den Wochenenden die transsexuellen Prostituierten mit Taschenlampen aus dem Vierteln getrieben haben, weil sie sich von denen gestört fühlten. Es ist einfach furchtbar intolerant, bürgerlich und spießig geworden.
Deine ersten Filme wurden im Super8-Format aufgenommen. Seit dem kamen unzählige digitale Aufnahmesysteme auf den Markt. Wie hast Du diese konstante technische Weiterentwicklung als Filmemacher erlebt?
Vor Kurzen laß ich einen Artikel über das sog. "digitale Desaster". Der Zerfall digitaler Bilder. Dieser Prozess läuft so schnell ab, dass wohl eine ganze Generation von digitalen Werken für immer verloren geht, weil sie nicht richtig archiviert wurden. Irgendwie finde ich das interessant, denn es verleiht der Kunst etwas Vergängliches. Ich bin ziemlich glücklich Filmemachen noch auf Super8- und 16mm-Film gelernt zu haben. SUPER 8½ haben wir auf 8mm- und 16mm-Film gedreht und auch auf Film geschnitten, was eine unglaublich wichtige Erfahrung war. HUSTLER WHITE drehten wir zwar noch auf 16mm, haben dann aber schon auf einer frühen digitalen Schnittanlage namens D-Vision geschnitten. OTTO wurde ausschließlich digital gedreht. Von dem haben wir jedoch 35mm-Kopien hergestellt. Es gibt also archivierbare Kopien, die erhalten bleiben. Wenn Du deinen digitalen Film erhalten willst, mußt du ihn auf Film kopieren.
Wie beeinflußt dich die digitale Aufnahmetechnik beim Drehen?
Bruce LaBruce (li.) mit Darstellern aus OTTO; OR, UP WITH DEAD PEOPLE | (c) GMfilms Filmverleih
GERONTOPHILIA ist mit der neuen ARRI "Alexa"-Kamera aufgenommen worden. Film, also das Filmbild, hat sich extrem stark verändert. Die Körnung des Bildes, rein ästhetisch gesprochen, ist so fein, daß du wirklich nicht mehr unterscheiden kannst was digital und was analog aufgenommen wurde. Ich habe mir diesen Pessimismus gegenüber der digitalen Aufnahmetechnik nie zu eigen gemacht. Ich hasse allerdings diese neuen digitalen Filme, wie LIFE OF PI. Der Look des Films, dieses Ideal eines makellosen Bildes. Das ist faschistisch. Es gibt keinen Raum für visuelle Fehler oder Unstimmigkeiten. Es ist einfach nur auf gruselige Art perfekt.
Es raubt den Bildern ihre Vitalität.
So ist es. Außerdem ist alles super fokussiert. Die Aufmerksamkeit des Betrachters wird für ihn gelenkt. Der Blick verliert seine Autonomie über die Erfassung des Bildes.
Deine Künstlerbiografie begann mit einem ziemlich legendären Selfmade-Undergroundmagazin, dem "J.D.'s". Darin hast Du Kunst, Porno, Punk, Agitprop und Politik zu einer radikalen Collage verbunden. Können solche "Zines" heute noch einen ähnlichen Einfluß entfalten? Es gibt riesige soziale Netzwerke wie Tumblr. Was defakto ein sich ständig aktualisierendes virtuelles "Zine" ist. Gleichzeitig werden kunstvolle Papier-Zines in teuren Buchläden für viel Geld verkauft. Hat das klassische Zine, das einer gewissen anarchischen Agenda folgt, heutzutage noch eine Chance?
Ja, durchaus. Mir schicken die Leute ständig neue Zines zu. Und die folgen demselben Ethos, denselben Ansprüchen. Es muß do-it-yourself gemacht sein, es muß unabhängig sein, ohne Anbindung an einen kommerziellen Partner etc. Den Unterschied macht heute das Internet. Zu meiner Zeit mußten wir die Geschichten selbst, vor Ort und im persönlichen Gespräch recherchieren. Und anschließend wurde das alles im Copyshop vervielfältigt und per Mailorder verschickt. Das war harte, körperliche Arbeit, die einem eine gewisse Überzeugung abnötigte.
Ok, es gab kein Google und kein Facebook, aber das ist ja offensichtlich.
Natürlich. Wenn Du dich heute durchs Netz bewegst, ist das, was Du siehst, und klickst durch irgendeinen Internetkonzern vorgefiltert. Es preisen zwar alle die demokratisierenden Fähigkeiten des Netzes. Gleichzeitig bedeutet das Internet aber auch einen gigantischen Wust an Informationen und Einflüssen, die niemand überblicken kann und in dem irgendwie auch alles untergeht. Wenn es doch mal jemand schafft, sich einen gewissen Status im Netz zu erarbeiten, sind Firmen und kommerzielle Interessenten nicht mehr fern. Wir machten unser Zine mit viel Idealismus und aus Überzeugung. Sowas heute im Internet aufrechtzuerhalten ist wesentlich schwieriger.
Hier hat sich seit meinen Anfängen etwas sehr drastisch verändert. Früher haben wir mutmaßlich Copyright-geschütztes Material einfach verarbeitet, ohne uns groß Gedanken zu machen. Das ist heute vollkommen unmöglich. Dieses hyperkapitalistische Zeitalter zwingt dich, jeden Ton und jeden Bildhintergrund daraufhin zu prüfen, ob jemandes Copyright betroffen ist. Irgendwie hat das auch wieder etwas Faschistisches.
"Ersatzplakat" für RASPBERRY REICH | (c) GMfilms Filmverleih |
Die merkwürdige Ironie mit RASPERRY REICH und dem Che-Guevara-Vorfall liegt woanders: Alberto Korda, der dieses Foto gemacht hat, war Marxist und Anhänger der kommunistischen Revolution auf Kuba. Seine Nachfahren verklagten ausgerechnet unsere 80.000 Dollar-Produktion in Millionenhöhe. Denen ging es in erster Linie nicht ums Copyright. Da spielten Homophobie und die Ablehnung der explizit sexuellen Bilder im Film eine größere Rolle. Meine Sympathien gelten dem Marxismus, nicht dem westlichen Kapitalismus. Diese Einstellung trägt auch der Film in sich. Und was passiert: Er wird von den Nachfahren des Marxisten Alberto Korda verklagt. Das ist schon sehr bitter.
Unterm Strich war es eine lehrreiche Lektion über Marxismus und die linke Bewegung im Allgemeinen. Vieles davon ist traditionell einfach homophob. Und genau darum geht es ja in RASPBERRY REICH. Wie es die Gudrun im Film sagt: "Es gibt keine Revolution ohne sexuelle Revolution." Und weiter gedacht, "es gibt keine sexuelle Revolution ohne homosexuelle Revolution." Daran kranken viele extrem-linke Bewegungen in Südamerika heute immer noch. Sie leben ein anachronistisches Rollenverständnis und betreiben eine Art linken, anti-schwulen Machismus.
Die Pornoindustrie zerfällt zusehends. Lediglich die Bareback-Pornolabels, also jene, die nur kondomfreien Sex darstellen, machen noch Profit. Du hast mal gesagt, dass schwuler Porno etwas implizit Faschistisches an sich hat.
Das mit dem Faschismus im Porno bezog sich auf die klassische Pornoindustrie und ihren Zwang zur Perfektion bei allem. Im schwulen Porno hat sich da zuletzt etwas verändert. Heutige schwule Pornostars sind vielleicht die letzten Zeichen jener Radikalität, die sonst vollkommen verschwunden ist. Sie stehen für extreme Sexualität. Die so unvermittelt, so kompromisslos ist, gegen alle Ideen der Sexualmoral verstößt. Die definieren die Grenzen neu. Die sind für mich die letzten radikalen Schwulen. Weshalb ich durchaus auch wieder einen Porno drehen möchte.
Pier-Gabriel Lajoie & Walter Borden in GERONTOPHILIA | (c) Bild: Bruce LaBruce |
GERONTOPHILIA erzählt von der Amour-Fu zwischen einem 18-jährigen und einem 80-jährigen. Michael Hanekes AMOUR räumte gerade jeden Filmpreis ab. Zynisch gesagt, alte Leute vor der Kamera sind der neue große Hit und du hast genau den richtigen Film zur richtigen Zeit.
Ja, vielleicht. Aber das ist natürlich Zufall. Ich arbeite an diesem Projekt seit vier Jahren. Bei GERONTOPHILIA geht es um ein umgekehrtes Lolita-Verhältnis. Der junge Mann fühlt sich sexuell zu einem sehr alten Mann hingezogen. Das Ganze hat einen eher komödiantischen und romantischen Einschlag. Ganz im Gegenteil zu AMOUR. Aber abgesehen davon werden die Alten allein schon aus demographischen Gründen zum Thema. Niemand weiß, wie man damit umgehen soll. Irgendwie scheint man zu hoffen, dass die Alten einfach verschwinden.
Was brachte dich auf die Geschichte von GERONTOPHILIA?
Ich bin immer wieder an Leute mit sehr außergewöhnlichen Fetischen geraten. Es gab einen Bekannten in New York. Der war schwarz, wunderschön, jung und hatte einen großen Penis. Er konnte sich die Typen wirklich aussuchen, wie es ihm passte. Aber er bevorzugte ausschließlich bärige, jüdische weiße Männer jenseits der 50. Keiner von den jungen, attraktiven Typen hat verstanden, warum sie bei ihm nicht landen konnten. Und genau das ist die Natur des Fetischs, es geht gegen jede Vorstellung. Und erst recht gegen alles, was die Gesellschaft im Allgemeinen als begehrenswert ansieht. So gesehen ist das Paar in GERONTOPHILIA auch eine Metapher für sexuelle Begierden abseits der Norm.
Wie hast Du die beiden Hauptdarsteller gefunden?
Die eine Hauptfigur in GERONTOPHILIA mußte einfach dieser prototypische schöne Junge sein. Es mußte deutlich werden, dass er eigentlich das Objekt der Begierde ist, auf den sich das breite Interesse richtet. Und der dann doch lieber alte Leute fickt. Er war nicht der beste Bewerber beim Vorsprechen. Aber er verfügt über eine gewisse Unschuld, die ihm etwas von einem Heiligen verleiht. Was die Rolle des alten Mannes betrifft, haben wir zunächst mit einer ganzen Reihe etablierter Darsteller gesprochen. Im Film wird sein alter Körper mehrfach nackt dargestellt, manchmal auch ausgestellt. Es brauchte also jemanden, der zu dieser Art von Bloßstellung bereit war.
Als ich den Namen der älteren Hauptfigur las, Mr. Peabody, erinnerte mich das an meine Zeit als Zivildienstleistender in der Altenpflege. Die Menschen in den Heimen verlieren mit der Zeit ihre Vornamen und irgendwie auch ihre Identität. Alle sind irgendwann nur noch Herr und Frau xyz, die ihrer täglichen Routine aus Schlafen, Essen und Scheißen nachgehen. Wie sahen deine Recherchen aus?
Es gab diesbezüglich nicht allzu viel Recherche. Darum ging es auch nicht. Unsere Location in Toronto war früher ein chinesisches Krankenhaus für alte Leute. Heute steht es leer. Trotz unseres Set-Designs, hat dieser Ort seine gespenstische Aura behalten. Und irgendwie passt es auch ganz gut zur expressionistischen Idee vom Altenheim als etwas Unheimliches. Dieser Fast-Friedhof. Beinahe Zombies, sie sind nur noch nicht tot.
Pier-Gabriel Lajoie in GERONTOPHILIA | (c) Bruce LaBruce |
Die Schwulen haben ein massives Problem mit dem Alter. Bei den Jungen gibt es dieses Element der extremen Verachtung für die Alten. Und zugleich ein erbärmliches Festklammern der Alternden an den letzten Resten ihrer Jugend. Können wir überhaupt in Würde altern?
Ich weiß nicht, ob Würde wirklich so eine wünschenswerte Sache ist, manchmal vielleicht nicht. In gewisser Weise ist es vielleicht besser geworden. Verglichen mit den 70ern und 80ern, wo alles vollkommen auf Jugend, Sex-Appeal und körperliche Anziehungskraft ausgerichtet war, ist es sicherlich besser geworden. Die Bear-Bewegung, in all ihrer Widersprüchlichkeit, hat die strikten Vorstellungen des Idealkörpers gelockert. In GERONTOPHILIA fühlt sich der Junge gerade von den äußeren Anzeichen von Aids und körperlichem Verfall angezogen. Je älter das Aussehen, umso mehr macht es ihn an.
Keiner will wahrhaben, dass auch im Alter noch Sex stattfindet. In Altersheimen mit einem hohen Frauenanteil sind die wenigen Männer geradezu die Deckhengste. Und in manchen Altersheimen gibt es sogar eine vollkommen neue HIV-Problematik, weil sich die Alten natürlich keine Gedanken um Safer Sex machen. Das ist alles hochinteressant. Jeder geht anders mit dem Älterwerden und mit seinem alternden Sexualleben um. Manche verlieren ihren Sexualtrieb. Andere gewinnen sogar eine ganz neue Lust auf Sex.
Manche Filmemacher tendieren inzwischen dazu, im Kontext von Galerien zu arbeiten. Andere ziehen sich vollständig ins Internet zurück. Viele spielen einfach weiter im Kino- und Festivalzirkus mit, so gut sie können. Wohin geht die Reise für Bruce LaBruce?
Die Arbeit an GERONTOPHILIA als großem Film, also groß im Sinne einer durchschnittlichen Independent-Filmproduktion, hat mich stark herausgefordert. Es gab eine geschlossene Handlung, ein wirkliches Drehbuch und ich konnte erstmals mit einer großen Crew arbeiten. Das war sehr interessant und ich würde in dieser Form gerne weiter arbeiten. Gleichzeitig hätte ich schon Lust darauf wieder einen Porno zu drehen. Außerdem habe ich eine Oper inszeniert, an deren Verfilmung ich bereits arbeite. Das wird wieder ein eher experimentelles Werk. Ich kann die eine Richtung, in die ich gehen, will nicht benennen. Manche Türen öffnen sich, andere schließen sich wieder. Einfach abwarten. Hoffentlich schließen sich nicht alle Türen.
Das Interview wurde Mitte März via Skype zwischen Berlin & Toronto geführt.
GERONTOPHILIA befindet sich zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Interviews in der Post-Produktion. Den Weltvertrieb hat "m2k Films" übernommen. Ein Kinostarttermin für Deutschland ist bisher nicht bekannt.
(c) Interview, Transkription, Übersetzung: Manuel Schubert
Erstveröffentlichung: DE:BUG-Magazin 4/2013