Schwul ist die Zukunft
Beobachtungen zum
nicht-heterosexuellen Kino
nicht-heterosexuellen Kino
der Berlinale 2014
Scott Marlowe und Matthew Risch in TEST von Chris Mason Johnson (c) Pro Fun Filmverleih 2014 |
Streng genommen gab es kein „Queer Cinema“ auf der Berlinale 2014. Das Weltkino, jenseits der Heteromatrix, scheint insbesondere in den Augen der KuratorInnen der zentralen Sektion Panorama ein schwules Kino zu sein.
Von den diesjährigen 23 ansatzweise nicht-heterosexuellen Langspielfilmen und -dokus umkreisten fünfzehn Werke ausschließlich schwule Handlungen und Protagonisten. Von den verbliebenen acht Filmen wurden nur zwei von Frauen realisiert. Inwiefern diese FilmemacherInnen sich selbst in irgendeiner Form als nicht-heterosexuell begreifen, bleibt fraglich. Gay Cinema also statt Queer Cinema.
Omnipräsent war hingegen das Wehklagen der Panorama-MitarbeiterInnen, die Frauen mögen doch bitte mehr Filme machen. "Nehmt eure Smartphones und legt los!", so ein Zitat aus einem Publikumsgespräch in der Panorama-Sektion.
Dabei sinkt filmische Qualität dessen was die Berlinale, quer durch alle Sektionen, seit Jahren auftischt kontinuierlich. Der leichtere Zugang zu Filmtechnik hat, der Digitalisierung sei Dank, zwar zu mehr filmischen Stimmen geführt, aber sicherlich nicht zu mehr visueller Güte.
Man muss deshalb in aller Deutlichkeit fragen: Kann das wirklich ernst gemeint sein? Das Letzte, was dieses Festival gebrauchen kann, sind verwackelte iPhone-Videos. Wenn dies inzwischen der Maßstab für das Niveau eines einzureichenden Films ist, kann man sich seitens der Bundesrepublik Deutschland die fast 6,5 Mio. € Steuergelder sparen, welche der Berlinale jährlich aus dem Etat der Kulturstaatsministerin zufließen. Dafür bedarf es keines A-Festivals, es reicht ein Youtube-Channel.
Lesbische Filme finden statt - woanders
Lauschte man den Programmachern, konnte man schnell zu dem Eindruck gelangen, es gäbe keine lesbischen FilmemacherInnen. Das ist natürlich Unfug. Das renommierte US-Filmfestival "Sundance" lud beispielsweise im Januar 2014 Desiree Akhavan (Appropriate Behavior) und Madeleine Olnek (The Foxy Merkins) in die Sektion "NEXT" ein.
Jener Teil des Sundance Festivals, der sich dem Suchen nach neuen Erzählformen im US-Kino verschrieben hat. Lesbischer Film fand in Sundance nicht nur statt, er hatte auch noch genug Qualität, um als Impuls für zukünftiges Filmemachen gelesen zu werden.
Mario Montez in BOILED LOBSTER OF LUCKY LANDLADY LAGOON von Jack Smith (c) Clemens von Wedemeyer/Galerie Jocelyn Wolff/Forum Expanded 2014 |
Aber man muss nicht über den Atlantik gucken, ein Blick nach Berlin-Kreuzberg reicht. Seit acht Jahren zeigt das Pornfilmfestival Berlin Filme von Frauen für Frauen und mehr. Was man unter queerem (wie heterosexuellem) Filmschaffen in seiner ganzen Vielfalt verstehen kann, lässt sich Jahr für Jahr in diesem Festival erleben. Die explizite Sexualität ist hierbei nur ein Teilaspekt.
Bezeichnenderweise brachte ausgerechnet jener Film, der im Umfeld des Pornfilmfestivals entstanden ist, wirklich queere Aspekte in diese Berlinale: Fucking Different XXY, letzter Teil der Kino-Serie über kurze filmische Spaziergänge durch die nicht-heterosexuelle Sexualität.
Produzent Kristian Petersen versammelte sieben lesbische und trans* FilmemacherInnen, um ihre Perspektiven einzufangen. Fucking Different XXY funktioniert im diesjährigen Queerfilm-Angebot vergleichsweise wie ein Mikrokosmos dessen, was im Ganzen fehlt und was eigentlich wünschenswert, ja wenn nicht sogar “State of the Art” sein könnte: Das Nachdenken über die Geschlechternormative, ein sinnliches Ausloten von Identitäten beziehungsweise deren Möglichkeiten, Bestandsaufnahmen und Verortungen des Queeren in unserer kapitalistischen Moderne. Und nicht zuletzt auch ein bisschen Trash als Spielart.
Die Straße fehlt
Nimmt man die Sektion Forum Expanded (mit Bruce LaBruce und Jack Smith im Programm) ausdrücklich aus, deren Werke den Ort und das Format Kino auch durch queere Perspektiven prinzipiell neu verhandeln, zeigte sich das Festival aus nicht-heterosexueller Sicht als gefühlsdusliges Unterhaltungsprogramm für den schwulen Mann.
Nichts gegen schnöde Kurzweiligkeit mit schönen Männern, nur muss das ausgerechnet auf der Berlinale stattfinden? Man darf und sollte vom Programm-Kuratorium mehr verlangen, als formal nettes Entertainment. Zumal das Engagement für das Politische wie für den aktivistischen Film wie eine Monstranz von Festivalleiter Kosslick und den SektionsleiterInnen umher getragen wird.
Susanne Sachsse in PIERROT LUNAIRE von Bruce LaBruce | (c) GMfilms |
Ein Festival kann lediglich jene Filme einladen, die auch da sind, wäre ein berechtigter Einwand. So gesehen gibt es sicherlich einige Defizite über deren Ursachen zu streiten wäre. Wo sind die Werke, welche sich mit den französischen Massendemonstrationen gegen die Homo-Ehe auseinandersetzen?
Wo bleiben jene Werke, die nach den Ursachen für den scheinbaren Backslash in der Akzeptanz nicht-heterosexuellen Lebens im Westen forschen? Es fehlen eben nicht nur die Frauen auf der Berlinale, die thematischen Leerstellen des Programms sind genauso eklatant. Dies kann allerdings nicht nur „Schuld“ der FilmemacherInnen sein, welche „nicht liefern“.
Hausgemachte Probleme überwinden
Vielleicht stimmt es wirklich, was seit Jahren nur hinter vorgehaltener Hand getuschelt wird: Das Leitungs- und Auswahlgremium der Panorama-Sektion um Wieland Speck hat den Anschluss an das heutige Kino verloren. Wichtige Debatten werden vom Panorama nicht mehr wahrgenommen.
Die entsprechenden Filme wandern offenkundig nach Cannes oder Sundance ab. Und aktuelle Problembereiche, wie die grassierende christlich-fundamentalistisch sekundierte Jagd auf nicht-heterosexuelle Menschen Afrikas, finden allenfalls noch als wohlfeiles Feature während einer befremdlichen Teddy-Award-Gala statt.
Wo bleibt das Förderprogramm für queere FilmemacherInnen aus Afrika – aufgebaut vom Panorama und der Berlinale-Nachwuchsschmiede „Talent Campus“? Und wenn das Problem wirklich so eklatant ist, warum gibt es dann keinen explizit lesbischen Filmpreis im Teddy Award, dotiert mit einer Produktionsbeihilfe von einigen Tausend Euro? Um die prekäre Situation des „Queer Cinema“ der Berlinale zu verbessern, braucht es dringend neue mutige Köpfe und völlig neue Allianzen.